Montag, 10. Oktober 2022

Ein griechisches Heer klassischer Zeit - Seine Genetik

- Es wies eine große genetische Vielfalt auf
- "The diverse genetic origins of a Classical period Greek army", so lautet eine neue Forschungsstudie der Archäogenetik (1, 2)
- Söldnertruppen aus vielen Teilen Europas verteidigten die griechische Freiheit auf Sizilien gegen die Großmacht Karthago (480 v. Ztr.)

480 v. Ztr.: In der Seeschlacht vor Salamis schlagen die antiken Griechen aus Attika, von der Peloponnes und aus Mittelgriechenland das persische Großreich und bewahren die griechische Freiheit. Im gleichen Jahr - das ist nicht so tief im kulturellen Gedächtnis verankert - schlagen die antiken Griechen auf Sizilien in der Landschlacht von Himera das karthagische Großreich und bewahren die griechische Freiheit auf der Insel Sizilien und im westlichen Mittelmeerraum.

Abb. 1: Jüngling, der eine Lampe trägt, 5. Jhdt. v. Ztr.; gefunden im "Haus des Epheben" in Pompeji 1925/27 (Wiki)

Die Zeit der klassischen griechischen Kultur beginnt genau in diesem Jahr 480 v. Ztr. mit ihrem "ernsten Stil", geboren in der Erschütterung der Bedrohung zu Lande und zu Wasser, von West und von Ost - und geboren in der Erschütterung über den schlußendlichen Sieg (Abb. 1). 

Schon vor zwei Jahren haben wir uns hier auf dem Blog mit den beiden Schlachten von Himera 480 und 409 v. Ztr. auf Sizilien beschäftigt (Stgen2020). Denn von beiden Schlachten sind zwischen 2008 und 2011 mehrere Massengräber entdeckt worden. Schon vor zwei Jahren war angekündigt worden, daß bald genetische Sequenzierungen der dort bestatteten Krieger veröffentlicht werden würden. 

Diese Veröffentlichung liegt seit zwei Tagen vor (1, 2). 

Die meisten sequenzierten Bestatteten beider Schlachten wiesen das typische Herkunftsprofil antiker Griechen der Ägäis auf wie wir es in den letzten Beiträgen hier auf dem Blog behandelt haben. Zum Teil vermischt mit lokalen Einwohnern auf Sizilien (1):

Die meisten Einwohner von Himera, die mit den Schlachten in Verbindung stehen, liegen genetisch nahe bei Individuen aus dem spätbronzezeitlichen Griechenland. (...) Das gilt für sieben der 16 sequenzierten Krieger aus der Schlacht von 480 v. Ztr. und alle fünf Krieger aus der Schlacht von 409 v. Ztr..
Most Himerans associated with the battles can be found clustering on the PCA closely with individuals from the Greece_LBA, consistent with a major contribution of individuals of primarily Greek ancestry in the Himeran forces and substantial genetic continuity between the LBA period in Greece and fifth-century-BCE Greek colonies in Sicily. These soldiers with at least some Greek ancestry could have been inhabitants of the colony or supporting armies from other colonies, such as Syracuse. Seven of the 16 soldiers of the 480 BCE battle (Sicily_Himera_480BCE_1) and all 5 of the soldiers of the 409 BCE battle (Sicily_Himera_409BCE) are part of this main genetic cluster.

Die neun anderen der 16 sequenzierten Krieger von 480 v. Ztr. weisen andere Herkunftsprofile auf. Zwei Individuen hatten Herkunft aus dem Mittelmeerraum vermischt mit Herkunft aus Mitteleuropa (also annäherungsweise keltische Herkunft). Ihre Y-Chromosomen stammten vom Balkan. 

Zwei sequenzierte Krieger standen genetisch heutigen Bevölkerungen im östlichen Ostseeraum (!) nahe. Sie waren also im weitesten Sinne "germanischer" Herkunft. Mit dieser Erkenntnis hat auf den ersten Blick niemand gerechnet. Daß in einer Schlacht am Beginn des klassischen antiken Griechenlands "germanische" Söldner mitgekämpft und mitgesiegt haben. 

Die Söldner waren: Kelten, Germanen, Skythen, Armenier

Um die Überraschung zu verstehen, muß man ja nur bedenken, daß der berühmte Zug der Kimbern und Teutonen, mit denen die Germanen erstmals die "Bühne der Weltgeschichte" betraten, erst um 120 v. Ztr. von Jütland aus nach Süden aufgebrochen ist. Aus welchen germanischen Stämmen stammten diese vor Himera gefallenen Krieger? Woher können genetisch den Germanen nahestehende, auf Sizilien kämpfende Söldner um 480 v. Ztr. hergekommen sein? Waren es - zum Beispiel - germanische Stämme, die mit den Dakern in Siebenbürgen in guter Verbindung standen (wie es über die Daker gelegentlich berichtet worden ist)?

Zwei weitere Individuen unter den gefallenen Kriegern standen genetisch eisenzeitlichen Steppenbevölkerungen nahe. Es wird sich also - in erster Annäherung - um Skythen oder Sarmaten gehandelt haben:

Ihre Herkunft setzt sich zusammen aus etwa 85 bis 89 % eisenzeitlicher zentraler Steppen-Herkunft und 11 bis 15 % Ägäis-Herkunft.
Their ancestry is consistent, with around 85–89% deriving from IA Central steppe nomads and 11–15% from an Aegean-like source.

Also womöglich handelt es sich um Skythen Nordschwarzmeerküsten, die sich zum Teil mit den dort wohnhaften Einwohnern der griechischen Kolonien vermischt haben. So möchte man in erster Annäherung vermuten. Sie weisen sogar kleine Anteile Han-chinesische Herkunft auf. Es dürfte sich also um östliche Skythen handeln, die schon vergleichsweise früh an die Nordufer des Schwarzen Meeres gewandert sind.

Ein Individuum stammte aus den damaligen Völkschaften Armeniens, also aus dem Machtbereich des Perserreiches.

Aufgewachsen sind alle diese Krieger nicht-mediterraner Herkunft auch außerhalb des Mittelmeer-Raumes. Das hatte die Strontium-Isotop-Analyse ihrer Zähne schon zuvor aufzeigt. Zur Einordnung in den bisherigen Kenntnisstand durch die Schriftquellen schreiben die Autoren (1):

Es ist gut bezeugt, daß die Heere der Punier wie die von Karthago oft Söldnertruppen anheuerten. Und es ist sehr wahrscheinlich, daß griechische Tyrannen auf Sizilien dasselbe taten. (...) Sizilien war ein besonders attraktiver Ort für Söldner, da dort viele griechische Städte von Tyrannen beherrscht wurden, die fähig waren, jenen Umfang an Zahlmitteln zusammen zu bekommen, der notwendig sind, um Söldner-Truppen unterhalten zu können, und die normalerweise eine Leibwache benötigen, um die Kontrolle über die Stadt zu behalten. Einige Söldner wurden gemäß ihres Ansehens rekrutiert aus Gegenden, die für bestimmte Fähigkeiten bekannt waren so wie die Bogenschützen aus Skythien und die Peltasten (leichte Fußsoldaten) aus Thrakien.
It is well documented that Punic armies, such as Carthage, often used mercenary armies (8, 42), and it is likely that Greek tyrants on Sicily did the same. (...) Sicily was a particularly attractive destination for mercenaries, as many Greek poleis on Sicily were governed by tyrants capable of extracting the kind of wealth needed to fund armies of mercenaries and usually in need of bodyguards to maintain their control (43, 77, 78). Some mercenaries reputedly were recruited from areas famed for particular skills, such as archers from Scythia (36) and peltasts from Thrace (79).

Vielleicht waren ja die Pelasten aus Thrakien "germanischer" Herkunft. Weiter lesen wir (1):

Der Tryann von Syracus hatte 7.000 ausländische Söldner in seinem Dienst, denen 466 v. Ztr. das Bürgerrecht zugesprochen worden ist. So berichtet es Diodorus Siculus.
Diodorus Siculus writes of 7,000 foreign mercenaries in Syracusan tyrant Gelon’s employ (some of whom may have participated in the battle of 480 BCE) who were granted citizenship in 466 BCE (Diod. 11.72.3) (75). 

Damit kann gefolgert werden, daß (auch) Söldner germanischer Herkunft (wenn sie nicht zuvor in Schlachten gefallen waren) schon um 466 v. Ztr. Bürgerrecht in einer griechischen Polis erlangen konnten. Allerdings waren die Söldner von Auswärts 480 v. Ztr. in größeren Massengräbern bestattet worden als die Krieger, die aus Sizilien selbst stammten und dort aufgewachsen waren (1):

Individuals with “foreign” ancestry, all of whom also are identified as nonlocal on the basis of isotopic evidence (Fig. 3 and Dataset S2), were interred in larger mass graves Nos. 1–4, and individuals with genetic affinities to other Greek populations were interred in the smaller mass graves Nos. 5–7. 

Die geschichtliche Bedeutung angeworbener Söldner wird in einem guten Bericht der Süddeutschen Zeitung zu diesen Forschungen folgendermaßen auf den Punkt gebracht (2):

Die Studie belegt, daß eigens angeworbene Kämpfer in Kriegen mitunter eine entscheidende Rolle spielen konnten: Während das von Söldnern unterstützte griechische Heer 480 v. Chr. den Sieg davontrug, unterlag das rein griechische Heer gut 70 Jahre später gegen eine karthagische Söldnerarmee.

Die Söldner hatten laut Studie auch ein jüngeres Durchschnittsalter als die einheimischen Krieger. Was auch noch einmal deutlich macht, daß in einem griechischen Bürgerheer viele Altersklassen mitkämpften.

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  1. Reitsema LJ, Mittnik A, (...) Lazaridis I, Patterson N, Ringbauer H, Caramelli D, Pinhasi R, Reich D (2022) The diverse genetic origins of a Classical period Greek army. PNAS 119, e2205272119 (pdf)
  2. Willems, Walter: Griechen rekrutierten Söldner aus weiter Ferne, 4.10.2022, https://www.sueddeutsche.de/wissen/antike-griechenland-sizilien-himera-soeldner-1.5668442

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