Dienstag, 17. November 2020

Unser Ort in der Weltgeschichte

Wir späten Nachfahren - Einer Entwicklung vom "Goldenen Zeitalter" über das "Eiserne Zeitalter" zu uns

Eine "psychohistorische" Deutung der ersten Staaten und Reiche der Weltgeschichte und des mit ihnen einhergehenden seelischen Aufschwungs 

Aufgrund der neuesten Erkenntnisse - a) in der Archäologie des Mittelneolithikums und der Bronzezeit einerseits und b) der Archäogenetik andererseits - wird immer besser übersehbar, welchen Flug des Geistes und der Seele der Mensch in der Menschheits- und Weltgeschichte genommen hat: Auf einen Aufflug des Geistes und der Seele der Menschen in der Bronzezeit und in der Antike folgte ein seelischer Niedergang sondergleichen weltweit. Allerdings regional zeitversetzt. In China erblühte noch die Tang-Zeit in großer Kontinuität als westlich von China schon hunderte von blühenden Kulturen und Fürstentümern, von Königreichen und Völkern untergegangen waren, als dort bloßer nüchterner kriegerischer Geist an die Stelle von reichem, kulturellem Leben getreten war. 

Wie war es so weit gekommen? Und wie ist unsere eigene Situation in diesen Geschichtsablauf einzuordnen?

Abb. 1: Huldigung des persischen Großkönigs, Felsrelief (Ausschnitt), Persepolis, Iran, 520 v. Ztr. (Wiki)

Als Fischer, Jäger und Sammler waren - und sind - die Menschen weltweit eher "schlichten", "biederen" Gemütes. Mitunter voller Schönheitssinn, voller Innerlichkeit (man denke etwa an bestimmte, sehr abgelegen lebende afrikanische Stämme), voller Würde (man denke etwa auch an Stämme nordamerikanischer Indianer), voller Andacht (man denke an die Naturreligionen in Asien) - aber auf jeden Fall immer in ihrer seelischen Mitte bleibend, ohne gar zu viel "Exzentrik".

Hochfahrender Sinn, Stolz, eine erhabene Seele kommt in die Menschen dann vor allem - und erst - durch die Begründung der ersten Staaten und Königreiche. Die Menschen sehen sich repräsentiert in Königen und Fürsten, blicken mit ihren Augen über die "Völker und Heerscharen". Und ihre Seelen fühlen sich machtvoll, "göttergleich". Denn sie schaffen ähnliches wie Götter selbst, sie schaffen die Welt um, erschaffen die Welt neu, sie schaffen Städte, Völker, Königreiche, Handwerker-Stände und Kunstfertigkeit auf vielen Gebieten. Dadurch ändern sich ihre Gottvorstellungen. Der Marsch disziplinierter Kolonnen, von Soldaten und Kriegern, Händlern und Seefahrern durch die Weltgeschichte, ihre Huldigung vor Königsthronen (Abb. 1) beginnt.

Dieses Geschehen dürfte sich erstmals in ausgeprägterem Maße im Fruchtbaren Halbmond vollzogen haben, und zwar im Vorkeramischen Neolithikum B ("PPNB") ab 9.500 v. Ztr.. Die damaligen Darstellungen von "Stadtdespoten" ("plastered skulls")  und "Furchtbaren Göttinnen" (Kaffeebohnen-Augen-Göttinnen) zeigten auf, welchen "Geistes Kind" die damaligen Menschen waren. Ab 6.500 v. Ztr. entstehen erste Städte, dichte Besiedlung und damit staatliche Strukturen, Fürstentümer und Reiche dann auch im Iran, in Anatolien und im Mittelmeerraum.

Ab dem Mittelneolithikum, also ab 4.800 v. Ztr. gibt es Adelsdynastien und Königreiche sowohl im Mittelmeerraum, in Sumer, Ägypten und in ganz Europa. Sie breiten sich bis hinauf nach Irland, Schottland und Skandinavien aus. Sie breiten sich zugleich vom Unterlauf der Wolga ausgehend hinauf nach Norden aus.

Der Mensch führte damals verschiedenste "Experimente" des staatlichen Zusammenlebens durch. Die Vielfalt der Möglichkeiten staatlichen und gesellschaftlichen Zusammenlebens wird noch durch ethnographische Berichte der Griechen und Römer über die sie umgebende Völkerwelt sichtbar. Blühende Reiche solcher Art gingen auf und unter. Menschen wurden - etwa am Mittellauf der Elbe in der Nähe der heutigen Stadt Magdeburg - schon im Mittelneolithikum in ersten Städten grausam behandelt. Völker entstanden nicht nur als Völker, sondern als Ausdruck der Art des sozialen Zusammenlebens, das sie charakterisiert und das - durch den Stand der technologischen Entwicklung - möglich geworden war.

Mit dem Rinderwagen intensivierte sich der Austausch von Gedanken und Gütern in diesen frühen Königreichen. Stolz stellten sich Adlige in frühen Stelen und Steinmonumenten als kriegerische "Helden" dar, als nah den Göttern. Rinderwagen-Prozessionen vor den Gräbern der Ahnen wurden abgehalten. Die Kultur verfeinerte sich.

Eine bislang letzte Steigerung des Aufschwungs der Menschenseele

Eine letzte Steigerung dieses Aufschwungs der Menschenseele, des Seelischen im Menschen stellt sich dann in der Ethnogenese der Indogermanen dar. Sie vollzog sich ab 4.800 v. Ztr. von der Mittleren Wolga ausgehend gen Süden bis hin zu den Nordhängen des Kaukasus (innerhalb der sogenannten "Chwalynsk-Kultur"). Eine heldische Ausbreitungsbewegung, die von großer Exzentrik geprägt ist. Riesige Kurgane, Grabhügel werden für mächtige Könige errichtet, Könige, die zugleich - vermutlich - als "Gleiche unter Gleichen" innerhalb einer Adelsschicht in ihr Amt gelangen. So wie in der urindogermanischen Religion der Gottvater Zeus als quasi "Gleicher unter Gleichen", unter fast gleichrangigen Mitgöttern und Göttinnen herrscht. Die Herrschaft dürften diese indogermanischen Könige selten als leicht gesichert angesehen haben können. In kriegerischen Auseinandersetzungen mit anderen Adligen mußte sie immer wieder neu gesichert und abgesichert werden. Diese Verhältnisse sind noch im antiken Mittelmeerraum und im europäischen Mittelalter allzu deutlich sichtbar. Die Vorherrschaft eines Großkönigs bleibt hier immer wieder prekär und wird angefochten (Beispiel: Achill gegenüber Agamemnon in der "Ilias").

Aber schon spätestens fünfhundert Jahre nach der Volkwerdung des Urvolkes der Indogermanen heiraten Angehörige dieses Volkes in die Königsfamilie in Warna in Bulgarien ein, in eines der reichsten Königreiche der damaligen Zeit. Rückhalt in einer großen staatlichen Gemeinschaft zu besitzen, Herrschaft auszuüben oder vertrauensvoll zu Herrschern aufzublicken, diszipliniert zu sein, ohne das innere Wilde, Exzentrische völlig abzulegen, all das kann die Seele der Menschen beflügeln, kann sie frei machen.

Noch in der "Ilias", in frühen indischen Dichtungen, in der Überlieferungen der Hethiter ist sichtbar, daß sich hier mit den Indogermanen eine Welt ausbildete "ohne Falsch", voll innigen Vertrauens ineinander und in die Götter und in die Götter anderer Völker, vor allem aber voll innigen Vertrauens in die eigene Kraft. Auch schon der Geist des Mittelneolithikums - vielleicht repräsentiert durch eine Dichtung wie das Gilgamesch-Epos - ist voller Adel der Seele und voller Heldentum, voll innerer Freiheit. Bösartiger Geist, despotischer Geist, hinterhältiger Geist, das gar zu ausgeklügelte Arbeiten mit Lug, List und Intrige scheinen - vorläufig, zumindest außerhalb Anatoliens und des Levanteraumes - überwunden zu sein.

Stolz, edel, ehrlich und offen schreitet der Mensch während der Bronzezeit durch die Weltgeschichte. Ehrlich und offen werden die Feinde erschlagen oder zu Verbündeten erklärt. Die Menschen handeln nach ihrem eigenen "inneren Gesetz". Innere Unsicherheit darüber, ob richtig oder falsch gehandelt wird, ist nur selten erkennbar und wird - wenn aufdämmernd - ehrlich ausgehandelt.

Die bislang modernste Lebensäußerung des Menschen

Als letzter Aufschwung im Seelischen hat dann die Ausbildung der antik-griechischen Philosophie und Wissenschaft zu gelten. Die bislang modernste Lebensäußerung des Menschen, die wissenschaftliche Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch, die "aristotelische" Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch, sie tritt in das Licht der Sonne und sie leuchtet - und leuchtet und leuchtet - von innen heraus als wäre sie die Sonne selbst und als wollte sie sich an die Stelle der Sonne selbst setzen.

Aber jeder seelische Aufschwung birgt gesetzmäßig seinen eigenen "Untergang" in sich. Im Übermut gehen die Völker indogermanischen Geistes zu weit. Viel zu weit. Sie verlieren sich in der Andersartigkeit anderer Völker, Kulturen und Religionen, durch die sie sich anfangs nur zu höherem Flug des Geistes hatten anregen lassen. Sie wenden ihre kriegerischen Kräfte - wie im Peloponesischen Krieg - vor allem auch gegen sich selbst. Während ab 500 v. Ztr. in der sogenannten "Achsenzeit" noch die Völker zwischen China und Athen zu Äußerungen höchsten Geisteslebens fähig sind, beginnen die Ausgangspunkte und Grundlagen dieses Geisteslebens und dieser kulturellen Entfaltung zu bröckeln. Die erhabenen skythischen Völker gehen unter und werden zu - - - - Hunnen, Sarmaten und Alanen, zu Völkern, die zu kriegerischen Leistungen befähigt sind, aber - offenbar - nicht mehr zum Aufbau und zur Erhaltung dauerhafter staatlicher Strukturen und blühender Kulturen. Wo sie hinkommen, brechen Königreiche und Staaten - innerlich morsch geworden - zusammen. Der skythische Tierstil, umgewandelt in den germanischen Tierstil breitet sich in Mittel- und Nordeuropa aus. Mit ihm breiten sich - vermutlich - auch östliche Gottvorstellungen aus, Vorstellungen von Trickster-Gottheiten (Odin und Loki).

Gleichzeitig tritt von Süden her mit dem Christentum eine noch heftigere Gottvorstellung in die Menschheitsgeschichte ein.

Die Weltgeschichte "erkennt sich selbst"

In der Morschheit des Zeitalters setzte sich dem Aufschwung des menschlichen Geistes zwischen China und Athen ein andersartiger menschlicher Geist entgegen, herstammend aus den seelischen Bereichen der Despotie, wie er am deutlichsten im Levanteraum und in angrenzenden Regionen ausgeprägt war, wie er sich im Geist und Denken der Gnosis widerspiegelt. Mit großer Heftigkeit und "Klugheit" setzt er sich den Lebensäußerungen der Indogermanen und anderer Völker entgegen, es kristallisieren sich schließlich die buddhistische und die "mosaische" Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch heraus, die willkürliche Setzung von Wahr und Falsch, das "Kein Gott außer Gott", sie treten in die Weltgeschichte und verdrängen die vormaligen Volksreligionen. Diese beiden Geistesrichtungen - a) despotische Weltreligionen, gelehrt von elitären, männlichen Priesterkasten einerseits und b) freiheitliche, wissenschaftliche, wenig hierarchische Wahrheitsauffassungen der Völker andererseits - sie ringen seither miteinander.

Dieses Ringen ist nicht abgeschlossen. Es treibt gegenwärtig immer neuen Höhepunkten entgegen. Dabei ist zu bemerken, daß die Völker der westlichen Welt seit etwa 1500 n. Ztr. einen Grad von gesellschaftlicher Komplexität erreicht und ein Ausmaß von gesellschaftlichem Wissen und von gesellschaftlicher Weisheit angesammelt haben wie es das noch nie in der Weltgeschichte gegeben hat. Die Weltgeschichte "erkennt sich selbst". Sie wird sich ihrer selbst bewußt. Sie kulminiert. In uns.

Aber der "Neidwurm Niedertracht" nagt an den Wurzeln dieser Weltauffassung, die Mitgartschlange hält alles umfangen. Sie würgt - und würgt - und würgt.

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