Freitag, 8. August 2008

Der „infizierte Volkskörper“, die „kranke Kirche“

2. Beitrag zum Thema „Beeinflussen Krankheitsgefahren die Religions- und Gruppenpsychologie?“ 

Mit dem Beitrag „Religions- und Gruppenpsychologie vom Parasitenbefall beeinflußt?“ wurde ein Themenbereich angerissen, der – wie man erst bei näherer Beschäftigung merkt - unwahrscheinlich spannend und vielschichtig ist, und der zu vielen weiteren Gedankengängen Anlaß gibt. Schon die in den drei angeführten Originalartikeln zitierte Forschungs-Literatur der letzten Jahre, von denen die drei Artikel ihren intellektuellen Absprung nahmen, bietet eine ganze Fülle von Einblicken und Sichtweisen, die für viele Menschen heute noch ganz neuartig sein werden. Man sollte meinen, daß man als Wissenschafts-Journalist über diese Dinge doch gar nicht besonders gut berichten kann, wenn man nicht zuvor auch Einblick genommen hat in wenigstens einige der dort zitierten voraufgegangenen Studien und gedanklichen Ansätze. Denn sonst kommt man doch gar nicht zu einer einigermaßen gültigen Abschätzung dahingehend, was hier eigentlich insgesamt überhaupt „los“ ist. Sonst berichtet man doch nur „floskelhaft“ und mit ein paar witzigen Bemerkungen, die oft gar nicht zum Thema gehören, über ansonsten „isoliert“ dastehende Forschungsergebnisse, deren wirkliche Bedeutung erst aus dem größeren Zusammenhang der derzeitigen Forschungsliteratur heraus versteh- und nachvollziehbar wird. Es soll im folgenden versucht werden, diese Zusammenhänge etwas detaillierter herauszuarbeiten.

„Einwanderer“, „Fremde“, „Fremdkörper“, „Immigranten“

Wenn wir uns mit den Immunsystemen, den Krankheits-Abwehr-Systemen bei Tieren und Pflanzen beschäftigen, dann drängt sich uns ganz von selbst das Bild auf von Gemeinschaften von Zellen, die einander genetisch und „kulturell“ (also aufgrund äußerer Lebensumstände) sehr „nahe stehen“ (um das mindeste zu sagen), und die sich gegenseitig verteidigen gegen „Einwanderer“, „Fremde“, „Fremdkörper“, „Immigranten“. Und zwar die sich verteidigen gegen solche „Fremdkörper“, die dazu angetan sind, den „eigenen“ Gesamtorganismus, den Zellverband zu schädigen oder ganz zu zerstören. Dabei ist uns ja heute aus der Medizin sehr genau bekannt, daß das Immunsystem nicht „wahllos“ alles „Fremde“ bekämpft, sondern dem Organismus nützliche oder ihm zumindest nicht schädliche „Fremdkörper“ toleriert. So haben der menschliche Körper insgesamt und auch einzelne Organe in ihm vor allem "Kontaktbereiche", „Eingangsbereiche“, „Empfangsbereiche“, „Vorhöfe“, „Durchgangsschleusen“, in denen sich je eigene „Floren“ von tolerierten „Einwanderern“ angesiedelt haben, in denen aber das Immunsystem zugleich – wie bei sehr scharfen „Grenzkontrollen“ – unablässig tätig ist, um schädliche „Einwanderer“ herauszufiltern und zu eliminieren. Sehr oft, wenn das Immunsystem hier Fehler macht, sterben wir oder müssen unerträgliche Schmerzen erleiden. Wir sind dann schlicht - „krank“. Die Vielfalt und Häufigkeit der Vertreter einzelner Arten unter diesen „tolerierten Einwanderern“ sind nun jeweils ganz spezifisch für eine Pflanzen- und Tierart, sie gehören also zur spezifischen „Identität“, Eigenart der jeweiligen Pflanzen- und Tierart dazu. Ja, sogar jeder Mensch, sogar jede menschliche Familie, jede lokale Menschengruppe (Stamm, Volk) sind an diesen jeweils tolerierten „Mikrofloren“ auf und in ihren eigenen Körpern wie an einem „Fingerabdruck“ individuell erkenn- und unterscheidbar. (1) Allerdings konnte dieser Fingerabdruck über viele Jahrtausende hin höchstens grob (und oft nur halbbewußt) „gerochen“, „geschmeckt“, "getastet" oder gar - in manchen Auswirkungen zumindest – „gesehen“ werden. Die modernen Techniken der effektiven Gensequenzierung erlauben aber seit einigen Jahren eine Erforschung dieser Mikrofloren in einem Ausmaß und in einer Differenziertheit wie das noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte möglich gewesen ist (1).

Nützliche oder nicht schädliche „Immigranten“ werden toleriert

Und dadurch wird auch bekannt, wie wenig eigentlich bislang über diese Mikrofloren bekannt gewesen ist, wie oberflächlich unser Wissen über diese bislang noch gewesen ist, obwohl wir doch glaubten, durch die medizinische Forschung darüber schon so viel zu wissen. (1) Jeder einzelne Mensch, jedes Tier, seine Haut, sein Mundbereich, sein Magen- und Darmbereich, sein Ausscheidungsbereich stellen jeweils ganz einzigartige „Biotope“ dar, Lebensräume für eine Fülle von nützlichen oder zumindest nicht schädlichen Organismen-Arten (1): Bakterien, Viren, Pilze und andere (Arthropoden, Mikroparasiten, Makroparasiten). (2) Wenn wir zu Leichen geworden sind und begraben worden sind, werden wir von Insekten und Würmern zerfressen. Aber schon seit unserer Geburt leben viele Lebewesen auf und in unseren Körpern und sie zerfressen uns nur deshalb nicht, weil unser Immunsystem so tatkräftig und rund um die Uhr Abwehr leistet. Ein Mensch ohne Immunsystem ist ein toter Mensch oder muß in einer völlig sterilen Umgebung leben. All diese Dinge machen wir uns viel zu selten klar. Die den menschlichen Körper besiedelnden Bakterienarten werden beispielsweise dominiert von Bakterien aus vier von den mehr als 50 auf der Erde existierenden Bakterien-Stämmen, während die Artenvielfalt der Bakterien anderer Tierarten eine andere Zusammensetzung aufweist. (2) Diese Artenvielfalt der jeweiligen, vom eigenen Körper tolerierten Organismen-„Kolonien“, der „Biofilme“ ist also wie ein persönlicher Fingerabdruck. (1)

Antibiotika 

Bekanntlich werden diese Mikrofloren sehr stark zerstört, wenn wir ein „Antibiotikum“ nehmen. Sie müssen nach dem Ende der Einnahme jeweils wieder neu aufgebaut werden. Antibiotikum verschreibt uns der Arzt dann, wenn er den Eindruck erhält, daß das Immunsystem aus eigener Kraft es nicht mehr schafft - oder nicht mehr schnell genug schafft -, schädliche „Eindringlinge“ von nicht schädlichen zu unterscheiden und zu eliminieren. Auch verschiedene Pflanzen und scharfe Gewürze wirken „antibiotisch“ und schon Schimpansen fressen bestimmte antibiotisch wirkende Pflanzen, wenn sie krank sind. Und in südlicheren Ländern oder auch in Nordasien, in denen entweder die Vielfalt der Infektionskrankheiten höher ist und/oder die Immunsysteme der Menschen anders ausgestattet sind, essen die Menschen in der Regel schärfere Gerichte als die Menschen in den nördlicheren Ländern, was neuerdings auch von der Wissenschaft mit ihrer antibiotischen Wirkung in Zusammenhang gebracht wird. (Da liegen wohl noch viele spannende Zusammenhänge im Dunkeln, die gegenwärtig nach und nach erforscht werden.)

Der Mensch als Überträger und Verbreiter

Nun ist natürlich seit etwa zweihundert Jahren, seit den immer intensiver werdenden Forschungen mit Mikroskopen, ebenso klar, daß Menschen selbst (wie andere Tier- und Pflanzenarten) nicht nur Träger, sondern auch Über-Träger, Verbreiter von nicht schädlichen oder nicht nützlichen, sowie schädlichen und nützlichen Arten-Vertretern in Mikrofloren sind. Und im Zusammenhang dieser Tatsache wird plötzlich die menschliche Gruppenpsychologie relevant und bedeutsam, die auf diese Tatsache nämlich – scheinbar – reagiert, bzw. wahrscheinlich sogar evoluiert ist in unbewußter oder halbbewußter Wechselwirkung mit den Selektions-Vorgängen in den menschlichen Mikrofloren auf der rein physiologischen Ebene. Man kann das als ungeheuer spannend empfinden. So ist zunächst bekannt – auch erst seit zweihundert Jahren – daß frühe, leichte „Infektionen“ mit schädlichen Fremdkörpern (z.B. durch Impfen oder andere Übertragungen, etwa von der Mutter auf das Kind oder auch durch Kontakte mit dem „Schmutz“ der Umgebung, die deshalb gar nicht einmal so ganz unwichtig sind), daß durch solche der Organismus, der Körper ein dauerhaftes, lebenslanges „immunbiologisches Gedächtnis“ aufbaut, ein Gedächtnis zur schnellen, effektiven Erkennung schädlicher oder sehr schädlicher Fremdkörper.

Der „infizierte Volkskörper“, die „kranke Kirche“

Wenn man nur all diese Dinge und Tatsachen nennt, so ist ja schon geradezu unverkennbar, unübersehbar, wie sehr man sich schon von der Rhetorik, von den „Bildern“ her, von den sich unwillkürlich aufdrängenden „Metaphern“ her ehemaligem, vergangenem „völkischen“, „nationalen“, „rassistischen“, „konfessionellen“, politisch-ideologischem, „ethnischem“, religiösem Denken annähert. In diesem ehemaligen, „traditionellen“ Denken begriff man „den Volkskörper“, „die Nation“, „die Rasse“, „die Kirche“, „das Vaterland aller Werktätigen“, „gods own country“, die Abendmahls-Gemeinschaft, die „heilige Gemeinde“ als jenen schützenswerten Organismus, der gegen „Verunreinigung“, gegen „Infizierung“, gegen „Fremdes“, „Ketzerisches“, „Krankes“, „Krankheits-Übertragendes“ geschützt werden müßte. Gegen „Unterwanderung“. Und so vieles mehr. (Ich könnte mir übrigens vorstellen, daß Edward O. Wilson darüber in seinem neu angekündigten Buch "Superorganisms" manches schreiben könnte. Es paßt jedenfalls hervorragend zu dieser Thematik.)

Und wenn man weiterdenkt, dann kann man sich ja auch tatsächlich die heute vorherrschende Ideologie des „Es gibt keine Unterschiede“, die Ideologie des „Alles muß toleriert werden“ als eine Ideologie verdeutlichen, die dem bewußten Abbau vormals in Kraft gewesener „Immunisierungs-Strategien“, Abwehr-Strategien, Überlebens-Strategien von Kulturen und menschlichen Gemeinschaften diente. Und abgebaut wurden diese deshalb, weil die menschlichen Gemeinschaften im 20. Jahrhundert aufgrund der hoffnungslosen, materialistischen, atheistischen Übertreibung dieser Strategien sich gegenseitig bis zur Existenzvernichtung, bis zum Genozid selbst schädigten und vernichteten.

Wenn man aber noch einen Schritt weiter denkt, so wird einem vielleicht bald deutlich, daß man auch in diesem „neuen“ gesellschaftlich-psychologischen Klima von heute beobachten kann, wie die alten Mechanismen – wenn auch vielleicht oft auf etwas verborgenere Weise – in Kraft bleiben, wie sie fortwirken, wie Gruppen ihre Abwehrstrategien heute vielleicht nur nicht mehr in ganz so unverhohlen „medizinischer“ Sprache formulieren und vor sich selbst und anderen rechtfertigen, sondern vielleicht oft nur die Sprache – politisch korrekt – ändern. Aber auch ein Jürgen Habermas weiß ja diese Sprache zu benutzen, wenn er von „gesellschaftlichen Pathologien“ spricht. Und diese Sprache ist wohl auch gar nicht sinnvoll zu umgehen.

Menschliche Gruppen unterscheiden sich immunbiologisch, verdauungsenzymatisch

Denn nun kommt die Wissenschaft daher und sagt: Diese alte menschliche Rhetorik, die Metaphern waren gar nicht nur „Rhetorik“, waren gar nicht nur Metaphern, sie drückten etwas aus, das real vorhanden war und immer noch vorhanden ist: Menschliche Gruppen unterscheiden sich immunbiologisch und verdauungsenzymatisch sowohl auf strikt genetischer Ebene (etwa schon in den Genen, die das Immunsystem steuern, den MHC-Genen, den Milchzucker-Verdauungsgenen, Alkohol-Verarbeitungs-Genen etc. pp.), wie auch auf der Ebene der Übertragung von „immunbiologischen Gedächtnissen“ (die ja so eine Art „Prägevorgang“ ist). Und unsere Gruppenpsychologie ist von diesen Tatsachen offenbar auch sehr stark mitbestimmt und mitbeeinflußt – und zwar weniger auf rein bewußter Ebene, sondern eher halb- und unbewußt. Besonders drastisch werden diese Zusammenhänge ja auch heute noch immer wieder dann vorgeführt, wenn Menschen aus sehr weit fortgeschrittenen, komplex-arbeitsteiligen Gesellschaften mit hoher Bevölkerungsdichte und hohen innergesellschaftlichen Begegnungsraten auf kleine Menschengruppen oder auf Gesellschaften treffen, die Jahrtausende lang isoliert von der Begegnung mit „fremden“ Menschen und Gesellschaften gelebt haben. Der Beispiele dürfte es hier unzählige geben und es wäre noch die Frage, ob sie von der Wissenschaft schon einmal umfangreicher gesichtet und aufgearbeitet worden sind. Darüber müßte man spannende Geschichte schreiben können.

Genozidale Gruppenbegegnungen aufgrund immunbiologischer Unterschiede

Nur ein paar besonders deutliche und drastische: Als die christlichen, spanischen und portugiesischen Eroberer in Mittel- und Südamerika die dortigen Großreiche stürzten am Anfang des 16. Jahrhunderts, da waren es ja gar nicht allein ihre Waffen, ihre paar Vorderlader, ihre wenigen Kanonen, ihre Pferde und ihre Eisenrüstungen, die das zustande brachten, sondern das, was sie auf und unter ihrer Haut mit sich herumtrugen: ihr immunbiologisches Gedächtnis und jene Krankheitskeime, an die sich ihr immunbiologisches Gedächtnis schon längst seit vielen Generationen in der europäisch(-asiatisch)en Geschichte angepaßt hatte. Aber die Körper der Ureinwohner Mittel- und Südamerikas besaßen zu jenem Zeitpunkt dieses immunbiologische Gedächtnis nicht. Und sie starben - - - „wie die Fliegen“, zu Millionen von Menschen an ansteckenden Krankheiten, an Krankheiten, die Europäer schon damals zu den „Kinderkrankheiten“ zählten, die schon damals für Menschen in Europa kein Problem mehr darstellten. Der Grund war einfach, daß ihre Körper erst ein immunbiologisches Gedächtnis zur Abwehr dieser Krankheiten aufbauen mußte, und daß diese Körper dazu zunächst einmal mit diesen neuen Krankheitsgefahren „konfrontiert“, „infiziert“, „kontaminiert“ werden mußten. Der Erstkontakt mit diesen Krankheiten wirkte sich deshalb so verheerend aus auf die Großreiche und Völker Mittel- und Südamerikas aus, weil die Immunabwehr der Menschen nicht schnell und effektiv genug das neue Schädliche von dem neuen Nützlichen zu unterscheiden wußte. Und es kam zu einem weltgeschichtlich einzigartig schnellen Bevölkerungsrückgang, Bevölkerungszusammenbruch in den genannten Jahrzehnten in Mittel- und Südamerika. Erst nach einigen Generationen hatten die Überlebenden dann einen immunbiologischen Schutz gegen die neuen, von den Europäern eingeführten Infektionskrankheiten erworben und aufgebaut, der ihnen bis heute das Überleben garantiert hat. Die anderen waren aufgrund ihres unzureichend arbeitenden Immunsystems (zumindest in einer Umwelt, die von Europäern "infiziert" war) schon zu Lebzeiten zu - bildlich gesprochen - abwehrlosen „Leichen“ geworden. Aber dieser fehlende immunbiologische Schutz ist einer der größten Gefahren bis heute geblieben für Völker, die bislang isoliert und „unberührt“ (Nomen est omen!) zurückgezogen in Urwäldern oder abgelegenen Kontinenten oder Inseln lebten und leben. So hat die indische Regierung etwa schon seit vielen Jahren das Betreten der berühmten Andamanen-Inseln im pazifischen Ozean schlichtweg jedem Menschen verboten, auch Regierungsbeamten, da jeder Mensch allein durch seine menschliche Nähe, etwa durch ein Niesen oder Husten zur „tödlichen Waffe“ werden kann für einen Bewohner der Andamanen-Inseln. Er kann ihn durch ein einfaches Händeschütteln - bildlich gesprochen - zur „Leiche“ verwandeln. Christliche Missionare der letzten Jahrhunderte haben also Völker oftmals viel weniger mit dem „Virus des Glaubens“ „infiziert“, „kontaminiert“ oder „geimpft“, sondern vor allem erst einmal mit den Viren, die sie auf und unter ihrer Haut mit sich herumtrugen. Und das ist ja auch einer der Hauptgründe, weshalb Impfprogramme in den Ländern der Dritten Welt und insbesondere inzwischen bei "erstkontaktierten" Stämmen als so notwendig erkannt worden sind.

Gruppen dürfen - auch immunbiologisch - nicht „den Anschluß verpassen“ 

Und aus diesen wenigen Tatsachen und Überlegungen kann man schon allerhand Schlußfolgerungen ziehen. Es könnte für menschliche Gruppierungen, die langfristig in der Evolution überleben „wollen“, vorteilhaft sein, sich nicht in gänzliche Isolation von anderen Gruppen zurückzuziehen, weil sie sich dadurch allein schon auf immunbiologischer Ebene gefährden könnten, den Anschluß an „die neueren Entwicklungen auf diesem Gebiet“ verpassen könnten. Und hier etwa setzen nun die neueren Überlegungen auf dem Gebiet der Erforschung der Koevolution von menschlichem Immunsystem und menschlicher Gruppenpsychologie ein. (etwa: 3, 4, sowie voriger Beitrag) Diese Forschungen gehen von der Tatsache aus, daß es nicht nur eine graduelle Verteilung von Gruppenintelligenz-Unterschieden von Süd nach Nord auf der Erde gibt, nicht nur eine graduelle Verteilung von Artenvielfalt von Süd nach Nord, sondern auch eine ebensolche Verteilung in der Vielfalt von Infektionskrankheiten und der sie hervorrufenden Mikroorganismen-Arten, der Erreger. Am Äquator herrschen viel mehr Infektionskrankheiten vor als in den nördlicheren Breiten. Und dies wird derzeit vor allem auf die dortige höhere Niederschlagsmenge zurückgeführt. (2) Und deshalb glauben die Forscher, davon ausgehen zu dürfen, daß die Gruppenpsychologie der Menschen am Äquator konformistischer ist, während die Gruppenpsychologie der Menschen in den nördlicheren Breiten individualistischer ist. Konformistisch heißt: weniger tolerant gegenüber Fremden. In sich abgeschlossenere Gruppen. Stärkere (unbewußte) Furcht vor "Kontamination" durch Gruppenfremde.

Was ist Ursache, was ist Wirkung?

Und doch wollen einem diese Erklärungen und viele weitere Hypothesen und Schlußfolgerungen so isoliert für sich genommen noch als zu einfach und schlicht anmuten. Warum gibt es dann zum Beispiel auch in Nordasien so deutlich konformistische Gesellschaften? Oftmals weiß man noch nicht, was eigentlich Ursache und was Auswirkung ist und ob nicht Auswirkungen eigentlich die Ursachen und die Ursachen die Auswirkungen sind. Kann nicht auch eine andere vorherrschende gesellschaftliche Psychologie zu Auswirkungen auf das Immunsystem führen über psychosomale Zusammenhänge? Hier wird es in den nächsten Jahren sicherlich noch viele Überraschungen geben. Aber daß hier Zusammenhänge vorliegen, scheint inzwischen doch überaus plausibel, wenn man alles in allem nimmt, wenn man sieht daß Gruppenvielfalt und Krankheitsvielfalt über einen Süd-Nord-Gradienten miteinander korreliert. Und sie sind es sicherlich wert, auf vielen verschiedenen Funktions-Ebenen (etwa physiologisch, individualpsychologisch, gruppenpsychologisch) und nach vielen verschiedenen Richtungen hin weiter verfolgt zu werden. Klar geworden sein sollte jedenfalls, daß dieses Thema eine Fülle von Implikationen bereit hält, die durch oberflächliche Wissenschafts-Berichterstattung auch nicht im Leisesten angedeutet oder gar ausgeschöpft werden. Gründlichere Beschäftigung kostet Zeit, Fleiß und Geld. - Welche „Bakterien“ und "pathologischen" Verhältnisse mögen dafür verantwortlich sein, daß man all das selten ausreichend beeinander hat?!! ;-) … .................................

Ergänzung (10.8.): Lars Fischer hat auch grad zwei lesenswerte Artikel über Parasiten, allerdings in etwas anderem Zusammenhang geschrieben. (1, 2)

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Benutzte Literatur (außer der schon im vorigen Beitrag genannten Literatur): 

  1. Dethlefsen, Les u.a.: An ecological and evolutionary perspective on human-microbe mutualism and disease. In: Nature, Vol. 449, 18.10.2007 
  2. Guernier, Vanina u.a.: Ecology Drives the Worldwide Distribution of Human Diseases. In: PLoS Biology, Vol. 2, June 2004 
  3. Navarrete, Carlos David; Daniel M.T. Fessler: Disease avoidance and ethnocentrism: the effects of disease vulnerability and disgust sensitivity on intergroup attitudes. In: Evolution and Human Behavior 2006 
  4. Schaller, Mark; Damian R. Murray: Pathogens, Personality, and Culture: Disease Prevalence Predicts Worldwide Variability in Sociosexuality, Extraversion, and Openness to Experience. In: Journal of Personality and Social Psychology. Vol. 95, 2008

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