Sonntag, 17. Juni 2007

"Fernhalteprämie vom Arbeitsmarkt für Mütter"

"Fernhalteprämie vom Arbeitsmarkt für Mütter" - diesen Spruch muß man sich erst mal auf der Zunge zergehen lassen: "Fernhalteprämie vom Arbeitsmarkt für Mütter". Noch einmal: "Fernhalteprämie vom Arbeitsmarkt für Mütter".

Oh, ich versuche zurückhaltend zu bleiben. Und nicht in blasphemische Zornausbrüche zu geraten. Ok ... ruhig bleiben. Ganz ruhig.

Mir liegt vor:

Butterwegge, Christoph/Klundt, Michael (Hg.): Kinderarmut und Generationengerechtigkeit. Familien- und Sozialpolitik im demographischen Wandel. Leske & Budrich, Opladen 2002

Ein vielgelesener Schinken aus der UB - viele Bleistift-Anmerkungen in den letzten fünf Jahren. Sehr lobenswert. Zeugt von großem Fleiß. Zum Beispiel steht da auf Seite 214 an den Rand geschrieben nebem dem Buchtext "Es wird eine klare und leicht handhabbare Lösung empfohlen: ein ausreichendes Erziehungsgehalt oder -entgelt soll - zahlbar bis zum Ende der Schulpflicht von Kindern - die Bereitschaft zur Übernahme von Erziehungsverantwortung stärken und Eltern eine Alternative zur Erwerbsarbeit und außerhäuslichen Kinderbetreuung erschließen." Zu diesem Buchtext also hat eine freundliche Leserin oder ein freundlicher Leser (die Schrift sieht eher weiblich aus) geschrieben: "aber: Förderung des Hausfrauendaseins". Na. Da wird ja in den Soziologie-Seminaren sehr altklug diskutiert worden sein.

Zwei Beiträge sind es jedenfalls, die in diesem Band zunächst besondere Aufmerksamkeit erregen:

Ebert, Thomas: Beutet der Sozialstaat die Familien aus? - Darstellung und Kritik einer politisch einflußreichen Ideologie (S. 99ff) und:

Stolz-Willig, Brigitte: Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit oder:Familienarbeit neu bewerten - aber wie? (S. 213ff)

Nachdem ich beide Artikel (an-)gelesen habe, wird mir klar, daß es gegen ein Elterngehalt im Grunde keine vernünftigen Argumente gibt. Die genannte Bleistift-Anmerkung ist eigentlich alles, was dagegen vorgebracht wird. Und ist das ein Argument? Oder ist es Ideologie? - Man muß sich nur erst einmal die Argumente angesehen haben, und erkennt sofort, wie schwach und ärmlich sie sind, auf welchen dünnen, ja absurden Füßen sie stehen.

Das wichtigste Stichwort: "Erziehungsgehalt"

Das Schöne an den Beiträgen ist aber, daß sie die Literatur und die Stichworte nennen, die man konsultieren muß, wenn man sich über die Diskussion zu dieser Thematik auf dem Laufenden halten will. Das wichtigste Stichwort lautet "Erziehungsgehalt". Unter diesem Stichwort läuft die Diskussion. (Wikipedia) Ich würde es lieber Elterngehalt nennen. Denn es soll deutlich werden, daß es Müttern wie Vätern gleichermaßen zusteht. Außerdem ist Erziehung nicht das Einzige - vielleicht noch nicht einmal das Vorwiegende, was geschieht, wenn man Kinder aufzieht. Sie müssen gewickelt werden, gebadet werden, getröstet werden, man muß ihnen Einschlaflieder singen, sie wollen etwas vorgelesen bekommen, man muß ihnen Essen zu bereiten, man muß mit ihnen spazieren gehen, man muß - im Grunde meist - "nur" aufpassen, daß sie keinen Blödsinn anstellen, nicht sich und andere gefährden. "Erziehung" im engeren Sinne ist wohl bei all dem noch das Allergeringste. Im Grunde ist eine solche Benennung wiederum ein Ausfluß, ein Kennzeichen von "Verkopfung" unserer Gesellschaft, die gar nicht mehr realisiert - wie das schon Friedrich Hölderlin wußte -, daß Kinder im wesentlichen wie Pflanzen aufwachsen. Man muß sie begießen, sie brauchen Licht und Sonne. Aber wenn sie das haben, können sie von allein wachsen. Man soll ihre zarten Blätter nicht dauernd betasten und befühlen. Deshalb bleibe ich bei meinem Wort Elterngehalt. Es ist - quasi - im Wesentlichen ein "Gärtner-Gehalt". (Das Wort steckt ja auch im Wort Kindergarten drin, merke ich grade ... ;-) )

Ruhig bleiben, ganz ruhig bleiben ...

Wikipedia ist nun schon etwas einseitig ideologisch vorprogrammiert, was diesen Eintrag zu "Erzieungsgehalt" betrifft. Aber es bringt halt doch sehr aktuelle Literaturverweise. Und da entdecke ich als erstes die Überschrift: "Fernhalteprämie vom Arbeitsmarkt für Mütter". Ok. Also ... Weiter versuchen, ruhig zu bleiben. Ganz ruhig. Was steht denn in dem Artikel drin, einem Artikel vom renommierten "idw - Informationsdienst Wissenschaft"? (idw) "Erwerbswillige Zweitverdiener", "Fachkräftemangel", Reduktion der "Einnahmeeffekte für die öffentliche Hand" (wenn Eltern bei Kindern bleiben). "Verringerung des Fachkräftemangels im demografischen Wandel". Die Formulierung, die mir die Zornader schwillen läßt, stammt von "Bildungsökonom Dr. Dieter Dohmen". Ok. Lieber Herr Dr. Dohmen. Ok. ... Ruhig bleiben. Ruhig. Abschließend wird er zitiert mit den Worten:

"Das von den Befürwortern des Erziehungsbonus' dafür ins Feld geführte Gerechtigkeitsargument ist vorgeschoben. Nicht erwerbstätige Ehefrauen werden in beträchtlichem Umfang auch heute schon durch indirekte staatliche Leistungen unterstützt. Der Erziehungsbonus verstärkt die bestehende Subventionierung nur noch."

Ja. Und dazu schlage ich vor, daß man einfach allen staatlichen Familien-Förderungs-Wirrwarr streicht und dann
1. den reinen materiellen Unterhalt der Kinder staatlich sicherstellt (was heute wohl schon sowieso in weiten Teilen sichergestellt ist - halt durch "Wirrwarr") und
2. zusätzlich ein vollkommen reguläres Elterngehalt einführt.
Wir werden ja dann sehen, ob die derzeitige Lösung gerecht ist oder ob die dann eingeführte Lösung nicht um einiges gerechter ist.

Das "Gerechtigkeitsargument" - vorgeschoben?

Derzeit ist die Gerechtigkeitsfrage - offenbar - gar nicht so schnell zu klären, weil all die "Ökonomen" völlig den Überblick verloren haben, bzw. noch nie richtig versucht haben, ihn zu gewinnen, sich auf einen gemeinschaftlichen Überblick zu einigen. (Siehe frühere St. g.-Beiträge.)

Soweit ich sehe, wird jeder moderne Arbeitsmarkt durch Lohne und ihre Höhe reguliert. Das ist Thema fast jeder zweiten oder dritten Nachricht in Presse und Rundfunk. Also. Dann wendet das für die Mütter und Väter an, die ihr auf dem Arbeitsmarkt braucht. Was mich aber eben immer wieder am meisten ekelt, ja ekelt, an all den Äußerungen von "Bildungsökonomen" das ist, daß eben - und hier nur wieder allzu kraß - mit dem augenblicklichen ökonomischen Nutzen argumentiert wird. Weder wird auf die langfristige Stabilität einer hochkomplexen arbeitsteiligen Gesellschaft Rücksicht genommen, ausreichend Rücksicht genommen (die eben nur durch Kinderzahlen zu sichern ist), noch aber - was im Grunde viel schlimmer ist - auf irgendein Kindeswohl, auf irgendeinen Kinderwillen. Das taucht überhaupt nicht auf!

Kinder wollen nicht Eltern, die arbeiten. Kinder wollen Eltern. Und sie allein, diese Kinder werden die Eltern und Großeltern künftiger Facharbeiterinnen und Facharbeiter sein. Sie sollen mit Freude in das Leben hineingehen. Sie sollen Urvertrauen dem Leben gegenüber gewinnen. Sie sollen bindungsfreudige, bindungsfähige, nicht bindungsängstliche und bindungsunfähige Menschen werden. Sie sollen mutig sein. Sie sollen später "Männer- und Frauenstolz vor Königsthronen" (Schiller) beweisen. Sie sollen also in ihrer Kindheit möglichst wenig beunruhigt werden durch die Bedingungen, in denen sie aufwachsen. Sie brauchen Ruhe und streßfreie Zonen. Sie brauchen: liebende, verständnisvolle Eltern.

"Kinder vor dem Fernseher"

Oh ja, das Kindeswohl taucht dann auf, wenn man Geld sparen und Eltern verunglimpfen will. Das bei Wikipedia zitierte Handelsblatt läßt den CDU-Familienminister von Nordrhein-Westfalen, Herrn Armin Laschet, in die gleiche Kerbe hauen wie seine Bundesfamilienministerin: „Da droht die Gefahr, dass Eltern aus sozial schwachen Schichten und Eltern mit Migrationshintergrund das Geld behalten, um ihr Einkommen aufzubessern, und ihre Kinder vor den Fernseher setzen.“

Frau von der Leyen hat es mit Zigarettenautomaten und Kneipen, Herr Laschet hat es mit dem Fernseher. Wie toll! - Wenn der Staat seine Bürger im Bildungssystem auch nicht auf Elternschaft vorbereitet, wenn er nicht Verantwortungsbewußtsein fördert, wenn er den Menschen nicht "Daseinskompetenzen" vermittelt, die das klare Wissen beinhalten, daß Fernsehen nichts für Kinder ist, wenn er überhaupt eine Medienpolitik betreibt, die unter aller Sau ist - mit Verlaub gesagt - ja, dann muß er Eltern so "infantilisieren", wie er es mit einer solchen Argumentation tut. Aber mal ganz andere Frage: Wenn der Staat den Eltern nicht mehr zutraut, Kinder richtig aufzuziehen, wie will er ihnen dann zutrauen, die richtigen Politiker zu wählen? Sollte er dann nicht auch das allgemeine Wahlrecht abschaffen? Kein Wahlrecht für Eltern! Es besteht Gefahr, daß sie die falschen Parteien wählen. - Mit Verlaub gefragt. Das sind also ganz und gar undemokratische, bevormundende Argumentationsweisen.

Der Staat kann von jenen Menschen, denen er ein Erziehungsgehalt, ein Elterngehalt bezahlt, verlangen, daß sie ihre Befähigungen vorweisen und sich auf diese immer wieder prüfen lassen. Wie das in jeder sozialen Einrichtung geschieht. Er kann verlangen, daß die Eltern ihrer Erziehungspflicht in ordentlicher Weise nachkommen. Er kann das aber nur tun, wenn er auch selbst seinen Pflichten zum Schutz der Kinder vor Kinder- und Jugendgefährdung nachkommt. Solange der Staat selbst hier seine Pflichten nicht erfüllt, hat er keinerlei Recht, bevormundend gegenüber Eltern aufzutreten.

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1. Ebert, Thomas: Beutet der Sozialstaat die Familien aus? - Darstellung und Kritik einer politisch einflußreichen Ideologie. In: Butterwegge, Christoph/Klundt, Michael (Hg.): Kinderarmut und Generationengerechtigkeit. Familien- und Sozialpolitik im demographischen Wandel. Leske & Budrich, Opladen 2002, S. 99ff
2. Stolz-Willig, Brigitte: Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit oder:Familienarbeit neu bewerten - aber wie? In: Butterwegge, Christoph/Klundt, Michael (Hg.): Kinderarmut und Generationengerechtigkeit. Familien- und Sozialpolitik im demographischen Wandel. Leske & Budrich, Opladen 2002, S. 213ff

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