Fünf zeitlich versetzte Zuwanderungen der Völker der Philippinen
- Schon vor dem Neolithikum (50.000 bis 5.000 v. Ztr. )
Die philippinischen Kordilleren (Wiki) liegen auf der nördlichsten und zugleich größten Insel der Philippinen, nämlich auf der Insel Luzon (Wiki). Luzon ist die nächstgelegene Insel südlich von Taiwan (s. Abb. 1). Bei den philippinischen Kordilleren handelt es sich um mindestens drei Gebirgszüge auf dieser Insel Luzon, nämlich um einen westlichen, einen mittleren und einen östlichen. Diese Umstände müssen vorausgeschickt werden, um zu verstehen, was das bedeuten soll, wenn im folgenden von einer sehr ursprünglichen Herkunftsgruppe der Menschen auf den Philippinen die Rede ist, die von den Forschern in einer gerade neu erschienenen archäogenetischen Studie (1) die "Kordillerer" ("Cordillerians") genannt werden.
Abb. 1: Genetische Geschichte der philippinischen Völker, Stand 2014 (Wiki) (Lipson, Mark; ... Stoneking, Mark; ... Reich, David (2014). "Reconstructing Austronesian population history in Island Southeast Asia". Nature Communications. 5 (1): 1–21. doi:10.1038/ncomms5689) (Wiki)
Die Genetik dieser Herkunftsgruppe hat sich nämlich am besten gehalten in Völkern, die heute noch in dem zentralen Gebirgszug der Kordilleren leben. Die Insel Luzon ist geprägt von tropischem Regenwald. Es wird deutlich, daß sie wichtig ist zum Verständnis der genetischen Geschichte der Philippinen (1).
Auf den Philippinen leben heute mehr als 175 Ethnien, also: Sprachgemeinschaften, Stämme und Völker (Wiki). Die meisten dieser Ethnien sprechen austronesische Sprachen (Wiki) ("Out of Taiwan"). Die "Negrito" (Wiki) gelten als die Ureinwohner der Philippinen. Sie stellen auf den Philippinen etwa 25 Völker. Sie gelten als verwandt mit den Andamanen und mit den Pygmäen in Afrika. Während die Andamanen ihre ursprüngliche Sprache behalten haben, sprechen die Negrito-Völker auf den Philippinen alle eigene austronesische Sprachen, sie haben sich also kulturell an Zuwanderer während des Neolithikums und/oder nachfolgenden Zeitepochen angepaßt.
Es mag sinnvoll sein, sich anhand von Abbildung 1 zunächst den Forschungsstand zur genetischen Geschichte der Völker der Philippinen von 2014 klar zu machen. Auch hier schon wird sehr deutlich - und auch farblich - die Herkunftskomponente der Negrito (rot) von der Herkunftskomponente der Papua, der Ureinwohner auf Neuguinea (orange) unterschieden. (Letztere werden auch "Melanesier" genannt.) Genetisch gesehen, findet sich die Negrito-Herkunftskomponente bis heute nur auf den Philippinen, nicht aber auf Neuguinea. Und umgekehrt findet sich die Papua-Herkunftskomponente auch heute noch nur auf Papua-Neuguinea, nicht aber auf den Philippinen.
Diese beiden Herkunftskomponenten haben sich also sehr früh voneinander getrennt, vermutlich gleich während der ersten Besiedlung dieser Inseln durch anatomisch moderne Menschen vor etwa 50.000 Jahren. (Zum Verständnis sei noch bemerkt: Die grüne südchinesische Herkunftskomponente und die blaue austronesische Herkunftskomponente ("Out of Taiwan" [Wiki]) in Abb. 1 repräsentieren neolithische oder nachneolithische Zuwanderungen nach den Philippinen, um die es in der neuen Studie und damit in diesem Beitrag weniger geht.)
Abb. 2: Die Abfolge der Völkerbewegungen auf den Philippinen seit 50.000 vor heute (aus: 1)
In der neuen archäogenetischen Studie wird nun unter anderem die lange Geschichte der Negrito-Völker auf den Philippinen genauer unter die Lupe genommen. Nach 50.000 vor heute besiedelten sie die Philippinischen Inseln und teilten sich dabei in eine Nord- und eine Südgruppe auf (Abb. 2, A). Aus derselben Ausbreitungsbewegung gingen weiterhin hervor
a) die ursprünglichsten Ostasiaten ("Basal East Asian")
b) die Negritos auf den Nördlichen Philippinen
c) die Negritos auf den Südlichen Philippinen
d) die Papua auf Neuguinea und
e) die australischen Ureinwohner.
Da sich diese Gruppierungen seither nicht mehr miteinander vermischt haben, gibt es heute zwischen ihnen sehr große genetische Unterschiede.
Aus den ursprünglichsten Ostasiaten gliederten sich nun nach dieser neuen Studie - scheinbar noch auf dem asiatischen Festland - als nächstes aus (Abb. 2, B)
a) die schon bekannten Austroasiaten (einschließlich der Südchinesen) (in Abb. 1 grün)
b) "MANOBO-ähnliche" Gruppen und
c) die neu entdeckte Herkunftsgruppe der "ursprünglichen Kordillerer"
Diese "MANOBO-ähnlichen Gruppen" sind vor 12.000 vor heute (allein) auf die südlichen Philippinen gekommen.
Zwischen 10.000 und 6.000 v. Ztr. kam es dann zur Ausbreitungsbewegung der Austroasiaten (der südchinesischen Herkunftskomponente) bis auf die Philippinen (Abb 2, C). Und vor 5.000 v. Ztr. kamen dann die "Kordillerer" auf die Insel Luzon.
Da darf wirklich von einer komplexen genetischen Geschichte der Völker auf den Philippinen gesprochen werden. Um das alles noch einmal anhand des Originaltextes zusammen zu fassen, es werden dort als Ergebnis referiert (1) ...:
... mindestens fünf große menschliche Völkerbewegungen: ein nördlicher und ein südlicher Negrito-Zweig, die sich von einer basalen australasiatischen Herkunftsgruppe ableiten, und die sich vielleicht unabhängig voneinander innerhalb der Philippinen mit einheimischen Denisova-Menschen vermischt haben, sowie Papua-verwandte Gruppen, sowie Manobo, Sama und Kordilleren-Zweige der basalen Ost-Asiaten. Die Kordillerer, der am wenigsten vermischte Zweig der basalen Ost-Asiaten, gelangten in die Philippinen bevor der Ackerbau dort hin gelangte und brachten mit sich eine genetische Herkunft, die innerhalb aller Austronesisch-sprechenden Populationen weit verbreitet ist. Diese komplexe demographische Geschichte unterstreicht die Bedeutung der Philippinen als Einfallstor, das sehr grundlegend die genetische Herkunft der Populationen im asiatisch-pazifischen Raum bestimmte.
... at least five major human migrations: Northern and Southern Negrito branches of a Basal Australasian group, who likely admixed independently with local Denisovans within the Philippines, plus Papuan-related groups, as well as Manobo, Sama, and Cordilleran branches of Basal East Asians. Cordillerans, who remain the least admixed branch of Basal East Asians, likely entered the Philippines prior to established dates for the agricultural transition and carried with them a genetic ancestry that is widespread among all Austronesian (AN)-speaking populations. This complex demographic history underscores the importance of the Philippines as a migration gateway that profoundly influenced the genetic makeup of populations in the Asia-Pacific region.
Damit sollen hier nur einige der wichtigsten Ergebnisse der neuen Studie referiert werden. Im Text finden sich noch viele Details, auf die hier zunächst nicht weiter eingegangen werden soll. Es scheint hier noch manches der Klärung zu harren, zumal die Daten der Archäogenetik für diesen Raum noch nicht sehr dicht sind. Abschließend noch, was einer der Forscher zu dieser Studie sagt (2):
“Our study debunks a view that has dominated research on human history:
that language, ways of life, culture, and people move together as a
single unit - a ‘Neolithic package’, as it’s often called. We’re able to
show that new groups of people migrated to the Philippines more than
seven millennia ago, and it was these groups that took the Austronesian
languages with them. It wasn’t until three thousand years later that
agriculture was taken there, probably by related groups. So that
happened a long time afterwards,” says Professor Mattias Jakobsson,
senior author of the study.
Da dürften die Ergebnisse rhetorisch etwas überinterpretiert sein. Auch für Europa ist längst bekannt, daß es vor dem Neolithikum vielfältige Völkerbewegungen - z.B. in den Rhythmen der letzten Eiszeit - gegeben hat. Wenn eine solche vorneolithische Geschichte nun auch für die Philippinen aufgezeigt werden kann, schränkt das nicht die Bedeutung ein, die auch die Völkerbewegungen des Neolithikums mit sich gebracht haben.
Insgesamt wird man auch gespannt sein dürfen, ob sich die Forschungsergebnisse, die sich hier heraus geschält haben, in dieser Form halten werden, insbesondere was die Geschichte der austronesischen Sprachen betrifft.
Nachtrag: Soeben ist eine Studie erschienen, nach der die ersten Ureinwohner insbesondere Südamerikas, die dort ab 15.000 v. h. gelebt haben, viele genetische Ähnlichkeiten mit den australischen Ureinwohnern haben. Sie haben sich offenbar von Sibirien aus über Amerika verbreitet in einer ersten Einwanderungswelle. Somit wäre diese Abspaltung noch zu den oben referierten Abspaltungen von den ältesten Ost-Asiaten hinzuzufügen.
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Multiple migrations to the Philippines during the last 50,000 years. By Maximilian Larena, Federico Sanchez-Quinto, ... Helena Malmström, Carina Schlebusch, Kurt Lambeck, Phillip Endicott, Mattias Jakobsson. In: PNAS, Mar 2021, 118 (13) e2026132118; DOI: 10.1073/pnas.2026132118 (zugänglich z.B. auf Researchgate)
O weckt, ihr Dichter! weckt sie vom Schlummer auch,
Die jetzt noch schlafen, gebt die Gesetze, gebt
Uns Leben, siegt, Heroën! ihr nur
Habt der Eroberung Recht, wie Bacchus.
Friedrich Hölderlin, 1798
Ein Aufruf an die Dichter und kulturell Schaffenden seiner Zeit von Seiten des Dichters und Geschichtsphilosophen Friedrich Hölderlin (1770-1843).
Abb. 1: Dionysos - Geschaffen in Ergriffenheit vor unantastbarer, heiliger Jugend - Mamorbüste aus Knossos, 2. Jhdt. n. Ztr.
Ob
diese nicht auch noch Aufruf für heute sein können. Haben wir nicht
auch heute noch "der Eroberung Recht, wie Bacchus"? Ist es denn nicht
tatsächlich so, daß nur noch auf diese Weise das Überleben des
Göttlichen auf dieser Erde gesichert werden kann?
Ist ein solcher Aufruf nicht sinnvoll, um als Leitwort zu dienen für einen modernen, gesellschaftlichen Aufbruch?
In diesen - wenigen - dichterischen Zeilen ist - wie in einer großen Zahl von Dichtungen von Friedrich Hölderlin - die Rede von einem neuen Zeitalter,
das herauf kommt gemeinsam mit einer neuen Lebensanschauung, einem neuen
Zeitgeist, einer neuen philosophischen und dichterischen Gesamtdeutung
der Welt. Einer Gesamtdeutung, die zu Freudentaumeln Anlaß gibt.
Es
geht um eine erneute Wieder-Heraufkunft der untergegangene Antike, um
eine Wieder-Heraufkunft in einer neuen, modernern, womöglich noch
lebendigerer Form.
Viele Künstler, Denker,
Philosophen, Wissenschaftler haben dieser Wieder-Heraufkunft über viele
Jahrhunderte hinweg vorgearbeitet.
Sie
arbeiten ihr gegenwärtig vor, gebannt, vereinnahmt von den
Möglichkeiten menschlicher, gesellschaftlicher Entwicklung, gebannt von
den Möglichkeiten philosophischer Gesamtdeutung unserer Welt im
Angesicht der Moderne.
Der hier genannte Bacchus (Wiki)
ist ein Beiname des Dionysos, des Gottes des Weines, aber mehr noch,
des Gottes der Freude, des Tanzes, des Taumels, der Trunkenheit. Jenes
Gottes, der eine Verkörperung ist der Beseeligung durch das Erleben des Göttlichen.
Bacchus/Dionysos und ihre Begleiter, die Bacchanten und all die anderen Fabelwesen - immer und immer wieder aufs
Neue haben sie Darstellungen
in der bildenden Kunst gefunden.
Von der Antike (s. Abb. 1 bis 4) über die Niederländer
der Frühen Neuzeit (siehe z.B. Peter Paul Rubens), über die Deutschen des 19. Jahrhunderts (siehe z.B. Lovis Corinth) - bis
heute.
Als wir nach einer angemessenen Bebilderung dieses Beitrages suchten, wurde uns das wieder klar.
"Die Stadt der Freude, das jugendliche Korinth"
Ebenso
haben sie wieder und wieder Behandlung in der Philosophie gefunden,
etwa in "Die
Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik", jener Schrift, in der
Friedrich Nietzsche anfing, zu taumeln, zu tanzen, sich zu freuen,
exzentrisch zu sein, übermütig zu sein, um der Bigotterie seiner Zeit zu
entkommen.
Abb. 3: Maske des Silenus, 1. Jahrhundert, Seidenstraße, Afghanistan (Begram)
Als
Lehrer und Begleiter des Dionysos gilt auch der Silenus. Und auch er ist
dementsprechend ein beliebter Gegenstand künstlerischer Darstellung seit
mehr
als zweitausend Jahren gewesen (Abb. 2 und 3). Seine Verehrung reichte - wie von Hölderlin ausgesagt - in der Antike von der Seidenstraße
und von Indien im Osten (Abb. 3), vom Ganges und vom Indus im Osten bis an den Tiber, bis nach Rom im Westen (Abb. 2), bis an den Rhein und die Elbe und die Themse im Norden.
Und sie alle wurden auch in Pompeji in Skulpturen und in Wandmalereien
gefeiert. Und verehrt. Als Gleichgesinnte. In jenem Pompeji, von dem
dasselbe gesagt werden könnte wie das, was Friedrich Hölderlin über "die
Stadt der Freude, das jugendliche Korinth" gesagt hat (Hyperion, 1.
Buch, 1. Brief).
Abb. 4: Cupido, Wandmalerei in Pompeji
Auch über Pompeji wäre zu sprechen als von der "Stadt der Freude", von dem "jugendlichen Pompeji" (Abb. 4).
So wie über alle Städte im Mittelmeerraum der damaligen Zeit (1, 2).
Es fragt sich, wann der Triumphzug des Freudengottes durch die Völkerwelt, dem durch so viele Generationen von Künstlern, Philosophen, Dichtern und Wissenschaftlern vorgearbeitet worden ist, seinen Anfang nimmt.
Zwei Menschen dürften für den Zeitpunkt eine besondere Rolle spielen: Du, Leser - und Du, Verfasser dieser Zeilen.
Einige stichprobenartige Einblicke in die Geschichte der Kelten
In Griechenland spielte sich ab 500 v. Ztr. ein bedeutungsvoller Zeitabschnitt der Weltgeschichte ab. Er wurde eingeleitet ab etwa 800 v. Ztr. mit der Niederschrift der "Ilias" von Homer. Die europäischen Völkerbewegungen, die diesem klassischen Griechenland voraus- und parallel gingen, vollzogen sich weitgehend im "Schatten der Weltgeschichte", sprich, im Schatten der Geschichtsschreibung und der schriftlichen Überlieferung. Deshalb haben wir nur wenig konkrete Vorstellungen von diesen Völkerbewegungen. Sie sind uns kaum im Bewußtsein. Und wir kennen nur wenige Stämme und Völker, bzw. ihre Könige beim Namen, die diese Völkerbewegungen getragen haben. Denn selbst die wachen griechischen Historiker haben nur wenig von ihnen berichtet.
Abb. 1: Völker-Ausbreitungen von den Urnenfelder-Proto-Kelten (1000 v. Ztr.) bis zu den vorrömischen Eroberungen des letzten Jahrhunderts vor der Zeitrechnung (Herkunft: Megistias [Wiki])
Doch die archäologische Forschung kann uns Einblicke geben. Das Zentrum des Unruheraumes der europäischen Völkerbewegungen zwischen Spätbronze- und Eisenzeit lag in Süddeutschland zwischen Thüringer Wald und Voralpen. (Abb. 1) (Wiki). Das ist dieselbe Region, die wir auch schon als Unruhe-Raum des Seevölkersturms um 1200 v. Ztr. hier auf dem Blog ausmachten, aus dem heraus die Teilnehmer an der Schlacht an der Tollense in Mecklenburg hervorgingen nach den Begleitfunden, die gemacht wurden (25).
Die kontinuierliche Entwicklung aus den ansässigen bronzezeitlichen Vorgängerkulturen Mitteleuropas, insbesondere der spätbronzezeitlichen Urnenfelderkultur, bis hin zu den aus historischer Zeit bezeugten Kelten ist heute zweifelsfrei belegt (Wiki).
Wie man sich die damaligen Völkerbewegungen vorstellen kann, davon gibt Caesar in seinem Bericht "Bellum gallicum", "Gallischer Krieg" sehr konkrete Vorstellungen: Große Stämme besiedelten damals einzelne mächtige Völkerburgen, gut zu verteidigende Großsiedlungen auf Bergen, "Oppida". Und diese Stämme führten Krieg miteinander und wanderten geschlossen ab, suchten neue Siedlungsregionen auf je nach dem, was religiöse und politische Berater wie Druiden oder weise Frauen diesen Stämmen jeweils rieten. Die Entscheidungen konnten oft zumindest für Außenstehende recht willkürlich anmuten.
Terrassierungen - In der Ägäis und in Deutschland, 1300 bis 1250 v. Ztr.
Wenn man heute in Oberfranken wandert, begegnet man den Hinterlassenschaften dieser Stämme geradezu auf "Schritt und Tritt". Überall Terrassierungen. Wir haben sie schon 2019 in einem Video behandelt (21, 18). Immer wieder tief eingeschnittene, historische Wege, die schon aufgrund des Umstandes, daß sie so tief in die Umgebung eingeschnitten sind, aufzeigen, über wie viele Jahrzehnte und Jahrhunderte sie benutzt worden sein müssen.
/ Nachtrag 30.5.21: Inzwischen hat ein archäologischer Fachartikel die Terrassierungen weltweit zum Thema gemacht (25). Auf Wikipedia werden sie Ackerterrassen (Wiki) genannt. Es wird aber immer nur von einem mittelalterlichen Ursprung gesprochen, während der spätbronzezeitliche viel naheliegender ist - wie wir gleich noch sehen werden.
Auf einer weltweiten Verbreitungskarte von Terrassierungen sind in dieser neuen Studie allerdings nur der Alpenraum, Frankreich und England berücksichtigt (25, Figure 1). Im Vorübergehen ist zwar von einer Verbreitung der Terrassierungen bis hinauf nach Norwegen die Rede (wo auch zwei Mitautoren forschen), aber darauf wird dann nicht mehr weiter eingegangen.
Sehr spannend aber ist, daß erwähnt wird, daß für einige griechische Inseln Daten vorliegen für das Ausmaß, in dem dort Terrassierungen vorherrschen. Auf Keos sind 70–80% des Ackerlandes terrassiert, auf Tinos über 90 % und auf Antikythera 26 % (25). Weder bei den antik-griechischen Autoren noch bei den antik-römischen Autoren findet man nennenswerte Ausführungen über das Prinzip der Terrassierung (25). Sie wurden also in der Klassischen Zeit schon als etwas völlig Selbstverständliches hingenommen.
Mit noch größerer Spannung aber nimmt man zur Kenntnis, daß archäologische Forschungsprojekte zur Landschaftsnutzung im südlichen Griechenland, und zwar in der südlichen Argos und auf dem Peloponnes (Berbati-Limnes) schon vor vor 30 Jahren ergeben haben, daß die Ackerterrassierungen zuerst in der Späten Bronzezeit angelegt worden sind. Man beruft sich dazu auf das Buch von Van Andel, T. H., und C. Runnels "Beyond the Acropolis - A Rural Greek Past" - Stanford University Press 1987.
Diese Forschungen zur Landnnutzung in Griechenland gehen aber bis heute weiter. Wir finden sehr schnell eine Studie aus dem Jahr 2019, wonach der Grad der Terrassierungen in der Peloponnes zwischen 1300 und 1250 v. Ztr. am höchsten war (26, Figure 10). Dann folgen der Seevölkersturm und die "dunklen Jahrhunderte". Aber ab 750 v. Ztr. steigt der Grad der Terrassierungen bis etwa 250 v. Ztr. fast wieder auf den Stand um 1250 v. Ztr. an, erreicht ihn aber nicht mehr ganz. In der Spätantike und im Mittelalter werden diese noch viel weniger erreicht. Der Höhepunkt für die Terrassierungen und ihre Nutzung liegt also in der Peloponnes eindeutig in der Späten Bronzezeit: 1300 bis 1250 v. Ztr..
Das sollte einem doch zu denken geben. Die Autoren der jüngsten Studie schreiben zu den Gründen, weshalb Terrassierungen angelegt werden (25):
Grundsätzlich erhöhen alle Terrassen, einschließlich Pflugaufhäufungen ("Lynchets") die Produktivität pro Landeinheit. In extremen Fällen kann sie von nahezu Null (in begrasten aber unbewirtschafteten Höhenlagen) zu bis zu 60 % Steigerung in daselbst planierten Bereichen liegen. Sie erlauben außerdem den Anbau einer größeren Vielfalt von Früchten, was den Unterhalt einer größeren Vielfalt von Tieren ermöglicht. ...
Fundamentally all terraces, including lynchets, increase agricultural productivity per unit of planimetric land area. In extreme cases that can be from near zero (grazed but uncultivated hillsides) to 60%+ of planimetric area. Additionally, terracing also allows the cultivation of a wider range of crops, and the raising of more, and different, animals both of which can be seen as beneficial for dietary breadth and so reducing disease and infant mortality.
Sie erörtern auch (25) ...
darüberhinaus gehende Werte, die Terrassen mit sich bringen können, soziale, rituelle und politische. (...) Sie erlauben eine größere Bevölkerungszahl. (...)
other values that terraces can have; social, ritual and political (...) allowing the maintenance of higher population levels. (...) The relationships of terracing to settlements, including defended settlements, can be multi-factorial, through population but also through the use of terraces as transport routes, and as house sites as settlements expand.
Die größere Bevölkerungszahl wird schlichtweg der springende Punkt gewesen sein. / Ende des Nachtrags. /
Abb. 2: Terrassierungen in Northumberland um 1500 v. Ztr. (aus: 28)
/ Nachtrag 19.4.23: Terrassierungen ab etwa der Zeit um 1500 v. Ztr. finden sich auch in Northumberland, einer Grafschaft in Nordost-England an der Grenze zu Schottland (28). Im dortigen archäologischen Rahmen ist von "Früher und Mittlerer Bronzezeit" die Rede. Sie entspricht aber zeitlich der Spätbronzezeit Mitteleuropas und des Mittelmeerraumes (28):
Das zeitgleiche Auftreten unbefestigter Rundhaus-Siedlungen in Verbindung mit Feld- und Terrassierungs-Systemen zu dieser Zeit markiert einen plötzlichen Wandel, ohne daß es einen vorausgehenden Hinweis auf solche Bevölkerungsdichte und Dauerhaftigkeit von Siedlungen über die Landschaft hinweg gegeben hätte. (...) Schon die bloße Zahl von unbefestigten Siedlungen, die man durch Oberflächenfunde feststellen kann (mehrere hundert verteilt über die Cheviot-Berge), legt eine Phase dichter Besiedlung nahe.
The synchronous appearance of unenclosed roundhouse settlements with associated field and terrace systems at this time presents a sudden change, with no prior evidence for such density and permanence of settlement across this landscape. (...) The sheer number of unenclosed settlements visible as surface remains (with several hundred across the Cheviot Hills), however, suggests a period of dense settlement.
Viele untersuchte Siedlungen weisen auch eine Besiedlung über viele Generationen hinweg auf ("multi-phase"). Es werden in dieser Zeit auch Höhenlagen besiedelt, die davor und danach nicht besiedelt waren (28). (Ende Nachtrag) /
Die Stämme handelten als geschlossene Einheiten
Aus den historischen Berichten wissen wir: Die Stämme handelten geschlossen, sie siegten gemeinsam, sie gingen gemeinsam zugrunde. Wenn ein Stamm besiegt wurde, wurden die besiegten Menschen vom siegreichen Stamm ermordet oder versklavt. Die Leichen besiegter Krieger oder ermordeter Kriegsgefangener präsentierte man zur Abschreckung auf den Mauern oder in den Tempeln der Stadt (z.B. in den keltischen Viereckschanzen).
Man wundert sich, daß trotz solcher grausamer kriegerischer Vorgänge, die immer wieder als gegeben vorausgesetzt werden müssen, dennoch ein so reichhaltiges und blühendes Wirtschaftsleben, ein reichhaltiges politisches und kulturelles Leben sich entfalten konnte. Aber dasselbe sehen wir ja auch für das mykenische und nach-mykenische Griechenland. Beide - das zerstörende und das aufbauende Prinzip - konnten also über Jahrhundete, Jahrtausende parallel nebeneinander her gehen. (Wobei freilich immer einmal wieder auftretende sogenannte "dunkle Jahrhunderte" - zum Beispiel um 3.000 v. Ztr. auch in Dänemark - natürlich auch sehr zu denken geben können.)
2.500 bis 500 v. Ztr. finden sich auch im südlichen Kaukasus Höhenburgen wie neuerdings bekannt geworden ist (Erb-Satullo 2019).
Die Burgenforschung für die Zeit der Spätbronzezeit um 1000 v. Ztr. stellt ähnliche Erscheinungen auch schon tausend Jahre - früher wie tausend Jahre später - in Mitteleuropa fest. Und genau diese Burgenforschung stellt bis heute ein Desiderat der Forschung dar. So hat es der deutsche Archäologe Svend Hansen (geb. 1962) (Wiki) erst kürzlich in einem Vortrag geäußert (1) (ab 30. Minute).
Die ost- und mitteleuropäischen Höhenburgen, so führte er aus, sind in Mitteleuropa ab 1700 v. Ztr. errichtet worden, zu einer Zeit, in der es solche Burgen im Mittelmeer-Raum noch gar nicht gegeben hat, außer rund um die Adria herum. (Das war im Mittelmeerraum die Palastkultur der Minoer. Auch diese siedelten auf Bergen, aber ohne Verteidigungsmauern.) Vor 1700 v. Ztr. findet man metallene Schwerter und Lanzenspitzen nur im Vorderen Orient und im Kaukasus-Raum, so sagt er. Nach 1700 v. Ztr. findet man sie nur in West- und Mitteleuropa.
Wir meinen, daß das letztlich auch etwas zu tun haben könnte mit der vorhergehenden Ausbreitung der Indogermanen als Glockenbecher- und Streitaxtkulturen, wobei diese anfangs nicht weniger kriegerisch gewesen sein muß, wenn sie eben statt mit Metallwaffen mit Steinäxten, Holzkeulen, sowie mit Pfeil und Bogen gekämpft haben. Es überzeugt keineswegs, daß ein sonderlich zusätzliches kriegerisches Zeitalter in Mitteleuropa erst ab 1700 v. Ztr. in Europa angebrochen sein soll.
Zu kritisieren scheint uns an diesem Vortrag auch, daß die Fokussierung
auf das Thema "Konfliktforschung" aus dem Blick geraten läßt, daß die
vorliegende Komplexität einer Gesellschaft nicht davon abhängig ist, ob
man in ihr Waffen oder Befestigungsanlagen findet oder nicht, sondern
eher, wie intensiv die Wirtschaftstätigkeit war und der wirtschaftliche
Austausch, sprich Fernhandel, bzw. welcher kulturelle Reichtum vorliegt. Mit der Fokussierung auf das Thema
Konfliktforschung wird der Blick auf die Thematik bronzezeitliche
Höhensiedlungen unseres Erachtens zu sehr verengt. Auch mutet es
unangemessen an, daß die mitteleuropäischen Gesellschaften erst um 1700 v.
Ztr. so konfliktreich geworden sein sollen, wo doch mit hoher Wahrscheinlichkeit schon die Ausbreitung der indogermanischen
Kulturen zuvor in Mitteleuropa nicht unbedingt nur friedlich verlaufen ist. Dafür liefert ja insbesondere die Erforschung der Genreste dieser Bevölkerungen deutliche Hinweise (Dezimierung der mittelneolithischen Völker, insbesondere der Männer und ihrer Y-Chromosomen).
Eine zweite Phase der Verbreitung von Höhenburgen hat es dann, so Hansen, zwischen 1300 und 900 v. Ztr. zur Zeit der Urnenfeldkultur gegeben, also in der Spätbronzezeit (36. Minute). Wenn wir es parallel zu Griechenland setzen, könnte dies die Zeit gewesen sein, in der ein nicht geringer Teil der Terrassierungen angelegt wurde. Gegenwärtig werden Burganlagen dieser Zeitstellung in Hessen zwischen Taunus und Rhön erforscht. Im folgenden nun nur noch einige stichprobenartige Einblicke in den gegenwärtigen Forschungsstand zu den Höhensiedlungen der Kelten.
Abb. 3: Einige keltische Oppida der Fränkischen Alp zwischen Donau und Main (GMaps)
An
der Jahrtausende alten Straße von der Donau hinauf ins Obermain-Tal und ins Thüringer Becken
reihten sich - über die ganze Fränkische Alp hinweg - auf prägnanten Bergen in keltischer Zeit Oppida, bzw.
Großsiedlungen wie an einer Perlenkette entlang (s. Abb. 3):
der Schellenberg (Wiki) 30 Kilometer nördlich von Ingolstadt an der Donau
der Buchberg (Wiki) 30 Kilometer nördlich vom Schellenberg
die Ehrenbürg (Wiki) 66 Kilometer nördlich vom Buchberg
der Neubürg (Wiki) 32 Kilometer nördlich der Ehrenbürg
der Staffelberg (Wiki), 40 Kilometer nördlich des Neubürg
und viele
andere mehr.
Die Ehrenbürg (südlich von Bamberg) - Zentralsiedlung um 1250 v. Ztr.
Zwischen Bamberg und Nürnberg in Oberfranken liegt die
eben genannte Ehrenbürg. Über sie ist zu erfahren (Wiki):
Während
des 13. vorchristlichen Jahrhunderts war der Berg mit einer
spätbronzezeitlichen Steinmauer zu einer stark befestigten, großen
Zentralsiedlung ausgebaut worden. (...) Der von Schlaifhausen zum
antiken Tor heraufführende Weg diente als Zufahrt zu der Befestigung
(...) und ist somit wahrscheinlich die älteste Fahrstraße Oberfrankens.
Bei dem zusätzlich befestigten südlichen Teil Rodenstein handelte es
sich wohl um die Akropolis dieser Siedlung.
Man darf es immerhin als aufwühlend empfinden, von einer Akropolis um 1200 v. Ztr. in einer Region südlich von Bamberg zu lsen. Ist denn schon in das Geschichtsbewußtsein der Menschen vor Ort eingesickert, was alles damit verbunden gewesen sein muß?
Ein heiliger Berg, eine heilige Stadt im Herzen Frankens um 1200 v. Ztr., besiedelt von einem heute dahin gegangenen Volk. Die Sprache, die dieses Volk gesprochen hat, die Kultur, die dieses Volk gelebt hat, sie alle sind dahin gegangen. Wohin? Wir werden es weiter unten noch sehen.
Der Bullenheimer Berg östlich von Würzburg (1.000 bis 900 v. Ztr.)
Da gibt es dann etwa den Bullenheimer Berg zwischen Würzburg, Fürth und Rothenburg ob der Tauber. Die früheste nachgewiesene Besiedlung der Wohnterrassierung erfolgte wohl etwa zwischen 1.000 und 800 v. Ztr.:
Zur Anlage der Terrasse wurde vom Mittelhangbereich aus hangaufwärts auf einer Breite von ungefähr 18 m flächig Material abgetragen. (...) Während der Lehm offensichtlich abtransportiert wurde, hat man mit dem Steinmaterial Unebenheiten auf der Terrasse - besonders im anschließend bebauten Bereich - ausgeglichen. (...) Die Neubesiedlung des Areals erfolgte dann unmittelbar auf der künstlich geschaffenen Oberfläche.
Im Bereich des Hauses, bzw. im Umfeld fanden sich Hinweise auf Keramikproduktion, auf Webstühle, auf Spinnwirtel, auf Verarbeitung von Pech. Auch die Niederlegung einer späturnenfelderzeitlichen Tasse findet sich auf der Terrasse, es wird ein Bauopfer vermutet. All das scheint um 900 v. Ztr. beendet worden zu sein durch einen Brand, der Brandschutt zurück ließ. Ein lebensvolles Volk, ein lebenskräftiger Stamm - untergegangen oder abgewandert (vermutlich) und schließlich in den Stürmen der Weltgeschichte "verronnen".
Die Heunischenburg bei Kronach (1.000 v. Ztr.)
Nahe der oberfränkischen Stadt Kronach befindet sich die Heunischenburg, die 1000 bis 800 v. Ztr. besiedelt und befestigt war, also in jener Zeit, in der in Griechenland die "Ilias" niedergeschrieben worden ist, und in der jene in der Ilias beschriebenen "Homerischen Heroengräber" sich von der Ägäis bis nach Dänemark und bis nach Westpreußen finden (siehe frühere Beiträge hier auf dem Blog), in der also vermutlich auch der Geist der Ilias in demselben Verbreitungsgebiet gelebt worden ist. Auf dieser Burg wurden sehr viele bronzene Pfeilspitzen und Waffen gefunden. Und wir erfahren (Wiki):
Eine typische Konstruktion von Zangentor und Ausfallpforte läßt spätmykenischen Einfluß erkennen, sodaß auf Kontakte zur mediterranen Zivilisation geschlossen werden kann. Die mächtige, jedoch kleinräumige Befestigung und die vielen gefundenen Waffen heben die Heunischenburg deutlich ab von den großen spätbronzezeitlichen Mittelpunktsiedlungen wie der Ehrenbürg bei Forchheim und dem Großen Gleichberg in Thüringen.
Wiederum ein Stamm, ein Volk, dessen Namen wir kaum kennen, und dessen Schicksale im weiteren Verlauf der Weltgeschichte "verronnen" sind.
Der Hohenberg in der Südpfalz (1.000 v. Ztr.)
Die deutsche Bronzezeit-Forschung wird immer mehr aufmerksam auf die Notwendigkeit, sich dem Thema Höhensiedlungen der Bronzezeit zuzuwenden, so etwa auch für das Gebiet der Südpfalz (6):
Eine hohe Dichte bronzezeitlicher Fundplätze zwischen Pfälzerwald und Rheinlauf mit spektakulären Funden - wie dem Goldhut von Schifferstadt, den Bronzerädern von Haßloch und den Flußfunden von Bobenheim-Roxheim - ließen erwarten, daß das vermeintliche Fehlen von Höhensiedlungen eine Forschungslücke darstellt. Tatsächlich gelang es mit den Entdeckungen auf dem Hohenberg, am Rande des Pfälzerwaldes im Jahr 2014 erstmals, eine befestigte Höhensiedlung der Urnenfelderzeit in der Südpfalz nachzuweisen.
Ähnliche Zusammenhänge werden gegenwärtig und zukünftig sicher für viele weitere Regionen aufgezeigt werden können.
Die Burg an der Dömnitz bei Pritzwalk (800 v. Ztr.)
Zur Zeit der vielen Hügelgräber rund um das Königsgrab von Seddin (Wiki) in der Prignitz (zwischen Berlin und Hamburg) gab es sieben Kilometer östlich davon, flußaufwärts des Elbe-Nebenflusses Dömnitz - und von diesem umschlungen - eine bronzezeitliche Befestigungsanlage mit Zangentor.
Das keltische Volk der "Volker"
Das keltische Volk der "Volker" (Wiki) ist den griechischen und römischen Historikern und Schriftstellern bekannt geworden, nachdem es ab etwa 300 v. Ztr. in den Einflußbreich dieser Kulturräume gewandert war.
Abb. 4: Die Wanderungen des Volkes der Volker im 3. Jhdt. v. Ztr.
Es war also einerseits nach Griechenland und Kleinasien im Osten, andererseits in die Schweiz, in das Rhonetal, nach Toulouse und bis zu den Pyrenäen im Westen.
Ihre Heimat lag aber in den deutschen Mittelgebirgen, in Hessen, Thüringen und Franken, wo auch Teile des Volkes bis zur Eroberung durch die Römer von Süden und durch die Germanen von Norden seßhaft geblieben sind.
Auf ihren Volksnamen "Volker" wird auch die germanische Volksbezeichnung "Welsche" zurückgeführt, wobei diese Bezeichnung wohl alles "Nicht-Germanische" umfassen wird, und wobei auch schon die Wahrnehmung der romanisierten "Volker", bzw. von deren Unterschichten mitgeschwungen haben kann, also der "gallo-romanischen" Bevölkerung. Durch die Zuwanderungen von Teilen der Volker in den griechisch-römischen Kulturraum lernten die dortigen Schriftsteller die Sitten und Bräuche dieses Volkes besser kennen.
Die Galater in Kleinasien
Im Jahr 280 v. Ztr. fielen zwei keltische Heere in Nordgriechenland ein. Eines stand unter der Führung des Heerführers "Brennus". Aber vielleicht handelte es sich bei diesem Namen auch einfach nur um eine keltische Bezeichnung für "Heerführer". Griechenland war damals innerlich zerstritten durch die Diadochenkämpfe. Das keltische Heer plünderte Delphi und gewann dabei einen berühmten Goldschatz, der nachmals als "Gold von Tolosa", sprich Toulouse, bekannt geworden ist. Denn die Kelten transportierten diesen Schatz bis Toulouse im Westen (Wiki). 279 v. Ztr. konnten sie dann aber in der Nähe von Delphi geschlagen werden. Brennus starb nach der Schlacht, vielleicht an seinen Wunden, vielleicht durch Selbstmord.
Die nach Griechenland eingedrungenen Kelten gründeten unter der Führung ihres neuen Herrschers Komontorios in Thrakien ein Fürstentum. Seine Hauptstadt war Tylis.
278 v. Ztr. gingen dann 20.000 Kelten, davon die Hälfte Krieger, als Söldner nach Kleinasien. Hier waren sie von einem König angeworben worden, der sie im Krieg gegen seinen Bruder benötigte. Er siedelte sie in der Gegend des heutigen Ankara an. Der Stamm bezeichnete sich als Galater (Wiki). Die Galater teilten sich nach den zeitgenössischen Berichten in drei Stämme, nämlich:
die Tolistobogier
die Tektosagen (mit ihren Teilstämmen: Ambitouti, Toutobodiaci und Voturi)
die Trokmer.
Vielleicht ist es naheliegend anzunehmen, daß jeder dieser Teilstämme einstmals eine mächtige Völkerburg im europäische Mittelgebirge besiedelt hat. Jeder Stamm war in vier Gruppen gegliedert, denen je ein Tetrarch obstand. Jedem dieser zwölf Tetrarchen unterstanden ein Priester und ein Feldherr, dem zudem noch zwei Befehlshaber untergeordnet waren. Der Gesamtrat der Galater bestand aus 300 Männern, die im gemeinsamen Versammlungsplatz Drunemeton („Heiliger Eichenhain“) zusammen kamen.
Antike Schriftsteller berichten, daß die Galater Kriegsgefangene geopfert haben. Dies kann durch die Archäologie bestätigt werden. Neben Menschenopfern wurden auch Pferde, Rinder und Hunde geopfert. Die Angabe, daß die Galater 189 v. Chr. völlig nackt in den Kampf gezogen seien, ist glaubhaft, da dies als alter gallischer Brauch bezeugt ist.
Diese Galater gingen in Kleinasien auf Plünderungszüge und wurden 268 v. Ztr. durch ein Heer mit Kriegselefanten geschlagen. Ihnen wurde daraufhin eine "Keltensteuer" auferlegt.
196 v. Ztr. mußten sie ein weiteres mal geschlagen werden. Die Galater wurden jedoch weiterhin von eigenen Herrschern regiert. 86 v. Ztr. wurden aber sämtliche galatische Adlige ermordet. Noch im Jahr 400 n. Chr. bezeugte aber der Kirchenvater Hieronymus die Existenz keltisch sprechender Völker in der Gegend um das heutige Ankara.
Das Gold von Tolosa
Das eben schon genannte Gold von Tolosa (Wiki) führten die Kelten nach dem heutigen Toulouse mit. Dort lagerten sie es in einem Teich des keltischen Apollon-Heiligtums. 106 v. Ztr. wurde Tolosa bei der Rückeroberung von den Römern nach einem Aufstand geplündert. Dabei entdeckte der Konsul Quintus Servilius Caepio den Schatz. Er ließ ihn nach Massalia schicken. Der Schatz kam dort jedoch nie an, weil Caepios Männer ihn illegal für ihren Herrn in Besitz nahmen.
Caepio, der die Volcae-Koalition im Jahr 105 v. Chr. zermalmte, wurde der Sage nach von den Göttern mit einer Niederlage in einer Schlacht gegen die Kimbern gestraft. Das Wort aurum Tolosanum wurde deshalb bei den Römern zu einem Synonym für einen Unglück bringenden Gegenstand.
Der Keltenfürst vom Glauberg (550 bis 450 v. Ztr.)
In diese Zusammenhänge ist auch der berühmte Keltenfürst vom Glauberg (Wiki) in der Wetterau nördlich von Frankfurt am Main einzuordnen (26).
Die Ehrenburg - Völkerwanderung in der Latènezeit (480-380 v. Chr.)
Über die Ehrenbürg in Oberfranken zwischen Bamberg und Nürnberg zu erfahren (Wiki):
In
der Frühlatènezeit (480-380 v. Chr.) wurde auf dem Hochplateau
abermals eine 36 ha große, stadtähnliche Anlage mit einer mächtigen
Steinmauer (Rekonstruktion vor Ort) errichtet. Durch Ausgrabungen und
Magnetometerprospektionen konnten etwa 20.000 Kellergruben nachgewiesen
werden, die auf eine dichte Besiedlung dieser frühen Stadt schließen
lassen. (...) Archäologische Funde belegen, daß die frühkeltische
Zentralsiedlung Kontakte bis in den mediterranen Raum hatte (Ausstellung
im Pfalzmuseum Forchheim). Die Ehrenbürg war zu dieser Zeit ein
politisches und wirtschaftliches Zentrum, dessen Einfluß weit über die
Region hinausreichte. Die mächtige Siedlung wurde zu Anfang des 4.
vorchristlichen Jahrhunderts wie alle anderen gleichzeitigen
Befestigungen Oberfrankens verlassen. Das hängt sehr wahrscheinlich mit
den historisch belegten Keltenwanderungen gen Süden in Zusammenhang, die
wohl von Klimaveränderungen verursacht wurden.
Darüber ist unter "Kelten" (Wiki), "Keltische Südwanderungen" (Wiki) und "Volker" (Wiki) mehr zu erfahren. Und Einzelheiten dazu hatten wir gerade referiert. Es gilt aber zu beachten, daß die heutigen Deutschen südlich des Mains genetisch zu 55 % von den Kelten und nur zu 34 % von den Germanen abstammen (Stgen2024). Das aber kann nur heißen, daß diese keltischen Südwanderungen die Siedlungskontinuität der Kelten in Süddeutschland vor Ort bis heute nie infrage gestellt haben.
Der Staffelberg in Oberfranken (120 bis 40 n. Ztr.) - Hier lebten "Kopfjäger"
Auf dem Staffelberg bei Bad Staffelstein im Obermaintal nördlich von Bamberg, bzw. zwischen Bamberg und Coburg wird gerade archäologisch gegraben. Grabungsleiter ist Markus Schußmann.
Der eindrucksvolle Staffelberg am Rande des Obermaintales in Franken (im "Gottesgarten") war schon in der Spätbronzezeit (ab der frühen Urnenfelderzeit) besiedelt (ab 1300 v. Ztr.). Dies bezeugen Waffen- und Schmuckfunde aus Bronze (Wiki):
Ob die Siedlung in diesen frühen Zeiten befestigt war, wie es etwa für die Ehrenbürg und die Heunischenburg zutrifft, ist unklar.
Nach Schußmann gibt es Nachweise für Siedlungen unterhalb der Akropolis bislang nur für die keltische Zeit (ab 120 v. Ztr.). Aber auch die Hänge unterhalb des dem Staffelberg südlich benachbarten Dornig sind fast bis hinunter nach dem Dorf Loffeld auffallend terrassiert. Es ist zu erfahren (InFranken 2018):
Das Gräberfeld auf dem Dornig umfasse insgesamt 84 Grabhügel, von denen die meisten schon im 19. Jahrhundert unter anderen von Pfarrer Lukas Hermann angegraben worden sind und Funde aus der Bronze- und Hallstattzeit enthielten.
Dieser Berg war also ebenfalls in der Urnenfeldzeit besiedelt.
Abb. 5: In diesen Ausmaßen wird sich laut dem Archäologen Markus Schußmann die keltische Stadt Menosgada vor mehr als 2000 Jahren auf dem Staffelberg etwa erstreckt haben. (Foto: Ronald Rinklef/Grafik: Michael Haller) (InFranken)
Dort festgestellte Befestigungsanlagen fallen aber erst in die Zeit der Völkerwanderung und in das Frühmittelalter (Wiki).
Auf der Schauseite des neuerdings auf dem Staffelberg dort ausgegrabenen Zangetores fanden sich über 70 menschliche Schädelfragmente, ... (27)
.... die vermutlich bis zu 30 Individuen repräsentieren. Ihre Schädel waren als Trophäen beiderseits der Torgasse ausgestellt, wobei sich nun auch eine Konzentration im Torgebäude selbst abzeichnet. Wie in einem keltischen Heiligtum waren dort ferner (mindestens) zwei mittellatènezeitliche Schwertgarnituren - damals schon Altstücke - aufgehängt gewesen. Ihre Überreste lagen im Schutt des durch Feuer vernichteten Gebäudes.
Eine solche Zurschaustellung der Leichen der erschlagenen Feinde und geopferten Kriegsgefangenen, sowie ihrer Schädel und Rüstungen ist sehr verbreitet im keltischen Kulturraum, insbesondere auch in den keltischen Heiligtümern ("Viereckschanzen") nachgewiesen worden. Es findet sich dies auch bei dem Volk der Daker (Stgen2021, Abb. 3). Es findet sich etwa auch um 650 v. Ztr. vor dem Tor der antiken Stadt Side in Pamphylien (der heutigen südlichen Türkei) (St.gen. 2016, Abb. 3). Wir haben es hier zu tun mit dem sogenannten Keltischen Kopfkult (Wiki).
Abb. 6: Das Portal der nordirischen Dorfkirche von Clonfert, über dem 16 in Stein gemeißelte abgeschnittene menschliche Köfpe "präsentiert" werden (Wiki)
Der keltische Kopfkult hat in Nordirland so lange nachgeklungen, daß eine solche Zurschaustellung von abgeschnittenen Köpfen noch über dem Portal
der im 12. Jahrhundert errichteten nordirischen Dorfkirche von Clonfert zu finden ist. 16 in Stein
gemeißelte Schädel sind dort "ausgestellt" (Wiki) (s. Abb. 6). Durch diese Pforte sind die Menschen allsonntäglich ein- und ausgegangen. Auf dem Staffelberg sogar täglich. Und da bekommt das Wort "Barbaren" wieder jenen berechtigten Klang zurück, aus dem er einstmals entsprungen war.
Umtost von der Südwanderung der Sueben/Elbgermanen unter Ariovist ab 75 v. Ztr.
/Nachtrag 15.6.24:/ So hat es zwischenzeitlich auch eine Mitarbeiterin des Landratsamtes Lichtenfels, Lisa Lamm, dargestellt. Sie führt weiter aus (Nat.Geog.2022):
Warum die Kelten letztendlich ihr Oppidum am Staffelberg aufgaben, ist nicht eindeutig geklärt. „Was wir wissen, ist, daß die Bewohner von Menosgada die Stadt um das Jahr 40 n. Chr. verließen - und daß sie planmäßig abzogen und zumindest das ausgegrabene Tor selber niederbrannten“, so Büttner. Das sei vor allem daran zu erkennen, daß offenbar alle wertvolleren Einrichtungsgegenstände im und am Torhaus fehlten: Die Anlage wurde also systematisch geräumt, bevor man das Feuer legte. „Außerdem dürfte es nicht so leicht gewesen sein, das Torhaus von außen im Rahmen eines feindlichen Angriffs zu entzünden. Vielmehr sieht es so aus, daß das Feuer an neuralgischen Punkten im Durchgang des Torhauses selber entzündet wurde“, so Büttner.
Caesar berichtet auch von den Helvetiern, daß sie, bevor sie aus ihrer Heimat abgezogen sind, sorgfältig alles zur Abwanderung vorbereitet haben (Getreide aufgekauft usw.) und dann ihre Dörfer abgebrannt haben.
Ab ungefähr dem Jahr 75 v. Ztr. waren viele germanische Stämme zwischen Weser und Oder in Bewegung gekommen und sind unter Ariovist bis hinunter zu den Alpen und nach Gallien hinein gezogen. Sie scheinen dabei die keltischen Oppida auf ihren Wegen geduldet zu haben. Von den Archäologen werden diese Germanen unter dem Oberbegriff "Elbgermanen" (Wiki) zusammen gefaßt. Diese waren von der Mündung der Elbe bis nach Böhmen und von dort bis zur Donau verbreitetet (Wiki):
Im Unterschied zu den Siedlungsgebieten der Nordsee-, Oder-Weichsel- und Rhein-Weser-Germanen (aus denen später die Franken hervorgingen) kam es im elbgermanischen Siedlungsgebiet zu einer relativ einheitlichen Entwicklung im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich. Dies zeigt sich vor allem an deutlichen Übereinstimmungen in der materiellen und geistigen Kultur (Keramik-, Geräte-, Waffen- und Schmuckformen, religiöse Bräuche u. Ä.). Ursache dafür waren intensive Kontakte sowohl der elbgermanischen Stämme untereinander als auch zu entfernteren germanischen Stammesverbänden.
Diese elbgermanischen Stämme hatten sich den Sueben (Wiki) unterstellt und angeschlossen, die sich von der Odermündung her ausbreiteten. Nach Caesar könnte sich das politische Zentrum der Sueben unter Ariovist im heutigen Hessen oder Thüringen befunden haben, vielleicht in Regionen wie der "Goldenen Aue" (Wiki). Jedenfalls hört man von besonders hartnäckigem Widerstand der keltischen Stämme südlich des Mains gegenüber den Sueben nichts. Es ist nur zu erfahren, daß Ariovist als Zweitfrau neben einer Suebin eine Keltin heiratete. Und es ist zu erfahren (Wiki):
Die (keltischen) Sequaner (...) ließen sich im Gebiet zwischen Saône, Rhone und dem Juragebirge nieder. Im Streit mit den Haeduern riefen sie im Jahr 72 v. Chr. den Germanenkönig Ariovist zu Hilfe. Im Jahr 61 v. Chr. wurden die Haeduer in der Schlacht bei Magetobriga (La-Moigte-de-Broie) geschlagen, im Gegenzug besetzte Ariovist aber große Teile des Sequanergebiets.
Dadurch hinwiederum fühlten sich die Helvetier in der heutigen Schweiz bedrängt und faßten 58 v. Ztr. den Entschluß, auszuwandern. Das aber wurde ihnen von Caesar untersagt. Nach der verlorenen Schlacht bei Bibracte kehrten sie noch im selben Jahr in ihre Heimat zurück (Wiki). Wir lesen (Wiki):
Ariovist hatte für die Sequaner Krieg geführt und war mit Landschenkungen im heutigen Elsaß belohnt worden. Die Ansiedlung der Germanen links des Rheins, der nach seiner Auffassung die Grenze zwischen Gallien und Germanien war, nahm Caesar als Vorwand, um im Sommer 58 v. Chr. gegen diese loszuschlagen: Nach Caesar plante Ariovist, der in düsteren Farben beschrieben wird, die Unterwerfung ganz Galliens. (...) Der Feldzug Caesars, der sich in diesem Zusammenhang zum Schutzherrn „aller Gallier“ aufspielte, war ein voller Erfolg: Ariovists Heer wurde geschlagen, der Suebenfürst selbst entkam nur mit knapper Not.
Caesar besiegte die unter Führung von Ariovist nach Gallien eingedrungenen Sueben im Jahr 58 v. Chr. in einer Schlacht am Rhein. In seinen Berichten begreift er als Sueben die östlich der Ubier und Sigambrer wohnenden Germanen und berichtet, daß sie 100 Gaue mit je 1000 streitbaren Männern gezählt, aber sich bei seinem Rheinübergang weit nach dem Wald Bacenis (die deutschen Mittelgebirge, die nach Caesar die Sueben von den Cheruskern trennten), zurückgezogen hätten. (...) Sie sollen keine festen Wohnsitze gehabt haben, sondern alljährlich zum Teil auf kriegerische Unternehmungen ausgezogen sein. Die Größe des suebischen Stammesverbandes ist wahrscheinlich in der Mehrzahl auf eine Selbstzuordnung anderer Stämme aufgrund des Kriegsruhmes der Sueben zurückzuführen. Cassius Dio berichtet jedenfalls, daß auch "viele andere Anspruch auf die Bezeichnung ‚Sueben‘ erheben".
Allerdings gab es nach Ausweis der archäologischen Quellen am Main und nördlich davon durchaus feste Siedlungen, sogar keltische Oppida waren in diesem Gebiet noch kurz nach der germanischen Einwanderung besiedelt. Diese sogenannten Mainsueben, die 10/9 v. Chr. von Drusus unterworfen wurden, gehörten nach dem Fundgut zu einer Mischung des elbgermanischen und des rheinwesergermanischen Kulturkreises.
Nach Inschriftenfunden lebten in der Gegend von Lopodunum (heute Ladenburg) im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. unter römischer Herrschaft die Suebi Nicrenses, die Neckarsueben. Nach ihnen wurde die Civitas Ulpia Sueborum Nicretum in der Gegend von Ladenburg benannt. Es handelt sich wahrscheinlich um Reste, die nach der Vertreibung oder auch freiwilliger oder zwangsweiser Umsiedlung hier und in Diersheim zurückgeblieben waren.
Die Region Oberfranken hat also schon damals im Zusammenhang mit geographisch weit gespannten historischen Zusammenhängen gestanden (Stgen2021). Die keltischen Stämme südlich des Mains und des Erzgebirges sahen sich jedenfalls allseits von suebischen Stämmen überrannt. Der Sieg Caesars über Vercingetorix im Jahr 52 n. Ztr., wodurch die römische Herrschaft in ganz Gallien links des Rheines gesichert war, wird einen starken Eindruck auch auf die keltischen Stämme rechts des Rheines ausgeübt haben, die sich zugleich mit der elbgermanischen Südwanderung konfroniert sahen.
In den nachfolgenden Jahrzehnten drangen die Römer von Süden her in ihre Siedlungsräume vor: Um 15 v. Ztr. hatten die Römer die keltischen Vindeliker bei der Insel Reichenau besiegt und danach Augsburg als römische Siedlung gegründet. Am Oberen Main und im böhmischen Becken hatte ein Nachfolger des Ariovist, der Markomannen-König Marbod, eine starke, aber auch kluge, nicht zu herausfordernde Stellung gegenüber dem Römischen Reich eingenommen. Die in Böhmen einheimischen keltischen Boier (Wiki) waren von den Markomannen unterworfen und zum Teil verdrängt worden.
Inmitten solcher Völkerbewegungen, militärischer und politischer Bestrebungen werden sich die Kelten vom Staffelberg zu einer Neuorientierung aufgerufen gesehen haben. Womöglich zogen sie in das Dekumatland (Wiki) am Neckar, siedelten sie sich also im Vorfeld des Limes an, um den Schutz des Römischen Reiches in Anspruch zu nehmen und zugleich dessen Vorfeld zu decken so wie es Tacitus berichtete (Wiki):
Nicht unter die Völker Germaniens möchte ich die Leute rechnen, die die agri decumates bearbeiten, obwohl sie sich jenseits von Rhein und Donau niedergelassen haben. Die abenteuerlustigsten Gallier, die die Not kühn gemacht hat, haben den Boden, dessen Besitz umstritten war, besetzt; seitdem dann der Limes angelegt und die Grenzwachen weiter nach vorn verlegt worden sind, bilden sie einen Vorposten unseres Imperiums und einen Teil der Provinz.
Am Neckar siedelten also offenbar sowohl "Gallier" (Kelten) wie auch Sueben (Wiki):
Unter Kaiser Augustus (regierte 31 v. Chr.–14 n. Chr.) versuchten die Römer in den augusteischen Germanenkriegen, das rechtsrheinische Germanien (die Germania magna) zu erobern. Nachdem diese Politik letztlich gescheitert war, zog sich das römische Militär auf die linke Seite des Rheins zurück und beschränkte sich auf eine indirekte Kontrolle des gegenüberliegenden Flußufers. In diesem Areal, das im Laufe der vorangegangenen Jahrzehnte stark entvölkert worden war, siedelten die Römer nun germanische Personengruppen an, die dieses Gebiet sichern und erschließen sollten. Im Bereich des unteren Neckars übernahm diese Funktion ein Teilstamm der Sueben, dessen Name in späteren lateinischen Inschriften als „Suebi Nicrenses“, also „Neckarsueben“ oder „Neckarschwaben“, erscheint. Wie stark diese Zusammenarbeit zwischen Römern und Neckarsueben formal festgeschrieben war und ob es sich um einen formell von Rom abhängigen Klientelstaat handelt, ist in der Forschung umstritten. Die Ansiedlung der Elbgermanen erfolgte dem archäologischen Fundmaterial nach noch während der Regierungszeit des Kaisers Tiberius (14–37 n. Chr.).
Vielleicht sind die Kelten vom Staffelberg ja sogar als Verbündete der Neckarschwaben ihnen "nachgezogen". /Ende Nachtrag./
Dieser Überblick wird - wie an den Nachträgen erkennbar - immer einmal wieder ergänzt und vervollständigt.
/Nachtrag 15.6.24:/ Wieviel mehr Gründe gibt es inzwischen dafür, sich mit den Themen dieses Blogartikels zu beschäftigen, seit wir wissen, daß die Deutschen südlich des Mains und im Alpenraum zu 55 % von den romanisierten Kelten aus er Zeit vor der Völkerwanderung ab 375 v. Ztr. abstammen und nur zu 34 % von den völkerwanderungszeitlichen Germanen Norddeutschlands wie den Bajuwaren oder den Alemannen, von denen diesbezüglich in der Geschichtsschreibung bislang viel häufiger die Rede war wenn es um die Ethngenese der Deutschen ging (Stgen2024).
Hansen, Svend: Prähistorische Konfliktforschung - Bronzezeitliche Burgen zwischen Taunus und Karpaten. Exzellenzcluster Topoi, 3.9.2018, https://youtu.be/cJ75oIZR_yc (der archäologische Teil beginnt erst ab Minute 21.30)
Bading, Ingo: Terrassen an bronzezeitlichen Höhenburgen in Deutschland, 26.03.2019, https://youtu.be/mFpq1XBbUzw.
Heß, Achim (Filmemacher): La Mutta in Thüringen? Vergessene urzeitliche Höhensiedlungen um den Thüringer Wald, 21.01.2019, https://youtu.be/go_jRiOqlq0.
Noelle, Hermann: Geh von deinem Acker, Kelte. Eine Roman vom Kampf der Kelten, Germanen und Römer. Hohenstaufen, 1963
Erb-Satullo, N. L., Jachvliani,
D., Kalayci, T., Puturidze, M., & Simon, K. (2019). Investigating
the spatial organisation of Bronze and Iron Age fortress complexes in
the South Caucasus. Antiquity, 93(368), 412–431.
doi:10.15184/aqy.2018.191
Antony Brown, Kevin Walsh, Daniel Fallu, Sara Cucchiaro & Paolo Tarolli (2021) European agricultural terraces and lynchets: from archaeological theory to heritage management, World Archaeology, DOI: 10.1080/00438243.2021.1891963, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/00438243.2021.1891963
Bonnier, Anton, Martin Finné, and Erika Weiberg. "Examining land-use through GIS-based kernel density estimation: A re-evaluation of legacy data from the berbati-limnes survey." Journal of Field Archaeology 44.2 (2019): 70-83, https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/00934690.2019.1570481
Markus Schußmann: Zum Abschluß der Ausgrabungen eines spätlatènezeitlichen Zangentores auf dem Staffelberg. In: Das archäologische Jahr in Bayern 2019 (Acad)
Brown, A., Fallu, D., Cucchiaro, S., Alonso-Eguiluz, M., Albert, R., Walsh, K., . . . Waddington, C. (2023). Early to Middle Bronze Age agricultural terraces in north-east England: Morphology, dating and cultural implications. Antiquity, 97(392), 348-366. doi:10.15184/aqy.2023.1 (Antiquity)
Aus dem Haar eines Mannes, der vor 200 Jahren an der Südküste Afrikas lebte, sind Gene gewonnen und sequenziert worden. Sie weisen zu einem Drittel ostafrikanische genetische Herkunft auf (Abb. 1: Hellblau), zu zwei Dritteln San-Buschleute-Herkunft (Abb. 1: Braun). Der Mann wird als der "Vaalkrans-Mann"bezeichnet (1).
Abb. 1: Herkunftskomponenten in südafrikanischen und ostafrikanischen Völkern heute (links) und bis vor 2000 Jahren (rechts) - Braun=San-Buschleute-Komponente, Hellblau=Somali-Herkunftsomponente, Grün=Bantu-Herkunftskomponente, Lila=Kung-Buschleute-Herkunftskomponente (nordwestliche Buschleute)
Eine etwas größere, solche ostafrikanische Herkunftskomponente war auch schon bei dem sogenannten "Kasteelberg-Mann" gefunden worden, der um 800 n. Ztr. an der Südwestküste von Südafrika als Herden-Halter lebte (1) (Abb. 1). Im heutigen Südafrika findet sich diese Herkunftskomponente zu kleineren Anteilen immer noch bei dem Volk der Nama und einigen anderen (Abb. 1).
Diese ostafrikanische Herkunftskomponente hat sich bis heute bei den Somaliern (Wiki) in Somalia am unvermischtesten gehalten (Abb. 1). Die Somali sind auch heute noch Herdenhalter und halten Kamele, Ziegen, Schafe und Rinder. Mit dieser ostafrikanischen Herkunftskomponente ist auch die Fähigkeit verbunden, als Erwachsener rohe Milch verdauen zu können.
Die Kung!-Buschleute (Wiki), bzw. Juǀʼhoan (Wiki) leben im nordwestlichen Südafrika (Lila in Abb. 1). Zu einigen ihrer Stämme gelangte die ostafrikanische Herkunftskomponente bis heute so gut wie nicht. Ihre Herkunfts-Komponente (Lila) wird in Abbildung 1 durch die Farbgebung sehr deutlich von der der San-Buschleute-Herkunftskomponente unterschieden. Beide Gruppen weisen aber - im Vergleich zu den anderen Herkunftskomponenten - genetisch doch weitaus mehr Übereinstimmung auf als in dieser Grafik zur Darstellung kommt. Ebenso gibt es kulturell viele Ähnlichkeiten.
Insgesamt gesehen, kann gesagt werden: Bislang dachte man, wenn man an "Schwarz-Afrika" dachte, fast immer nur an die große Völkergruppe der Bantu-Völker, ihre Entstehung und ihre Ausbreitung. Es scheint aber doch Sinn zu machen, an die große ostafrikanische Völkergruppe der Somali ganz ebenso zu denken.
[Ergänzung, 16.6.21] Ergänzt sei, daß in der Einleitung der hier behandelten Studie sehr ausführlich darauf hingewiesen wird, daß eine solche Vermischung vor 1200 bis 2000 Jahren in der Forschung schon seit längerem vermutet wird (1):
Die Khoekhoe-Hirten gehen wahrscheinlich zurück auf eine Vermischung von San-Gruppen mit zuwandernden Hirten aus Ostafrika in einer Zeit zwischen 2000 und 1200 vor heute (Breton et al., 2014; Macholdt et al., 2014; Schlebusch et al., 2017).
The Khoekhoe herders likely emerged from San groups mixing between 2,000 and 1,200 years ago with incoming migrant herders from East African (Breton et al., 2014; Macholdt et al., 2014; Schlebusch et al., 2017).
Aspekte der früheren "Hamiten-Theorie" bestätigt?
[Ergänzung, 16.6.21] Zu diesem Blogartikel bekamen wir von kundiger Seite - nämlich von dem Volkskundler Christian Böttger (geb. 1954) (WirS.) - Zuschriften (29.3.2021 und 26.4.2021). Mit Verweis auf sein neues Buch (2, S. 103f) schrieb er:
Dort können Sie sofort erkennen, welche Bedeutung diese Informationen haben. Leider wird ein reiner Laie diese Informationen schlecht einordnen können, da er die ganzen Wissenschaftstheorien zu den Khoisanvölkern nicht kennt. (...) Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jh. vermutete man, was jetzt
bewiesen erscheint; die Hottentotten (siehe Nama) sind Mischlinge aus
Buschleuten und Hamiten. Adametz und die sog. Hamiten-Theorie können
damit als zumindest teilweise bestätigt gelten. Die Somalier sind
nämlich Hamiten - das muß man wissen, um die ganze Sache zu verstehen.
Daß sie aber so spät nach Südafrika kamen, kommt mir spanisch vor. Dann
muß die Ethnogenese der Khoi erst zu diesem Zeitpunkt erfolgt sein.
Und:
Ich stehe allerdings immer noch unter Schock Ihrer Mail vom 28. März (Die Somalier in Südafrika). Das ist eine echte Sensation. Die gesamte Ur- und Frühgeschichte Südafrikas muß jetzt neu geschrieben werden. Um Ihnen zu verdeutlichen, was ich meine, habe ich Ihnen mal eine Schrift herausgesucht, in welcher Peter Rohrbacher vom Institut für Sozialanthropologie der Österr. Akademie der Wissenschaften noch 2017 versucht, den Einfluß von Somalis auf die Ethnogenese der Khoikhoi (Hottentotten) zu leugnen.
Hier unter (3).
Es ist also wieder einmal von „Fiktion“ die Rede, eine Fiktion, die jetzt in einem ganz anderen Licht erscheint. Dort lesen wir auf Seite 258 etwas über „Hamitische Hottentotten als Fiktion von Interdisziplinarität“, was ganz klar eine Ablehnung des somalischen Einflusses auf die Herausbildung der Khoi beedeutet. (Die Somalier zählen als Kuschiten zu den Hamiten). Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften kommen wieder einmal zu unterschiedlichen Ergebnissen und sind unfähig, sich abzustimmen. Die neuen genetische Erkenntnisse bezüglich der Khoi stellen also eine echte Sensation dar, denn sie bestätigen in großen Teilen das, was vor über 100 Jahren in der Ethnologie schon einmal als Lehrmeinung galt, aber nach 1945 bis zum heutigen Tag mit den Mitteln der Dekonstruktion und Ideologiekritik hartnäckig bestritten worden ist. (...) Inzwischen habe ich herausgefunden, daß die Einwanderung der Somalis vor etwa 2000 Jahren begonnen haben soll.
Es erfolgt Verweis auf (4). - Zumindest nach Wikipedia (Wiki) scheinen die Vorstellungen rund um eine "Hamiten-Theorie" auch noch in der Wissenschaft der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vergleichsweise wechselhaft und unzusammenhängend gewesen sein. Man möchte also auf den ersten Blick am ehesten sagen, daß die neuen Forschungen ganz grob "Aspekte" bestätigen, die im Zusammenhang mit früheren Hamiten-Theorien eine Rolle spielten.
Es dürfte doch zum Beispiel wesentlich sein festzustellen, daß die Ureinwohner Südafrikas nicht etwa deshalb helle Haut hätten, weil sie sich mit "Hamiten", bzw. Somaliern vermischt haben. Denn unvermischte südafrikanische Ureinwohner weisen ja auch helle Haut auf. Ihre Sprachen werden auch weiterhin an der untersten Verzweigung des menschlichen Sprachstammbaums stehen. Aber es wird gefragt werden müssen, was an diesen Sprachen auf Einflüsse der Somalier zurück geführt werden könnte.
[16.6.21] Der letzte Hinweis im gebrachten Zitat wird erhärtet durch eine neue Studie, nach der es schon vor 2000 Jahren domestizierte Schafe in Südafrika gegeben hat (5).
Einige Anmerkungen zu dem neuen Buch des Volkskundlers Christian Böttger
[16.6.2021] Wenn man sich mit den Anliegen des oben angeführten Buches von Christian Böttger beschäftigt, lernt man sehr viel Neues über das heutige Südafrika. Es handelt von aktuellen Ethnogenese-Prozesse in Südafrika und nimmt seinen Ausgangspunkt bei einem Lied des südafrikanischen Liedermachers Bok van Blerk mit dem Titel “Sing Afrikaner Sing”. Böttger sagt (6):
In diesem neuen Lied wurde der Begriff
„Afrikaner“ erstmalig in einer Form präsentiert, wie man das im Land am
Hoffnungskap so noch nicht erleben konnte. Der Begriff „Afrikaner“ war
eigentlich immer eine Selbstbezeichnung der Buren, wird aber in diesem
Video wesentlich umfassender verstanden. Alle knapp 7 Millionen Menschen
Südafrikas, die Afrikaans zur Muttersprache haben und die die Mehrheit
in den Provinzen Westkap und Nordkap ausmachen, werden mit diesem Lied
angesprochen. Die Mehrheit jener Menschen, die Afrikaans als
Muttersprache haben, sind aber gar nicht weiß, denn Afrikaans ist nicht
einfach die Sprache der Buren, wie man es sooft hört. Die Mehrheit der
Afrikaanssprachigen sind heute die Bruinmense, was auf
Afrikaans braune Menschen bedeutet und ganz verschiedene Volksgruppen
umfaßt. Dieser Terminus beginnt sich gegenüber dem Begriff „Coloured People“ als Selbstbezeichnung der afrikaansen Farbigen immer mehr durchzusetzen. (...) Diese (...) Nationsbildung beruht auch nicht auf einer gemeinsamen einheitlichen Abstammung (...). Um den Prozeßcharakter der Nationsbildung deutlich zu machen, mußte ein anderer Begriff für die Afrikaanssprecher gefunden werden. Im Buch wird von mir dazu der Begriff „Superethnos“ zur Diskussion gestellt. (...)
Die 400-mm-Niederschlagsgrenze, die im vorkolonialen Südafrika auch die Grenze zwischen Bantu- und Khoisanvölkern gezogen hat, hat Südafrika in eine südwestliche und eine nordöstliche Landeshälfte geteilt. Während die alteingesessenen Stämme der Khoi (Hottentotten) in der südwestlichen Landeshälfte lediglich Viehzucht betrieben, pflegten die eingewanderten Bantu-Stämme in der nordöstlichen Landeshälfte den Anbau von Hirse und Mais. Dieser erfordert aber mindestens 400 mm reine Sommerniederschläge. Treten die Niederschläge ganzjährig auf, wie etwa an der Südküste, funktioniert ein solcher Feldbau nicht. Die Niederschlagsgrenze bildete so eine natürliche Barriere für die Viehzucht und Feldbau (Hirse, Mais) treibenden Bantu. Heute gibt es aber fast keine reinen Khoi in unvermischter Form mehr in Südafrika. Es sind jetzt die Afrikaanssprecher, die den Bantuvölkern gegenüberstehen. Doch allein das Vorhandensein einer Sprachgemeinschaft sagt noch nicht viel aus. Die Volksgruppen, die heute mehr oder weniger zufällig Afrikaans sprechen, bilden keine bloße Addition. Da muß also mehr sein, was sie verbindet und eine Autonomieforderung für diese Völker begründet.
Wenn hier von 7 Millionen Afrikanern die Rede ist, die Afrikaans sprechen, dann muß man sich aber zugleich klar machen, daß im heutigen Staat Südafrika insgesamt 59 Millionen Menschen leben (Wiki). Anhand der dort eingestellten Sprachen-Karte wird die hier erwähnte 400 mm-Grenze immer noch deutlich.
Abb. 2: Die Karte zeigt Südafrikas Sprachen in den Gebieten, in denen sie aufgrund der ethnischen Verteilung der Bevölkerung vorherrschend sind (Wiki) - Hellgrün im Südwesten: Afrikaans (eine indogermanische Sprache), die übrigen sind Bantu-Sprachen
Das Vorherrschen von Afrikaans im Südwesten wird bei den 7 Millionen Sprechern dadurch möglich, daß der Südwesten viel weniger dicht besiedelt ist als der Nordosten Südafrikas. Schön komprimiert erhält man dazu Auskunft auf dem Wikipedia-Artikel "Demografie Südafrikas" (Wiki):
Die „Coloureds“ (afrikaans kleurlinge, deutsch etwa: „Farbige“) haben sowohl europäische als auch afrikanische Vorfahren. Bald nach der Gründung der Kapkolonie 1652 entstand die schnell anwachsende Bevölkerungsgruppe der Coloureds, die aus der Vermischung von Europäern, Khoikhoi bzw. Khoisan und den (zum Teil freigelassenen) Sklaven entstand. Bereits 1685 hatten fast die Hälfte aller Sklavenkinder europäische Väter. Im 17. und 18. Jahrhundert bildeten sich einige stammesähnliche Gesellschaften wie die Orlam, Witbooi, Afrikaner, Baster, Koranna oder Griqua heraus, die teilweise eigene Staatswesen errichteten. Wichtige soziale Merkmale der meisten Coloureds sind weitgehend mit denen der Weißen identisch. So sprechen etwa 75,8 % Afrikaans und 20,8 % Englisch als erste Sprache, die Mehrzahl gehört der christlichen Nederduits Gereformeerde Kerk an. Zwar genossen die Coloureds im Apartheidsystem Privilegien gegenüber den Schwarzen, gegenüber den Weißen waren sie jedoch deutlich benachteiligt. Im Gegensatz zu den Schwarzen und Weißen haben die Coloureds heute nur wenige Schlüsselpositionen in der Politik und Wirtschaft inne. Eine eigene Gruppe innerhalb der Coloureds bilden die Kapmalaien, Nachfahren indonesischer und malayischer Sklaven (aus Niederländisch-Indien), die die Afrikaans-Sprache angenommen haben, aber Moslems sind. Ihre Zahl beträgt rund 200.000. Nach den Ergebnissen der Volkszählung von 2011 rechneten sich 4.541.358 Südafrikaner der Bevölkerungsgruppe der Coloureds zu, was einem Anteil von 8,9 % an der Gesamtbevölkerung Südafrikas entsprach. Am Westkap und am Nordkap betrug der Anteil der „Kapmischlinge“ (englisch Cape Coloureds, afrikaans Kaapse Kleurlinge) 48,8 % und 40,3 % in allen anderen Provinzen lag er deutlich unter 10 % (zwischen 0,3 % in Limpopo und 8,3 % in Ostkap).
Ihrer Herkunft nach sind die Afrikaans-sprechenden "Kapmischlinge" grob ein Drittel Khoisan, grob ein Drittel Bantu und grob ein Drittel europäisch, wobei sie außerdem kleinere Anteile aus Indien aufweisen. Die weibliche Herkunft ist vorwiegend Khoisan, die männliche Herkunft ist europäisch und Bantu. So in übersetzender Zusammenfassung die folgenden Ausführungen (Wiki):
At least one genetic study indicates that Cape Coloureds have ancestries from the following ethnic groups; not all Coloureds in South Africa had the same ancestry.
- Indigenous Khoisan: (32–43%)
- Indigenous Bantu peoples, chiefly from Southern Africa: (20–36%)
- Peoples from Western Europe, chiefly the Low Countries: (21–28%)
- Peoples from South and Southeast Asia: (9–11%)
The Malagasy component in the Coloured composite gene pool is itself a blend of Malay and Bantu genetic markers. This genetic admixture appears to be gender-biased. A majority of maternal genetic material is Khoisan. The Cape Coloured population is descended predominantly from unions of European and European-African males with autochthonous Khoisan females.
Soweit dazu.*) Das Buch von Böttger aber wendet sich im Kern gegen den "Konstruktivismus", der an dem Phänomen eines Volkes nicht das natürlich Gewachsene sehen will, sondern nur das Instrumentalisierbare.
Aktuelle Forschungen zur Ethnogenese: Archäogenetik, Derek Bickerton ...
Christian Böttger sagt dann im Interview - etwas verkürzt: "Forschungen zur Ethnogenese finden nicht mehr statt". Er bezieht er sich dabei aber - wie er uns durch Zuchrift erläutert - auf die gegenwärtige Völkerkunde im westlichen Europa. In anderen Bereichen - seit 2015 besonders in der Archäogenetik - finden ja "Forschungen zur Ethnogenese" der Sache nach tatsächlich statt. Und auch in der traditionellen Frühmittelalter-Forschung sind die Forschungen zur Ethnogenese bis heute ja nie abgerissen. Und im Grunde betreibt jeder Sprachforscher und Sprachhistoriker Forschungen zur Ethnogenese. Am Eindrucksvollsten wird dies vermutlich belegt durch Derek Bickerton (1926-2018), der in seinen Forschungen nachgewiesen hat, daß neue (Kreolen-)Sprachen durch das gemeinsame Spielen von Kindern unterschiedlicher Muttersprache, sozusagen auf dem Spielplatz entstehen (Wiki):
Er interviewte zwischen 1900 und 1920 geborene Hawaiianer und konnte so den in dieser Zeit erfolgten Übergang von der Pidgin- zur kreolischen Sprache belegen.
Der hier erfolgte Prozeß der Ethnogenese erfolgte im gemeinsamen Spielen von Kindern. Und man darf vermuten, daß Muttersprachen (und damit Völker) vermutlich immer so entstanden sind. Denn Kinder spielen viel mehr mit Sprache als Erwachsene. Bickerton (Wiki):
hat die Hypothese in die Welt gebracht und gilt als ihr Hauptvertreter, nach der Kreolensprachen durch Kinder aus Pidgin-Sprachen geformt werden.
is the originator and main proponent of the (...) hypothesis according to which (...) creoles (...) being formed from a prior pidgin by children.
Bickerton vermutet, daß Kreolensprachen Erfindungen von Kindern sind, die auf neu begründeten Plantagen aufwachsen. Um sie herum hören sie nur, daß Pidgin gesprochen wird, ohne genug Struktur, um als natürliche Sprache funktionieren zu können; und die Kinder nutzen ihre eigenen angeborenen sprachlichen Fähigkeiten, um Pidigin in eine echte Sprache umzuformen.
Bickerton claims that creoles are inventions of the children growing up on newly founded plantations. Around them, they only heard pidgins spoken, without enough structure to function as natural languages; and the children used their own innate linguistic capacities to transform the pidgin input into a full-fledged language.
In seinem Buch schreibt Böttger (2):
Die ideologiekritischen Ethnologen beschreiben auf diese Weise z. B. die Ideologie vom Volk (Volkstumsideologie), verweigern sich aber konsequent und beharrlich einer objektiven Ethnogeneseforschung. Das ist auch deshalb nur konsequent, weil sie die objektive Existenz von Völkern leugnen. Es war eine der größten Überraschungen für mich, daß es im wiedervereinigten Deutschland keine Ethnogeneseforschung gibt, der ich mich so gern angeschlossen hätte. Die Ursachen dafür sind mir jetzt klar.
Ganz richtig schreibt Herr Böttger in seinem Buch (2):
Anhand der Geschichte der Zulu läßt sich die Entstehung von Völkerschaften und damit von Völkern gut nachvollziehen. Die Ethnogenese der Zulu kann somit als ein Beleg dafür gelten, daß die gegenwärtig in der Europäischen Ethnologie verbreitete konstruktivistische Auffassung von Völkern als „Erfindungen“ unwissenschaftlicher Nonsens ist. Der mit der „Kritischen Theorie“ einhergehende Konstruktivismus arbeitet ideologiekritisch, subjektivistisch und damit selektiv. Er kann deshalb nie das gesamte Phänomen erfassen und darstellen. Das gilt für den Volksbegriff ebenso, wie für den Mfecane. Er sieht diese Erscheinungen nur unter dem Aspekt der Instrumentalisierung durch bestimmte gesellschaftliche Kräfte. Damit wird die objektive Seite völlig ausgeklammert. Forschungen zur Ethnogenese finden auf diese Weise nicht mehr statt.
Mfecane (Wiki) wird ein Zeitraum der südafrikanischen Geschichte, nämlich von 1817 bis 1840 bezeichnet, der vor allem von Kriegen unter den Zulu-Stämmen im Nordosten des heutigen Südafrika geprägt war. Ja, man möchte sagen: Wo in der Wissenschaft Ideologie die Vorherrschaft
gewinnt, dort wird es - leider - und leider immer und immer wieder -
gruselig. Hier wird deutlich, daß sich Christian Böttger bei seiner Aussage vor allem auf die Europäische Ethnologie bezieht.
Im
englischsprachigen Bereich der Wissenschaft gibt es demgegenüber ja eine weitaus größere Vielfalt an Denk- und
Forschungsansätzen. Dort wird Völkerkunde auch unter dem
Fachbegriff "Anthropology" betrieben und in diesem Bereich ist die
Grenze zur Naturwissenschaft mitunter kaum noch spürbar. Insbesondere auch aus dem Bereich der Soziobiologie, bzw. der Evolutionären Psychologie und Evolutionären Anthropologie gibt es ja seit Jahrzehnten eine Fülle von Forschungsansätzen, um diese Dinge zu verstehen. 2007 hat der Autor dieser Zeilen einen Überblick zu der dortigen Themen- und Forschungs-Vielfalt und der damit verbundenen Forschungs-Literatur gegeben (9).
Das Grundthema und Ergebnis dieses Überblicks: Humanevolution findet in Völkern statt und durch eine Jahrtausende lange Abfolge von Ethnogenese-Prozessen (über "Verwandtenerkennung" und "Gruppenselektion" aus "populationsgenetischen Flaschenhälsen" heraus). Also genau das, was inzwischen - seit 2015 - auch durch die Archäogenetik - aber nun noch viel gültiger - aufgezeigt wird.
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*) Indem wir das nachtragen, erinnern wir uns an einen Blogartikel-Entwurf aus dem Jahr 2017, der zu diesem Thema paßt. Im "Lexikon der Biologie" von "Spektrum der Wissenschaft" (1999) hatten wir nämlich diesen Eintrag gefunden (Spektrum) (Link funktioniert nicht mehr):
Rehobother Bastards, [benannt nach dem Ort Rehoboth bei Windhuk
(Namibia)], Rehobother Baster, Baster, früher Bastaards,
Eigenbezeichnung einer Gruppe von Nachkommen von Dama- (nein:) Khoi-Frauen
(Hottentotten) und Buren-Männern, die in Rehoboth (heute Namibia) ein
eigenes Gemeinwesen gründeten und von Eugen Fischer anthropologisch
untersucht wurden. Fischer wies durch Untersuchung mehrerer Generationen
der Rehobother Bastards nach, daß Merkmale nicht als „Rassenkomplexe“,
sondern gemäß der 3. Mendelschen Regel unabhängig voneinander auftreten.
Hier ist die Rede von der Volksgruppe der "Baster" (Wiki),
die dem hier behandelten Thema ebenfalls zuzuordnen ist.
Die hier erwähnte Studie (10) muß wissenschaftsgeschichtlich womöglich
gar nicht so uninteressant sein und man könnte sie sich noch einmal
genauer vor dem Hintergrund des heutigen Kenntnisstandes zu diesem Thema anschauen.
/ Ergänzungen
- mit Dank für die Zuschriften
von Herrn Böttger:
16. und 17.6.2021 /
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Later Stone Age human hair from Vaalkrans Shelter, Cape Floristic Region of South Africa, reveals genetic affinity to Khoe groups. Alexandra Coutinho Helena Malmström Hanna Edlund Christopher S. Henshilwood Karen L. van Niekerk Marlize Lombard Carina M. Schlebusch Mattias Jakobsson. American Journal of Physical Anthropology, First published: 04 February 2021 https://doi.org/10.1002/ajpa.24236, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/ajpa.24236
Christian Böttger: Autonomie für die Afrikaanse Nation! Ein Superethnos in Südafrika. Lindenbaum-Verlag 2020
Rohrbacher, Peter: Hamitische Wanderungen - Die Prähistorie Afrikas zwischen Fiktion und
Realität. FU Berlin 2017 (pdf)
Schlebusch CM, Prins F, Lombard M, Jakobsson
M, Soodyall H. The disappearing San of southeastern Africa and their
genetic affinities. Hum Genet. 2016 Dec;135(12):1365-1373. doi:
10.1007/s00439-016-1729-8. Epub 2016 Sep 20. PMID: 27651137; PMCID:
PMC5065584.
Coutu, A.N., Taurozzi, A.J., Mackie, M. et al. Palaeoproteomics confirm earliest domesticated sheep in southern Africa ca. 2000 BP. Sci Rep 11, 6631 (2021). https://doi.org/10.1038/s41598-021-85756-8, https://www.nature.com/articles/s41598-021-85756-8
Bading, Ingo: 200.000 Jahre Humanevolution - Gliederung, Themenliste und Literaturverzeichnis eines Buchprojektes zum neuesten Forschungsstand. 2007 (Researchgabe, Academia oder Lulu)
Fischer, Eugen: Die Rehobother Bastards und das Bastardierungsproblem
beim Menschen. Anthropologische und ethnographische Studien am
Rehobother Bastardvolk in Deutsch-Südwest-Afrika. Jena 1913; erneut:
Akademische Druck- und Verlags-Anstalt, Graz 1961, http://docplayer.org/112679493-Die-rehobother-bastards.html