Freitag, 23. Juli 2021

Größere Flußtäler - Rückzugsorte der Einheimischen (5.500 v. Ztr.)

... Als die ersten Bauern nach Mitteleuropa kamen (5.700 v. Ztr.)

Daß ab 5.700 v. Ztr. parallel zu den sich aus dem Wiener Becken heraus über ganz Mitteleuropa ausbreitenden Bandkeramikern die bislang einheimische Fischer-Jäger-Sammler-Bevölkerung noch viele Jahrhunderte weiter lebte, daß diese dann auch zur Bildung der mittelneolithischen Völker nach dem Untergang der Bandkeramiker genetisch zu 20 bis 30 % beigetragen hat, all das ist erst durch die Archäogenetik der letzten höchstens zehn Jahre zum sicheren Wissen der Archäologie geworden.

Abb. 1: Siedlungen der Bandkeramiker an den Zuflüssen der Oberen Weichsel ("Vistula") in Südpolen (hellgrün) auf Lößböden (dunkelbraun) parallel zu Siedlungen der zeitgleichen Fischer-Jäger-Sammler ("Mesolithiker") (rot) um 5.100 v. Ztr. - Die farblich heller markierten Böden sind Sandböden (aus 1)

Zuvor hatte man darüber höchstens Vermutungen anstellen können. Zuvor war ja noch nicht einmal klar gewesen, daß die Bandkeramiker selbst - genetisch gesehen - nicht aus Europa stammten, sondern aus Anatolien. Auch das ist ja erst durch die Archäogenetik klar gestellt worden. So daß durch die Archäogenetik nun viele archäologische Fragen viel gezielter anvisiert werden können.

Seit diese Dinge klargestellt sind, stellt sich natürlich unter anderem für die Archäologen die Frage: Wo hat denn eigentlich die bisherige Fischer-Jäger-Sammler-Bevölkerung weiter gelebt, während sich die Bandkeramiker ausbreiteten? Auf den Höhenzügen der Mittelgebirge abseits der von den Bandkeramikern allein besiedelten Lößböden, so war die bisherige vage Vermutung. Also, sozusagen in "Rückzugsgebieten" (vage vergleichbar den Indianer-Reservaten in Nordamerika im 19. Jahrhundert).

So hatten wir das auch selbst hier auf dem Blog bislang angenommen. Bekannt waren durch die Archäogenetik bislang nur punktuell "Rückzugsorte" wie die Blätterhöhle in Westfalen, der Schweriner See in Mecklenburg und ähnliches.

Die Fischer lebten weiter vor allem an den großen Flüssen - Neben den Bauern

Nun sind polnische Archäologen der Universitäten Warschau und Krakau dieser Frage in einer ersten Überblicksstudie zu Leibe gerückt (1). Und Erstaunliches offenbart sich (Abb. 1). Bzw.: Wenn man es jetzt weiß, muß es einen natürlich nicht mehr wundern: An der Oberen Weichsel haben die Siedlungen der Einheimischen oft sogar in Sichtweite der Bandkeramiker gelegen.

Vor allem aber liegen sie konzentrierter im Weichseltal selbst und an einem solchen größeren Weichsel-Nebenfluß wie der Weißen Przemsa (Biała Przemsza) (Wiki) (Grenzfluß zwischen Schlesien und Polen) (Abb. 1).

An diese beiden Flußläufe grenzen nämlich - als größere Flußläufe - keineswegs direkt jene Lößböden, die von den Bandkeramikern allein besiedelt wurden. Lößböden grenzen vielmehr an die etwas kleineren Nebenflüsse der Weichsel (s. Abb. 1).

Die Täler der größeren Flüsse waren also womöglich für sie auch sonst gar nicht attraktiv. Ob dieser Befund verallgemeinerbar ist für ganz Mitteleuropa? Ob er sich nicht auch sonst auf Karten zur Ausbreitung der Bandkeramik finden lassen sollte? Die Forscher äußern sich dazu nicht explizit. Sie schreiben nur (1):

Die Siedlungen stehen in Beziehung zu der Alluvial-Umwelt des Oberen Weichseltales in der Region rund um Krakau (Abb. 1). Dasselbe Bild ist für Niederschlesien gezeigt worden.
The  sites  are  related  to  the   alluvial environment of the upper Vistula River basin in  the Kraków region (Abb. 1). A similar picture has been  demonstrated for Lower Silesia.

In Niederschlesen handelt es sich dementsprechend um das Oder-Tal.

Abb. 2: Bandkeramische Siedlungskammern in Böhmen, um Dresden und im östlichen Harz-Vorland (aus: 2)

Und andernorts?

Willkürlich heraus gegriffen sei: Anhand der Dresdener Mittleren Elbtalweitung und der dortigen Verteilung der bandkeramischen Fundstellen wird aufgezeigt (2), daß es von der örtlichen Geographie abhängt, ob und wie weit die bandkeramischen Siedlungen an die Flußläufe heranreichen. In der Dresdener Gegend sind sie nur auf der linken Elbseite zu finden, da es dort keine abrupte Hangkante gibt wie auf der rechten Elbseite, sondern sanft ansteigende Hänge.

Überhaupt zeigen Überblickskarten zu den sogenannten "Siedlungskammern" der Bandkeramik (2) immer wieder auf, wie viel "Zwischenräume" zwischen den einzelnen Siedlungskammern doch noch überall von den Bandkeramikern unbesiedelt blieben. Diese "Zwischenräume" - ob nun Flußtäler oder Mittelgebirgs-Regionen - werden alle von den mesolithischen Fischern, Jäger und Sammlern besiedelt geblieben sein.

Und im Grunde stellt sich die Frage, wie der schon seit Jahrzehnten gut bezeugte rege kulturelle und wirtschaftliche Austausch zwischen den einzelnen Siedlungskammern (Böhmen, Sachsen, Schlesien usw.) möglich war (bezeugt zum Beispiel durch den Feuerstein-Handel), wenn er durch immer durch von Bandkeramikern "unbesiedelte" Regionen führte. Dies setzt ja ein zumeist friedliches Zusammenleben mit den Einheimischen voraus. Es sei denn, man würde voraussetzen, daß "Handelskarawanen", "Handels-Züge" zwischen den Siedlungskamern wie Kriegszüge ausgerüstet und bewacht waren, so daß etwaige Überfälle der Einheimischen leicht abgewehrt werden konnten.

Vielleicht hat es ja auch mündliche Friedensverträge mit den Einheimischen gegeben. Es wurde mit ihnen die "Friedenspfeife" geraucht oder ähnliches. Auch Geiselnahme und ähnliches kann unterstellt werden.

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  1. Marek Nowak, Mirosław Zając, Justyna Zakrzeńska: The Neolithic vs. the Mesolithic in Southern Poland: Is Everything Known Yet? In: Światowit, Bd. LIX/2020, https://swiatowitwuw.pl/resources/html/article/details?id=217198&language=en
  2. Thomas Link: Böhmische Dörfer?  Zur Stellung der Dresdener  Elbtalweitung zwischen sächsischer  und böhmischer Bandkeramik. In: Thomas Doppler, Britta Ramminger und Dirk Schimmelpfennig (Hrsg.) Grenzen und Grenzräume? Beispiele aus Neolithikum und Bronzezeit. Fokus Jungsteinzeit. Berichte der AG Neolithikum 2. Kerpen-Loogh 2011, 11-24 (pdf)

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