Dienstag, 12. April 2022

Ein feuchtes Klima begünstigte die Frühphase der Geschichte der Indogermanen in der Steppe (4.800 bis 3.000 v. Ztr.)

Herdenhaltung in der Steppe und darauf beruhende Völker - Sie waren abhängig von günstigen klimatischen Bedingungen

Eine neue Studie hat die chemische Zusammensetzung des Zahnsteins von Zähnen aus menschlichen Skeletten der archäologischen Kulturen im Kaukasus und nördlich davon, sowie die Veränderungen derselben über sechstausend Jahre hinweg untersucht (1). Der Verzehr von Milchprodukten einer bestimmten Tierart hinterläßt im Zahnstein jeweils eine ganz bestimmte chemische Signatur.

Und in diesem Zusammenhang wird einem die Erkenntnis deutlicher: Die Entstehung des Urvolkes der Indogermanen und die ersten Phasen der Geschichte der Indogermanen in der Nordschwarzmeer-Steppe sind womöglich durch günstige klimatische Bedingungen daselbst begünstigt worden, die es in dieser Region nicht immer gegeben hat. Zumindest nicht in der Zeit zwischen 1700 und 900 v. Ztr. (Abb. 1e).

Abb. 1: Verzehr von Milchprodukten im Kaukasus und in der Steppe 4.400 v. Ztr. bis 200 n. Ztr. (aus: 1)

Wenn im folgenden von Milchproteinen von Schafen, Ziegen, Rindern und Pferden die Rede ist und von davon abgeleiteten Ernährungsgewohnheiten, muß man im Auge behalten, daß damit nur ein Ausschnitt aus der Gesamternährung betrachtet wird. Beispielsweise haben die Urindogermanen, zumindest solange sie an den Ufern der Wolga gelebt haben, bekanntlich sehr viel Fisch gegessen. Auch der Verzehr von Fleisch, Getreide, Gemüse und Obst wird dabei nicht berücksichtigt.

Außerdem gilt es zu beachten, daß wenn nur Milchprodukte einer bestimmten Tierart von Menschen konsumiert werden, das nicht heißt, daß Tiere, deren Milchprodukte nicht konsumiert werden, nicht dennoch auf andere Weise in der Kultur, in der Wirtschaft und in der Nahrungsmittelversorgung eine Rolle gespielt hätten, etwa als Zug- und Prestigetiere oder als Fleischlieferanten.

Ab 4.400 v. Ztr. haben die Urindogermanen nun offenbar laut dieser Studie an den Nordhängen des Kaukasus und an seinem Fuße (im "Piedmont") die Gewohnheit verbreitet, Milchprodukte von Schafen zu verzehren (Abb. 1a). Diese Gewohnheit hat es in dieser Region zuvor nicht gegeben. Und sie blieb als solche - beschränkt auf Schafsmilch - erhalten bis 2.800 v. Ztr..

Ab 4.400 v. Ztr. - Schafsmilch-Produkte

Die Urindogermanen trafen hier mit den Bauernkulturen des Kaukasus iranisch-anatolisch-neolithischer Herkunft zusammen und errichteten ihre zum Teil riesigen Kurgane (Grabhügel).

Woher aber stammt nun ursprünglich die Milchwirtschaft, sprich der Verzehr von Milchprodukten? Am Marmarameer hat man ja Milchproteine schon in der Zeit um 6.500 v. Ztr. in Keramik gefunden. Ebenso in der Keramik zum Beispiel der frühneolithischen Bandkeramiker. Diese stammten von Rindern. Im Interaktionsraum von Anatolien und Kaukasus scheinen aber Schweine, Schafe und Ziegen - nach derzeitigem Stand - vornehmlich der Fleischgewinnung gedient zu haben. 

Es scheinen deshalb insbesondere Urindogermanen vom Fundort "Progress 2" nördlich des Kaukasus um 4.300 v. Ztr. (z.B. Individuum "PG2001") gewesen zu sein, also solche, in die sich noch keine anatolisch-neolithische Herkunft (von der Cucuteni-Tripolje-Kultur her) eingemischt hatte (deshalb "Urindogermanen" der ersten Ausbreitungswelle), die Milchprodukte in dieser Region als erste verzehrt haben (1):

Wir konnten den Verzehr von Schafmilch(Produkten) durch spätneolithische Menschen an den Fundorten Progress 2 und Kurganny 1 nachweisen. Bemerkenswerter Weise konnten wir diesen Milchverzehr nachweisen in Individuen, die keine anatolische Herkunft aufwiesen so wie PG200133, womit aufgezeigt wird, daß der Übergang zu Milchwirtschaft in nordkaukasischen Sammlern schon während des späten 5. Jahrtausends v. Ztr. im Gange war, was der Ausbreitung der Jamnaja-Kultur um ein Jahrtausend voraus geht.
We confirmed sheep milk consumption by Eneolithic individuals at the sites of Progress 2 and Kurganny 1. Notably, we found that dairy consumption was evident among individuals lacking Anatolian ancestry, such as PG200133, demonstrating that the adoption of dairying by North Caucasian transitional foragers was already underway during the late fifth millennium bc, which precedes Yamnaya expansions by a millennium.

Nun, nur "Sammler" waren die Urindogermanen natürlich nicht. Sie waren Jäger. Und sie waren eben Schafs- und Ziegenhirten - auch schon an der Mittleren Wolga (was die Ausgrabungen sagen). Nach derzeitigem Forschungsstand würde das heißen: die Urindogermanen haben nördlich des Kaukasus mit die Milchwirtschaft ab 4.400 v. Ztr. eingeführt oder angenommen. Ältere Nachweise finden sich bislang nördlich des Kaukasus nicht.

Ob dies auch ein Hinweis darauf ist, daß jene Menschen der iranischen Herkunftsgruppe, deren Genetik zur Ethnogenese der Urindogermanen an der Mittleren Wolga beitrugen, eben doch nicht aus dem Kaukasus stammten, sondern die Schafsmilch-Verarbeitung von woanders mitgebracht haben könnten (etwa von den Ufern des Kaspischen Meeres)?

Ab 3.000 v. Ztr. - Rinder zogen Wagen, aber (noch) keine Kuhmilchprodukte

Ab 3.000 v. Ztr. lebten dann Menschen, die solche Schaftsmilchprodukte verzehrten, auch in der Steppe nördlich des Kauksus, also weitab vom Fuße des Kaukasus (Abb 1b). Während im Kaukasus die Maikop-Kultur entstand mit ihrer iranisch-anatolisch-neolithischen Herkunft, entstand in der Steppe die Maikop-Steppen-Kultur mit ihrer urindogermanischen (Steppen-)Herkunft (siehe früherer Beitrag).

Der Verzehr solcher Art von Milchprodukten setzte sich noch bis in die frühe Jamnaja-Kultur fort (Abb. 1b), die eine genetisch leicht andere Signatur hatte (z.B andere Y-chromosomale Haplotypen) als die indogermanischen Kulturen daselbst zuvor.

Es wurde in dieser Zeit nur die Milch von Schafen verwertet, nicht die von Rindern, obwohl das Rind vor allem als Prestige- und Zugtier eine bedeutende Rolle in der Kultur und Wirtschaft der Maikop-Kultur gespielt hat, was etwa zum Ausdruck kommt in der berühmte Ochsen-Figurine aus Gold (Abb. 2). Diese Tiere standen bislang, was das Gesamtverständnis der Maikop-Kultur betrifft, im Vordergrund des Interesses. Mit dieser neuen Studie erst wird in das Bewußtsein gerückt die gleichzeitige große Bedeutung der Schafshaltung für diese Kultur.

Abb. 2: Gehörnter Ochse aus Gold, 6 Zentimeter hoch- Aus einem Kurgan der Maykop-Kultur im Nordkaukausus, Mitte des 3. Jahrtausends v. Ztr., ausgestellt in der Eremitage in Petersburg, Rußland (Wiki)

Außerdem drängt sich mit dieser Studie die Erkenntnis auf: Die Ausbreitung der Steppen-Maikop-Kultur und - auf diese folgend - der Jamnaja-Kultur scheinen nur aufgrund günstiger klimatischer Bedingungen in der Steppe möglich gewesen zu sein. Das mag man womöglich als einen sehr bedeutsamen Umstand erachten. Ermöglichten diese guten Bedingungen in der Steppe doch gegebenenfalls einen "Volkreichtum", das Anwachsen zu einer so großen Zahl von Menschen, daß aus diesen dann schließlich im Osten, in Asien, zwischen Tianshan und Altai die indogermanische Kultur der Afanassievo-Kultur hervorgehen konnte (nach weiten Wegen über die Steppen hinweg) und im Westen die europäischen Kulturen der Schnurkeramiker und der Glockenbecher-Leute (ebenfalls über weite Entfernungen hinweg).

An der Oberläufen von Don und Wolga, also außerhalb der Steppengebiete fanden sich im übrigen keinerlei Spuren von Verzehr von Milchprodukten vor dem 3. Jahrtausend. Dieser Umstand macht noch einmal deutlich, welche starken Veränderungen sich mit der Ethnogenese der Urindogermanen an der Mittleren Wolga vollzogen haben auch in Bezug auf die Wirtschaftsweise und daß diese Wirtschaftsweise mehr als zweitausend Jahre hinweg nur in der Steppe verbreitet gewesen ist und sich nicht über diese hinaus nach Norden ausgebreitet hat.

Ab 2.800 v. Ztr. - Auch Kuh- und Ziegenmilch-Produkte

Ab 2.800 v. Ztr., nachdem die weitesten Teile Europas von Indogermanen erobert und besiedelt worden waren, traten nördlich des Kaukasus zu den Milchprodukten von Schafen auch solche von Ziegen und Rindern hinzu. Die Milchprodukte stammten nun etwa zu je einem Drittel von einer der genannten Tiergruppen. Das gilt für die späte Jamnaja- und für die Katakomben-Kulturen (Abb. 1c). Ihre Existenz in der Steppe scheint durch günstige klimatische Bedingungen erst ermöglicht worden zu sein. 

1.700 bis 900 v. Ztr. - Extreme Trockenheit in der Steppe

Ab 2.300 v. Ztr. ging die Rinderhaltung wieder deutlich zurück, die klimatischen Bedingungen wurden schlechter (Abb. 1d). 

Ab 1700 v. Ztr. gab es für 800 bis 900 Jahre eine Periode extremer Trockenheit, in der die Steppe nördlich der gestrichelten Linie (in Abb. 1e) nicht besiedelt war. Nur auf den Höhen des Kaukasus konnten die Menschen weiter als Herdenhalter leben.

900 v. Ztr. - Stutenmilch-Produkte kommen bei den Skythen der Eisenzeit hinzu

Ab 900 oder 800 v. Ztr. wurde die Steppe wieder besiedelt. Zu Schafen, Ziegen und Rindern traten nun Pferde zur Gewinnung von Milchprodukten hinzu. Zwar berichten die Forscher von gelegentlichem Verzehr von Pferdemilch auch schon in Jahrhunderten und Jahrtausenden früher (womöglich schon in der Botai-Kultur und anderwärts). Aber erst in der Eisenzeit scheint diese Ernährungsart so weit verbreitet gewesen zu sein wie bei den Skythen und Sarmaten und ihren Vorläufer-Kulturen, über deren Melken von Stutenmilch die griechischen Autoren früh berichtet haben.

Abb. 3: Jakute bei der Kumys-Herstellung zur Vorbereitung auf ein großes Fest (1910) (Wiki) - Erinnern die altertümlichen Gefäße nicht an solche der Schnurkeramiker und der Glockenbecher-Leute?

Sie stellten aus Stutenmilch auch Getränke mit leichtem Alkoholgehalt her, also solche wie den "Kumys" (Wiki) (Abb. 3) und den "Choormog" bei den späteren Mongolen oder den "Kefir" bei den späteren Kaukasus-Völkern. (Choormog wird aus Yak-Milch gewonnen. Kumys wird auch Airag genannt.) Aus Kumys oder Kefir kann dann auch ein Branntwein mit dem Namen "Archi" hergestellt werden.

Es scheint so zu sein, daß der Kefir, der reich an Vitaminen und Vitalstoffen ist, auch als Ersatz für den Verzehr von Gemüse und Obst dienen kann, die es ja in der Steppe weniger gibt.

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  1. Scott, A., Reinhold, S., Hermes, T., Kalmykov, A. A., Belinskiy, A., Buzhilova, A., ... & Warinner, C. (2022). Emergence and intensification of dairying in the Caucasus and Eurasian steppes. Nature Ecology & Evolution, 1-10, https://www.nature.com/articles/s41559-022-01701-6

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