Sonntag, 31. August 2008

Wie weit ist menschliche berufliche Spezialisierung genetisch bedingt?

Vorbemerkung: Anlaß zu den folgenden Überlegungen gab: (1).

Wenn wir davon ausgehen, daß in der Evolution arbeitsteiliger, menschlicher Gesellschaften in den letzten 10.000 Jahren auch ganze Völker, gesellschaftliche Systeme - bzw. mindestens ihre Intelligenz-Eliten - größtenteils aussterben können, dann kommen wir zu einem differenzierteren Bild einer neuerdings vermuteten Koevolution von genetischer Begabung für spezialisierte Berufe (handwerkliche Begabung?, händlerische Begabung?, soldatische "Begabung"?, Jäger-Begabung?, Tierzüchter-"Begabung"?, Pflanzenzüchter-"Begabung"?, Begabung zur Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen [Magier, Priester etc.]?) und der kulturellen Ausbildung dieser Berufsgruppen in den jeweiligen Gesellschaften selbst (1).

G. Saint-Paul

Es gibt inzwischen genetische Hinweise darauf, daß die erste arbeitsteilige europäische Gesellschaft, die zugleich auch die größte Siedlungsdichte aller mittel- und nordeuropäischen Kulturen vor dem Frühmittelalter aufwies, daß die Bandkeramiker größtenteils ausgestorben sind (siehe frühere Beiträge) und nur viele der von ihnen erstmals ausgebildeten kulturellen Merkmale - zum Teil bis heute - in Europa hinterlassen haben, als da sind: lange, einzelstehende bäuerliche Wohn-Stallhäuser, arbeitsteilige Gliederung der Gesellschaft, bäuerliche Kultur allgemein etc..

Die Menschen jener (mutmaßlich größtenteils zugewanderten) Populationen, die Teile der bandkeramischen Kulturmerkmale übernahmen und zugleich neue hinzu erfanden oder weiterentwickelten (bspw. "Volkssternwarten" in den Kreisgrabenanlagen), mußten sich dann jeweils neu beruflich "spezialisieren". Ähnliches muß ja wohl auch bspw. von den vormals bäuerlichen Langobarden gesagt werden, die in die spätantike römische Gesellschaft der heutigen Lombardei in Norditalien zuwanderten und zusammen mit der einheimischen Bevölkerung später jene großartige norditalienische Rennaisance-Kultur hervorbrachten, für die Norditalien so berühmt geblieben ist. Ob also bei dem häufigen Wechsel der Kulturen und Populationen in Europa (oder im Vorderen Orient und im Mittleren Osten) da genügend Kontinuität vorhanden geblieben ist, daß es zu einer Gen-Kultur-Koevolution von (genetisch angelegter) beruflicher Begabung und (der kulturellen Einrichtung der) Berufe selbst gekommen ist über mehrere Jahrtausende hinweg, erscheint zweifelhaft.

Auch spricht ja doch der antik, mittelalterlich oder neuzeitlich feststellbare häufige Wechsel der einzelnen Menschen in bürgerlichen Familien zwischen Berufen von Generation zu Generation gegen eine solche ausgeprägtere Koevolution, die uns heute dann (als ihr Ergebnis) beruflich sehr stark genetisch festlegen würde. Die genetische Rekombination in jeder Generation verteilt ja auch die Begabungen jeweils neu. Gerade auch die schnelle Neuanpassung von Menschen größtenteils bäuerlicher Abstammung an neue städtische kulturelle Lebensweisen (besser bekannte Beispiele wären eben: Langobarden, Sachsen, Wikinger ... oder die Facharbeiterschaft während der Industriellen Revolution) spricht eher für eine größere (genetische) Flexibilität auf diesem Gebiet.

Arbeitsteilung weltweit durch Evolution in Ethnien (?!)

Was aber mit einiger Sicherheit gesagt werden kann, das ist, daß - als Eroberer, als Händler oder als Sklaven - zugewanderte andere Ethnien insgesamt (!) (sprich: durchschnittlich) jeweils einen deutlich höheren oder deutlich niedrigeren angeborenen durchschnittlichen Intelligenz-Quotienten aufgewiesen haben können als die vor Ort seßhafte Bevölkerung, daß sie also IQ-Eliten oder IQ-Unterschichten ausgebildet haben können wie wir sie heute noch in multiethnischen und multirassischen Gesellschaften antreffen. Hier würde dann aber - erstaunlicherweise! - "grobere" berufliche Spezialisierung auf lokaler Humanevolution unterschiedlicher Ethnien in unterschiedlichen Regionen der Erde beruhen, die dann irgendwann aufgrund von Wanderungsbewegungen aufeinandertreffen, NICHT aber auf sehr langfristig angelegter Gen-Kultur-Koevolution paralleler Berufsgruppen vor Ort selbst.

Ein weiteres Argument, das gegen eine solche Koevolution spräche, wäre die schnelle, fast "blitzartige" Übernahme fast der gesamten westlichen modernen Kultur durch Japan, Korea und China im letzten Jahrhundert, OHNE daß dazu ganz offensichtlich größere genetische Anpassungsprozesse notwendig waren.

All das sind wieder deutliche Zeichen dafür, daß Humanevolution zu großen Teilen ein Phänomen menschlicher Gruppen (Ethnien, Völker) ist, nicht von individuellen, "atomisierten" Menschen, die so leicht von Ethnie zu Ethnie wechseln können wie das in heutigen oder früheren teil-globalisierten Gesellschaften möglich gewesen ist. Dies geschah in globalisierten oder "teilglobalisierten" Gesellschaften (Beispiel: Hellenismus), die bis heute nie Evolutionsstabilität ausgebildet haben, sondern deren inhärente Selektionsprozesse - zumeist gegen IQ-Eliten - bisher fast zwangsläufig zum mittelfristigen Untergang derselben führten.

Modelle zur Humanevolution: möglichst konkret fassen

Eine neue Arbeit des Toulouser Forschers Gilles Saint-Paul geht der Frage nach, ob die Lebensumwelt "komplexe, arbeitsteilige Gesellschaft" (er spricht von "Markt" und "Handel") die Selektionsbedingungen für menschliche genetische Anlagen dahingehend verändert, daß auch Gene, die ohne diese Lebensumwelt geringe Überlebens-Chancen hätten, nun MIT diesen Lebensbedingungen überleben könnten, und daß diese Gene etwas damit zu tun haben könnten, DASS sich diese Menschen spezialisieren (1). Sein Modell leidet für mich darunter, daß ich nicht richtig verstehe, welche Art von Genen, Verhaltensneigungen das nun eigentlich sein sollen. Klar wird nur, daß es Verhaltensneigungen sind, die unter den Lebens-Bedingungen von egalitären Jäger-Sammler-Gesellschaften nicht in hohen Frequenzen überleben würden.

So lange es so allgemein formuliert ist, wird man es kaum falsifizieren können, weil komplexe, arbeitsteilige Gesellschaften insgesamt gesehen ganz bestimmt nach anderen angeborenen Verhaltensneigungen selektiert haben als nicht-arbeitsteilige Gesellschaften. Viel spannender würde es erst, wenn man die Fragestellung dahingehend präzisierte, nach welchen Verhaltens-Neigungen das etwa geschehen sein könnte: Selektion gegen "rebellische Charaktere" (ADHS-Neigung) wie das der chinesische Humangenetiker Bruce Lahn für die chinesische Geschichte der letzten 2.000 Jahre angenommen hat (siehe frühere Beiträge)? Aber in anderen arbeitsteiligen Gesellschaften konnte sich diese Neigung durchaus bis heute halten (in unserer zum Beispiel ;-) ). Oder begünstigte die Selektion eine größere, genetisch weitergegebene Neigung zu "Geduld", wie das der Historiker Gregory Clark vermutet (anhand - zum Beispiel - des Sinkens des Zinssatzes in komplexen Gesellschaften bis heute) (siehe frühere Beiträge hier auf dem Blog)?

Ich würde deshalb meinen, daß eine Arbeit ohne solche konkreteren Anhaltspunkte in der Empirie zu allgemein formuliert ist, als daß sie mehr erreichen könnte, als ein weiteres, erneutes Durchdenken dieser - wie sicherlich zuzugeben ist - außerordentlich spannenden Thematik.

Hier noch einige Auszüge aus seiner Arbeit, die mir leichter verständlich sind:

Die Arbeit will erforschen, "how (...) markets affects the evolution of mankind".
"Absent trade, people must allocate their time among all the activities necessary for their fitness. (...) Weaker individuals are able to achieve the same survival potential as the fittest, by specializing in activities where they are not at a disadvantage, and purchasing goods that are substitute for activities for which they are weak."
Was bedeutet hier "schwach" und "stark"? Ist damit rein körperliche, physische Stärke gemeint? David und Goliath? Das ist mir in dieser Arbeit nicht klar geworden. Er möchte Bedingungen aufzeigen, ...
"... where weaker individuals are able to achieve the same survival potential as the strongest, by specializing in activities where they are not at a disadvantage, and purchasing goods that are substitutes for activities for which they are ‘weak’ (...) thus building in greater genetic diversity in human populations."

Es geht ihm um das "survival of alleles that would not survive absent markets". Er will dies analog zur Erwachsenen-Milchverdauung aufzeigen, das wohl so ziemlich einzige konkretere empirische Faktum, das in dieser Arbeit genannt wird. Oder an anderer Stelle:

"Trade allows weaker people to specialize in the activity where they can match the best, thus making their genetic deficiencies irrelevant for survival. Consequently, these ‘inferior’ genes are passed to the next generation with the same frequency as ‘superior’ ones, and are no longer eliminated in the long run."

- - - Vielleicht gelingt es anderen ja, dieser Arbeit mehr abzugewinnen, als das mir gelungen ist. Zu begrüßen wäre das auf jeden Fall.

/ ursprünglich veröffentlicht 15.11.2007 /

ResearchBlogging.org
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  1. Saint-Paul, Gilles (2007). On market forces and human evolution Journal of Theoretical Biology, 247 (3), 397-412 DOI: 10.1016/j.jtbi.2007.03.021

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