Montag, 28. Januar 2008

Ist Gott der "Bestrafer" "von dritter Seite" im allgegenwärtigen sozialen "Third party-punishment"-Spiel?

In der spannenden Diskussionsrunde zur "Evolution der Religiosität" mit der Rekordzahl von inzwischen 218 Kommentaren auf Wissenslogs (von "Spektr. d. Wissenschaft") hat Lars Fischer zum Thema "Religion und Gesellschaftsform" am 23.1.08 aus einem etwas weitläufigeren Diskussions-Zusammenhang heraus geschrieben:

Das ist ein guter Punkt, den du da aufbringst, Michael. Wir haben ja im Seminar gesehen (im Indianer-Vortrag), dass Religion und Gesellschaftsform oft sehr stark verflochten sind, was ja durchaus dem biologischen "Sinn" (flapsig gesprochen) von Religion entspricht.

Du hattest aber ausgeführt, dass du von der Idee der Gruppenselektion im Religionskontext nicht viel hältst.

Um jetzt einfach mal ein sehr simples Erklärungsmodell in den Ring zu werfen: Kann das nicht einfach eine Frage der Bevölkerungsdichte sein?

Das würde bedeuten, dass die Funktion (bzw. Wirkung) von Religion heutzutage eine andere ist als die, weswegen sie ursprünglich entstanden ist.

(Das würde zum Beispiel auch ein paar Probleme und Widersprüche bei der Sache mit der Gretchenfrage auflösen. Ich hab mir darüber nochmal ein paar Gedanken gemacht, das ist alles nicht ganz so einfach wie ich zuerst vermutet hatte.)

Dieser Kommentar regte mich selbst dazu an, meinen eigenen St. gen.-Beitrag zum "Third-party punishment game" vom 12.1.08 in der folgenden Weise auf "Abgefischt" weiterzudenken:

Religion, Bevölkerungsdichte und Bestrafung von "dritter Seite"

Gute Gedanken, Lars und Michael! Das Mißtrauen ist in großen Gesellschaften viel größer, weshalb "Third-party-punishment" in ihnen viel stärker ausgeprägt ist (siehe "More ‘altruistic’ punishment in larger societies" von Frank W. Marlowe und J. Colette Berbesque in "Proc. R. Soc. B." diesen Monat)

Ist es nicht sehr einfach, das mit einem belohnenden und strafenden Gott in Zusammenhang zu bringen? Stellt er nicht auch eine "Third-party-punishment"-Instanz dar???

Insofern wäre eine persönliche, sehr rationale Vorstellung eines Gottes, der belohnen oder bestrafen kann, entstanden, weil sich die Menschen ohne ihn nicht so gut gegenseitig kontrollieren können.

Überhaupt ist ja das Mißtrauen in Third-party-punishment-Zusammenhängen ein hochgradig rationales, während man Vertrauen, "lockerere" Großzügigkeit eher mit weniger exakter Rationalität in Zusammenhang bringt.

Was aber jetzt, wenn viele Menschen nicht mehr an einen "dritten Bestrafer" oben im Himmel glauben und sich die Egoismen deshalb in modernen Gesellschaften ausdehnen?

Wie werden dann neues Vertrauen und höhere Altruismus-Raten sichergestellt in familiären und überfamiliären Zusammenhängen? Vielleicht dadurch, daß allgemein anerkannt - und zwar im Gegensatz zu Materialismus und Atheismus - philosophisch anerkannt wird, daß die Ratio nur einen sehr engen Bereich verwaltet. ...

... Und daß Großzügigkeit, so möchte ich hier ergänzen, erst dann ihren eigentlichen Wert erhält, wenn eben nicht so genau "gerechnet" und "gerechtet" wird wie es in bestrafenden religiösen und weltlichen Glaubenssystemen der Fall ist?

Und noch mehr: Liegt hier, in der Vorstellung von einem rechnenden und rechtenden Gott nicht auch der schon von vielen Denkern vermutete engere Zusammenhang zwischen Monotheismus und Kapitalismus, bzw. zwischen Monotheismus und Materialismus? Vielleicht ist der Zusammenhang zwischen der Wirtschaftsweise einer Gesellschaft und ihrer Religiosität sogar noch dichter und enger als Friedrich Nietzsche oder Max Weber anzunehmen gewagt haben!?

In den neuen Forschungen zum "Third party punishment game" scheinen mir eine Fülle von Implikationen auch für die Religionswissenschaft allgemein und die Religionsdemographie im besonderen zu stecken.

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