Mittwoch, 31. März 2021

Die philipinischen Kordilleren

Fünf zeitlich versetzte Zuwanderungen der Völker der Philippinen 
- Schon vor dem Neolithikum (50.000 bis 5.000 v. Ztr. )

Die philippinischen Kordilleren (Wiki) liegen auf der nördlichsten und zugleich größten Insel der Philippinen, nämlich auf der Insel Luzon (Wiki). Luzon ist die nächstgelegene Insel südlich von Taiwan (s. Abb. 1). Bei den philippinischen Kordilleren handelt es sich um mindestens drei Gebirgszüge auf dieser Insel Luzon, nämlich um einen westlichen, einen mittleren und einen östlichen. Diese Umstände müssen vorausgeschickt werden, um zu verstehen, was das bedeuten soll, wenn im folgenden von einer sehr ursprünglichen Herkunftsgruppe der Menschen auf den Philippinen die Rede ist, die von den Forschern in einer gerade neu erschienenen archäogenetischen Studie (1) die "Kordillerer" ("Cordillerians") genannt werden.

Abb. 1: Genetische Geschichte der philippinischen Völker, Stand 2014 (Wiki) (Lipson, Mark; ... Stoneking, Mark; ... Reich, David (2014). "Reconstructing Austronesian population history in Island Southeast Asia". Nature Communications. 5 (1): 1–21. doi:10.1038/ncomms5689) (Wiki)
 

Die Genetik dieser Herkunftsgruppe hat sich nämlich am besten gehalten in Völkern, die heute noch in dem zentralen Gebirgszug der Kordilleren leben. Die Insel Luzon ist geprägt von tropischem Regenwald. Es wird deutlich, daß sie wichtig ist zum Verständnis der genetischen Geschichte der Philippinen (1).

Auf den Philippinen leben heute mehr als 175 Ethnien, also: Sprachgemeinschaften, Stämme und Völker (Wiki). Die meisten dieser Ethnien sprechen austronesische Sprachen (Wiki) ("Out of Taiwan"). Die "Negrito" (Wiki) gelten als die Ureinwohner der Philippinen. Sie stellen auf den Philippinen etwa 25 Völker. Sie gelten als verwandt mit den Andamanen und mit den Pygmäen in Afrika. Während die Andamanen ihre ursprüngliche Sprache behalten haben, sprechen die Negrito-Völker auf den Philippinen alle eigene austronesische Sprachen, sie haben sich also kulturell an Zuwanderer während des Neolithikums und/oder nachfolgenden Zeitepochen angepaßt.

Es mag sinnvoll sein, sich anhand von Abbildung 1 zunächst den Forschungsstand zur genetischen Geschichte der Völker der Philippinen von 2014 klar zu machen. Auch hier schon wird sehr deutlich - und auch farblich - die Herkunftskomponente der Negrito (rot) von der Herkunftskomponente der Papua, der Ureinwohner auf Neuguinea (orange) unterschieden. (Letztere werden auch "Melanesier" genannt.) Genetisch gesehen, findet sich die Negrito-Herkunftskomponente bis heute nur auf den Philippinen, nicht aber auf Neuguinea. Und umgekehrt findet sich die Papua-Herkunftskomponente auch heute noch nur auf Papua-Neuguinea, nicht aber auf den Philippinen.

Diese beiden Herkunftskomponenten haben sich also sehr früh voneinander getrennt, vermutlich gleich während der ersten Besiedlung dieser Inseln durch anatomisch moderne Menschen vor etwa 50.000 Jahren. (Zum Verständnis sei noch bemerkt: Die grüne südchinesische Herkunftskomponente und die blaue austronesische Herkunftskomponente ("Out of Taiwan" [Wiki]) in Abb. 1 repräsentieren neolithische oder nachneolithische Zuwanderungen nach den Philippinen, um die es in der neuen Studie und damit in diesem Beitrag weniger geht.)

Abb. 2: Die Abfolge der Völkerbewegungen auf den Philippinen seit 50.000 vor heute (aus: 1)

In der neuen archäogenetischen Studie wird nun unter anderem die lange Geschichte der Negrito-Völker auf den Philippinen genauer unter die Lupe genommen. Nach 50.000 vor heute besiedelten sie die Philippinischen Inseln und teilten sich dabei in eine Nord- und eine Südgruppe auf (Abb. 2, A). Aus derselben Ausbreitungsbewegung gingen weiterhin hervor

  • a) die ursprünglichsten Ostasiaten ("Basal East Asian")
  • b) die Negritos auf den Nördlichen Philippinen
  • c) die Negritos auf den Südlichen Philippinen
  • d) die Papua auf Neuguinea und
  • e) die australischen Ureinwohner.

Da sich diese Gruppierungen seither nicht mehr miteinander vermischt haben, gibt es heute zwischen ihnen sehr große genetische Unterschiede. 

Aus den ursprünglichsten Ostasiaten gliederten sich nun nach dieser neuen Studie - scheinbar noch auf dem asiatischen Festland - als nächstes aus (Abb. 2, B)

  • a) die schon bekannten Austroasiaten (einschließlich der Südchinesen) (in Abb. 1 grün)
  • b) "MANOBO-ähnliche" Gruppen und
  • c) die neu entdeckte Herkunftsgruppe der "ursprünglichen Kordillerer"

Diese "MANOBO-ähnlichen Gruppen" sind vor 12.000 vor heute (allein) auf die südlichen Philippinen gekommen.

Zwischen 10.000 und 6.000 v. Ztr. kam es dann zur Ausbreitungsbewegung der Austroasiaten (der südchinesischen Herkunftskomponente) bis auf die Philippinen (Abb 2, C). Und vor 5.000 v. Ztr. kamen dann die "Kordillerer" auf die Insel Luzon.

Da darf wirklich von einer komplexen genetischen Geschichte der Völker auf den Philippinen gesprochen werden. Um das alles noch einmal anhand des Originaltextes zusammen zu fassen, es werden dort als Ergebnis referiert (1) ...:

... mindestens fünf große menschliche Völkerbewegungen: ein nördlicher und ein südlicher Negrito-Zweig, die sich von einer basalen australasiatischen Herkunftsgruppe ableiten, und die sich vielleicht unabhängig voneinander innerhalb der Philippinen mit einheimischen Denisova-Menschen vermischt haben, sowie Papua-verwandte Gruppen, sowie Manobo, Sama und Kordilleren-Zweige der basalen Ost-Asiaten. Die Kordillerer, der am wenigsten vermischte Zweig der basalen Ost-Asiaten, gelangten in die Philippinen bevor der Ackerbau dort hin gelangte und brachten mit sich eine genetische Herkunft, die innerhalb aller Austronesisch-sprechenden Populationen weit verbreitet ist. Diese komplexe demographische Geschichte unterstreicht die Bedeutung der Philippinen als Einfallstor, das sehr grundlegend die genetische Herkunft der Populationen im asiatisch-pazifischen Raum bestimmte.
... at least five major human migrations: Northern and Southern Negrito branches of a Basal Australasian group, who likely admixed independently with local Denisovans within the Philippines, plus Papuan-related groups, as well as Manobo, Sama, and Cordilleran branches of Basal East Asians. Cordillerans, who remain the least admixed branch of Basal East Asians, likely entered the Philippines prior to established dates for the agricultural transition and carried with them a genetic ancestry that is widespread among all Austronesian (AN)-speaking populations. This complex demographic history underscores the importance of the Philippines as a migration gateway that profoundly influenced the genetic makeup of populations in the Asia-Pacific region.

Damit sollen hier nur einige der wichtigsten Ergebnisse der neuen Studie referiert werden. Im Text finden sich noch viele Details, auf die hier zunächst nicht weiter eingegangen werden soll. Es scheint hier noch manches der Klärung zu harren, zumal die Daten der Archäogenetik für diesen Raum noch nicht sehr dicht sind. Abschließend noch, was einer der Forscher zu dieser Studie sagt (2):

“Our study debunks a view that has dominated research on human history: that language, ways of life, culture, and people move together as a single unit - a ‘Neolithic package’, as it’s often called. We’re able to show that new groups of people migrated to the Philippines more than seven millennia ago, and it was these groups that took the Austronesian languages with them. It wasn’t until three thousand years later that agriculture was taken there, probably by related groups. So that happened a long time afterwards,” says Professor Mattias Jakobsson, senior author of the study.

Da dürften die Ergebnisse rhetorisch etwas überinterpretiert sein. Auch für Europa ist längst bekannt, daß es vor dem Neolithikum vielfältige Völkerbewegungen - z.B. in den Rhythmen der letzten Eiszeit - gegeben hat. Wenn eine solche vorneolithische Geschichte nun auch für die Philippinen aufgezeigt werden kann, schränkt das nicht die Bedeutung ein, die auch die Völkerbewegungen des Neolithikums mit sich gebracht haben. 

Insgesamt wird man auch gespannt sein dürfen, ob sich die Forschungsergebnisse, die sich hier heraus geschält haben, in dieser Form halten werden, insbesondere was die Geschichte der austronesischen Sprachen betrifft. 

Nachtrag: Soeben ist eine Studie erschienen, nach der die ersten Ureinwohner insbesondere Südamerikas, die dort ab 15.000 v. h. gelebt haben, viele genetische Ähnlichkeiten mit den australischen Ureinwohnern haben. Sie haben sich offenbar von Sibirien aus über Amerika verbreitet in einer ersten Einwanderungswelle. Somit wäre diese Abspaltung noch zu den oben referierten Abspaltungen von den ältesten Ost-Asiaten hinzuzufügen.

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  1. Multiple migrations to the Philippines during the last 50,000 years. By Maximilian Larena, Federico Sanchez-Quinto, ... Helena Malmström, Carina Schlebusch, Kurt Lambeck, Phillip Endicott, Mattias Jakobsson. In: PNAS, Mar 2021, 118 (13) e2026132118; DOI: 10.1073/pnas.2026132118 (zugänglich z.B. auf Researchgate)
  2. https://scitechdaily.com/largest-ever-dna-mapping-of-the-philippines-shows-5-major-immigration-waves-over-50-millennia/

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