Sonntag, 25. November 2007

Seefahrt und früheste Ackerbauern im Mittelmeer-Raum

Der Ackerbau selbst habe sich rund um das Mittelmeer nicht über das Meer hinweg ausgebreitet. Wohl aber sei dies geschehen von Seiten vor-bäuerlicher Kulturen, die vornehmlich vom Fischfang lebten. Dies ist die These des amerikanischen Archäologen Albert Ammermann (1). Anfang des Jahres erst hatten wir von einer Studie berichtet (2), die die frühe Ausbreitung sehr unterschiedlicher Hausziegen-Linien nach Südfrankreich am Ende des 6. Jahrtausends unter die Lupe genommen hatte.

Dafür, daß sich vorbäuerliche Kulturen über das Meer hinweg ausgebreitet hätten, habe er noch wenig stichhaltige Beweise. Man darf das aber für durchaus plausibel halten. Was einen nur wundert, ist, daß er - offenbar - glaubt, daß sich die ersten Ackerbau-Kulturen über das Land rund um das Mittelmeer ausgebreitet hätten.

Abb. 1: Frühneolithische Häuser in Travo, Norditalien - Rekonstruktion (Herkunft: Guiale)

Er sagt (1):

"Ich glaube nicht, daß sich der Ackerbau entlang der Küsten ausgebreitet hat, denn diese wurden schon regelmäßig von einer stabilen Kultur reisender Fischer aufgesucht." 
“I think agriculture didn’t spread along the coasts because they were already frequented by a stable culture of voyaging foragers.” 

Nein, das muß man nicht für plausibel halten. Wir wissen, daß sich die Bandkeramik ausschließlich auf dem Landweg ausgebreitet hat. (Allerdings nicht - wie in dem Artikel behauptet - über "Massen-Einwanderungen", sondern höchstwahrscheinlich schlicht über die hohen Geburtenraten von Rodungsbauern im zuvor wenig besiedelten, stark bewaldeten Mitteleuropa und ausgehend von der Region rund um den Plattensee.) Andererseits stießen die Bandkeramiker in der Rhein-Gegend auf Kulturen mit ganz andersartiger Keramik, die Verwandtschaft zeigt mit Keramik, die die Küsten rund um das Mittelmeer (Rhone-Tal) verbreitet war (große, spitzbödige Gefäße, sogenannte „Cardial-Keramik“).

Dieser Umstand war schon vor Jahren ein starker Hinweis darauf, daß sich rinderzüchtende Ackerbauern seit etwa 6.500 v. Ztr. vom östlichen Mittelmeer-Raum (und vielleicht von der nordafrikanischen Küste aus) rund um die Mittelmeer-Küsten ausbreiteten, ja, daß sie womöglich auch gleich die Meeresenge von Gibraltar überwanden und diese Keramik entlang der Küsten bis ins Baltikum ausbreiteten. Und da wäre es doch hoch plausibel, daß das mit Schiffen vor sich gegangen ist. Andere Archäologen raten deshalb zur Vorsicht gegenüber dieser These (3):

Seit fast zwei Jahrzehnten ist eine frühe Anwesenheit von Menschen auf Zypern bei Akrotiri Aetokremnos gut bestätigt. Deshalb ist es keine Überraschung, daß es auch andere Siedlungsplätze gibt, die in diese Zeit datieren und viele von uns hoffen, daß das von Ammermann behauptete Alter der Siedlungsorte sich bestätigt. Aber solange dies nicht durch Datenmaterial abgesichert ist, daß aus einem guten Kontext heraus in seiner Datierung verteidigt werden kann, können diese Siedlungsorte nicht als Beispiele in die Forschungsliteratur eingehen für eine vorneolithische Anwesenheit auf Zypern.
Original: An early human presence on Cyprus has been well established at Akrotiri Aetokremnos for nearly two decades. It is thus no surprise that there may be other sites dating to this time period, and many of us hope that Ammerman’s sites are as old as he claims. But until this can be confirmed by defensible dating of materials in good context, these sites should not enter the literature as examples of a pre-Neolithic presence on Cyprus.

In dem "Science"-Artikel wird Ammermann als "Archaeology’s Renaissance man" dargestellt. Aber bei Archäologen muß man immer ein bischen aufpassen. Die archäologischen Funde möglichst widerspruchsfrei mit gesellschaftlichen Entwicklungsmodellen in Einklang zu bringen, die man auch sonst aus der Weltgeschichte und Völkerkunde kennt, fällt vielen Archäologen schwer.

Schön allerdings ist in jedem Fall, was über die Karriere von Ammerman berichtet wird: Er hatte ursprünglich Literaturwissenschaft studiert und hatte erfolgreich in einem renommierten Verlag gearbeitet, der ihm schließlich sogar den leitenden Posten für seine europäische Abteilung anbot. Stattdessen ging Ammerman 1967 aber nach England, um sich erneut als Student, diesmal für Archäologie einzuschreiben (1):

"Meine Freunde erklärten mich für verrückt als ich darüber nachdachte, wieder studieren zu wollen," so erinnert sich Ammerman. (...) Ammerman landete schließlich "in Italien, wo ich nach den Ursprüngen des Ackerbaus suchte, wobei ich von 10 Dollar pro Tag lebte, so erzählt er. "Das waren schöne Jahre!"
“My friends told me I was crazy to consider being a student,” Ammerman recalls. His employer had just agreed to make him the new editor in chief of their European operation, with “my own London office and two secretaries.” Instead, Ammerman ended up “in Italy, searching for the origins of agriculture, living on $10 a day,” he says. “Those were the great years.”

Aktualisierung 2011: Um 6.200 v. Ztr. breitete sich der Keramikgebrauch und der Anbau von Getreide, sowie auch die Rinderzucht rund um das gesamte Mittelmeer und auf dem Balkanraum aus. Daß dies auf dem Wege der Schiffahrt passierte, was lange Zeit die Forscher nicht so recht hatten glauben können, ist neuerdings auch durch die Erforschung des ungewöhnlichen Verbreitungsgebietes einer bestimmten Landschnecken-Art über Algerien, Sardinien und Südfrankreich, sowie durch deren früheste molekulargenetische Datierung auf etwa 6.000 v. Ztr. bekräftigt worden (4).

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  1. John Bohannon: Profile: Albert Ammerman - Exploring the Prehistory of Europe, in a Few Bold Leaps, Science, Vol. 317, 13.7.07, S. 188f
  2. Bading, Ingo: Seßhafte Hirtenkulturen besiedeln erstmals die Mittelmeerküsten (5.700 v. Ztr.). Ursprünglich veröffentlicht auf Blog.de, übernommen auf: https://studgen.wordpress.com/2007/01/20/seshafte_hirtenkulturen_besiedeln_erstma1587573/
  3. A.H. Simmons; R.D. Mandel: How Old Is the Human Presence on Cyprus? Science, Vol. 317, 21.9.07, S. 1679
  4. Jesse R, Véla E, & Pfenninger M (2011). Phylogeography of a land snail suggests trans-mediterranean neolithic transport. PloS one, 6 (6) PMID: 21731622

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