Sonntag, 13. März 2022

Die stolzen Altai-Skythen

Einige Eindrücke zu ihrer Kultur
- Insbesondere zu den Goldapliken auf ihren Königsgewändern

Anfang der 1960er Jahre wurde in der antiken Stadt Chaltschajan (Wiki), 400 Kilometer südlich von Samarkand im heutigen Usbekistan (nahe der heutigen Stadt Denov), die Skulptur eines Saken gefunden (Abb. 1, 2). Sie fand sich in der Empfangshalle des Palastes der Stadt, vormals angebracht in 3 Meter Höhe. Heute ist sie im Archäologischen Museum in Termez in Usbekistan ausgestellt.

Abb. 1: Skulptur eines Saken aus der antiken Stadt Chaltschajan (Wiki), heute Usbekistan, 1. Jhdt. n. Ztr.

Bei ihrem Anblick kommt einem der Gedanke, daß sie - vom Gesichtsausdruck her gesehen - genauso gut auch mitten in Deutschland hätte geschaffen, bzw. gefunden worden sein können. Sie mag beispielsweise in entfernerer Weise erinnern an den berühmten Mainzer "Kopf mit der Binde", der im Dommuseum in Mainz ausgestellt ist und um 1240 n. Ztr. vom Naumburger Meister geschaffen wurde. 

Abb. 2: Skulptur eines Saken aus der antiken Stadt Chaltschajan (Wiki), 1. Jhdt. n. Ztr.

Beide Kunstwerke wurden räumlich 5.500 Kilometer voneinander entfernt (G-Maps) und zeitlich tausend Jahre von einander entfernt geschaffen.

Räumlich mußt du quer durch Usbekistan reisen, durch Kasachstan, bis nach Astrachan an der Wolga. Heute gehört es zu Rußland. Dann mußt du quer durch die Ukraine reisen, über Kiew, Lublin, Breslau, Dresden und Frankfurt, um schließlich nach Mainz zu gelangen, also vom Amudarja zum Rhein.

Für die Sarmaten des ersten Jahrhunderts n. Ztr. übrigens, die aus der Region südlich des Ural stammten, war das keine Entfernung, die zu überwinden für sie unüberwindlich gewesen wäre. Im Gegenteil: Sie waren in den nachchristlichen Jahrhunderten in beiden Regionen zu Hause, in China und in Asien ebenso wie am Rhein und im römisch regierten England.

Abb. 3: Der Mainzer "Kopf mit der Binde", geschaffen vom Naumburger Meister (Wiki), 1240 n. Ztr. (Rev)

Zeitlich freilich mußt du über die Christianisierung der germanischen Völker hinweg springen, mußt du den Untergang der skythischen Völker in Asien im Hunnensturm an deinem Auge vorbei ziehen lassen, sowie ihre weiteren Schicksale im Zusammenhang mit der Ausbreitung der Turkvölker in Asien, um zu verstehen, daß ein solcher dargesteller Gesichtsausdruck heute nicht mehr der typische ist, den du in Usbekistan antreffen kannst.

Der Issyk-Kurgan

In den letzten Monaten sind zwei neue Studien erschienen über die serienmäßig hergestellten Goldapliken an den Königsgewändern der Altai-Skythen, die sich in ähnlicher Form auch im China der Jahrhunderte vor und nach der Zeitenwende finden lassen und auf die kulturellen Kontakte zwischen beiden Regionen verweisen (1, 2) (Abb. 4, 5).

Abb. 4: Der Skythen-König vom Issyk-Kurgan (Wiki) in Kasachstan, ein etwa 18-jähriger Prinz (4./3. Jhdt. v. Ztr.)

Ein solches Königsgewand fand sich etwa im Issyk-Kurgan des "Sonnenkönigs" der Saka-Skythen (Wiki) aus dem 4. oder 3. Jahrhundert v. Ztr., das sich 50 Kilometer östlich des heutigen Alma-Ata ("Almaty"), der Hauptstadt des heutigen Kasachstan befindet. Dieser Kurgan war umgeben von 45 weiteren königlichen Hügelgräbern. Das Gewand dieses Skythen ist heute fest in der Staats-Ikonographie Kasachstans verankert.

Dieses Grab befand sich im östlichen Skythien, unmittelbar nördlich der Sogdiana und deren Hauptstadt Samarkand. 

Eine Inschrift auf einem Silberbecher, der diesem Grab beigegeben worden ist, scheint in der Saka-Sprache der Kushan (Wiki) verfaßt worden zu sein, einem Stamm der Saka-Skythen ("Yuezhi"), der - verdrängt von den Hunnen - zwischen 100 und 250 n. Ztr. Nordindien beherrschte.

Abb. 5: Ähnliche serienmäßig hergestellte Gold-Artefakte in der Steppe und in China (aus: 1)

Ein stolzes, indogermanisches Volk waren sie, die Saken, bzw. Altai-Skythen (Wiki). Nach und nach wollen wir uns hier auf dem Blog noch mehr mit ihrer Kultur und Geschichte beschäftigen. Vor eineinhalb Jahren hatten wir damit schon in einem ersten Artikel begonnen (3).

Eine ihrer Städte war die eingangs schon erwähnte antike Stadt Chaltschajan (Wiki), 400 Kilometer südlich von Samarkand, gelegen im heutigen Usbekistan nahe der heutigen Stadt Denov (G-Maps). Sie lag am Fluß Surxondaryo, eines nördlichen Nebenflusses des Amudarya (Oxus). Sie existierte im 1. Jhdt. n. Ztr. zur Zeit des Reiches von Kushan. Sie befand sich in einer Region, die 329 v. Ztr. von Alexander dem Großen erobert worden war, der die Prinzessin von Samarkand heiratete. 

In der Stadt Chaltschajan mischten sich skythische, griechische und indische kulturelle Elemente - es kam offenbar bald auch zu genetischer Vermischung der hier aufeinander treffenenden genetischen Herkunftsgruppen.

Abb. 6: Gewand einer Saken-Fürstin mit Gold-Aplikationen (Taksai, Kasachstan) (aus: 1)

Seid gegrüßt, ferne Verwandte am Amudarja, über zwei Jahrtausende von uns getrennt, über 6000 Kilometer von uns entfernt - und doch uns in vielen Grundzügen so nah. Ob uns euer Schicksal etwas zu sagen hat?

So wie Lennart Meri (1929-2006) (Wiki, engl), der estnische Filmemacher und frühere Staatspräsident der Republik Estland, in seinen bewegenden Filmdokumentationen der 1970er bis 1990er Jahre (4-9) der Verwandtschaft der Völker finno-ugrischer Sprache nachgespürt hat, so spüren wir hier auf dem Blog mit besonderem Schwerpunkt der Verwandtschaft der Völker indogermanischer Sprache nach. Dabei fühlen wir uns dem Geist Lennart Meri's eng verbunden. Er hat Pionierarbeit geleistet.

Für ihn war geistiges Schaffen jene Höhle der Freiheit, die noch blieb in der Ära, in der der Menschentyp des "Sowjetmenschen" vorzuherrschen begann. In den Fußstapfen von Lennart Meri wollen wir weiter gehen. Und auch über die wenig beachtete finno-ugrische Völkergruppe sollen hier auf dem Blog - in Ergänzung zu den bisherigen (10) - noch weitere Blogartikel erscheinen.

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  1. Liu, Y., Tan, P., Yang, J., & Ma, J. (2022). Social agency and prestige technology: serial production of gold appliqués in the early Iron Age north-west China and the Eurasian steppes. World Archaeology, 1-21 (Academia)
  2. Liu, Y., Li, R., Yang, J., Liu, R., Zhao, G., & Tan, P. (2021). China and the steppe: technological study of precious metalwork from Xigoupan Tomb 2 (4th–3rd c. BCE) in the Ordos region, Inner Mongolia. Heritage Science, 9(1), 1-16. 
  3. Bading, I.: Die Altai-Skythen - Und ihre Vorgänger-Kulturen, 2020, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/11/die-altai-skythen-und-ihre-vorganger.html
  4. Lennart Meri: Völker im Zeichen des Wasservogels, 1970; Englisch "The people of the water bird": https://youtu.be/hYzYe3jAOyQ; Russisch (Yt), Original Estnisch "Veelinnurahvas" (Yt) [Encyclopaedia Cinematographica Gentium Fenno-Ugricarum, Teil 1]
  5. Lennart Meri: Die Winde der Milchstraße, 1977; Englisch "The Winds of the milky weay", https://youtu.be/Vgc1Nu3oSVs; Original Estnisch "Linnutee tuuled" (Yt) ["Encycolopaedia Cinematographica Gentium Fenno-Ugricarum" - Teil 2]
  6. Lennart Meri: Die Stimmen von Kaleva, 1986; Englisch "Sounds of Kaleva", (Ausschnitt: Yt, Yt); Russisch (Yt); Original Estnisch "Kaleva hääled", https://jupiter.err.ee/1073584/kaleva-haaled  ["Encycolopaedia Cinematographica Gentium Fenno-Ugricarum" - Teil 3]
  7. Lennart Meri: Die Söhne von Toorum, 1990; Englisch "The Sons of Toorum": https://youtu.be/iX7nHETRNow; Russisch: "Сыновья Тоорума" (Yt) Original Estnisch "Toorumi pojad" ["Encycolopaedia Cinematographica Gentium Fenno-Ugricarum" - Teil 4] [Über die Chanten, sowie ihren Bärenkult]
  8. Lennart Meri. Der Schamane, 1997, https://youtu.be/1LgY3vFpMxI , Russisch (Yt) ["Encycolopaedia Cinematographica Gentium Fenno-Ugricarum" - Teil 5] [aufgenommen 1977]
  9. Jaak Lõhmus: Tänze auf der Milchstraße, 2011; Original Estnisch "Tantsud Linnuteele", https://youtu.be/9MSdTqN2mjw [(L Meri's Filmschaffen] 
  10. Bading, I.: Im Land der Chanten und Mansen, 2022, https://studgendeutsch.blogspot.com/2022/03/im-land-der-chanten-und-mansen-in.html

1 Kommentar:

  1. Die Inschrift des in unserem Beitrag erwähnten Silberbechers ist soeben entziffert worden.

    Diese Heureka-Momente in der deutschen Wissenschaft - sie gehen doch nicht aus!

    1952 wurde die Schrift und Sprache des mykenischen Griechenland entziffert, das "Linear B". Das war die letzte große Entzifferungsleistung bis heute.

    Im Herbst letzten Jahres gelang der jungen deutschen Linguistin Svenja Bonmann von der Universität Köln die Entzifferung der Schrift und Sprache des Königsgeschlechts des skythischen Kuschana-Reiches (1).

    Und sie erzählt sehr anrührend über diese Entdeckung (2). Sie erkannte als erste, daß es sich bei der von ihr erforschten unbekannten Schrift um die Schrift einer iranischen Sprache handelte und rief aus: "Iranisch, Iranisch, es ist Iranisch!" (2, Minute 3'35 bis 5'25).

    Sie war der erste Mensch, der diese Jahrzehnte lang nicht entzifferte Schrift nach 1.900 Jahren wieder lesen konnte: "Das war ein unglaubliches Gefühl."

    https://studgendeutsch.blogspot.com/2022/03/die-stolzen-altai-skythen.html

    1. https://de.wikipedia.org/wiki/Saken
    2. https://youtu.be/FTIzQ0RWduk

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