Samstag, 31. Oktober 2020

Der Hund - Sein Weg durch die Geschichte der Völker

Neueste Erkenntnisse aus der Archäogenetik

Eine neue archäogenetische Studie zur Geschichte der domestizierten Hunde geht davon aus, daß am Ende der Eiszeit auf der Erde fünf genetisch unterscheidbare Hunde-Herkunftsgruppen existierten, repräsentiert durch Hunde-Funde in der neolithischen Levante, im mesolithischen Karelien, am mesolithischen Baikalsee, im vorkolumbianischen Amerika und repräsentiert durch die "singenden Hunde" Neuguineas, den Neuguinea-Dingo (Wiki, engl), der auch sonst in Asien verbreitet war (s. a. Abb. 1) (1):

.... Five ancestry lineages (Neolithic Levant, Mesolithic Karelia, Mesolithic Baikal, ancient America, and New Guinea singing dog) must have existed by 10.9 ka ago (the radiocarbon date of the Karelian dog) and thus most likely existed prior to the transition from the Pleistocene to the Holocene epoch ~11.6 ka ago.

Weiterhin wird davon ausgegangen, daß sich zwar Wölfe bis heute immer wieder einmal mit domestizierten Hunden vermischt haben, daß es aber so gut wie keine Hinweise darauf gibt, daß sich die Hunde nach der genetischen Trennung von den Wölfen noch einmal später mit Wölfen vermischt haben (1). Daraus wäre zu schließen, daß Hund-Wolf-Mischlinge zwar immer einmal wieder gerne als Paarungspartner von Wölfen akzeptiert worden sind und vielleicht werden, nicht aber umgekehrt von Hunden. Und wenn sie als solche von Hunden akzeptiert worden sein sollten, dann hätten sie - aufgrund welcher Umstände auch immer - keinen Fortpflanzungserfolg gehabt. Dieser Umstand ist vielleicht ein interessanter Aspekt, auch was die heutige Problematik der Wiederansiedlung von Wölfen in Mitteleuropa betrifft.

 

Abb. 1: Verwandtschaftsverhältnisse der archäogenetisch sequenzierten Hunde (graue Punkte) mit modernen Hunde-Populationen (aus: 1)

Das heißt also, die jeweils ursprünglicheren Hunde-Herkunftsgruppen haben sich vor Ort in die dortigen Wolfs-Populationen eingemischt, in Amerika in die dortigen Kojoten-Populationen, in Afrika in die dortigen Populationen des Afrikanischen Goldwolfes, aber nicht umgekehrt. Nur bei den tibetischen Hunden findet man genetische Anpassungen an größere Höhenlagen im Genom, die von den dortigen Wolfspopulationen übernommen worden sein können (1).

Weiterhin wird davon ausgegangen, daß alle domestizierten Hunde weltweit von einer einzigen, heute aber ausgestorbenen Wolfs-Population abstammen. Das könnte implizieren, daß es domestizierte Hunde schon vor der Besiedlung Neuguineas vor 60.000 Jahren gab. Es könnte das ein "Out-of-Africa"-, besser vielleicht "Out of Levante"-Szenario für die domestizierten Hunde nahelegen.

Insgesamt und grob gesehen, überlappte jede menschliche, archäogenetisch feststellbare mesolithische (also nacheiszeitliche) Herkunftsgruppe (Völkergruppe) (die hier auf dem Blog schon intensiv behandelt worden sind) nach Zeit und Raum mit einer genetisch eigenen Hunde-Herkunftsgruppe - wie sich das schon im einleitenden Zitat andeutete, und was wir auch schon - bezüglich der Dingo's - für das vorgeschichtliche China hier auf dem Blog behandelt hatten (2). Deshalb sind vor allem die Ausnahmen von dieser "Gesetzlichkeit" von besonderem Interesse. Zu ihnen gehört der Umstand, daß bei den iranisch-neolithischen Bauern - nach dieser Studie - genetisch gesehen dieselbe domestizierte Hunde-Vorfahrengruppe gelebt hat wie bei den anatolisch-neolithischen Bauern (1).

Die Hunde im europäischen Neolithikum

Eine weitere Ausnahme sind die Bandkeramiker in Mitteleuropa, deren menschliche Genetik fast ausschließlich anatolisch-neolithischer Herkunft ist, deren neolithisch-levantinische Hunde sich aber genetisch in unterschiedlichen Anteilen mit den Hunden der vormaligen nordeuropäischen Jäger und Sammler vermischt haben (1). Man sehe sich Abbildung 1 an: "Sweden 4k" (also ein Hund, der in Schweden 2.000 v. Ztr. gelebt hat) steht den levantinischen Hunden genetisch nahe, andere archäogenetisch untersuchte Hunde unterschiedlicher Zeitstellung in Schweden und Deutschland stehen der einheimischen europäischen Vorfahrengruppe der Hunde genetisch näher.

In der Formierungsphase der Bandkeramik im Wiener Becken und darüber hinaus kam also nicht nur 7 % einheimische osteuropäische, menschliche Jäger- und Sammler-Genetik in das neu entstehende Volk - vornehmlich über die männliche Linie - hinein, sondern auch in die mitgebrachten Haushunde mischte sich in unterschiedlichen Anteilen Genetik der einheimischen Jäger-Sammler-Hunde hinein.

Dieselben Umstände waren ja auch schon für die in der Bandkeramik sehr beliebten Hausschweine (3) und Hausrinder festgestellt worden. Schon auf dem Balkan hatten die sich dorthin ausbreitenden anatolisch-neolithischen Bauern die in Europa einheimischen Auerochsen domestiziert (4).

Aber so wie sich die einheimische menschliche Jäger-Sammler-Genetik im Ostsee-Raum noch bis zur Zuwanderung der Indogermanen um 2.900 v. Ztr. hielt, so hielt sich auch die Genetik ihrer Hunde dort gerne auch unvermischt (siehe Abb. 1 graue Punkte "Sweden" in verschiedenen Datierungen, also aus neolithischen und mesolithischen Kontexten). 

Die Hunde der Indogermanen

Soweit das der Grafik 5 der Studie zu entnehmen ist (1), gehört die heutige Tibetdogge (Wiki) zu den heutigen Hunderassen, die noch am meisten indogermanische Hunde-Herkunftsanteile aufweisen. Auch während der indogermanischen Zuwanderung im Spätneolithikum ab 2.900 v. Ztr. konnten sich die von den Indogermanen mitgebrachten Hunde insgesamt gesehen nicht gegenüber den einheimischen europäischen Hunden durchsetzen (1). Über die von den Indogermanen mitgebrachten Hunde heißt es (1):

Wir haben einen Hund sequenziert, der 1.800 v. Ztr. in der osteuropäischen Steppe lebte in der bronzezeitlichen Srubnaya-Kultur. Obwohl seine Herkunft der westeuropäischer Hunde ähnelt, fällt er aus der sonstigen Verteilung heraus. Ein Hund der Schnurkeramiker aus der Zeit 2.700 v. Ztr. in Deutschland, von dem angenommen worden war, daß er Steppen-Genetik in sich trug, kann in seinen Herkunftsanteilen modelliert werden als ein Hund, der 51 % seiner Herkunft auf eine Herkunftsgruppe zurückführen kann, die dem Srubnaya-Hund nahe stand und den Rest von einer europäisch-neolithischen Herkunft. Ähnliche Ergebnisse bekommen wir für einen bronzezeitlichen schwedischen Hund, der 1.100 v. Ztr. gelebt hat.

We analyzed a 3.8-ka-old dog from the eastern European steppe associated with the Bronze Age Srubnaya culture. Although its ancestry resembles that of western European dogs (Fig. 1C and fig. S10), it is an outlier in the center of PC1–PC2 space (Fig. 1B). A Corded Ware-associated dog (4.7 ka ago) from Germany, hypothesized to have steppe ancestry (14), can be modeled as deriving 51% of its ancestry from a source related to the Srubnaya steppe dog and the rest from a Neolithic European source (data file S1) (30). We obtain similar results for a Bronze Age Swedish dog (45%; 3.1 ka ago).

Das hieße nun wiederum, daß sich die Hunde der Indogermanen mit den einheimischen europäischen Hunden zunächst etwa zu 50/50 gemischt haben, um die nordeuorpäischen Hunde der Bronzezeit hervorzubringen. Die meisten späteren europäischen Hunde zeigen aber keine genetische Nähe mehr zu dem Srubnaya-Hund, der "indogermanische" Herkunftsanteil der Hunde ist also nach der Bronzezeit in Europa - aufgrund ungeklärter Umstände - wieder verloren gegangen.

Die Hunde der Indogermanen in China

Ganz anders in China und Asien. Die ursprünglichen chinesischen Hunde standen den Dingo's Neuguineas nahe (1, 2). Über die bronzezeitlichen chinesischen Hunde heißt es nun in dieser Studie (1):

Das am besten zu den genetischen Daten passende Modell beinhaltet nicht nur Herkunft von modernen europäischen Hunderassen, sondern ebenso beträchtliche Beisteuerungen des Srubnaya-Hundetyps wie er aus der Zeit 1.800 v. Ztr. in der Steppe bislang bekannt ist. (...) Unsere Ergebnisse legen somit die Möglichkeit nahe, daß die Ostwanderungen der (indogermanischen) Steppenhirten einen größeren Einfluß auf die Herkunft der (heutigen) chinesischen Hunde hatte als der damals Richtung China zugewanderten Menschen im heutigen Ostasien.

The best-fitting models involve not only ancestry from modern European breeds but also substantial contributions from the 3.8-ka-old Srubnaya steppe dog. (...) Our results thus raise the possibility that the eastward migrations of steppe pastoralists had a more substantial impact on the ancestry of dogs than humans in East Asia.

Es muß zugeben werden, daß es einem noch schwer fällt, diese in Worte gefaßten Ergebnisse alle so in den Grafiken wieder zu finden. Aber lassen wir das alles einmal so stehen. Vielleicht wird das alles künftig noch einmal von kundigeren Leuten irgendwo erläutert. 

Europäische Hunde ohne "Indogermanen-Anteil" werden zu allen heutigen modernen europäischen Hunderassen

Von den mesolithischen Hunderassen Europas hätten sich bis heute kaum noch unvermischt Herkunftsanteile in den heutigen Hunden Europas gehalten, sondern (1):

Wir machen die Feststellung, daß ein einzelner Hund aus einem neolithischen Megalith-Kontext aus der Zeit 3.000 v. Ztr. in Frälsegården im südwestlichen Schweden als alleinige Quelle der Herkunft von 90 bis 100 % der meisten europäischen Hunderassen modelliert werden kann unter Ausschluß aller anderen vorgeschichtlichen Hunde-Herkunftsgruppen.

We found that a single dog from a Neolithic megalithic context dated to 5 ka ago at the Frälsegården site in southwestern Sweden can be modeled as a single-source proxy for 90 to 100% of the ancestry of most modern European dogs, to the exclusion of all other ancient dogs.

Und weiter (1):

Und das legt nahe, daß eine Population mit einer Herkunft ähnlich wie dieses Individuum, die aber nicht notwendigerweise in Skandinavien ihren Ursprung hatte, alle anderen Hunde-Populationen ersetzt hat und den bis dahin existierenden Kontinent-weiten genetischen Gradienten "ausradiert" hätte. Die heutigen europäischen Hunde wären dann zu modellieren als solche, die zu gleichen Anteilen von der karelischen und der levantinischen Herkunftsgruppe abstammten (54 und 46 % jeweils für den Deutschen Schäferhund). Der Frälsegården-Hund kann ebenso favorisiert werden als Repräsentant der Teil-Herkunftsgruppe eines bronzezeitlichen Hundes in Italien (2.000 v. Ztr.) und eines Hundes aus der byzantinischen und mittelalterlichen Türkei (500 n. Ztr.), was aber nicht für frühere Hunde in der Levante gilt, womit der Zeitrahmen eingegrenzt werden kann für die Ausbreitung dieser (modernen europäischen) Hunde-Herkunft. Allerdings bleiben die Umstände unbekannt, die die Homogenisierung dieser Hunde-Herkunft in Europa initiierten und erleichterten, ausgehend von einer kleinen Untergruppe aller im europäischen Neolithikum in Europa verbreiteten Hunde, einschließlich der Entstehung ihrer phänomenalen phänotypischen Vielfalt und genetischen Differenzierung in moderene Rassen.

This implies that a population with ancestry similar to this individual, but not necessarily originating in Scandinavia, replaced other populations and erased the continent-wide genetic cline (Fig. 5B). This ancestry was in the middle of the cline (Fig. 1C), and so present-day European dogs can be modeled as having about-equal proportions of Karelian- and Levantine-related ancestries [54 and 46%, respectively, for German shepherd on the basis of the admixture graph (Fig. 1E)].  The Frälsegården dog is also favored as a partial ancestry source for a 4-ka-old Bronze Age dog from Italy, a 1.5-ka-old dog from Turkey and Byzantine and Medieval, but not earlier dogs in the Levant (data file S1), providing some constraints on the timing of this ancestry expansion. However, the circumstances that initiated or facilitated the homogenization of dog ancestry in Europe from a narrow subset of that present in the European Neolithic, including the phenomenal phenotypic diversity and genetic differentiation of modern breeds (12, 19, 20) (Fig. 1C), remain unknown.

Man fühlt sich an die Verbreitung der heutigen europäischen Pferderassen ausgehend von den Araber-Pferden der Eisenzeit und des Frühmittelalters erinnert, die schon in einer früheren Studie angeommen worden war (5). Jedenfalls hieße das, daß sich der indogermanische Hunde-Herkunftsanteil in China und Asien bis heute gehalten hat, in Europa aber nicht. Immerhin interessant.

Überhaupt weisen die heutigen Hunde Asiens noch eine viel größere Vielfalt an Herkunftsanteilen auf als die heutigen Hunde Europas und jener Hunde, die von Europa aus in den letzten 500 Jahren in alle Teile der Welt exportiert worden sind (s. 1, Abb. 5).

Jedenfalls haben sich diese europäischen, nachbronzezeitlichen Hundrassen inzwischen weltweit verbreitet und nur noch geringe Herkunftsanteile ursprünglicherer Hunde-Herkunftsgruppen haben sich - zum Beispiel - in Amerika gehalten (1). In der Studie heißt es abschließend, daß man ältere archäogenetische Daten von Hunden bräuchte, um den Ort der - angeommenerweise singulären - Domestikation des Hundes insgesamt noch näher eingrenzen zu können. Da die domestizierten Hunde südlich der Sahara aus dem Levanteraum zu stammen scheinen, könnte man mutmaßen, daß der Hund am ehsten vor mehr als 60.000 Jahren eben in diesem Levante-Raum domestiziert worden ist und von dort nach Neuguinea und Asien und Europa "mitgenommen" worden ist und sich dann jeweils vor Ort genetisch isoliert von den anderen weiter evoluiert hat.

Auch findet die Studie, daß alle Hunde-Vorfahrengruppen auf der Nordhalbkugel in Amerika, Asien und Europa sich untereinander einander genetisch ähnlicher sind im Vergleich zu den Hunden auf Neuguinea. Auch dies würde gut zu einem "Out-of-Levante"-Szenario vor 65.000 Jahren für die domestizierten Hunde passen. Über die heutigen domestizierten Hunde in Afrika heißt es nämlich (1):

Unsere Ergebnisse legen einen singulären Ursprung aller afrikanischen Hunde südlich der Sahara von einem levantinischen Ausgangspunkt aus nahe mit nur wenig genetischen Zufluß von außerhalb des Koninents bis vor wenige hundert Jahre.

Our results suggest a single origin of sub-Saharan African dogs from a Levant-related source (Fig. 5B), with limited gene flow from outside the continent until the past few hundred years.

Im Levanteraum sind allerdings die ursprünglich dort einheimischen levantinischen Hunde heute so gut wie ausgestorben und durch iranische und europäische Hunde-Genetik ersetzt worden. So die Studie, die - insgesamt gesehen - wohl noch mehr Fragen offen läßt und aufwirft als sie abschließend klären kann.

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  1. Origins and genetic legacy of prehistoric dogs  By Anders Bergström, Laurent Frantz, Ryan Schmidt (....) Pontus Skoglund. Science30 Oct 2020 : 557-564, https://science.sciencemag.org/content/370/6516/557
  2. Bading, Ingo: Dingos in China, März 2020, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/03/die-ethnogenese-des-chinesischen-volkes.html 
  3. Bading, Ingo: Hausschweine, 2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/08/unsere-hausschweine-stammen-nicht-aus.html
  4. Bading, Ingo: Unsere Kühe - Sie waren schon immer bei uns einheimisch - Sie stammen NICHT (!) aus dem Vorderen Orient, 18. Juli 2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/07/unsere-kuhe-schon-immer-waren-sie-bei.html  
  5. Bading, Ingo: Unsere Pferde - Sie stammen aus dem Vorderen Orient Unsere modernen Pferderassen stammen von den Araber-Pferden ab - sogar die Islandpony's, 30. August 2019 , https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/08/unsere-pferde-sie-stammen-aus-dem.html
  6. https://idw-online.de/de/news756839

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