Samstag, 10. April 2021

6.000 v. Ztr. - Domestizierte Schafe im Ferghana-Tal westlich der Seidenstraße

Die frühe Ausbreitung der iranisch-neolithischen Völkergruppe Richtung Osten

Die Geschichte der Ausbreitung des Ackerbaus und der Viehzucht vom Fruchtbaren Halbmond aus über den gesamten Iran hinweg bis nach Innerasien in das Ferghana-Tal (Wiki) (Abb. 1) ist noch wenig gut verstanden. Aber wir haben sie - ansatzweise - hier auf dem Blog 2017 schon einmal behandelt, als wir die Entstehung des Volkes der Urindogermanen an der Mittleren Wolga nördlich des Kaspischen Meeres in den Zusammenhang der vielen benachbarten Kulturen stellen wollten (1).

Abb. 1: Domestizierte Schafe im Ferghana-Tal um 6.000 v. Ztr. (aus 2)

Um das Forschungsergebnis einer neuen archäogenetischen Studie (2) zu verstehen und einzuordnen, seien noch einmal Sachverhalte ausgeführt, die man sich - auch als belesener Mensch - nicht oft genug vor Augen halten kann, da sie so selten in das Blickfeld getreten sind bislang: Seßhafte, ackerbautreibende Kulturen gibt es im Kaukasus-Gebirge in Georgien an der Ostküste des Schwarzen Meeres seit 8.000 v. Ztr. (Wiki). Das ist ein ungeheuer langer Zeitraum.

Seit 6.000 v. Ztr. wird dort Wein angebaut, und zwar durch die Shulaveri-Shomu-Kultur (Wiki). Das ist eine Kultur, mit der man sich als heutiger Europäer womöglich noch viel intensiver auseinander setzen sollte. Denn derzeit ist sie als die älteste Wein-anbauende Kultur weltweit nachgewiesen, da die Zeugnisse hierfür im Iran deutlich jünger sind. Und in dieser Kultur sind - wohl - die Vorfahren der einen Hälfte des Urvolkes der Indogermanen zu suchen, nämlich der - genetisch gesprochen - kaukasisch-neolithischen Herkunftskomponente.

Und indem wir das gerade noch einmal nieder schreiben, kommt uns der Gedanke: Vielleicht haben die indogermanischen Völker eine so intensive Beziehung zu berauschenden Getränken - wie Wein und Met -  über so viele Jahrtausende hinweg, eben weil sie entstanden sind nördlich des Kaukasus aus eben dieser frühen Wein-anbauenden Kultur. Vielleicht wurde deshalb seit dieser Zeit die Völkergeschichte so "beschwingt" (räusper).

Es ist jedenfalls zu erfahren, daß die Shulaveri-Kultur von der berühmten Hassuna- und Halaf-Kultur beeinflußt ist, bzw. abstammt, die sich zuvor im Zagros-Gebirge über weite Gebiete ausgebreitet hatte. Sie ist unter anderem berühmt wegen ihrer eindrucksvollen Keramik (Kaukasus-Wiki):

Um 6.000 bis 4.200 v. Ztr. benutzten die Shulaveri-Shomu-Kultur und andere neolithische/kupferzeitliche Kulturen des Südlichen Kaukasus örtlichen Obsidian für Werkzeuge, hielten Tiere wie Rinder und Schweine, bauten domestizierte Pflanzen an, einschließlich Wein. Von vielen der Merkmale ihrer materiellen Kultur (runde Lehmhütten, Keramik dekoriert durch plastisches Design, anthropomorphe weibliche Figurinen, Osidian-Werkstätten mit einer Betonung auf der Produktion von langen, prismenförmigen Klingen) wird angenommen, daß sie ihren Ursprung im nahöstlichen Neolithikum haben (Hassuna, Halaf).
In around ca. 6000-4200 B.C the Shulaveri-Shomu and other Neolithic/Chalcolithic cultures of the Southern Caucasus use local obsidian for tools, raise animals such as cattle and pigs, and grow crops, including grapes. Many of the characteristic traits of the Shulaverian material culture (circular mudbrick architecture, pottery decorated by plastic design, anthropomorphic female figurines, obsidian industry with an emphasys on production of long prismatic blades) are believed to have their origin in the Near Eastern Neolithic (Hassuna, Halaf).

Eine weitere Ursprungsregion des Ackerbaus scheint in Pakistan und Nordindien gelegen zu haben und sich ebenfalls ab 6.500 v. Ztr. bemerkbar zu machen (Wiki):

Die am besten erforschte Stätte dieser Zeit ist Mehrgarh, die um 6500 v. Chr. entstand. Diese Bauern domestizierten Weizen und Rinder und benutzten ab 5500 v. Chr. auch Töpferwaren. 

Vielleicht entstand der Ackerbau dort auch schon früher (Wiki). Der dort domestizierte Weizen hat sich jedenfalls von dort schon ab 5.500 bis 4.000 v. Ztr. bis nach Innerasien und Tibet ausgebreitet (3). Weiter nach China hinein hat er sich aber nach derzeitigem Kenntnisstand erst ab 3.000, vielleicht auch erst ab 2.200 v. Ztr. ausgebreitet (3), also vermutlich mit der Zuwanderung der Indogermanen nach Innerasien.

Auch die Fischer- und Jäger-Kulturen der Kelteminar (Wiki) - datiert auf die Zeit ab 5.500 v. Ztr. am Aralsee und am Kaspischen Meer (s. Abb. 1) - ist in Rechnung zu stellen. Sie besaß schon 25 Meter lange Häuser, was ja ebenfalls ein Hinweis auf Viehzucht und Ackerbau sein wird, die womöglich nur noch nicht durch die Archäologie festgestellt worden sind. Wir erfahren von dem Archäologen Detlef Gronenborn (4, S. 203):

Keramik tritt nördlich des Kaspischen Meeres und an der Unteren und Mittleren Wolga (Yelshan, ca. 7.200 v. Ztr.) und am Unteren Don (Rakushechnyi Yar; ca. 6800 v. Ztr.) auf. Das Bestehen dauerhafter Siedlungen wird durch Ausgrabungsorte an der Mittleren und Unteren Wolga (Yelshan) um 6.800 v. Ztr. und in der Ebene nördlich des Kaspischen Meeres und am Unteren Don um ca. 6.000 v. Ztr. nahegelegt (...) 
Pottery appears in the north Caspian area, the middle-lower Volga (Yelshan, c. 7200 BC) and the lowe Don (Rakushechnyi Yar; c. 6800 BC). Stable settlement is indicated by sites in the middle-lower Volga (Yelshan) at 6800 BC, and in the Caspian lowland and on the lower Don at c. 6000 BC. (...) The origin of ceramics in eastern Europe was independent from the Near East. However, the early appearance of ceramics at the western margins of the central Asian steppe zone and the high degree of perfection make its local invention unlikely. Vybornov (2008) seeks its sources in the trans-Caspian deserts. Significantly, a network of culturally related pottery-bearing foraging sites arose along the waterways further north (Vinogradov 1981). Ultimately, this pottery horizon might have its origins in the early pottery of Siberia and China (Gronenborn 2009). Future research should be geared towards closing this link. This pottery horizon then spreads from the Russian steppe zone into the forest zone northwards up to the Baltic coast and from there westward until its final outliers are reached with the Ertebolle and Swifterband traditions.

Interessant jedenfalls dürfte sein, daß die halbseßhafte Vorgängerkultur der späteren, quasi "voll-"indogermanischen Samara-Kultur an der Mittleren Wolga, nämlich die Elsan-Kultur um 7.500 v. Ztr. schon von Ostasien her Keramik übernommen hatte (5). Sie war damit die früheste europäische Kultur mit Keramik (5):

Weiter westlich hielt die neue Technologie erst etwa tausend Jahre später Einzug (Bug-Dnestr-Kultur),

dort nun aufgrund der neuen kulturellen Einflüsse aus dem Westen, vom Balkanraum. Und von dort breitete sich die Keramik dann bis zur Ertebolle-Kultur an der Ostsee aus (5). 

Die Dscheitun-Kultur (7.200 bis 4.600 v. Ztr.)

Und nun ist für uns als neues Wissen zu erfahren: Auch östlich des Kaspischen Meeres im heutigen Turkmenistan, nördlich der Grenze zum Iran ist archäologisch schon seit 1950 die seßhafte Kultur von Dscheitun (Wiki) - Englisch Jeitun (Wiki) - für den Zeitraum 7.200 bis 4.600 v. Ztr. bekannt (s. Abb. 1). Diese Kultur geht der später in dieser Region entstandenen, ebensfalls noch wenig ins Bewußtsein getretenen Hochkultur der Marghinana (BMAC) (Wiki) um nicht weniger als 4000 Jahre voraus.

Was für umfangreiche Entwicklungen der Völkergeschichte liegen hier noch im Dunkel und Halbdunkel unseres Wissens und der Forschung. 

Aber das Alter dieser letzteren Kultur macht es nun erklärlich, daß neuerdings in einer archäogenetischen Studie domestizierte Schafe und Ziegen um 6.000 v. Ztr. im heutigen südlichen Kirgisistan, nämlich im berühmten Ferghana-Tal (Wiki) gefunden wurden (2). Dieses neue Forschungsergebnis macht bewußt, was wir alles über die Jahrtausende lange Geschichte einer riesigen Region des eurasischen Kontinents noch nicht wissen und jetzt erst allmählich zu erahnen beginnen.

_________

  1. Bading, Ingo: Neue Forschungen zur Entstehung der Indogermanen, 2017, https://studgendeutsch.blogspot.com/2017/07/neue-forschungen-zur-entstehung-der.html
  2. Taylor, W.T.T., Pruvost, M., Posth, C. et al. Evidence for early dispersal of domestic sheep into Central Asia. Nat Hum Behav (2021). https://doi.org/10.1038/s41562-021-01083-y, Published 08 April 2021
  3. Chris J Stevens, Charlene Murphy, Rebecca Roberts, Leilani Lucas, Fabio Silva and Dorian Q Fuller: Between China and South Asia - A Middle Asian corridor of crop dispersal and agricultural innovation in the Bronze Age. In: The Holocene 2016, Vol. 26(10) 1541–1555, pdf: http://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177/0959683616650268 
  4. Gronenborn, Detlef; Dolukhanov, Pavel: Early Neolithic Manifestations in Central and Eastern Europe. (Verfasst Dezember 2011). In: Chris Fowler, Jan Harding, Daniela Hofmann (Hrsg.): The Oxford Handbook of Neolithic Europe, Oxford University Press, 2015, S. 195ff (GB)
  5. Piezonka, Henny: Neue AMS-Daten zur frühneolithischen Keramikentwicklung in der nordosteuropäischen Waldzone. In: Estonian Journal of Archaeology, 12/2008, S. 67-113
  6. https://www.shh.mpg.de/1977786/taylor-sheep

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen