Sonntag, 23. April 2023

Völkergeschichte - Aus der Sicht von Mathilde Ludendorff (I)

Erörterungswürdiges und völlig Überlebtes in ihrem Buch "Die Volksseele und ihre Machtgestalter" (1933)

Das Buch "Die Volksseele und ihre Machtgestalter - Eine Philosophie der Geschichte" von Mathilde Ludendorff (1877-1966) aus dem Jahr 1933 enthält grundlegende Aussagen und Deutungen

  1. zur Geschichtsphilosophie (zum "Sinn" der Geschichte), 
  2. zur Gruppenpsychologie und zum Ethnozentrismus (Was ist "Volksseele"? Wie macht sie sich geltend?).
  3. Außerdem werden die grundlegenderen Deutungen zu 1. und 2. erläutert durch nur wenige ausgewählte Beispiele aus der Völkergeschichte seit der Bronzezeit.

Innerhalb dieses Buches muß den unter 1. und 2. genannten grundlegenderen Gedanken ein ganz anderer Stellenwert zugesprochen werden als einigen oft außerordentlich unglücklich, ja, sogar maßlos schlecht ausgewählten Beispielen aus der Völkergeschichte, die zur Erläuterung dieser grundlegenden Gedanken herangezogen werden. Dies betrifft insbesondere Erläuterungen von Grundgedanken anhand der antik-griechischen Kultur.

Abb. 1: Leopold von Ranke - "Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1515" - Das geniale Erstlingswerk von 1824

Mathilde Ludendorff war keine Physikerin, hat sich aber dennoch 1923 grundlegende Intuitionen zur Entstehung des Universums zugetraut, die im Nachgang von der empirischen Forschung zu großen Teilen bestätigt, zu geringeren Teilen widerlegt worden sind. Etwa die Intuition, daß das Universum einen Anfang in der Zeit hatte (was erst 1927 erstmals von Physikern wie Lemaitre erörtert wurde). Etwa die Intuition, daß sich Komplexität in unserem Universum über Phasenübergänge entfaltet (was erst seit den frühen 1970er Jahren von der Physik besser verstanden worden ist). Auch die Benennung, an welchen Stellen der Entwicklung Phasenübergänge zu beschreiben sind. Und so noch vieles andere mehr. 

Parallel dazu, daß Mathilde Ludendorff keine Physikerin war, kann auch gesagt werden, daß Mathilde Ludendorff keine Historikerin war. Entsprechend müssen grundlegendere philosophische und psychologische Intuitionen getrennt werden von der oft allzu zeitverhafteten Erläuterung dieser Intuitionen mit Hilfe von Beispielen aus der Völkergeschichte.

Soweit uns bekannt, ist ihr Buch zur Philosophie der Geschichte noch selten umfassender mit den Ergebnissen der empirischen Forschung seither konfrontiert worden. Solange die Erkenntnisse der Archäogenetik über die Völkergeschichte noch nicht gewonnen worden waren - wie dies seit 2015 geschieht - hat es wohl auch noch keine gute Grundlage für eine solche kritische Betrachtung und Konfrontation mit der Empirie gegeben. Die meisten in ihrem Buch aufgeworfenen Deutungen konnten - zumindest in letzter Instanz - bislang nicht empirisch überprüft werden. Durch die Archäogenetik ist das nun ganz anders geworden.

Nach der Philosophie von Mathilde Ludendorff ist der höchste Wert in diesem Weltall die kulturelle Vielfalt der Völker auf dieser Erde, das "Gottlied der Völker" - wie ihr diesbezügliches siebtes philosophisches Werk benannt ist, das den Abschluß ihrer sieben grundlegenden philosophischen Werke bildet.

Die potentielle Unsterblichkeit der Völker

Der vielleicht wesentlichste Grundgedanke ihres vorhergehenden Buches "Die Volksseele und ihre Machtgestalter" ist der Gedanke von der "potentiellen Unsterblichkeit der Völker". Dieser Gedanke wird dem Grundgedanken des Werkes "Der Untergang des Abendlandes" von Oswald Spengler aus dem Jahr 1919 entgegen gestellt, das einen gesetzmäßigen Alterstod von Völkern postuliert hatte. Das heißt, nach Mathilde Ludendorff sind Völker potentiell unsterblich - so wie die ursprünglichsten Lebewesen auf der Erde, die Einzeller. Potentiell unsterblich heißt allerdings - wie bei den Einzellern - nicht, daß nicht dennoch die große Mehrheit aller Völker im Verlauf der Geschichte irgendwann einen "Unfalltod" oder "Krankheitstod" sterben kann - oder sich gar in fast freudigem, heldischen Überschwang in die Arme des Völkertodes werfen kann (wie vergleichsweise viele indogermanische Völker, darunter auch die antiken Griechen). Es heißt das aber, daß die Geschichte von Völkern von sehr unterschiedlicher Dauer sein kann.

Abb. 2: Leopold von Ranke - Spanische Geschichte (1827)

So sehen wir für die Geschichte der germanischen Völkergruppe in Nordeuropa eine sprachliche, kulturelle und genetische Kontinuität seit fünftausend Jahren (seit der Zuwanderung der Schnurkeramiker und Glockenbecherleute nach Nordeuropa). Das ist - im Angesicht der vorausgehenden Untergänge von Völkern auch in Nordeuropa, sowie dann vielen parallelen im südlicheren Europa schon eine sehr lange Lebensdauer.

Für die chinesische Kultur deutet sich eine vermutlich noch größere sprachliche, kulturelle und genetische Kontinuität an, die bis in die Eiszeit zurück reichen könnte. Ebenso wie für die Klicksprachen-Völker, die Buschleute im heutigen südlichen Afrika. Und so vermutlich noch vereinzelt für manche andere Völker und Völkergruppen, bzw. für Reste von ihnen (etwa die finno-ugrische, die von dem Völkerkundler Lennart Meri erforscht worden ist).

Durch diese Beispiele scheint uns Oswald Spengler widerlegt. Und es scheint, als ob der Gedanke der potentiellen Unsterblichkeit der Völker, den Mathilde Ludendorff ausgesprochen hat, als empirisch bestätigt gelten kann. Auf jeden Fall ist er einer der Gedanken, um derentwillen dieses Buch heute noch als eröterungswürdig gelten kann.

Gibt es Todesgefahren für Völker? - Wenn ja, welche sind es?

Wenn Völker aber potentiell unsterblich sind und wenn menschliches Handeln verantwortlich dafür ist, ob Völker überleben oder nicht, dann stellt sich als nächstes die Frage: Woran sterben eigentlich Völker und Kulturen? Dieser Frage geht die Forschung spätestens seit Joseph A. Tainter's wertvoller Untersuchung "The Collapse of Complex Societies" nach. Dieses Werk vertrat die These, daß es einer "Mindestproduktion innovativen Wandels" bedürfe, wenn komplexe Gesellschaften im Verlauf ihrer Geschichte nicht scheitern und zugrunde gehen sollen.

Auch Mathilde Ludendorff stellt sich in ihrem Buch die Frage, welche Gefahren es für das Gottlied der Völker gibt und für das Überleben einer einzelnen Stimme, eines einzelnen Volkes innerhalb dieses Gottliedes. Als Todesgefahren nennt sie in ihrem Buch (1):

  1. Die Unvollkommenheit der Menschenseele
  2. Die Rassemischung (also Vermischung von Herkunftsgruppen)
  3. Fremdglaube (bzw. allgemeiner: Fremdkultur)

An dieser Stelle sollen diese drei Punkte nur als Umrisse genannt werden. Aber schon an dieser Stelle müssen wir aus heutiger Sicht gleich viele Einwendungen machen. Zunächst einmal sehen wir, daß so gut wie alle Völker weltweit - mit nur ganz wenigen Ausnahmen - das Ergebnis von "Rassemischung" sind, das Ergebnis von Vermischung von Herkunftsgruppen. Das sah auch Mathilde Ludendorff - dem Prinzip nach - schon so. Allerdings war zu ihrer Zeit das genaue Bild dazu im Grunde bestenfalls schemenhaft erahnbar, wenn nicht sogar gänzlich unbekannt.

So ging sie etwa - mit samt der "Rasseforschung" ihrer Zeit - von einer "Reinrassigkeit" der blonden und blauäugigen Germanen in Skandinavien aus, während wir heute sehen, daß die Skandinavier seit fünftausend Jahren nur den größten indogermanischen Steppengenetik-Anteil unter allen Völkern weltweit aufweisen - nämlich von etwa 50 %. Und wir wissen zugleich, daß auch dieser Steppengenetik-Anteil selbst wieder eine 50/50-Mischung von zwei sehr unterschiedlichen Herkunftsgruppen war, die aus dem östlichen Nordeuropa und vom Südufer des Kaspischen Meeres kommend an der Mittleren Wolga zusammen stießen.

Abb. 3: Leopold von Ranke - "Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation" (1839-1847)

Mit solchen Vermischungen von Herkunftsgruppen kam es - davon kann und muß ausgegangen werden - fast immer auch zur Entstehung neuer Muttersprachen, sprich neuer Völker. Die Vermischung von Herkunftsgruppen hat also zunächst einmal die kulturelle Vielfalt der Menschenvölker weltweit - so wie sie heute besteht - nicht gefährdet, sondern hervor gebracht. Das ist eine außerordentlich wesentliche Erkenntnis. Diese Erkenntnis macht aber nur Sinn, wenn man sich zugleich bewußt macht, daß solche kurze Phasen von Vermischung einher gehen mit langen Phasen, in denen es zu keiner oder nur sehr geringer Vermischung kommt. Diese letztere Erscheinung findet oft viel weniger Beachtung. Aber sie kann schon an einem Paradebeispiel der Völkergeschichte aufgezeigt werden, nämlich den aschkenasischen Juden: Sie haben über Jahrtausende Vermischung mit anderen Völkern sehr bewußt vermieden. Dennoch hat es in Umbruchzeiten solche Vermischungen sehr wohl gegeben wie wir heute wissen.  

"Günstige" oder "ungünstige" Vermischungen, Beeinflussungen - Die Beispiele der Hunnen und der Assyrer 

Nachdem dies festgestellt ist, macht es möglicherweise Sinn, in einem zweiten Schritt zu sagen, daß wir in der Völkergeschichte genetische und/oder kulturelle Vermischungen und gegenseitige Beeinflussungen von Herkunftsgruppen sehen, die sich günstiger auf die kulturelle (und zivilisatorische) Weiterentwicklung in der Menschheitsgeschichte und die Erhaltung der Völker ausgewirkt haben und solche, die sich weniger günstig auf diese Weiterentwicklung ausgewirkt haben. Auch das hat Mathilde Ludendorff - im Prinzip - schon so gesehen und formuliert. Allerdings war es zu ihrer Zeit auch hierzu völlig unmöglich, genauere Kenntnis zu gewinnen.

So wissen wir heute, daß die indogermanischen Völker in Asien in der Bronzezeit über viele Jahrhunderte, oft Jahrtausende vergleichsweise unvermischt neben den dortigen mongolischen Stämmen und neben dem chinesischen Volk gelebt haben und dabei auch zivilisatorische und kulturelle Neuerungen und Weiterentwicklungen mit in diese Region gebracht haben, bzw. innerhalb derselben weiter gegeben haben.

Schließlich kam es aber - insbesondere in der Eisenzeit und in der Antike - zu einer auch genetischen Vermischung von indogermanischen Skythen und Sarmaten, Mongolen und Chinesen, aus denen die Hunnen, Awaren, Bulgaren, Turkvölker und Landnahme-Ungarn als kriegerische Reitervölker hervor gegangen sind. Soweit übersehbar, haben sich diese vermischten Reitervölker insgesamt gesehen mehr zerstörend als aufbauend in der Völkergeschichte geltend gemacht.

Aber: In Abwehr dieser Reitervölker kam es wiederum auch zu Weiterentwicklungen. Das Volk der Deutschen formierte sich in Abwehr der Landnahme-Ungarn. Das byzantinische Weltreich bewahrte das Erbe der Antike bis zum Ende des Mittelalters in Abwehr dieser Reitervölker.

Jedes dieser einstigen Reitervölker und jener großen Völker, die nachmals aus ihnen hervor gegangen sind, stellt im übrigen einen kulturellen Wert an sich dar, ist eine Stimme im reichen Gottlied der Völker, ganz unabhängig von seinem Beitrag zur Weiterentwicklung in der Menschheitsgeschichte.

Ebenso kann vielleicht gesagt werden, daß sich die kulturelle Beeinflussung der orientalischen Völker an Euphrat und Tigris durch indogermanische Geisteshaltung und Kulturelemente wie sie durch die dortige Fremdherrschaft der von indogermanischer Kultur und Lebensweise beeinflußten Hurriter, Mitanni, Hethiter und ähnlicher Völker hinein getragen worden war während der Bronze- und Eisenzeit, insgesamt gesehen mehr zerstörend denn aufbauend ausgewirkt hat. Vermutlich angeregt durch die Fremdherrschaft dieser vom Kaukasus her eindringenden Völker sind nämlich - unter anderem - die furchtbaren, völkerzerstörenden Reiche von Urartu und der Assyrer entstanden. Und als ein Spätprodukt ist der völkerzerstörende Geistes des Assyrer-Reiches dann in die Schriften des Alten Testaments eingeflossen, die die Grundlage bildeten für jene religiöse Priesterdiktatur, die die Hasmonäer, bzw. Makkabäer den hellenisierten Juden Judäas um 150 v. Ztr. aufgezwungen haben (Zwang zur Beschneidung unter Todesstrafe).

Nach den neuesten Forschungen des israelischen Archäologen Yonathan Adler (7) gibt es keine älteren Belege für die Praktizierung jenes Monotheismus, der in der Zeit ab 150 v. Ztr. und erst mit Hilfe der Schriften des Alten Testamentes in vergleichsweise kurzer Zeit und in zugleich furchtbarer Weise im Volk der Judäer durchgesetzt wurde, und der dabei "ein Volk mit einer Mission" schuf wie das Volk der Juden als einigermaßen einzigartig bis heute in der Weltgeschichte da steht. Niemals zuvor und niemals nachher ist einem Volk in einer solchen Weise eine sehr bewußt durchstrukturierte "Mission" aufgezwungen worden, wie sie seither dann auch über zweitausend Jahre hinweg gelebt worden ist. 

Dieser Umstand ist in dem Buch "Die Volksseele und ihre Machtgestalter" zum Teil schon sehr treffend charakterisiert worden und die diesbezüglichen Ausführungen passen noch sehr gut zum heutigen Forschungsstand (4, S. 460-462). Das kann an anderer Stelle noch einmal ausführlicher erörtert werden. Überhaupt scheint diese Auseinandersetzung Mathilde Ludendorffs mit den gruppenevolutionären Strategien des Judentums viel zu ihrer Gruppenpsychologie insgesamt beigetragen zu haben. Für die Juden ist Fremdglaube ja tatsächlich Todesgefahr. Für die Juden ist genetische Vermischung mit anderen Völkern ja tatsächlich Todesgefahr (wenngleich sie sie dennoch praktiziert haben - aber immer nur kurzzeitig, dosiert und begrenzt - so wie man das ja auch sonst in der Völkergeschichte sieht).

Abb. 4: Leopold von Ranke - "Zwölf Bücher preußischer Geschichte" (1847-1848, 1878/1879)

Die Indogermanen waren - im Vergleich dazu - zwar ebenfalls Völker mit einer weltgeschichtlichen Mission. Sie waren sich dieser aber - vermutlich - niemals so bewußt wie die Juden. Und sie haben sich diese Mission auch - bis Ende des 19. Jahrhhunderts - niemals wirklich bewußt gemacht. Dieses Bewußtmachen einer weltgeschichtlichen Mission der Indogermanen, sprich der sogenannten "nordischen Rasse" wurde dann der völkischen Bewegung seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem Anliegen.

Der assyrische, völkerzerstörende Geist des Alten Testaments hat dann - in Form von Christentum und Islam - weitere umfangreiche weltgeschichtliche Wirkungen entfaltet bis heute. Er wurde in der Neuzeit noch einmal methodisch verfeinert durch verdeckt arbeitende Okkultlogen wie der Freimaurerei, dem Jesuitenorden und davon abgeleiteten, weltweit agierenden, geheimen, elitären, satanistischen und pädokriminellen Okkultlogen (die wir auf unserem Parallelblog ausführlich behandelt haben).

Christentum und Islam haben den Untergang Roms nicht aufgehalten - vermutlich viel eher beschleunigt. Sie werden aber auch nicht als der Hauptfaktor für den Untergang der germanischen Völker der Völkerwanderung genannt werden können. Die Neuentstehung von Völkern danach haben sie ebenfalls eher gefördert als verhindert. Das deutsche Volk beispielsweise ist von Anfang an als ein christliches Volk entstanden - auch gemeinsam mit dem damaligen Reichskirchensystem. Und so auch die meisten anderen Völker Europas. Das Christentum gehört - über die Muttersprache - zur "kulturellen DNA" der Deutschen dazu, in welchem Umfang und ob mehr zum Schaden oder mehr zum Nutzen der Deutschen, wird an dieser Stelle gar nicht entschieden werden müssen. (Das wird vermutlich auch erst in der Zukunft abschließender zu beurteilen sein.*)).

Aber die Tatsache, daß diese christliche, kulturelle "DNA" vorhanden ist, wird schon daran erkennbar, daß sich auch die Deutschen als Zerstörer vieler heidnischer Völker östlich der Elbe bis hin zu den Pruzzen in Preußen betätigt haben. Sie waren dabei ebenfalls angetrieben von der letztlich assyrischen Emphase zur Bestrafung und Zerstörung von Völkern in Ausführung eines angeblichen "Willen Gottes". Sie waren dabei ähnlich kulturzerstörend tätig wie die Spanier in Mittel- und Südamerika. Dessen darf man sich gerne bewußt sein. Auch als Deutscher.

Wir sehen heute also klarer als das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts möglich war, daß kulturelle und genetische Vermischung in der Weltgeschichte fast immer beides mit sich gebracht haben, nämlich sowohl Möglichkeiten (für genetische und kulturelle Evolution) wie Gefahren (hinsichtlich des Abbruchs genetischer und kultureller Evolution). Das sah - dem Prinzip nach - auch schon Mathilde Ludendorff so. Auch sie sprach von günstigen und ungünstigen kulturellen und genetischen Vermischungen und Beeinflussungen. Sie sprach sogar vom "Sinn der tausendjährigen Unheilszeit", nämlich der Herrschaft des Christentums, der darin gelegen hätte, daß die Entwicklung von Wissenschaft, Kunst und Philosophie durch diese als fremd und unangemessen empfundene christliche Gottvorstellung beschleunigt worden wäre. So behandelt in ihrem kleinen Büchlein "Deutscher Gottglaube" von 1927.

Diesen grundlegenden Gedanken hat sie aber nicht mit in ihre "Philosophie der Geschichte" aus dem Jahr 1933 übernommen. In dieser sind deshalb - und ansonsten - die Schwerpunkt-Legungen oft noch ganz andere als sie sich nach heutigem Kenntnisstand nahelegen würden. Uns heute drängt sich viel stärker als vielleicht zu ihrer Zeit jene weltgeschichtliche "Dialektik" auf, die schon Hölderlin - und prägnanter sein Jugendfreund Hegel philosophisch ausformuliert haben, sowie jene "List der Vernunft" in der Weltgeschichte, über die sie all die Unvollkommenheiten der Menschenseele "nutzt", um über die vielen darüber ausgebildeten "Umwege" dennoch an ihr "Ziel" zu kommen (nämlich kulturelle Weiterentwicklung). Das heißt: ohne völkerzerstörende Kräfte würden sich die Völker der Welt von sich aus - vermutlich - gar nicht ausreichend aufgerufen fühlen und dazu aufraffen, sich um ihre Erhaltung zu kümmern. Also auch zerstörende Kräfte können in letzter Instanz zur Beschleunigung von Entwicklung beitragen. In diesem Sinne ordnen auch sie sich in ein Geschichtsbild ein, das schon von Leopold von Ranke gegeben worden ist (wie wir gleich sehen werden). 

Wille und Erleben - Geschichte und Kultur

Mathilde Ludendorff gibt im weiteren die philosophische Deutung, daß das Wesen der Geschichte der "Wille" sei, während das Wesen der Kultur das "Erleben" sei, das Gotterleben. Wille ist Anspannung, Erleben findet im entspannten Raum statt. Nach diesen Kriterien hat sie ihre beiden Bücher zur Philosophie der Geschichte und zur Philosophie der Kultur getrennt.  Diese Trennung mag aus dieser Sicht viel Berechtigung haben. Mathilde Ludendorff sagt aber auch selbst, daß einer solchen philosophischen Trennung über weite Strecken etwas Willkürliches anhaften muß, da diese Trennung im bunten und vielfältigen Leben der Völker eben nicht verwirklicht ist, sondern recht häufig verwischt in Erscheinung tritt. Der kontemplative Staatsmann und Philosoph kann im nächsten Augenblick an die Spitze seines Heeres treten, um Krieg zu führen und er wechselt doch im Feldlager jeden Abend erneut in die Kontemplation über. Und wir sehen von heute aus das Willkürliche einer solchen Trennung womöglich noch schärfer als man das 1933 sehen konnte.

Diese Trennung muß insbesondere dem Historiker als allzu willkürlich erscheinen. Dem Kulturwissenschaftler (Völkerkundler usw.) werden durch sie quasi alle herrlichen und "schönen" Seiten der Weltgeschichte "übergeben". Er darf Weltgeschichte quasi "feiern" und in ihr "schwelgen", während der Historiker - jedenfalls entsprechend dieser Trennung - vornehmlich mit all den unvollkommenen, ja verbrecherischen Willenskräften in der Weltgeschichte befaßt ist, die sich in ihr ja dann in so reichem Umfang geltend machen (nach Mathilde Ludendorff). 

Eine seelische, überwölbende Einheit in allem Völkerleben

Bei dieser Trennung gerät unter anderem die Tatsache aus dem Blick, daß es - auch nach Mathilde Ludendorff - eine seelische Einheit in allem Völkerleben und in allem Geschichtsgeschehen gibt, das alle unvollkomenen Willenskräfte, die sich in der Weltgeschichte austoben mögen, überwölbt. Diese Einheit mag leichter für Zeitalter erkennbar sein, die nicht - wie das heutige - bestimmt sind von der "Todesnot des Göttlichen auf dieser Erde" (durch die Ausbreitung des Materialismus).

Abb. 5: Leopold von Ranke - Der Begründer der Geschichtswissenschaft als Wissenschaft

Jedenfalls war es glücklicherweise insbesondere der Begründer der Geschichtswissenschaft als Wissenschaft selbst - nebenbei ein Deutscher - nämlich Leopold von Ranke (1795-1886) (Wiki), der diese alles überwölbende Einheit, Schönheit und Harmonie in allem geschichtlichen Völkerleben als grundlegende Tatsache in seinen Werken heraus gearbeitet hat. Seine Betrachtungen zur Völkergeschichte sind diesbezüglich unter anderem bestimmt von dem Grundgedanken des "Gleichgewichtes der Mächte" in allem Geschichtegeschehen und Völkerleben. Dieser Grundgedanke hat ja unter anderem auch in der Innen- und Außenpolitik Bismarcks - oder schon zuvor in der europäischen Politik Großbritanniens - eine große Rolle gespielt. Dieser Grundgedanke geht davon aus, daß sich in der Geschichte immer wieder ein Gleichgewicht der weltbeherrschenden Mächte quasi von selbst einstellt, weil sich die jeweils unterlegenen Mächte gegen die siegreiche Macht verbünden. In diesem Gedanken von dem Gleichgewicht der Mächte spiegelt sich also - in letzter Instanz - ein Einheitsgedanke in allem geschichtlichen Geschehen wieder.

Und auch Mathilde Ludendorff hat dieses Bündnis freier Völker im Angesicht drohender Übermacht als ein wesentliches Hilfsmittel zur Erhaltung des Lebens und der Freiheit der Völker benannt (besonders betont noch einmal in ihren Aufsätzen aus der Zeit um 1940, die nach 1945 unter dem Titel "Blätter, die vom Baum der Erkenntnis fielen" als Zeitschriftenbeiträge veröffentlicht worden sind und nachmals - unvollständig - in zwei kleinen Bändchen philosophischer Essays: "Vom wahren Leben" und "Von der Moral des Lebens"). Dieser Grundgedanke liegt letztlich auch der oben genannten geschichtlichen "Dialektik" zugrunde, nach der eine weltgeschichtliche Kraft immer wieder erneut unweigerlich eine Gegenkraft auf den Plan ruft.

"Der Einfluß des Gotterlebens auf die Geschichte - Er ist größer als jeder andere"

Wir möchten nun vor allem postulieren, daß die wahrscheinlich wichtigsten Grundgedanken zur Deutung der Geschichte der Völker nach Mathilde Ludendorff die beiden folgenden sind:

"Ohnmacht der Geschichte gegenüber dem Gotterleben"

(so ist benannt das letzte Kapitel von "Die Volksseele und ihre Machtgestalter" und er wird auch schon in früheren Kapiteln angesprochen) und

"Der Absturz der Religionen vom Gotterleben".

(so ist benannt das viertletzte Kapitel in dem nachfolgenden Buch "Das Gottlied der Völker"), also: (4; 1955, S. 304ff, S. 499ff) (Archive) und (5; 2007, S. 338ff) (Archive).

Die hier benannten zwei bis drei Kapitel machen bewußt, daß Weltgeschichte - vor allem - danach einzuteilen ist, wie gotterfüllt die jeweiligen, zu betrachtenden Geschichtsepochen waren und wie dementspechend auch die Seelengesetze einzuordnen sind, nach denen die in diesen Geschichtsepochen lebenden Völker gelebt haben. Und dies jeweils erkennbar an der von ihnen jeweils gelebten Kultur, bzw. Religiosität, bzw. den Sittengesetzen, nach denen sie leben oder lebten (4, S. 304ff).

Mathilde Ludendorff benennt hier sozusagen als den "Grundtrend" der Weltgeschichte seit Entstehung des anatomisch modernen Menschen den "Absturz der Religionen vom Gotterleben", der sich bis zum Heraufkommen des Monotheismus in der Weltgeschichte immer mehr beschleunigt hat, und dem sich als Gegenkraft entgegenstellt das "geschichtliche Werden der Gotterkenntnis". Damit ist gemeint, die "Wahrheit als Ganzes", die "Einheit des Wissens" wie sie in modernen Wissensgesellschaften heraus gearbeitet wird samt einer angemessenen, gültigen philosophischen Deutung dieser Ganzheit des Wissens und der kulturellen Erfahrung der Menschheit.

Abb. 6: Leopold von Ranke - "Französische Geschichte, vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert" (1852-1861)

Womöglich würde es mancherlei Berechtigung haben, wenn man - soweit es um eine Philosophie der Geschichte geht - die hier genannten zwei oder drei Kapitel an den Anfang einer solchen Philosophie stellen würde und wenn unter dem großen Rahmen der Inhalte dieser zwei oder drei Kapitel alles andere eingeordnet werden würde. Wobei dann als nächster Grundgedanke zu behandeln wäre, der "Sinn von tausendjährigen Unheilzeiten", durch die Weltgeschichte immer einmal wieder beschleunigt worden sein mag.

Dann erst würde der "große Wurf" sichtbar werden, der uns in der Geschichtsphilosophie von Mathilde Ludendorff enthalten zu sein scheint. Dieser sollte nach und nach noch deutlicher heraus gearbeitet werden. Im erstgenannten Kapitel schreibt sie etwa (4, S. 507):

Schon ahnten wir die Tatsächlichkeit der völligen Erhabenheit dessen, was des Lebens eigentlichen Wert und seelische Fülle ausmacht, nämlich des Gotterlebens gegenüber allem geschichtlichen Geschehen.

Geschichte ist - nach Mathilde Ludendorff - Machtentfaltung (also von Willenskräften) im Sinne der Volkserhaltung. Sie ist also ein Ringen um Macht, ein Kräftemessen. Die Unvollkommenheit der Menschenseele tobt sich nach ihr innerhalb des bunten Straußes an menschlichen Willenskräften mehr und folgenreicher aus als in jedem anderen Lebensbereich, und zwar insbesondere in Form von Machtgier, Machtmißbrauch, die die Machtentfaltung im Sinne der Volkserhaltung weit überschreiten, oft in der verbrecherischen Weise von Zwangs- und Gewaltherrschaft. Und dennoch (4, S. 512):

Ohnmächtig steht sie (die in diesem Sinne gestaltete Geschichte) diesem Reich der göttlichen Freiheit der Menschenseele gegenüber.

Sie betont in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit des Freitodes des Menschen im Angesicht gottwidriger, unwürdiger Lebenslagen. Das Buch entstand im Zeitalter des Stalinismus. Mathilde Ludendorff wußte, wovon sie sprach.**) Und im Jahr 1945 etwa haben Menschen in so gut wie allen deutschen Städten und Dörfern östlich der Elbe und östlich des Bayerischen Waldes von dieser Möglichkeit des Freitodes Gebrauch gemacht. Fast jede Dorfgeschichte kündet von solchen Menschen und von ganzen Familien. Zwei Dörfer vom Heimatdorf des Verfassers dieser Zeilen entfernt zeigt man sich noch jenen Feldrand, an dem sich eine ganze Bauernfamilie im Mai 1945 das Leben genommen hat.

Arthur de Gobineau, der Mißanthrop

Die Betonung der Beachtung des Umstandes, daß genetisch unterschiedliche Herkunftsgruppen zu unterschiedlichen Anteilen an der Geschichte der Völker und Kulturen weltweit beigetragen haben, sowie eine damit betonte "Ungleichheit" solcher Herkunftsgruppen wird in der Regel zurück geführt auf das Buch von Arthur de Gobineau "Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen" aus dem Jahr 1855.

Seit ihm gibt es nicht mehr nur ein Volk mit einer Mission in der Weltgeschichte, nämlich die Juden, sondern auch noch eine andere Völkergruppe, nämlich die Arier, die Indogermanen, die "nordische Rasse". Die durch ihn begründete Forschungsrichtung wurde bis 1945 sehr selbstverständlich "Rasseforschung" genannt. Da es uns nicht um Begriffe, sondern um die Dinge selbst geht, werden wir diesen Begriff im folgenden nur unter Anführungszeichen verwenden. Denn deutlich genug wird immer mehr, daß diese sogenannte "Rasseforschung" sich - aus heutiger Sicht - sehr weitgehend in einem eher vor- oder halbwissenschaftlichen Stadium abgespielt hat (zumindest von dem heutigen Wissen der Archäogenentik aus geurteilt).

Wir haben auf unserem Blog schon aufgezeigt, daß schon Friedrich Hölderlin sich Gedanken gemacht hat über den "südlichen Menschen" und die Gesetzmäßigkeiten seines Seelenlebens im Vergleich zu dem Menschen des Abendlandes und dessen Gesetzmäßigkeiten des Seelenlebens. Es bedurfte dazu also gar keiner "Rasseforschung" im eigentlichen Sinne.

Abb. 7: Leopold von Ranke - "Englische Geschichte, vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert" (1859-1869)

Friedrich Hölderlin ist ein Beispiel dafür, daß es keiner Abwertung einer (auch) genetisch zu umreißenden Herkunftsgruppe bedarf, um Unterschieden in den seelischen Gesetzmäßigkeiten von Kulturräumen und Kulturepochen nachzugehen. Ein weiteres Beispiel wäre der Begründer der modernen Geschichtswissenschaft Leopold von Ranke, dessen Erstlingswerk aus dem Jahr 1824 ebenfalls mit dieser Unterschiedlichkeit befaßt ist wie schon aus seinem Titel hervorgeht: "Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514".

Der große Respekt vor der Andersartigkeit anderer Völker und Kulturen, anderer Zeitepochen und kultureller Großräume, von dem das Denken dieser beiden genannten Denker getragen war, ging in der Zeit danach innerhalb der abendländischen Kulturgeschichte in sehr weitgehendem Umfang verloren, häufig am deutlichsten im Bereich der sogenannten "Rasseforschung", die oft in sehr überheblicher Weise glaubte, den "Schlüssel zur Weltgeschichte" gefunden zu haben, wobei sie gar nicht merkte, wie stark sie dabei - oft fast gegen ihren Willen - in ein materialistisches Fahrwasser hinein geriet. Zum Beispiel die antik-griechische Kultur - das sehen wir heute besser als jemals - wird, angekränkelt vom Zeitgeist des Materialismus niemals angemessen zu erfassen sein. Der zersetzende Zeitgeist des Materialismus bewirkte aber eine oft viel zu isoliert ethnozentrische Sichtweise und Deutung vieler Erscheinungen der Völkergeschichte, die insbesondere wurzelte in einer Beachtung der bis dahin weniger hervorgehobenen Rolle der Herkunftsgruppe der Indogermanen in derselben.

Galten also bis dahin die Juden als "das Volk des Heils" - mit entsprechender Abwertung anderer Völker, insbesondere wenn sie "Heiden" waren - wurden nun die Indogermanen als "das Volk des Heils" heraus gestellt - mit entsprechender Abwertung anderer, nichtindogermanischer Völker.

Schon G. F. W. Hegel hatte in seinen Frühschriften, die geprägt waren von seinem geistigen Austausch mit seinem Jugendfreund Friedrich Hölderlin, gefragt "Ist denn Judäa der Teutschen Vaterland?" Die übermäßige, ethnozentrische Betonung des "Heiligen Landes" Israel durch die christliche Religion des Abendlandes bewirkte in den Jahrzehnten, in denen diese Religion an Überzeugungskraft verlor, eine Gegenreaktion in einer übermäßigen ethnozentrischen Betonung der als weltgeschichtliche Gegenkraft zum Judentum empfundenen Völkergruppe, nämlich der Germanen und der Indogermanen, die auch als "Arier" bezeichnet wurden (Wiki).

Abb. 8: Leopold von Ranke - "Weltgeschichte" (1881-1888)

In der Tradition dieser Geistesrichtung steht nun ganz klar auch das Denken der völkischen Hintergrundpolitikkritikerin und naturwissenschaftsnahen Philosophin Mathilde Ludendorff. Dieses Denken war stark geprägt von Religionskritik, insbesondere Kritik an den monotheistischen Religionen und zugleich - was das Geschichtsbild betrifft - orientiert an Zeitgenossen und Vorläufern wie dem Gobineau-Übersetzer Karl Ludwig Schemann (1852-1938) (Wiki)***), an dem Popularisierer der Ergebnisse der Forschungen zur Kultur Babyloniens Friedrich Delitzsch (1850-1922) (Wiki) und damit - in letzter Instanz - an dem Denken des "Begründers" der "Rasseforschung" Arthur de Gobineau. 

Was von dem Denken dieser vier Denker vor dem Kenntnisstand von heute zur Rolle der Herkunftsgruppen in der Völkergeschichte Bestand hat, was völlig fehlerhafter Ausfluß eines seelenlosen, materialistischen Zeitalters, eines übertrieben ethnozentrischen Denkens in Gegenreaktion gegen den Monotheismus war, auch psychologisch Folge der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg war, und was zugleich auch Folge eines damaligen, noch völlig unzureichenden Kenntnisstandes über die lange Dauer der Völkergeschichte war, was erst mit Heraufkommen der C14-Methode ab 1950 erkannt werden konnte, all das herauszuarbeiten, ist seit dem Heraufkommen der Archäogenetik dringender geworden als jemals zuvor. In den Rahmen der Klärung der diesbezüglichen wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhänge stellt sich auch der vorliegende Beitrag.

"... wie ward die Erde plötzlich so öde an freien Völkern!"

Es mag sinnvoll sein, einer solchen Klärung ein Wort von Leopold von Ranke voranzustellen, das gewiß seine Gültigkeit bewahrt hat über alle Untiefen des 20. Jahrhunderts hinweg, und das die Grundstimmung aller genannten Denker bei der Betrachtung der Völkergeschichte auf einen Nenner bringen wird. In der Einleitung zu seinem Werk "Die römischen Päpste", erschienen 1834, fallen die Worte:

... wie ward die Erde plötzlich so öde an freien Völkern!

Wie viel ist ausgesagt mit nur zehn Worten. Ranke bezieht sich dabei auf die Ausbreitung des Römischen Weltreiches. Die Sichtweise, daß völkerzerstörende Großreiche in der Menschheitsgeschichte mehr Fluch als Segen in der Menschheitsgeschichte mit sich gebracht haben und mit sich bringen, wird von allen genannten Denkern geteilt. Schon Friedrich Hölderlin zeigt sich entsetzt über das Auftreten Alexanders des Großen, des "Jägers", der die politische Freiheit und Selbstständigkeit Griechenlands zu Schanden gejagt hatte. Hölderlin läßt entscheidende Teile seines Romans "Hyperion" auf der griechischen Insel Kalauria sich ereignen. Und er schreibt (Gutenb):

Wir saßen einst zusammen auf unsrem Berge, auf einem Steine der alten Stadt dieser Insel und sprachen davon, wie hier der Löwe Demosthenes sein Ende gefunden, wie er hier mit heiligem selbsterwähltem Tode aus den makedonischen Ketten und Dolchen sich zur Freiheit geholfen - Der herrliche Geist ging scherzend aus der Welt, rief einer; warum nicht? sagt ich; er hatte nichts mehr hier zu suchen; Athen war Alexanders Dirne geworden, und die Welt, wie ein Hirsch, von dem großen Jäger zu Tode gehetzt.
O Athen! rief Diotima; ich habe manchmal getrauert, wenn ich dahinaus sah, und aus der blauen Dämmerung mir das Phantom des Olympion aufstieg! ...

Wie ist auch hier mit so wenigen Worten schon so viel gesagt. Schon für Friedrich Hölderlin also endete die eigentliche Blütezeit der griechischen Kultur mit Alexander dem Großen. Dieser habe das "edle Wild" der griechische Freiheit zu Tode gehetzt. Im Angesicht des vorangehenden perikleischen Zeitalters und des Wohlstandes, den Athen und andere griechische Stadtstaaten damals in Kriegen untereinander angehäuft hatten, fragte er aber auch (Doc):

Meinest du 
Es solle gehen,
Wie damals? Nämlich sie wollten stiften
Ein Reich der Kunst. Dabei ward aber
Das Vaterländische von ihnen
Versäumet, und erbärmlich ging
Das Griechenland, das schönste, zu Grunde.

Ein verlorenes Bühnenstück von Hölderlin soll von dem Spartanerkönig Agis IV. gehandelt haben, der in jener Zeit mit jugendlichem Ungestüm - aber vergeblich! - eine Restauration der alten spartanischen, kriegerischen Tugenden der Entbehrung und des Mannesmutes in seinem Volk hatte bewirken wollen, der jedoch an der Bequemlichkeit der reich und wohlhabend gewordenen Spartaner gescheitert ist (während zeitgleich in Judäa ein anderes Volk in der Lage war, sich eine Mission zu geben: die Juden).

Das kurze gebrachte Zitat von Ranke soll noch im größeren Zusammenhang gebracht werden (1):

Überlicken wir den Umkreis der alten Welt in den früheren Jahrhunderten, so finden wir ihn mit einer großen Anzahl unabhängiger Völkerschaften erfüllt. Um das Mittelmeer her (...) wohnen sie: mannigfaltig gesondert, ursprünglich alle enge begrenzt, in lauter freien und eigentümlich eingerichteten Staaten. Die Unabhängigkeit, die sie genießen, ist nicht allein politisch: allenthalben hat sich eine örtliche Religion ausgebildet; die Ideen von Gott und göttlichen Dingen haben sich gleichsam lokalisiert; nationale Gottheiten von den verschiedensten Attributen nehmen die Welt ein; das Gesetz, das ihre Gläubigen beobachten, ist mit dem Staatsgesetz unauflöslich vereinigt. Wir dürfen sagen: diese enge Vereinigung von Staat und Religion, diese zwiefache Freiheit, nur durch stammverwandtschaftliche Verbindungen leicht beschränkt, hatte den größten Anteil an der Bildung des Altertums. Man war in enge Grenzen eingeschlossen, aber innerhalb derselben konnte sich die ganze Fülle eines jugendlichen, sich selber überlassenen Daseins in freien Trieben entwickeln. Wie wurde dies alles so ganz anders als die Macht von Rom emporkam. Alle die Autonomien, welche die Welt erfüllen, sehen wir eine nach der anderen sich beugen und verschwinden: wie ward die Erde plötzlich so öde an freien Völkern.

Wir sehen hier, wie Ranke in der Hochwertung der kulturellen Vielfalt der Menschenvölker mit Mathilde Ludendorff übereinstimmt. Und wir können uns ein Bild machen von dieser vielfältigen Völkerwelt, wenn wir etwa die Völkerbeschreibungen des griechischen Völkerkundlers Herodot lesen. Und wie sehr kann dieses Wort von Leopold von Ranke noch fast 200 Jahre später so kalt und beklemmend ans Herz greifen. Ja, eine blühende, jugendfrische, freie, in ihrer jeweiligen Eigentümlichkeit vielfältige und bunte Völkerwelt weltweit kann nur als kulturelles Ideal der Menschheit gelten, ja, mag als der höchster Wert in diesem Weltall angesehen werden. Und Vernichtung dieser kulturellen Vielfalt - auf welchem Wege auch immer - kann nur als Völkermord in schärfster Weise gegeißelt werden - wie es ja schon lange auch das internationale Völkerrecht - der Rechtstheorie nach - tut. 

Für die naturwissenschaftsnahe Denkerin Mathilde Ludendorff war der Kampf für die Erhaltung der Völkervielfalt weltweit des Einsatzes der Edelsten der Menschheit wert. Sie setzte sich zeitlebens dafür ein. Und von diesem Einsatz, von dem Denken darüber, wie diese Erhaltung möglich ist, sind auch ihre philosophischen Werke durchgehend durchdrungen. Wenn dies der eigentliche Wert ist, um den in der Völkergeschichte gerungen wird, dann muß man um so erschütterter vor der Erscheinung stehen, daß Völker reihenweise der kulturellen Anpassung an Großreichen erlegen sind und weiter erliegen (Sowjetisierung, Amerikanisierung).

Das Ziel der Weltgeschichte kann nur lauten: Erde, erblühe im Reichtum freier, unabhängiger, selbstständiger, sich gegenseitig am Leben erhaltender Völker!

Leopold von Ranke hat über den Untergang des freien Griechenland unmittelbar nach der Eroberung durch Alexander den Großen geschrieben (Ranke/Weltgeschichte, Bd. 1):

Bei der wärmsten Teilnahme für die Freiheit von Griechenland ist man, die universalen Verhältnisse überlegend, doch versucht, den Ersatz für diesselbe darin zu finden, daß eine wahrhafte Welteinwirkung des griechischen Geistes erst unter der Herrschaft der Makedonen begann.

Hier sehen wir nun eine andere Tendenz in der Weltgeschichte hervor treten und sie auch als bedeutend von Leopold von Ranke benannt: Völker begeistern sich - nach erfolglosem militärischen Widerstand - für eine Kultur, die ihnen ihrer eigenen gegenüber höherwertig erscheint - und auch höherwertig erscheinen muß. Sie wollen plötzlich alle Griechen werden. Auch diese Tendenz gibt es in der Weltgeschichte. Dieser "Sog der Zeit" ging ja so weit, daß sogar die Menschen in Judäa Griechen sein wollten, und daß sie davon nur durch Monotheismus und schärfste Priesterdiktatur abgehalten werden konnten. Insgesamt fällt es einem schwer, diese Tendenz innerhalb der Völkerwelt, Grieche sein zu wollen, so völlig zu verdammen.

Und dieser griechische Geist stellte ja - ohne Zweifel - das Fortschrittlichste dar, was bis dahin von Seiten der Weltgeschichte hervor gebracht worden war. Dieser griechische Geist sollte noch 600 Jahre lang weiter fortbestehen und fortblühen und ein außerordentlich reges Leben entfalten, auch unabhängig von der politischen Freiheit, die die Griechen bis dahin gelebt hatten. Damit ist deutlich genug gezeigt, daß seelisches und kulturelles Leben nicht zwangsläufig an politische Freiheit gebunden ist. Das Schicksal Deutschlands seit dem Hochmittelalter gibt ein Zeugnis für denselben Umstand. Politische Freiheit und Selbstständigkeit und kulturelle Freiheit und Blüte müssen nicht in einem besonders engen Wechselverhältnis zueinander stehen, stehen aber auch nicht völlig unverbunden zueinander. Irgendwann kann ein Volk, das nicht um Leben und politische Freiheit und Selbstständigkeit ringt, auch an seiner eigenen sklavischen, heuchlerischen und unmännlichen Gesinnung verwesen und zugrunde gehen.

Ranke setzt etwas später weiter fort (1):

Bei aller Teilnahme, die wir dem Untergange so vieler freien Staaten widmen, können wir doch nicht leugnen, daß aus ihrem Ruin unmittelbar ein neues Leben hervorging. Indem die Freiheit unterlag, fielen zugleich die Schranken der engen Nationalitäten. Die Nationen waren überwältigt, zusammen erobert worden, aber eben dadurch vereinigt, verschmolzen. Wie man das Gebiet des Reiches den Erdkreis nannte, so fühlten sich die Einwohner desselben als ein einziges, ein zusammengehörendes Geschlecht. Das menschliche Geschlecht fing an, seine Gemeinschaftlichkeit inne zu werden. In diesem Moment der Weltentwicklung ward Jesus Christus geboren.

Wieder so mitreißende Ausführungen von Leopold von Ranke, gipfelnd in dem Satz: "In diesem Moment der Weltentwicklung ward Jesus Christus geboren." 

Aus heutiger Sicht wäre dazu sagen: Dieser Moment der Weltentwicklung wurde dazu benutzt, einen internationalen Welterlöser zu erfinden, der sich in seinen Reden an die Unterschichten und die Verachteten in der Gesellschaft wandte, der nicht an die edle Gesinnung in der menschlichen Seele appellierte, sondern der die Schwäche und Brüchigkeit des menschlichen Willens zum Gutsein in den Vordergrund stellte, der die Lehre vertrat, der Mensch wäre "böse von Jugend auf" und würde deshalb immer wieder Gottes Strafe teilhaftig werden müssen. Eine wahre Sklavengesinnung (4, S. 460-462).

Tacitus über die Juden

Die Juden wurden dementsprechend von der Bildungsschicht des römischen Reiches auch als etwas gänzlich anderes angesehen als alle übrigen Barbaren, nämlich als welche, die "Haß auf alle Menschen" hätten ("odium humani generis") (s. Wiki). Tacitus berichtet um 100 n. Ztr. über die Juden, sie seien aus Ägypten vertrieben worden (Tac.), ...

... da diese Menschenrasse den Göttern verhaßt sei. (...) Moses aber führte neue Riten ein, die denen der übrigen Sterblichen entgegengesetzt sind, um auch in Zukunft das Volk fest im Griff zu haben. Dort ist alles unheilig, was bei uns heilig ist, andererseits ist bei ihnen erlaubt, was bei uns ein Frevel ist. (...) Diese Riten, aus welchem Grund sie auch immer eingeführt wurden, werden durch ihr Alter verteidigt. Die übrigen Einrichtungen sind unheilvoll, schrecklich und tun sich durch ihre Verderbtheit hervor. (...) Weil sie in Treue fest zueinander stehen, üben sie bei sich selbst Mitleid, aber feindseligen Haß gegenüber allen anderen. (...) Die Ägypter verehren sehr viele Tiere und Bildnisse, die aus Menschen- und Tiergestalt zusammengesetzt sind. Die Juden dagegen glauben nur an eine Gottheit und diese stellen sie sich rein abstrakt vor. Für Frevler halten sie die, die Götterbilder aus vergänglicher Materie und nach menschlichem Aussehen schaffen. Jenes höchste und ewige Wesen kann weder abgebildet werden, noch ist es vergänglich. Daher stellen sie keine Götterbilder in ihren Städten und schon gar nicht in ihren Tempeln auf. Nicht den Königen lassen sie diese Verehrung zuteil werden, ebenso wenig wie sie den Kaisern diese Ehre zukommen lassen.

Tacitus hat in diesen Worten schon sehr viel von den grundlegenden gruppenevolutionären Strategien des Volkes der Juden zusammen gefaßt. Dieses Gefühl der Feindschaft gegenüber "allen", sprich allen Nichtjuden ("Gojim") und mehr noch gegenüber allen Menschen, die nicht an "den einen Gott" der Juden glauben, dieses Gefühl der Feindschaft also hat - nach Tacitus - das Volk der Juden in der Hand der Priester zusammen geschweißt. Die Riten, die - offenbar sehr bewußt - von denen aller anderen Völkern abweichen, "werden durch ihr Alter verteidigt". Das geschieht in den Schriften des Alten Testaments, die wohl erst ab 250 v. Ztr. im Wesentlichen erfunden worden sind.

/ Dieser Beitrag wird fortgesetzt
 in einem ---> zweiten Teil. /

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*) Nämlich wenn die germanische Völkergruppe an dieser Fremdreligion in letzter Instanz zugrunde gegangen ist oder sich - in heller Empörung über die eigene Unwürdigkeit - von allen verbliebenen unwürdigen Schlacken dieser Fremdreligion - endlich - reinigt.
**) Dabei stellt sie es so dar, als ob es historisch wäre, daß die germanische Seherin Veleda (ADB, Wiki, engl) als Gefangene der Römer in den Tiber gesprungen wäre, um nicht im Triumphzug der Römer durch Rom geführt zu werden. Einen solchen Freitod finden wir aber in den wissenschaftlich gesicherten Angaben zum Leben der Veleda nicht (s. ADB, Wiki, engl). Stattdessen finden wir ihn vielmehr dargestellt in dem - sicherlich mitreißend zu lesenden - historischen Roman "Bataver" von Felix Dahn aus dem Jahr 1870 (6; 1876, S. 280). Schon an dieser Stelle bemerken wir, daß es Mathilde Ludendorff in diesem Buch mit der wissenschaftlichen Exaktheit nicht zwangsläufig immer so ganz genau zu nehmen scheint wie man das sonst aus ihren Büchern gewohnt ist. Wir werden - leider - noch weiteres dazu nennen müssen. - Besser gewählte Beispiele wären vielleicht eher die Selbstmorde der Frauen der Kimbern und Teutonen nach verlorener Schlacht gegen die Römer gewesen, die ja gut genug geschichtlich bezeugt sind.

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  1. Ranke, Leopold: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin 1834 (Textarchiv)
  2. Schemann, Ludwig: Hauptepochen und Hauptvölker der Geschichte in ihrer Stellung zur Rasse. Zweiter Teil von: Die Rasse in den Geisteswissenchaften. Studien zur Geschichte des Rassegedankens. J. F. Lehmann's Verlag, München 1930 (GB
  3. Ludendorff, Mathilde: Erlösung von Jesu Christo. Ludendorffs Verlag, München 1931 (GB)
  4. Ludendorff, Mathilde: Die Volksseele und ihre Machtgestalter. Eine Philosophie der Geschichte. Erstauflage 1933 (GB); Verlag Hohe Warte, Pähl 1955 (Archive
  5. Ludendorff, Mathilde: Das Gottlied der Völker. Eine Philosophie der Kultur. Ludendorffs Verlag, München 1935; Verlag Hohe Warte, Pähl 2007 (Archive
  6. Dahn, Felix: Die Bataver. Historischer Roman aus der Völkerwanderung (a. 69 n. Chr.). 1876 (GB); 1890
  7. Yonatan Adler: The Origins of Judaism. An Archaeological-Historical Reappraisal (The Anchor Yale Bible Reference Library) Yale University Press, 15. November 2022 (AmzGB)
  8. Holm, Adolf: Griechische Geschichte von ihrem Ursprunge bis zum Untergange der Selbstständigkeit des griechischen Volkes. Berlin Bd. 1, 1886; Bd. 2, 1889; Bd. 3, 1891; Bd. 4, 1894
  9. Holm, Adolf: Die Griechen. In: Adolf Holm, Wilhelm Deecke, Wilhelm Soltau: Kulturgeschichte des klassischen Altertums. Friesenhahn, Leipzig 1897, S. 1-160 (GB)
  10. Droysen, Johann Gustav: Geschichte des Hellenismus. Geschichte der Epigonen. 1. Halbband. Friedrich Andreas Perthes, Gotha 1877 (2. Auflage) (GB)
  11. Plutarchs moralische Abhandlungen. Übers. von Johann Friedrich Salomon Kaltwasser. 9 Bände. Johann Christian Hermann, Frankfurt am Main 1783-1800, Band 3, 1786 (GB)
  12. Ranke, Leopold von: Weltgeschichte. Die Geschichte der abendländischen Welt von den ältesten historischen Völkergruppen bis zu den Zeiten des Übergangs zur modernen Welt. Band 1: Von den ältesten historischen Völkergruppen bis zur Emanzipation der germanischen Völker. Emil Vollmer Verlag - Phaidon Verlag, Esssen o.J.

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