Freitag, 14. Juni 2024

Wir Kelten - Zu 55 % tragen wir die Herkunft der Kelten Süddeutschlands noch heute in uns

Die Ethnogenese der Deutschen aus Sicht der Archäogenetik 
- Die Deutschen südlich des Mains tragen 55 % genetische Herkunft der einstigen Kelten in sich
- Wir Deutschen südlich des Mains

Heute sehen wir hinauf zu einst mächtigen keltischen Fürstensitzen und Völkerburgen. Möge die Erinnerung an sie in Franken weiter leben oder in Schwaben. Oft sind sie umgeben von terrassierten Wiesen-, sprich einstigen Ackerflächen, was zeigt, wie hoch die Besiedlungsdichte einst schon war.

Abb. 1: Sterbender Gallier, antike Marmor-Statue, in den Kapitolinischen Museen in Rom. Das Werk ist die römische Kopie eines Originals, das etwa um 230/220 v. Ztr., vermutlich in Bronze entstand - Fotografiert von Burkhard Mücke (Wiki)

Wir wandern auf den alten keltischen Handelswegen von Völkerburg zu Völkerburg, wie sie da etwa in 30 Kilometer Abstand voneinander im ganzen süddeutschen und Alpen-Raum miteinander vernetzt waren. Und wir trauern über all die untergegangenen Völker, die hier einst lebten (Stgen2021). Wir ahnten aber bisher gar nicht, in welchem Umfang wir ja sogar selbst die Nachfahren all dieser einstigen keltischen Völker sind.  

Ein Deutscher südlich des Mains trägt etwa 55 % genetische Herkunft der Kelten in sich - und damit Herkunft der Glockenbecher-Leute, von denen die Kelten abstammen. Als die germanischen Stämme der Bajuwaren und Alemannen ab 400 n. Ztr. nach Süddeutschland kamen, stießen sie auf die freien keltischen Stämme, die nördlich des Limes lebten. 

Die Kelten sind gar nicht alle in den Mittelmeerraum gezogen und dort "gestorben und verdorben" wie wir uns das auch hier auf dem Blog bislang vorgestellt hatten. Es waren offenbar immer nur Teile der Kelten, die über die Alpen gezogen sind, den Balkan hinunter, die bis nach Anatolien übergesetzt sind, die nach Südfrankreich gezogen sind, bis nach Spanien, bis nach Italien wanderten, etwa die Volker um 300 v. Ztr.. Nein, viele blieben in ihrer Heimat. Und ihre genetische Herkunft lebt in uns weiter.

Eine neue archäogenetische Studie

Anfang des Monats ist eine neue archäogenetische Studie erschienen. Ihr Titel - „Hinweise auf die Erbfolge unter den frühen Eliten der Kelten in Mitteleuropa“ (1) - deutet mit keinem Akzent an, daß sie - wie nebenbei - nicht nur die Ethnogenese der süddeutschen Kelten, sondern auch der nachfolgenden, heutigen Deutschen in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz behandelt, bzw. klärt.*)

Vorweg sei erwähnt: Die Hallstatt-Zeit datiert auf 800 bis 450 v. Ztr.. Sie scheint sich - laut dieser Studie (siehe unten) - unter kulturellen und auch geringen genetischen Einflüssen aus dem Raum südlich der Alpen gebildet zu haben. Auf sie folgte dann die La-Tène-Zeit zwischen 450 und 15 v. Ztr. (Wiki). Die La-Tène-Kultur mit ihren Viereckschanzen (Wiki), das waren die historischen Kelten. 

Interessanterweise scheint nun die Ethnogenese der Kelten der La-Tène-Zeit - nach den Ergebnissen dieser Studie - einher gegangen zu sein mit einem geringen Zustrom von Menschen aus der norddeutschen Tiefebene, und zwar sowohl ins böhmische Becken hinein wie nach Süddeutschland hinein (1). Offenbar haben sich diese Menschen germanischer Herkunft aber schnell innerhalb der keltischen Umgebung an die keltische Kultur und Sprache angepaßt.

Jenen keltisch-germanischen Mischvölkern zur Zeit Cäsars, von denen wir über die römischen Geschichtsschreiber wissen, sind also schon andere Austausch-Prozesse zwischen den beiden Kulturräumen voraus gegangen. Über die römischen Geschichtsschreiber und aus anderen Quellen wissen wir von Mischvölkern zwischen Kelten und Germanen insbesondere am Nieder- und Mittelrhein. Als Beispiele werden genannt die Belger, Condruser, Eburonen und Menapier (Wiki), ebenso die Treverer. Wir lesen dazu (Altwege):

Auf keinen Fall stimmt die Behauptung, daß der Rhein die kulturelle Grenze zwischen dem keltischen und germanischen Gebiet darstelle, da sowohl östlich davon keltische als auch westlich davon germanische Gruppierungen siedelten. Während es sich in Gallien um keltische Stämme und bei den nordöstlich des Rheins wohnenden Stämmen um Germanen handelte, müssen wir in der Übergangszone an der Mosel, Rhein und Donau von einer Mischbevölkerung (u.a. Menapier, Nervier, Eburonen, Treverer, Triboker) ausgehen.

Offenbar kann ähnliches auch über den Main gesagt werden. Ein Zeugnis dafür liefert nun die Herkunft eines Menschen, der in einem Fürstengrab neun Kilometer entfernt von der berühmten keltischen Heuneburg in der Schäbischen Alb bestattet worden war, nämlich innerhalb der sogenannten "Alten Burg" (Wiki). Diese "Alte Burg" stellte offenbar ein rituelles Zentrum dar. Hier lag ein Fürst begraben (benannt "LAN001"), der den Ergebnissen dieser Studie nach von der Nordseeküste stammte. Damit stand dieser im Gegensatz zur Herkunft der meisten Kelten der vorhergehenden Hallstatt- und der zeitgleichen La-Tène-Kultur, die nämlich durch die Genetik der Glockenbecher-Leute bestimmt war wie wir erst neulich hier auf dem Blog behandelt haben (Stgen2024).

Abb. 2: In diesen Ausmaßen wird sich laut dem Archäologen Markus Schußmann die keltische Stadt Menosgada vor mehr als 2000 Jahren auf dem Staffelberg bei Bad Staffelstein in Oberfranken etwa erstreckt haben. (Foto: Ronald Rinklef/Grafik: Michael Haller) (InFranken)

Wir lesen nun konkreter dazu (1):

Die meisten Hallstatt-Individuen entsprechen einem Modell, wonach ihre gesamte Herkunft derjenigen der Menschen des mittelbronzezeitlichen Lech-Tales gleicht - mit Ausnahme der zuvor beschriebenen südlichen Ausreißer MBG004, MBG016 und des nördlichen Ausreißers LAN001 von der Alten Burg (...). LAN001 hat den Großteil seiner Herkunft aus einer nördlicheren europäischen Quelle, die derjenigen der Bevölkerung der Bronze- und Eisenzeit in den Niederlanden und in Sachsen-Anhalt am nächsten stand (...), was auch mit seinen erhöhten δ18O-Werten übereinstimmt, die eine küstennahe nordwesteuropäische oder mitteldeutsche Herkunft belegen.
Most Hallstatt individuals fit a model of receiving all of their ancestry from Germany_Lech_MBA, with the exception of previously described southern outliers MBG004, MBG016 and northern outlier LAN001 from Alte Burg (Supplementary Table 2.8). LAN001 received the majority of his ancestry from a more northern European source, most closely related to the Bronze and Iron Age population of the Netherlands and Saxony-Anhalt (Supplementary Tables 2.9 and 2.11), which is also consistent with his elevated δ18O values supporting a coastal northwestern European or Central German origin.

Die weiteren Ausführungen klären dann aber ganz überraschend grundsätzlich die Ethnogenese der Deutschen überhaupt, insbesondere derjenigen in Süddeutschland, in Österreich und der Schweiz während des Frühmittelalters. 

Kelten-Zeit - Germanische Landnahme-Zeit - heute

Fast jeder der folgenden Sätze enthält dazu Grundlegendes (1): 

Die Ankunft von Personen mit eher nordeuropäischer Abstammung während der La-Tène-Zeit kann auch in veröffentlichten Daten aus der nahegelegenen Tschechischen Republik beobachtet werden, wo wir einzelne Herkunfts-Komponenten analysierten mithilfe von "supervised clustering" (...) und eine bisher unbeschriebene Ausdifferenzierung des Genpools in Bezug auf nordeuropäische Abstammung im Übergang von der Hallstatt- zur La-Tène-Zeit feststellten (...). In Süddeutschland (hier Baden-Württemberg und Bayern) weitet sich der nordeuropäische Zustrom (später) zu einem großen genetischen Umbruch zwischen der Eisenzeit und dem Frühmittelalter aus (...). Dies wird deutlich in Form eines starken Rückgangs der anatolisch-neolithischen Herkunft und eines erheblichen Wiederanwachsens der Steppenabstammung zusammen mit einer neuerlichen Ausdifferenzierung des Genpools. Während die Hallstatt-Bevölkerung die höchste genetische Verwandtschaft mit den heutigen Franzosen, Spaniern und Belgiern zeigte, weisen die frühmittelalterlichen (alemannischen und bayerischen) Bevölkerungen Süddeutschlands die größte genetische Ähnlichkeit mit den heutigen Dänen, Norddeutschen, Niederländern und Skandinaviern auf (...) und sind genetisch nicht von den Gruppen aus der Eisenzeit und dem Mittelalter in Norddeutschland und Skandinavien zu unterscheiden. (...) Durch die Zuwanderung aus Norddeutschland gelangten Vorfahren mit geringer anatolisch-neolithischer Herkunft nach Süddeutschland, was zu einem Anstieg des durchschnittlichen nordeuropäischen Herkunftsanteils von 2,8 % während der Eisenzeit auf 62,5 % im Frühmittelalter führte.
The arrival of individuals of more northern European ancestry during the La Tène period can also be observed in published data from the nearby Czech Republic42, where we analysed individual ancestry components using supervised clustering (Supplementary Fig. 5.8d) and detect a previously undescribed diversification of the gene pool with respect to northern European ancestry from the Hallstatt to the La Tène period (two-sided F test; F = 0.20174, numerator d.f. 15, denominator d.f. 60, P = 0.001). In southern Germany (here Baden-Württemberg and Bavaria) the northern European influx broadens to a major genetic turnover between the Iron Age and the Early Middle Ages (Fig. 4c and Supplementary Note 5). It is illustrated by a sharp decrease of EEF ancestry and a substantial resurgence of Steppe-related ancestry together with a re-diversification of the gene pool (Supplementary Figs. 4.4, 4.5 and 5.2). While the Hallstatt population showed highest genetic affinity to present-day French, Spanish and Belgians, the early medieval (Alemannic and Bavarian) populations of southern Germany47,48 exhibit closest resemblance to present-day Danish, northern Germans, Dutch and Scandinavians (Supplementary Fig. 5.4) and are genetically indistinguishable from Iron Age and Medieval groups in northern Germany and Scandinavia. (,,,) Migration from northern Germany introduced EEF-depleted ancestry to southern Germany, resulting in a rise of the median northern European ancestry from 2.8% during the Iron Age to 62.5% during the Early Middle Ages.

Germanen aus Nordeuropa spielten bei der Ethnogenese der Kelten um 450 v. Ztr. also genetisch eine kleine, nicht ausschlaggebende Rolle von durchschnittlich 2,8 %. 

Während der Römerzeit betrug die germanische genetische Herkunft schon bei etwa 8 % (siehe gleich).

Die germanische genetische Herkunft stellte dann aber ab dem Frühmittelalter in Süddeutschland 62 % der gesamten Herkunft. Das heißt, die Herkunft der Glockenbecherleute und Kelten betrug im Frühmittelalter in den damals kulturell dominierenden Bevölkerungsteilen in Süddeutschland nur noch 38 %. Wobei allerdings vor allem Menschen der germanischen Reihengräberfelder untersucht worden sein werden und frühmittelalterliche Menschen in Rückzugsräumen, etwa in Höhenlagen der Mittelgebirge (Schwarzwald, Schwäbische Alp etc.) bislang weniger in den Fokus der Wissenschaft getreten sein werden. Daß es sie aber gegeben haben muß, wird gleich noch deutlich werden. 

Weiter heißt es (1):

Daten aus der Römerzeit und der späten Eisenzeit aus Bayern und Thüringen deuten darauf hin, daß Teile des Genpools der frühen Eisenzeit in Süddeutschland erst im vierten oder fünften Jahrhundert n. Ztr. betroffen waren (wobei die nordeuropäische Herkunft in diesen Proben im Durchschnitt 8 % nicht überschritt). Im Allgemeinen scheint dieser Wechsel Teil einer größeren Bevölkerungsbewegung zu sein, die dazu Beitrug, daß in der frühmittelalterlichen Bevölkerung Englands, Ungarns, Italiens und Spaniens nordeuropäische Herkunft hinzu kam.
Roman and Late Iron Age data from Bavaria and Thuringia indicate that parts of the early Iron Age gene pool in southern Germany were not affected until the fourth or fifth century CE (with northern European ancestry not exceeding a median of 8% in these samples). In general, this turnover seems to be part of a larger movement of people, contributing northern European ancestry to the early medieval populations of England, Hungary, Italy and Spain.

Späte Eisenzeit ist 450 v. Ztr. bis 0 v./n. Ztr.. Die Römerzeit beginnt in diesen Regionen ab 50 v. Ztr.. Wenn umfangreichere Genetik aus Norddeutschland (bzw. germanische Genetik) in Bayern und in Thüringen erst ab dem 4. oder 5. Jahrhundert n. Ztr. im Genpool erkennbar wird, hieße das, daß der Zug des elbgermanischen Königs Ariovist nach Süddeutschland und sozusagen Cäsar entgegen ab etwa 70 v. Ztr. noch kaum genetische Spuren in Thüringen und Bayern hinterlassen hat. Die keltische Genetik würde in Süddeutschland, insbesondere südlich des Limes auch noch zur Zeit des Römischen Reiches vorherrschend geblieben sein. Denn dort gab es zu dieser Zeit nur etwa 8 % Herkunft aus dem germanischen, nordeuropäischen Raum. Der grundlegende Wandel kam also erst durch die germanische Völkerwanderung ab 375 n. Ztr. zustande, vergleichbar den zeitgleichen Vorgängen in den anderen genannten europäischen Ländern. Künftige archäogenetische Studien werden die Ankunft der elbgermanischen Stämme in Süddeutschland und Böhmen und ihr Einfluß auf den dortigen Genpool künftig sicherlich zeitlich und räumlich noch genauer aufschlüsseln. 

Wie richtig aber unser Hinweis auf bislang nicht untersuchte frühmittelalterliche Bevölkerungen in Rückzugräumen in Süddeutschland war, zeigen die dann folgenden Ausführungen (1):

Die Herkunft der meisten heutigen Deutschen liegt auf der Mitte zwischen der Herkunft der hallstattzeitlichen und frühmittelalterlichen süddeutschen Cluster, was auf ein Wiederanwachsen der stärker von anatolisch-neolithisch Herkunft bestimmten Abstammung insbesondere in Süddeutschland schließen läßt.
Most present-day Germans fall between the Hallstatt and early medieval southern German clusters, suggesting a resurgence of EEF-enriched ancestry, especially in southern Germany.

Die keltische Herkunft nahm also wieder von 38 % auf 55 % zu. Darin mag sich widerspiegeln, daß es wichtige Bevölkerungsteile gab, die durch die germanischen Reihengräberfelder der Landnahmezeit gar nicht repräsentiert wurden (1):

Dies zeigt sich auch in den uniparental weitergegebenen Y-Chromosomen. Wir stellen fest, daß der Hallstatt-Y-Chromosom-Genpool von den Linien R1b-M269 und G2a-P303 dominiert wird, wobei die Unterhaplogruppe G2a-L497 37 % der Haplotypen in der Stichprobe ausmacht (...). Interessanterweise stellen wir fest, daß Personen mit Haplogruppe G2a-L497 (z. B. MBG017, MBG016 und HOC004) deutlich mehr südeuropäische Vorfahren aufweisen als Personen mit Haplogruppe R1b-M269 (z. B. HOC001, APG001 und MBG003) (...). Obwohl G2a im heutigen Europa nördlich der Alpen äußerst selten ist, erreicht G2a-L497 immer noch seinen höchste Häufigkeit im Gebiet des ehemaligen West-Hallstattkreises, nämlich Ostfrankreich, Süddeutschland und der Schweiz sowie Norditalien, was einen weiteren Beweis für ein Überleben oder Wiederaufleben der Hallstatt-Herkunft aus der Eisenzeit in diesen Regionen darstellt
This is also indicated by uniparental Y-chromosome evidence. We find that the Hallstatt Y-chromosome gene pool is dominated by R1b-M269 and G2a-P303 lineages, with subhaplogroup G2a-L497 accounting for 37% of the haplotypes in the sample (Supplementary Table 1.1). Interestingly, we find that individuals with haplogroup G2a-L497 (for example, MBG017, MBG016 and HOC004) exhibit significantly more southern European ancestry than individuals carrying haplogroup R1b-M269 (for example, HOC001, APG001 and MBG003) (two-sided Welch two-sample t-test; t = 2.878, d.f. 13.812, P = 0.0123). Although G2a is exceedingly rare in present-day Europe north of the Alps, G2a-L497 still peaks in the area of the former West-Hallstattkreis, namely eastern France, southern Germany, and Switzerland53 as well as northern Italy, thus providing additional evidence for a survival or resurgence of Hallstatt Iron Age ancestry in those regions. 

Es heißt dann weiter (1):

Die meisten heutigen Deutschen können als Drei-Wege-Mischung von Herkunft aus der süddeutschen Frühen Eisenzeit (54,5 ± 2%), Herkunft aus dem römerzeitlichen Norddeutschland (33,8 ± 2,5%) und einer dritten, nordosteuropäischen Quelle (hier bronzezeitliches Lettland, 11,7 ± 1,2%) modelliert werden, die eine weitere Einmischung darstellt, die erst nach dem ersten Vermischungsereignis eingeführt wurde und möglicherweise mit slawischsprachigen Bevölkerungen zusammenhängt, die im Mittelalter nach Ostdeutschland einwanderten.
Most present-day Germans can be modelled as three-way admixture between SGermany_EIA (54.5 ± 2%), NGermany_Roman (33.8 ± 2.5%) and a third, northeastern European source (here Latvia_BA, 11.7 ± 1.2%) representing further admixture introduced after the initial admixture event, potentially connected to Slavic-speaking populations migrating into eastern Germany during the Middle Ages.

Das hieße, die Herkunft der heutigen Menschen in Süddeutschland würde sich folgendermaßen zusammen setzen:

  • 55 % keltisch
  • 34 % germanisch und 
  • 12 % slawisch.

Das haben wir Süddeutschen, Österreicher und Schweizer nun davon. Wir sind genetisch viel keltischer, als wir bislang angenommen hatten. Immerhin bleiben uns 34 % germanische Herkunft!!! All das dürfte sich in Norddeutschland und Nordeuropa deutlich anders verhalten.

Hier wird übrigens vorausgesetzt, daß sich eine typisch slawische Herkunft ausgerechnet im bronzezeitlichen Lettland gefunden hätte. Lettisch ist aber keine slawische, sondern eine baltische Sprache. War die Herkunft von Balten und Slawen gar nicht so unterschiedlich? Die Geschichte Ostmitteleuropas aus Sicht der Archäogenetik wird sicher in näherer Zukunft abschließender geklärt werden.

Ansonsten wartet die neue Studie mit der Klärung von Verwandtschaftsverhältnissen innerhalb der reichsten Fürstenfamilien der süddeutschen Kelten auf - reich gemessen an der Ausstattung der Fürstengräber. Verwandtschaft über die mütterliche Linie über weitere Regionen Südwestdeutschlands hinweg spielte hier eine unerwartete Rolle. Es finden sich auch Fürsten mit Kindern bestattet, mit denen sie genetisch gar nicht verwandt waren. Hatten sie Pflegekinder aufgenommen? Spielte das Stellen von Geiseln eine Rolle (wie es auch in germanischer Zeit eine so wesentliche Kulturpraktik war)?

Abb. 3: Ein Kelte oder Germane übergibt Augustus ein Kind als Geisel, geprägt 8 v. Ztr. (Wiki , s.a. Wiki)

Einheiraten aus der Region südlich der Alpen spielten bei der Ausbildung dieser süddeutschen, keltischen Fürstenelite ebenfalls eine Rolle (1):

Die frühe keltische Elite dieser Netzwerke entstand aus einem langfristigen populationsgenetischen Prozeß der fortwährenden Vermischung mit koexistierenden Gruppen in Südeuropa, die zuvor weniger Genfluß von Steppenpopulationen erfahren hatten. In diesem Zusammenhang betonen wir unsere Entdeckung, daß die früheste Elitebestattung in der Region aus dem zentralen Grab des Magdalenenbergs aus dem Jahr 616 v. Ztr. sowie seine Verwandten Hinweise auf eine Abstammung südlich der Alpen aufweisen, was auf eine führende Rolle dieser Verbindung bei der anfänglichen Entstehung der frühkeltischen Hallstattkultur hindeuten könnte. Kulturelle Verbindungen über die Alpen hinweg bleiben auch in der materiellen Kultur dieser Elitegräber über Jahrhunderte hinweg erhalten. Die komplexen politischen Strukturen zerfielen jedoch im fünften und vierten Jahrhundert v. Ztr. und wurden schließlich aufgegeben. Genetische Ausreißer aus dieser und früher veröffentlichten Studien legen nahe, daß anschließend auf dem Höhepunkt der keltischen Migrationen im vierten und dritten Jahrhundert v. Ztr. nicht nur „Kelten“ wanderten, sondern daß zumindest eine begrenzte Anzahl von Menschen aus dem nördlichen Mitteleuropa die südliche Zone der Latène-Kultur und sogar Norditalien erreichte, möglicherweise in Verbindung mit historisch bezeugten Völkern wie den Kimbern und Teutonen.
The early Celtic elite of these networks emerged from a long-term population genetic process of ongoing admixture with coexisting groups in southern Europe who previously experienced less gene flow from Steppe-related populations38,42. In this context, we highlight our finding that the earliest elite burial in the region from the central grave of the Magdalenenberg at 616 BCE, as well as his relatives, show evidence of ancestry from South of the Alps, which might suggest a leading role of this connection in the initial formation of the early Celtic Hallstatt culture. Cultural links across the Alps are also preserved in the material culture of these elite graves throughout centuries10,12,39. However, the complex political structures disintegrated in the fifth and fourth century BCE and were ultimately abandoned. Genetic outliers from this and previously published studies suggest that, subsequently, at the height of the Celtic migrations during the fourth and third century BCE, not only ‘Celts’ migrated, but at least a limited number of people from northern central Europe reached the southern zone of the La Tène culture and even northern Italy74, possibly associated with historical entities like the Cimbri and Teutones.

Südlich der Alpen lebten Keltenstämme, die den ihnen südlich benachbarten Etruskern und Römern allerhand Sorgen bereiteten und eine nicht unbeträchtliche Rolle in der Frühgeschichte Roms spielen (Wiki), insbesondere im Jahr 387 v. Ztr. (Wiki), als der keltische Feldherr Brennus sieben Monate lang Rom belagerte (Wiki), und als die berühmten schnatternden Gänse die Römer vor einem nächtlichen Überfall aus das Kapitol warnten. Die Römer kauften sich von der Belagerung frei (Wiki):

Der Legende nach warfen die Römer bei der Auswägung dieses Lösegelds Brennus vor, falsche Gewichte zu benutzen. Daraufhin soll Brennus mit den Worten „Vae victis!“ (dt. „Wehe den Besiegten!“) zusätzlich noch sein Schwert in die Waagschale geworfen haben, so daß diese nun noch mehr Gold zahlen mußten. Der Ausspruch wurde sprichwörtlich und wurde später etwa von Plautus und Plutarch zitiert. Der materielle Schaden für den römischen Staat war weitaus geringer als der immaterielle. Das Selbstbewusstsein war erschüttert; die Keltenangst blieb auf Jahrhunderte hinaus ein wichtiger Faktor in der römischen Außenpolitik.

Ja, ja, damals - als "wir" Kelten die standhaften, erzfesten Römer zum Erzittern brachten. Was für Zeiten. Wenn doch heute endlich einmal wieder die Gänse schnattern würden - und die Menschen zum Aufwachen bringen würden ....   

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*) Was die Forschungsergebnisse betrifft, die im Titel der Studie angesprochen sind, kann man diese auch der Wissenschaftspresse entnehmen (MDR):

Die Schwester des Hochdorfer Fürsten war die Mutter des Asperger Fürsten.

Beide Grabhügel liegen zehn Kilometer voneinander entfernt. Und (StutZtg):

Zudem wurden in zwei etwa hundert Kilometer - und damit ungewöhnlich weit - voneinander entfernten Grabstätten Menschen gefunden, die wahrscheinlich ebenfalls über die mütterliche Linie verwandt waren. Möglicherweise handele es sich um Urgroßmutter und Urenkel, heißt es in der Studie. Die Wissenschaftler schließen daraus, daß es in den keltischen Gesellschaften eine matrilineare dynastische Erbfolge gegeben haben könnte. Reichtum und Macht wurden also jeweils über die mütterliche Abstammungslinie vererbt, nicht wie häufig über die väterliche. Zudem seien die Elitefamilien vermutlich über ein weites geografisches Gebiet von der Iberischen Halbinsel bis nach Südwestdeutschland verbunden gewesen.

Dazu könnte auch der Sklavenhandel beigetragen haben, der zwischen Böhmen, Manching und dem heutigen Basel in der Zeit vor Cäsar den "Sklavenmangel" im Römischen Reich deckte (worauf wir in einem künftigen Beitrag zu sprechen kommen wollen). Daß die heutigen Menschen in Süddeutschland zu 55% von den Kelten abstammen, ist den Wissenschaftsjournalisten keine Erwähnung wert. Dabei wertet doch gerade diese Mitteilung das Thema Kelten insgesamt unglaublich auf.

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  1. Gretzinger, J., Schmitt, F., Mötsch, A. et al., Wolfram Schier, Dirk Krausse, Johannes Krause & Stephan Schiffels: Evidence for dynastic succession among early Celtic elites in Central Europe. Nat Hum Behav (2024). https://doi.org/10.1038/s41562-024-01888-7, Published 03 June 2024

6 Kommentare:

  1. Gibt es Hinweise darauf, dass die elbgermanischen Stämme während der Völkerwanderungszeit in Süddeutschland eine Art Apartheid etablierten und die ansässige Bevölkerung in unwirtlichere Gebiete verdrängten? Möglicherweise könnten Ereignisse wie der Dreißigjährige Krieg zu einer Lockerung dieser Grenzen geführt und durch die Neuansiedlung der Bevölkerung die heutige demografische Struktur geprägt haben?

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  2. Es wäre denkbar, dass die germanischen Neuankömmlinge bevorzugt fruchtbare Gebiete besiedelten, während Teile der ursprünglichen, römisch-keltischen Bevölkerung in weniger attraktive Regionen abgedrängt wurden. Allerdings gibt es keine eindeutigen Belege für eine systematische, planmäßige Trennung im Sinne einer modernen Apartheid. Vielmehr könnten lokale Bevölkerungen durch pragmatische Entscheidungen der neuen Herrscher entweder integriert oder verdrängt worden sein, abhängig von den jeweiligen Umständen.

    Auch in späteren Jahrhunderten, insbesondere nach den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges, kam es zu tiefgreifenden Veränderungen der Bevölkerungsstruktur. Die massiven Verluste an Menschenleben führten zu einer weitreichenden Entvölkerung, gefolgt von gezielter Wiederbesiedlung durch Menschen aus verschiedenen Regionen. Diese Maßnahmen könnten dazu beigetragen haben, frühere ethnische und soziale Grenzen zu verwischen, was langfristig zu einer stärkeren Durchmischung der Bevölkerung führte. So könnte die demografische Landschaft, wie wir sie heute kennen, nicht zuletzt durch diese historischen Prozesse geprägt worden sein.

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  3. "Apartheit" scheint es nicht wirklich gegeben zu haben. Die Zuwanderer haben sich mit der ortsansässigen Bevölkerung vermischt, das gilt offenbar für alle Germanenstämme. Aber die genauen Etappen der Vermischung werden sicherlich in den nächsten Jahren genauer geklärt werden. - Ich habe da auch noch viele Fragen und darüber mehrere Blogartikel in Vorbereitung. Aber letztlich braucht man dazu noch mehr archäogenetische Forschungsergebnisse.

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  4. Auf lange Sicht ja. Ich rede auch nicht wirklich von einer "Apartheit" im rechtlichen Sinne. Aber das es durchaus ein paar Generationen noch eine Distanz gegeben haben wird - wie sah es denn bei den germanischen Stämmen in Großbritannien aus? Heute sicherlich auch in England eine "Mischbevölkerung", aber war das die ersten Jahrhunderte auch schon? Es scheint ja auch so zu seien, dass die Menschen in den "fruchtbaren" Gebieten im Süden Deutschlands, anhand der Flüsse und Täler, hellhaariger zu sein scheint, als in den Unwirtlicheren Gebieten. Da gab es doch mit Sicherheit erstmal "verdrängung", nicht "vermischung". Die Germanen kamen ja als ganze Familien (wie in Nordamerika), oder, nicht nur eine eroberende Männerelite wie die Spanier/Portugiesen in Südamerika?! Nur ein paar Gedanken!

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  5. Ja, ja, nur ein paar Gedanken. Es ging aber nicht nur um Verdrängung. Die Römer berichten ja, dass in Süddeutschland östlich des Rhein auch weite Gebiete unbesiedelt waren. Das darf man nicht unberücksichtigt lassen. Es sind ja wirklich oft ganze Völker abgewandert. Es gibt da viele Dinge zu berücksichtigen. Die Maingegend und Oberfranken sind von den FRANKEN besiedelt worden. Diese kamen von den heutigen Niederlanden her den Rhein aufwärts und waren Rhein-Weser-Germanen (Istväonen). Die Alemannen und Bajuwaren und Sueben waren Elbgermanen (Herminonen). Es stellt sich auch die Frage, ob diese sich schon auf dem Weg nach Franken hin mit Keltoromanen am Rhein vermischt haben oder erst in Oberfranken selbst. Oberfranken war ja niemals romanisiert worden, insofern könnten die Menschen dort noch keltische Sprachen gesprochen haben. In den hinteren Alpentälern haben die keltischen Restbevölkerungen - auch oft noch im Mittelalter - romanische Sprachen gesprochen. All das läßt sich auch anhand der Ortsnamen verfolgen, es gibt germanische und ältere Ortsnamen. Und die häufen sich jeweils in einzelnen Regionen. Ich hab zu all dem schon allerhand recherchiert, aber bisher noch nicht wirklich brauchbare Literatur gefunden. Diese Thematik liegt bislang noch etwas im Schatten des Forschungsinteresses. Ich glaube vor allem deshalb, weil einem gar nicht klar war, daß die Deutschen südlich des Mains zu 55 % von den Kelten, bzw. Keltoromanen abstammen. Sonst wäre man diesen Fragen schon intensiver nachgegangen, glaube ich.

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  6. Es gilt ja auch zu berücksichtigen, dass es schon vor den Römern zahlreiche keltisch-germanische Mischvölker gab: "Während es sich in Gallien um keltische Stämme und bei den nordöstlich des Rheins wohnenden Stämmen um Germanen handelte, müssen wir in der Übergangszone an der Mosel, Rhein und Donau von einer Mischbevölkerung (u.a. Menapier, Nervier, Eburonen, Treverer, Triboker) ausgehen." Schon der Elbgermane Ariovist war mit einer Germanin und einer Keltin verheiratet.

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