Samstag, 4. September 2021

Ein Zauderer legte die Grundlagen für den Sieg bei Kalkriese 9 n. Ztr.

Wurden die Grundlagen für den Sieg bei Kalkriese 9 n. Ztr. nördlich von Wien gelegt?
- Dort hatte ein germanischer König gegen zwölf römische Legionen standgehalten. Durch seine ruhige Haltung hatte er das germanische Selbstbewußtsein gestärkt und die römische Aufmerksamkeit eingeschläfert.

War es also die starke aber zurückhaltende Stellung des Markomannen-Königs Marbod nördlich von Wien, die zu dem Widerstand auch des Cherusker-Fürsten Arminius gegen die Römer bei Kalkriese ermutigte und ihn erst ermöglichte? Schuf die starke Stellung Marbods wichtige Voraussetzungen für die Siege des Arminius ab 9 n. Ztr.? Muß derjenige eine größere geschichtliche Perspektive mit berücksichtigen, der zu einer richtigen Einordnung der Schlacht von Kalkriese 9 n. Ztr. gelangen will? 

- Sind also nicht nur die stürmischen Naturen wichtig für Widerstand (Arminius), sondern auch die vorsichtigeren Zauderer (Marbod)?

1. Eine Quaden-Fürstin bei Halle

Eine Prinzessin aus der Gegend nördlich von Wien heiratet einen Fürsten aus der Gegend von Halle (1, 2).

Abb. 1: Die Hermunduren östlich von Halle, die Quaden nördlich von Wien

Es geschieht dies aus Dankbarkeit für die Befreiung ihres Vaterlandes aus der Herrschaft der Römer. Die Prinzessin stammt aus dem Germanenstamm der Quaden, die nördlich der Donau leben, der Fürst ist ein Hermundure. Die Krieger der Hermunduren hatten geholfen, den Stamm der Quaden von der Römerherrschaft zu befreien.

Im Vorgeschichtlichen Museum Halle ist die Urne dieser Quaden-Prinzessin und ihre Grabbeigaben ausgestellt. Sie sind 2006 in der Nähe von Halle entdeckt und ausgegraben worden (Wiki). Harald Meller, Leiter des Museums, erzählt die Geschichte dieser Prinzessin, soweit sie rekonstruiert werden kann (1).

Man ist verleitet, über diese Geschichte einen Roman zu schreiben. Was für eine Szenerie. Und immerhin scheint diese Geschichte ja sogar versöhnlicher geendet zu haben als die Geschichte von Arminius und Thusnelda, die sich nur wenige Jahrzehnte zuvor abgespielt hatte. Diese Quaden-Prinzessin und ihr Ehegemahl lebten im selben Jahrhundert wie die Arminius und Thusnelda. Und mit dieser Geschichte erhalten wir deshalb einen weiteren, vergleichsweise tiefen Blick in all das, was in dieser Zeit menschlich und politisch "möglich" war. Wir erhalten einen tieferen Blick hinein, wie Menschen damals dachten und handelten, welche Leidenschaften sie antrieben, welcher Stolz sie erfüllte, von welcher Klugheit sie sich leiten ließen.

Doch um diesen Dingen nachzugehen, muß zunächst geklärt werden: Wer waren denn diese Quaden? Wer waren denn jene Markomannen, zu deren Stammesverband die Quaden zählten? Was hatten sie bis zu jener Zeit erlebt als diese Geschichte sich zutrug? Immerhin (Wiki):

Es handelt sich um das bislang reichste Frauengrab der frühen Römischen Kaiserzeit in der gesamten Germania magna.

Der Wert des Goldschmuckes, mit dem zusammen diese Fürstin bei Halle bestattet worden ist, beträgt die Summe des Soldes, den ein einzelner römischer Legionär seine ganze Dienstzeit hindurch verdienen konnte (1). Muß es da nicht doch viel Vorgeschichte gegeben haben? Haben wir es hier zu tun mit einer weiteren Frau vom Schlage der Thusnelda - sozusagen?

Das Urnengräberfeld, in dem die Urne dieser Quaden-Fürstin gefunden wurde, besteht aus 560 Gräbern. Sie sind datiert auf die Zeit 85 v. bis 90 n. Ztr. (Wiki). Die Markomannen haben also 175 Jahre in der angrenzenden Siedlung gelebt. Das ist eine vergleichsweise lange Zeit. Da man immer von so vielen "Wanderungen" von den Germanen hört, ist es wichtig, sich klar zu machen, wie viel Kontinuität es bei ihnen eben auch gegeben hat. Die Markomannen dieses Gräberfeldes könnten aber gut und gerne auch schon 58 v. Ztr. an den Kriegszügen des Ariovist bis über den Rhein gegen Cäsar teilgenommen haben (Wiki).

2. Ein germanischer König nördlich von Wien

Und indem wir den genannten Fragen nachgehen, wird uns erst bewußt, wie stark die Geschichte der Stämme an der Donau mit der Geschichte von Arminius und Thusnelda sogar sehr konkret verwoben war. Die Fürstin Thusnelda in Hessen und diese Quaden-Fürstin bei Halle werden wohl zumindest dem Hörensagen nach doch auch voneinander gewußt haben.

Die Geschichte der Quaden (Wiki) an der Donau ist im Grunde ebenso begeisternd wie die Geschichte der Cherusker im Teutoburger Wald, also nahe des Wiehengebirges bei Kalkriese. Der König der Quaden ist Marbod (30 v.-37 n. Ztr.) (Wiki), der König zugleich der Markomannen. Er hat - vermutlich - in der Nähe von Wien nördlich der Donau seine Stadt Maroboudon (Wiki) errichtet. Ein römischer Historiker hält über Marbod fest:

"Er besaß einen kühnen Geist und war mehr von seiner Abkunft als von seinen geistigen Fähigkeiten her ein Barbar."

Welch hohes Lob in diesen - allerdings immer noch arroganten - Worten eines Römers. Wir müssen die Menschen der Geschichte so gelten lassen wie sie waren. Auch mit all ihren Vorurteilen. Diese Aussage wird tatsächlich durch das zurückhaltende Agieren des Marbod zwischen den Fronten der allzu streitbaren Germanen auf der einen Seite und der allzu eroberungslustigen Römer auf der anderen Seite bezeugt. Marbod bewahrte sich lange Zeit eine trotzige Unabhängigkeit sowohl gegenüber den Römern wie gegenüber der Rom-feindlichen Partei unter den Germanen. Darüber ist zu erfahren (Wiki):

5 n. Ztr. erstreckte sich Marbods Reich bis an die mittlere Elbe und umfaßte dort die Semnonen, "also genau jenen Stamm, der sich Tiberius nicht unterwerfen wollte. […] Die Schwierigkeiten (der Römer) an der Elbe rührten eindeutig daher, daß die Elbgermanen im Markomannenkönig einen Rückhalt fanden." Am östlichen Ufer der Elbe versammelten sich zunehmend elbgermanische, von Marbod abhängige Truppen. Daher ordnete Augustus an, das Marbodreich als den letzten großen Machtblock in Germanien zu unterwerfen.

Eine riesige Heermacht wurde zusammengezogen, um das Marbod-Reich zu zerschlagen. Ein Aufstand in Pannonien ließ es dazu aber dann doch nicht kommen. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus berichtet, Marbod habe später geprahlt (Wiki):

"Von zwölf Legionen unter Führung des Tiberius angegriffen, habe ich den Ruhm der Germanen unversehrt erhalten."

Es wird immerhin deutlich, daß durch diese Vorgänge das Selbstbewußtsein der Germanen, die erlebt hatten, wie ganz Gallien unter die Herrschaft der Römer geraten war, deutlich gesteigert worden sein könnte. Man spürt womöglich auch, daß Marbod eine "Vorlage" geschaffen hatte, als Vorbild gewirkt hatte, dem dann andere Germanenfürsten nachstreben, nacheifern konnten. Er hatte womöglich dadurch andere Germanenfürsten zu noch mehr Widerstand ermutigt. Die Semnonen sind ein Germanen-Stamm, der damals an der Mittleren Elbe und im Havelland lebte. Ihr berühmtes, viel gesuchtes Stammesheiligtum könnte nahe der Boltenmühle nördlich von Neuruppin gelegen haben, wo im Wald große Wallanlagen gefunden wurden (3). Aber das nur nebenbei.

Erst 8 n. Ztr. war der Pannonische Aufstand niedergeschlagen worden. Anstatt aber nun gegen Marbod zu ziehen, zog - kaum zu glauben: Varus im Jahre 9 n. Ztr. mit drei Legionen in mehr oder weniger friedlicher Absicht in ein Sommerlager an die Weser. 

Der Rest, der folgte, ist Weltgeschichte.

Doch erst wenn diese Vorgeschichte rund um Marbod ebenfalls mit berücksichtigt wird, wird einem bewußt, daß es die stolze Stellung des Marbod war, die auch die anderen Germanenstämme dazu ermutigte, sich gegen die Römer zu stellen. Und daß sich die Römer dazu - geradezu "wie auf einem Tablet" - darreichten mit ihrem friedlichen Sommerlager an der Weser: Insgesamt wird auch sogar die Ursache für diesen Umstand in der friedlichen, zurückhaltenden Haltung des Marbod gelegen haben. Denn er hatte ja noch nicht einmal den Pannonischen Aufstand dafür genutzt, um den Römern in den Rücken zu fallen. Diese Haltung dürfte die Römer dazu veranlaßt haben, zumindest das linkselbische Germanien, das man sich ja schon seit bald zwanzig Jahren abhängig gemacht hatte und mit Durchzugsmärschen kennen gelernt hatte, mehr oder weniger für sicherer zu halten als es damals - von der Psychologie her - tatsächlich war. 

3. Die Markomannen werden zum Bündnis gegen Rom aufgefordert

Arminius sandte nach der Schlacht bei Kalkriese 9 n. Ztr. das Haupt des Varus an Marbod, um ihn zu einem Bündnis zu bewegen. Aber nun wieder eine entscheidende Weichenstellung: Marbod sandte das Haupt weiter nach Rom. Er wollte es sich mit den Römern keineswegs so stark verderben wie es die Cherusker getan hatten. Man mag sich fragen, ob das von seiner Seite aus eine "kluge" Maßregel war. Sorgte er, daß sein Ansehen in der germanischen Welt sank, wenn er sich zu eindeutig auf die Seite des Arminius stellte? War er, der den Römern an der Donau direkt gegenüber stand, sich der militärischen Kräfteverhältnisse deutlicher bewußt, als die Cherusker, die hinter ihren Bergen weit entfernt vom Rhein lebten - ?

Tapfer und aufwühlend spielt sich dann das weitere Leben des Armnius (17 v. bis 21 n. Ztr.) (Wiki) vor unseren Augen ab. Den Römern vergab er nichts. Er lieferte ihnen eine Schlacht nach der anderen. Erst dieser hartnäckige Widerstand nach der Varus-Schlacht bewirkte, daß die Römer längerfristig auf eine Eroberung des rechtsrheinischen Germanien verzichteten. Nicht eine einzelne erfolgreiche Schlacht, auch nicht die bloß "kluge", hinhaltende Haltung des Marbod waren dafür entscheidend geworden. Nein, es hat Gründe, daß Arminius - und nicht Marbod - der Held der germanischen Sagenwelt geworden ist.

Aber es kommt noch krasser: Marbod stellte sich im weiteren Verlauf gegen Arminius. Es ist zu lesen (Wiki):

In den Jahren 9 bis 16 n. Ztr. gehörten zu den Verbündeten des Arminius neben den Cheruskern die Brukterer, die Usipeter, Chatten, Chattuarier, Tubanten, Angrivarier, Mattiaker und Lander. Im Frühjahr 17 n. Ztr. kam es zu einer Schlacht gegen Marbod, aus dessen Machtbereich die Semnonen und Langobarden zu Arminius übergelaufen waren. Dagegen ging Inguiomer, der Onkel des Arminius, zu Marbod über. Marbod wurde von Arminius besiegt und mußte sich nach Böhmen zurückziehen.

Was für ein Schicksal - das Schicksal des Arminius. Er muß nun auch noch mit dem mächtigen Marbod Krieg führen. Und was für ein Lebensende. Ermordet, vier Jahre später - im Jahr 21 n. Ztr. - von den eigenen Verwandten, von Verwandten, die diesen Mord den Römern zuvor angeboten hatten.

Noch heute wirkt diese Sagengestalt in den Seelen der nachlebenden Deutschen nach. Denn das ist uns ins kulturelle Gedächtnis geschrieben: Der "Dolchstoß", bzw.: Stoß des Hagen in den Rücken des Siegfried. Er wird immer wieder möglich sein. So weiß es ein dumpfes Ahnen aller Deutschen. Verrat lauert, wohin wir blicken. Und die verwundbare Stelle, die das Lindenblatt übrig gelassen hat beim Bad im Drachenblut, nämlich des Kampfes gegen Rom, dieses Lindenblatt ist die "Achillesferse" der Deutschen.

4. Ein König wird gestürzt, ein zweiter ermordet

Marbod ist - von der Sagenwelt her gesehen - "vergessen". Er sprach die Herzen der germanischen Krieger - offenbar - nicht so an wie die Taten des Arminius. Sich in starker militärischer Haltung nur hinhaltend aus den Kräftebewegungen der Weltgeschichte "heraus zu halten", spricht tapfere Herzen in Germanien offenbar nicht so stark an als sich aktiv gegen den Feind zu stellen. Eine solche von Marbod eingenommene Haltung wäre vermutlich auf die Dauer nicht die richtige Haltung gewesen - aus Sicht des freien Germaniens, um sich gegen Rom behaupten zu können. Es bedurfte dazu sicher leidenschaftlicherer Aufwallungen, nämlich solche des Arminius. 

Seine "Klugheit" brachte Marbod dazu, nicht den offenen Widerstand mit den Römern von sich aus zu suchen. Die Gallierkriege werden allen Germanen noch zur Genüge in den Knochen gesteckt haben. Und man möchte so manche Berechtigung sehen für Marbods Klugheit. Gerade im Angesicht dieser Klugheit wird es großer Leidenschaften bedurft haben, um anders zu entscheiden, um so zu entscheiden wie Arminius.

In sehr geschwächter Stellung war Marbod aus seiner Schlacht gegen Arminius zurück gekehrt. Die Weltgeschichte entschied sich dann schnell gegen ihn (Wiki):

Ein vom Markomannenkönig einst vertriebener Adliger, Catualda, der zu den Gotonen geflüchtet war, kam jetzt mit einem größeren Truppenaufgebot zurück und gewann andere markomannische Adlige durch Bestechung für seine Unterstützung. So konnte Catualda den Königssitz und die Festung von Marbod erobern. Dieser suchte sein Heil in der Flucht über die Donau nach Noricum zu den Römern, doch wurde er von Tiberius nicht für eine Rückkehr militärisch unterstützt. Stattdessen bezeichnete der Monarch Marbod in einer Senatsrede als größere Bedrohung als einst Pyrrhos I. und Antiochos III. für Rom, solange der Markomanne noch über sein Volk geherrscht hatte. (...) Der Kaiser war aber zum Angebot eines sicheren Geleits zur Grenze zurück oder eines würdigen Asyls in Italien bereit. Marbod entschied sich für letzteres und wurde in Ravenna festgesetzt, wo er 18 Jahre später starb.

Selbst ein sicheres Geleit zur Grenze hat Marbod ausgeschlagen. So sehr hatte er an Ansehen in seinem Volk verloren.

Ob Tiberius dennoch nicht ganz Unrecht hatte? Vielleicht war es gerade die zurückhaltende, "kluge", abwartende Politik des Marbod gewesen, die die Römer sich so furchtbar hatte täuschen lassen über die Germanen. Die Römer mußten sich offene Freunde oder Feinde wünschen. Aber nicht einen solchen machtvollen und zugleich "undurchsichtigen" König. Und in diesem Sinne könnte es durchaus Gründe geben, Marbod in ehrendem Gedächtnis zu behalten: Er galt den Römern als zu gefährlich, als daß sie sich für seine Wiedereinsetzung stark machen wollten. Diesen Ruhm ist Marbod zuzusprechen.

Wer weiß denn überhaupt, ob es Marbod selbst war, der von sich aus den Krieg mit Arminius gesucht hatte? Zu seiner Klugheit hätte es doch besser gepaßt, einen solchen Krieg zu vermeiden. Womöglich gab es eine romfreundliche Partei in seinem Volk, der gegenüber er sich nicht durchsetzen konnte in dieser Frage. Römische Bestechungsgelder haben damals in vielerlei Hinsicht eine Rolle gespielt. Man wird sagen dürfen: Eine ähnliche Rolle wie die persischen Bestechungsgelder beim Freiheitskampf der Griechen gegen die Perser.

/Einfügung 20.6.24:/ Der Historiker Leopold von Ranke fragt in seiner "Weltgeschichte", warum eigentlich die Cherusker an der Weser unter Tiberius die römische Oberherrschaft zunächst scheinbar so willig duldeten:

Wie aber, wird man fragen, konnte es so weit kommen? Tiberius selbst hat gesagt, er habe mehr durch Klugheit ausgerichtet als durch Krieg. Aber welcher Mittel konnte sich seine Klugheit bedienen? Ich finde ein durchgreifendes Moment, welches die Situation erklärt und beherrscht. Es ist das folgende: Aus jenen suevischen Gauen, welche Caesar, als sie sich zu gemeinschaftlichem Widerstand rüsteten, nicht angriff, hatte sich ein kleines Reich erhoben, unter der Führerschaft der Markomannen, die schon bei Caesar als Bestandteil der Sueven bezeichnet werden; an ihrer Spitze stand ein unternehmendes Oberhaupt, Maroboduus, der in Böhmen, das heißt doch wohl in den weiten Bezirken des Böhmerwaldes, von wo er die Bojer verjagte, seinen Sitz nahm und von einem Heere umgeben, das auf 70.000 Mann zu Fuß und 4.000 Reiter geschätzt wird, eine nach allen Seiten hin Furcht erweckende Stellung einnahm. Er bedrohte die Römer, deren Herrschaft in Noricum und Pannonien keineswegs gefestigt war, nicht minder, aber die Germanen selbst, gegen die er, wie die alten Sueven, deren zusammengeraubte Spolien und Schätze auf ihn übergegangen waren, unaufhörlich kämpfte, um sie an sich zu ziehen oder vielmehr zu unterwerfen.
In ihm erscheint der erste wirkliche Fürst der Germanen. Er brachte in die Mannigfaltigkeit ihrer auseinandergehenden Kriegsunternehmungen von bloß lokaler Bedeutung die Einheit eines Willens. Den Römern trat er zuweilen als unterwürfig und gehorsam zur Seite, bald nachher aber wieder als ebenbürtig und in feindlicher Haltung gegenüber. Auch ohne ein ausdrückliches Zeugnis darüber zu haben, wird man annehmen dürfen, daß die kriegsdrohende Stellung des Marbod das vornehmste politische Moment war, durch welches die Völker des mittleren Germanien, namentlich der um die Weser her liegenden Gebirgslandschaften, bewogen wurden, mit Tiberius in Verständnis zu treten und das römische Heer innerhalb ihrer Marken zu dulden. Sie sahen in Tiberius einen eventuellen Verbündeten gegen Marbod. (...)
Im innern Deutschland waren besonders die Cherusker (...) von Marbod gefährdet. Für Tiberius selbst war die Freundschaft der Germanen in dem Verhältnis gegen Marbod nicht allein erwünscht, sondern unentbehrlich. 

Das Blatt wendete sich aber, als die Römer sich im Jahre 6 n. Ztr. anschickten, das Reich des Marbod zu unterwerfen und dadurch nur durch die Aufstände in Pannonien abgehalten worden waren. Als Reiteroffizier im römischen Heer wird Arminius diese Vorgänge aufmerksam beobachtet und erlebt haben. Er wird sich dabei innerlich mit Marbod verbunden gefühlt haben. /Ende Einfügung/  

5. Ein römerfreundlicher König wird gestürzt (50 n. Ztr.)

Das weitere müssen wir nur referieren, um die geschichtlichen Zusammenhänge zu zeigen zu jener Quaden-Fürstin, mit der dieser Aufsatz eingeleitet worden ist. Auch der genannte Catualda hat sich nur kurz an der Macht halten können (Wiki):

Vannius (19-50 n. Ztr.), der erste namentlich bekannte Quadenkönig, wurde darauf von Drusus dem Jüngeren als römischer Klientelkönig der Quaden und Markomannen eingesetzt. Zu Beginn seiner Herrschaft war er bei seinem Volk beliebt und geachtet, doch entwickelte er sich später zu einem Tyrannen. Vannius' Neffen (Schwestersöhne) Sido und Vangio verbündeten sich im Jahr 50 n. Ztr. mit Vibillius, dem König der Hermunduren, gegen ihn. Vannius wandte sich mehrmals an Kaiser Claudius, der ihm militärische Unterstützung verweigerte, jedoch Publius Atellius Hister, den Statthalter von Pannonien, anwies, Vannius aufzunehmen und zu schützen. Die Truppen des Vannius (Quaden als Infanterie und Jazygen als Kavallerie) waren zu schwach gegen die zahlreichen Feinde (Lugier, Hermunduren u. a.), so daß er sich an einem befestigten Platz verschanzte. Im Kampf verwundet, mußte er mit seinen Anhängern zur Donau fliehen, wo Schiffe bereit lagen. In Pannonien wurde ihnen Land im Gebiet des Leithagebirges zugewiesen. Seine Neffen und Nachfolger Sido und Vangio teilten das Königtum und verhielten sich den Römern gegenüber loyal. Zunächst waren sie beim Volk beliebt, doch entwickelten auch sie sich zu verhaßten Despoten.

Vannius hat also beachtliche 30 Jahre lang die Quaden regiert. Unter ihm wuchs jene Prinzessin auf, von der einleitend die Rede war, und die nach 50 n. Ztr. einen Markomannen-Prinzen heiratete und 50 Kilometer südlich des heutigen Halle in einer großen Markomannen-Siedlung lebte und schließlich - vermutlich etwa 40 Jahre später - dort begraben worden ist. War es eine Schwester von Sido und Vangio? War sie mit Vibilius verheiratet worden? Oder mit einem Bruder oder nahen Verwandten des Vibilius?

Die Menschen, die die Quaden-Prinzessin bei Halle bestatteten, gaben das Gräberfeld 90 n. Ztr. auf. Vielleicht zogen sie weiter nach Süden, in das heutige Thüringen (Wiki).

Übrigens liest sich die Geschichte der römischen Provinz Pannonien (Wiki), in deren Grenzbereich die Quaden lebten, auch sonst sehr spannend. Womöglich kommen wir in künftigen Beiträgen auf diese Geschichte noch einmal zurück, zumal auch die neueste archäogenetische Studie aus dem Labor von David Reich mit der Geschichte dieses Raumes befaßt ist.

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  1. Meller, Harald: Die Prinzessin von Profen.  Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, Staffel 10, Folge 2, 07.07.2021, https://youtu.be/iz2yDrDTejg.
  2. Harald Meller, Ralf Schwarz: Die "Prinzessin von Profen". Eine quadische Königstochter besiegelt in der Ferne die germanische Bündnispolitik, in: Matthias Wemhoff, Michael Rind (Hrsg.): Bewegte Zeiten - Archäologie in Deutschland, Petersberg 2018, S. 114f. (Ausstellungskatalog). (Academia.edu)
  3. Bading, Ingo: Spätbronzezeitliche Wallanlagen - Zwischen Schlesien, Prignitz und Ostsee, 26. Juni 2021, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/08/die-machtigen-volkerburgen_2.html

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