Sonntag, 3. Juni 2007

Ostpreußen heute

Das neueste Geo-Heft hat einen Artikel über Deutsche, die heute noch in Ostpreußen leben, also über echte Ostpreußen. (Geo) Dazu ein eigenes Erlebnis, als ich vor 20 Jahren mit Freunden in Ostpreußen Urlaub machte. Damals sind wir auch ganz zufällig auf eine deutsche Bauernfamilie gestoßen, die einheimische Deutsche waren. Es ist das deshalb so ein sprichwörtlich "umwerfendes" Erlebnis, weil diese Menschen eine aussterbende Sprache sprechen, den unwahrscheinlich anrührenden ostpreußischen Dialekt. Damals war die Familie gerade mitten in der Ernte. Aber als plötzlich wildfremder deutscher Besuch vor der Haustür stand, wurde dieser wie selbstverständlich gleich mit an die überladenen Tische "genötigt". Die blonde Bauersfrau sprach noch deutsch, ihre fünf bildhübschen Töchter konnten nur polnisch, ebenso wie ein anwesender polnischer Erntehelfer. Aber die Stimmung war prächtig.

Das Erlebnis ging uns noch lange nach, als wir unter den schattigen masurischen Eichenalleen weiterradelten irgendwo hin Richtung Allenstein, ins Abendrot hinein. War das nicht im Ermland? Auf den Hof waren wir gestoßen, weil wir am Straßenrand ein Schild gesehen hatten, auf dem auf deutsch das Wort "Honig" stand. In jenen Jahren war das Buch "Nicht nur die Steine sprechen deutsch" von dem Journalisten-Ehepaar Ruge erschienen, das einen über die Oder lockte auf Entdeckungsreise.

Der Geo-Artikel ist von Petra Reski, einer erst lange nach 1945 in den Westen ausgereisten Ostpreußin verfaßt, die mit vielen anderen ausgereisten Verwandten zur Goldenen Hochzeit von Onkel und Tante in die Heimat zurückgefahren ist und darüber berichtet. Einige Auszüge:
... Schau hier, sagt Josef und zeigt mir ein Foto seines Vaters, eines, das ihm nach langer Zeit wieder in die Hände gefallen ist, wie ein sepiafarbenes Beweisstück für des Vaters Existenz. Er kam irgendwo bei Königsberg ums Leben, seine Leiche wurde nie gefunden. Vielleicht ist das der Grund, weshalb Josef das Grab des deutschen Soldaten in seinem Gemüsegarten nie beseitigt hat - jenes jungen Soldaten, den man enthauptet in der Jauchegrube gefunden hat. Ein Grab, das Josef so liebevoll pflegt wie das eines Verwandten.

(...) Seine Söhne sind still, wenn Josef von der Flucht erzählt. Flüsternd erzählt er die gleichen Geschichten, die auch mein Großvater flüsternd erzählt hat.

(...) Die Ehe von zwei Ostpreußen, die bis heute Polnisch mit deutschem Akzent sprechen. Das Leben mit sechs Kindern, in einem polnischen Dorf, das selbst nach dem Krieg fast nur von Deutschen bewohnt war. (...) Dann steht Monika auf den Stufen vor der Kirche, mit 50 roten Rosen im Arm. Ganz Alt Schöneberg gratuliert, mitsamt seinen letzten Ostpreußen.

(...) Manchmal, wenn ich meinen Onkel im Sommer besuche, sagt Josef zu mir: Gut, dass du mich noch hast, damit du kommen kannst, die Hejimat gucken. (...) Wie mecht’ sich das Leben gestalten, wenn wir hier geblieben wären? Das Haus, in dem sie in Allenstein wohnten, ist abgerissen worden, die Fleischerei, in der Erika arbeitete, gibt es nicht mehr. Ich wärr arrbejitslos, sagte Erika. Und du auch. Und ihr Mann sagte nur: Seji still, seji still!

(...)

Noch während des Kuchenessens wird der Rundgesang angestimmt, exakt jener, der mich meine Jugend hindurch verfolgt hat: Nun, liebe Petra, sing eijn Lied! Nie fiel mir ein Lied ein, weshalb ich mit hochrotem Kopf dasaß, während die ganze Festgesellschaft spöttisch schmetterte: Sie blättert noch im Notenbuch! Sie präpariert sich immer noch! Schließlich führt Josef Monika auf die Tanzfläche, und seine Kinder singen auf Polnisch das Lied "Przezylam z toba tyle lat": Mit dir hab ich so viele Jahre verbracht. Und plötzlich fangen alle an zu weinen. Alle singen und weinen, und ich, ich weine auch. Draußen ist sternenhelle Nacht. Und Josef sagt: Menschen finden sich.

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