Mittwoch, 6. Juli 2022

Lepenski Vir - Ein Fischerdorf, von ersten europäischen Bauern errichtet

Frühneolithische Bauern treffen am Donaudurchbruch des Eisernen Tores auf einheimische Fischer, Jäger und Sammler (6.200 v. Ztr.)

Wir wollen hier festhalten, daß vor einer Woche, am 28. Juni, eine neue archäogenetische Studie zur berühmten "mesolithischen" Siedlung von Lepenski Vir (6.200 bis 5.900 v. Ztr) (Wiki, engl, Com.) nahe des Donaudurchbruchs in Serbien erschienen ist (1). Fünf Tage später erschien zu demselben Fundort eine zweite Studie von einer Untergruppe der Autoren der ersten Studie (2). In dieser zweiten Studie wird schon im Titel konkreter und präziser auf Schlußfolgerungen aufmerksam gemacht, die vermutlich aus beiden Studien gezogen werden können: "Ist das Fischerdorf von Lepenski Vir von den ersten europäischen Bauern errichtet worden?" (2)

Abb. 1: Die Häuser von Lepenski Vir weisen trapezoiden Grundriß auf und sind zum Fluß hin geöffnet, in der Mitte eine Feuerstelle, in den Wänden wurden - so wie in der Ägäis - Tote bestattet (Wiki)

Der Donaudurchbruch am Eisernen Tor in Serbien, der sich über zig Kilometer durchs Gebirge hinzieht, war bis ins 20. Jahrhundert hinein wegen der schnellen Strömung für die Schiffer gefährlich zu befahren. Es scheint, als wäre die Siedlung Lepenski Vir in vorgeschichtlicher Zeit nur entweder über den Fluß hinweg zu erreichen gewesen oder entlang eines schmalen Pfades durch die Berge. Lepenski Vir ist nach einer Siedlungsunterbrechung von 3000 Jahren um 6.200 v. Ztr. wieder besiedelt worden, und zwar mit ersten Häusern mit trapezoidem Grundriß und einem besonders ausgelegten Fußboden (Abb. 1). Erst ab 5.900 v. Ztr. finden sich domestizierte Tiere am Fundort. Eine gewöhnliche Landwirtschaft konnte an diesem Fundort nicht stattfinden, da dafür das Hinterland mit Lößböden fehlt.

Man kann also davon ausgehen, daß es sich um eine Art "Außenstation" der Starcevö-Körös-Kultur gehandelt hat, die sich in dieser Zeit über den ganzen Balkan ausgebreitet hat. Als "Außenstation" mag sie provisorischeren Charakter aufgewiesen haben als die Siedlungen dieser Kultur sonst. Und es mag in den ersten Generationen mehr Vermischungen mit einheimischen Jägern und Sammlern gegeben haben als das sonst für die Starcevö-Körös-Kultur beobachtet werden kann.

Die Häuser mit trapezoidem Grundriß waren zum Fluß hin ausgerichtet und wiesen in der Mitte eine Feuerstelle auf. Mitunter war an den Rand der Häuser oder der Feuerstelle ein Stein mit einem menschenähnlichen Gesicht aufgestellt, der einen fischartigen Mund aufwies. Womöglich war damit eine Flußgottheit dargestellt ("ancestor statues"). Diese Steine stellen das "Leitmotiv" der Kultur von Lepenski Vir dar. Sie muten sehr urtümlich an. In den Wänden der Häuser wurden - so wie damals auch in der Ägäis und in Anatolien - die Toten bestattet.

Wir haben ja schon bei den bis ins 20. Jahrhundert "mesolithisch" lebenden Mansen und Chanten in Westsibirien hier auf dem Blog gesehen, wie es bei ihnen geradezu für jede gejagte Tierart eine eigene Gottheit gab, die in Schreinen oder eigenen Häusern in Festen als "Besucher" verehrt wurden (z. B. im "Bärenfest"). Es ging darum, sich die jeweilige Gottheit dieser Tierart, der man sich selbst nah verwandt fühlte, die man als "Bruder" empfand, als "Verwandten" empfand, gewogen zu halten. Ähnliches könnte in Lepenski Vir vorgelegen haben.

Es wird in der Zusammenfassung der zweiten neuen Studie im Gegensatz zum bisherigen Forschungsstand ausgeführt (2):

Auch hier stehen Hausbau, frühe Dorfgesellschaft und Ackerbau vornehmlich in Verbindung mit den ersten europäischen Bauern, womit eine lange angenommene Deutung von Lepenski Vir als einer mesolithischen Gemeinschaft, die neolithische Praktiken übernommen hätte, widerlegt wird. Eine genaue Beachtung der Zeitabfolge der Bevölkerungsveränderungen am Fundort legt nahe, daß die ägäischen Ankömmlinge nicht einfach in eine bestehende mesolithische Gesellschaft integriert wurden, sondern daß sie viel eher neue Linien und Haushalte begründeten. Die Mesolithiker am Eisernen Tor und ihre vermischten Nachkömmlinge scheinen vornehmlich abgetrennt an den Rändern der Siedlung bestattet worden zu sein, ihre Ernährung zeigt keine wesentliche Verschiebung von Fischverzehr hin zu häufigerem Pflanzen- und sonstigem Tierverzehr.
Here too, house construction, early village society and agriculture were primarily associated with Europe's first farmers, thus challenging the long-held interpretation of Lepenski Vir as a Mesolithic community that adopted Neolithic practices. A detailed timeline of population changes at the site suggests that Aegean incomers did not simply integrate into an established Mesolithic society, rather founded new lineages and households. Iron Gates foragers and their admixed descendants appear to have been buried largely separately, on the fringes of the settlement, their diet showing no major shift from aquatic to terrestrial food resources.

Mesolithiker am Eisernen Tor - Eine eigene Untergruppe der westeuropäischen Jäger und Sammler

Über die ursprüngliche Genetik der Mesolithiker vor Ort wird ausgeführt (2):

Eine Studie von Marchi et al. zeigte jüngst, daß sich die südosteuropäischen Jäger und Sammler von den mittel- und westeuropäischen Jägern und Sammlern vor 23.000 Jahren getrennt hatten. (...) Unsere Analysen bestätigen, daß die Populationen am Eisernen Tor vor der Ankunft des Ackerbaus im Zentralen Balkan nicht zu denselben Heiratsnetzwerken gehörten wie die ägäischen und anatolischen Populationen.
A recent study by Marchi et al. has shown that southeastern European hunter-gatherers were separated from the central and western European hunter-gatherers since ~23 thousand years ago (Marchi et al., 2022; Mathieson et al., 2018). (...) Our analyses confirm that Iron Gates populations were not part of the same mating networks as Aegean and Anatolian populations before the advent of agriculture in the Central Balkans (Mathieson et al., 2018).

Aus den genannten Gründen werden die Jäger und Sammler am Eisernen Tor, die in dieser Studie behandelt werden, als jene vom Eisernen Tor bezeichnet, nicht als "westeuropäische Jäger und Sammler" - obwohl sie insgesamt gesehen zu dieser großen Völkergruppe der westeuropäischen Jäger und Sammler hinzuzuzählen sind.

Menschen mit vermischer Herkunft (mesolithischer vom Eisernen Tor und neolithischer von der Ägäis) gibt es in Lepenski Vir nur etwa 300 Jahre lang, also zwischen 6.200 v. Ztr. und 5.900 v. Ztr.. Danach findet sich vor Ort mesolithische Herkunft höchstens noch in wenigen Prozentsätzen (2). 

Abb. 2: Siedlungsgrenzen ("frontiers") bei der Ausbreitung des Ackerbaus in der Ägäis zwischen 9.500 und 5.500 v. Ztr. (aus 2)

In der Studie findet sich außerdem noch eine interessante Grafik, auf der Siedlungsgrenzen ("frontiers") bei der Ausbreitung des Ackerbaus zwischen 9.500 und 5.500 v. Ztr. dargestellt sind (Abb. 2). Für die Zeit ab 5.700 v. Ztr. wäre auf dieser eine weitere Siedlungsgrenze in der Region nördlich von Wien einzutragen (Bandkeramiker).

Immer mehr wird der Forschung bewußt, daß es sich bei der Ausbreitung des Ackerbaus um demographische Ausbreitung entlang von Siedlungsgrenzen ("Frontiers") handelt, das heißt, mehrheitlich nicht um weiträumige "Wanderungsbewegungen".

Das äußere Erscheinungsbild der Neuankömmlinge am Eisernen Tor glich dem der Neuankömmlinge auch sonst in Europa. Zu ihm wird ausgeführt (1):

Die neolithischen Individuen am Eisernen Tor waren von ihrer Körpergröße her kleiner und neigten dazu, hellere Pigmentierungen aufzuweisen als die einheimischen Mesolithiker.
Neolithic individuals (in the Danube Gorges) were smaller and tended to have lighter pigmentation than indigenous foragers.

Das betrifft Haut-, Augen- und Haarfarbe (1):

Hellere Hautfarbe, blauere Augen, lichtere Haarfarbe und dünnere Haare.
Lighter skin pigmentation, bluer eyes, lighter hair pigmentation and lighter hair shade.

So die kennzeichnenden Körpermerkmale für die Nachkommen der Bauern aus der Ägäis.

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  1. Between fishing and farming: palaeogenomic analyses reveal cross-cultural interactions triggered by the arrival of the Neolithic in the Danube Gorges. Zuzana Hofmanová, Carlos S. Reyna-Blanco, Camille de Becdelièvre, Ilektra Schulz, Jens Blöcher, Jelena Jovanović, Laura Winkelbach, Sylwia M. Figarska, Anna Schulz, Marko Porčić, Petr Květina, Alexandros Tsoupas, Mathias Currat, Alexandra Buzhilova, Fokke Gerritsen, Necmi Karul, George McGlynn, Jörg Orschiedt, Rana Özbal, Joris Peters, Bogdan Ridush, Thomas Terberger, Maria Teschler-Nicola, Gunita Zariņa, Andrea Zeeb-Lanz, Sofija Stefanović, Joachim Burger, Daniel Wegmann - 28.6.2022 (pdf), https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2022.06.24.497512v1
  2. Was fishing village of Lepenski Vir built by Europe's first farmers? Maxime Nicolas Brami, Laura Winkelbach, Ilektra Schulz, Mona Schreiber, Jens Bloecher, Yoan Diekmann, Joachim Burger bioRxiv 2022.06.28.498048; doi: https://doi.org/10.1101/2022.06.28.498048, https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2022.06.28.498048v1

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