Montag, 15. Februar 2021

Eine Fürstenfamilie der Hunnen - Aus Sicht der Archäogenetik

Eine Fürstenfamilie der Xiongnu im Innern der Mongolei, 1. Jhd. v. und n. Ztr.

Immer mehr Einblicke in die Geschichte der Inneren Mongolei und des von dort stammenden Volkes der Hunnen (chinesisch: Xiongnu) (Wiki) werden möglich (1-3). Ein Herrscher der Hunnen, vielleicht der Begründer des hunnischen Großreiches in der Mongolei war ein Mann, der von den Chinesen "Mao-tun" (234-174 v. Ztr.) (Wiki, engl) genannt wurde. Er lebte um 200 v. Ztr., also in der Zeit, in der im Westen das Großreich Alexanders des Großen in seine Diadochenreiche zerfallen war. Aufgrund der Berichte in chinesischen Chroniken sind zahlreiche Einzelheiten über sein Leben bekannt: Mao-tun hat seinen Vater, der das Reich geeinigt hatte, in einer blutigen Revolte ermordet. Er besiegte den Kaiser von China in einer Schlacht, worauf dieser Tributzahlungen leisten mußte. Er heiratete in den Hochadel des Kaiserreiches von China ein und umwarb auch die Witwe des Kaisers. Diese stellte sich als alt und häßlich dar, um einer erneuten Heirat zu entgehen, so die Berichte. Er unterwarf die Völker in der Dsungarei und an der Seidenstraße ebenso wie in der östlichen Mongolei.

Abb. 1: Auf dem Gräberfeld fand sich eine über fünf Generationen hinweg erstreckende Großfamilie beigesetzt, die sowohl asiatische wie europäische Herkunftskomponenten in sich trug

Welcher Herkunft nun war wohl ein solcher Herrscher?

In einer neuen Studie werden die Herkunfts- und Verwandtschaftsverhältnisse von Menschen, die in Fürstengräbern am Tamir-Fluß im Innern der Mongolei einhundert Jahre später begraben worden waren, also im ersten Jahrhundert vor der Zeitrechnung und im ersten Jahrhundert nach der Zeitrechnung untersucht. Man stellte über die Gräber verteilt einen zusammenhängenden Familienverband fest, der fünf Generationen überspannte (s. Abb. 1). Wir wollen gleich das interessanteste Ergebnis festhalten (1):

Mütterlicherseits waren alle Angehörigen dieser sich über mehrere Generationen überspannenden Familie von europäischer Herkunft.
All the maternal lineages found in the multi-generational family were of Western European ancestry.

Wenn es solche Familien im Hochadel der Hunnen noch hundert Jahre nach ihrer Reichsgründung geben konnte, dann wird während der Zeit der Reichsgründung diese Herkunftskomponente womöglich noch größer gewesen sein. Bekanntlich ging die europäische Herkunftskomponente im Verlauf der weiteren Geschichte der Hunnen deutlich zurück zugunsten zweier asiatischer Herkunftskomponenten, und zwar sowohl einer mongolischen wie einer Han-chinesischen (3). 

Es handelt sich um ein Gräberfeld, das ursprünglich aus 397 Gräbern bestand. Von diesen ist die Mehrheit schon seit 2005 ausgegraben - aber nicht archäogenetisch untersucht - worden. 2013 bis 2018 sind noch einmal 48 Gräber im östlichen Bereich des Gräberfeldes ausgegraben worden. Und aus dieser Grabung stammen jene Skelette, die in einer neuen Studie (1) archäogenetisch untersucht worden sind. In der Studie wird das Gräberfeld "Tamir Ulaan Khoshuu"-Gräberfeld genannt, abgekürzt "TUK".

In den hervorstechendsten Gräbern liegen Kinder, Enkel und Urenkel einer Frau

Die Gräber waren in der Regel geplündert. Immerhin fanden sich immer noch goldene Ohrringe, Glasperlen, Keramik, eiserne Messer, sowie Importwaren aus China. Auch die Reste von Opfertieren fanden sich bei fast jedem Grab. Die weiblichen Angehörigen der genannten Großfamilie sind in Abbildung 1 als Figuren mit "Rock" gekennzeichnet, die männlichen ohne einen solchen (Abb. 1). Die prestigeträchtigsten Fürstengräber finden sich bei ihnen unter den Nachkommen der (zu vermutenden) Fürstin "TUK15". 

Von männlicher Seite her stammten die Angehörigen dieser Familie aber von asiatischen (vermutlich: mongolischen) Familien ab. Es sind aber in Asien noch zu wenige Individuen archäogenetisch untersucht worden, um ihre Herkunft genauer einzugrenzen. Über die europäische Herkunfskomponente kann deshalb schon konkreter berichtet werden (1):

TUK01, der gemeinsam mit seiner (Halb-)Schwester TUK15 und ihren Nachkommen eine europäische mtDNA-Sequenz aufwies (Hg T2b3+151), der aber einen asiatischen Y-Haplotypen in sich trug (Hg Q1a-M120), hatte schwarzes Haar und braune Augen ebenso wie eine gemischte asiatische-europäische Herkunft. Er heiratete TUK02, die mütterlicherseits europäischer Herkunft war (Hg J2a1a1). Ihre Kinder TUK03 und TUK26, wiesen gemischte Herkunft, ihre Haarfarbe scheint aber etwas heller gewesen zu sein (...). TUK26 heiratete eine Frau (oder zwei), die eine europäische mtDNA-Sequenz in sich trug, die auch auf ihre Kinder weiter gegeben wurde. Eine der Töchter, TUK19, heiratete TUK23, der sowohl väterlicherseits (R1aZ95) wie mütterlicherseits (J2b1a2a) europäischer Herkunft war. Interessanterweise scheint ihr Sohn, TUK18, helleres Haar gehabt zu haben und wies europäische Herkunft auf. Eine europäische genetische Herkunft kann auch für TUK25 vorausgesagt werden, den Enkelsohn von TUK15. Und dies stimmt überein mit seinen sowohl väterlicherseits (R1a-Z2125) wie müttericherseits (T2b3) europäischen Haplotypen.
Original: TUK01, who shared a European mtDNA sequence (Hg T2b3+151) with his (half-)sister TUK15 and her ofspring but carried an Asian Y-haplotype (Hg Q1a-M120), was found to have black hair and brown eyes as well as a mixed Asian-European ancestry, as expected. He married TUK02 who was of European maternal ancestry (Hg J2a1a1). Their children, TUK03 and TUK26, showed an admixed ancestry but the color of their hair appears to have been slightly lighter (Table S9). TUK26 married a woman (or two) carrying a European mtDNA sequence, which was transmitted to their ofspring. One of the daughters, TUK19, married TUK23 of paternal (R1aZ95) and maternal (J2b1a2a) European ancestry. Interestingly, their son, TUK18, seems to have had lighter hair and was found to be of European ancestry. The genetic ancestry prediction (European) for TUK25, the grandson of TUK15, is also consistent with his paternal (R1a-Z2125) and maternal (T2b3) European haplotypes.

Wir befinden uns hier also offensichtlich innerhalb der ersten Generationen der Ethnogenese eines ganz neuen Volkes, das aus der Heirat zwischen Menschen asiatischer und europäischer Herkunft hervorgegangen ist. Wie zu sehen, konnten in diese gemischte Familie in der nachfolgenden Generation immer noch Männer rein europäischer genetischer Herkunft einheiraten, wodurch deren Nachkommen dann wiederum fast vollständig europäischer Herkunft sein konnten. In einem Fall gibt es Hinweis auf saramtische Herkunft. Und wir hatten ja schon in einer früheren Studie von einer überraschenden Zuwanderung von indogermanischen Samarten vom Süden des Ural in jener Zeit nicht nur bis nach Britannien, sondern nun auch bis in die Mongolei gehört (3). Die Forscher schreiben, es würde vorliegen (1) ...

... ein Wechsel von "gemischter europäisch-asiatischer" Herkunft über die Generationen hinweg zu einer "europäischen" Herkunft.
... a “mixed European-East Asian” ancestry changing over the generations to a “European” ancestry.

Ob dies insbesondere auf die Zuwanderung von Sarmaten zurück zu führen ist, bleibt in dieser Studie offen. Es sind auch andere Szenarien denkbar. Vielleicht kann aber insgesamt doch gemutmaßt werden, daß auch Sprache und Kultur in jenen Generationen noch sehr stark von der europäischen - skythischen - Herkunftsseite mit geprägt worden sind. Es wird weiter ausgeführt, daß der Y-chromosomale Haplotyp dieser Familie sich schon in der Bronzezeit von der Mongolei aus im Volk der Han-Chinesen ausgebreitet hatte (1). Somit wird sicherlich nicht auszuschließen sein, daß die asiatische Herkunftskomponente dieser Familie auch auf Heiratspartner aus China zurückzuführen sein könnte. In der Studie heißt es weiter (1):

Ein anderers, unerwartetes Ergebnis unserer Studie war, daß die Nachkommen der Frau TUK15 und ihre Ehepartner TUK15,-34,-48,-25,-13B,-40) in den größten Gräbern gefunden wurden, die hohen sozialen Status markieren. Dies könnte nahelegen, daß nach dem Tod ihres (Halb-)Bruders TUK01 (oder aber infolge seiner Inkompetenz oder womöglich sogar seiner väterlicherseits asiatischen Herkunft) TUK15 die Führung in der Familie übernommen hatte.  
Another unexpected result of our study was that the descendants of the woman TUK15 and their spouses (TUK15,-34,-48,-25,-13B,-40) were found in the largest tombs, a marker of high social status. This could suggest that after the death of her (half-)brother TUK01 (or due to his incompetence or even his Asian paternal ancestry), TUK15 could have become the leader of this family. The description of a Xiongnu tomb from a female elite leader at the Xigoupan cemetery (Linduf 2008) supports this hypothesis and suggests, as previous studies have (Davis-Kimball 2000), that during the nomadic Early Iron Age, a woman could also attain a position of prestige.

Die männlichen europäischen Haplotypen dieser Fürstenfamilie der Hunnen können alle in Beziehung gesetzt werden zu bronzezeitlichen Skythen-Völkern in den Regionen des Oberen Jennisei, von Krasnojarsk und Tuva, was noch einmal die Herkunft der Hunnen (Xiongnu) von der Andronovo-Kultur, bzw. von der skytho-sibirischen Kultur bekräftigt (1). Ebenso passen die männlichen europäischen Haplotypen zu denen, die bei den Adelsgeschlechtern der Ungarn des Frühmittelalters gefunden worden sind. Auch zu den Awaren und den turksprachigen Yakuten des Mittelalters sind genetische Herkunftsverhältnisse aufzeigbar (1). Dies sind deutliche Hinweise darauf, daß wir es hier tatsächlich mit dem Ursprungsvolk der Hunnen zu tun haben, das sich ja in der Spätantike und im Frühmittelalter weiträumig ausgebreitet hat.

Verwandte der europäischen weiblichen Herkunftskomponenten finden sich bislang am ehesten in den Becherkulturen westlich des Ural wieder (also in der Glockenbecher-Kultur als Mutterkultur der Andronovo-Kultur).

Ein Schlaglicht hinein mitten in die Geschichte des Volkes der Hunnen.

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  1. Keyser, Christine, Zvénigorosky, V., Gonzalez, A., Fausser, J.-L., Jagorel, F., Gérard, P., … Ludes, Bertrand (2020). Genetic evidence suggests a sense of family, parity and conquest in the Xiongnu Iron Age nomads of Mongolia. Human Genetics. Published: 30 July 2020, doi:10.1007/s00439-020-02209-4
  2. Bading, Ingo: Die Altai-Skythen - Und ihre Vorgänger-Kulturen  Zunächst einiges zur Pasyryk-Kultur (500 v. Ztr.), 13. November 2020, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/11/die-altai-skythen-und-ihre-vorganger.html 
  3. Bading, Ingo: Turkvölker, Indogermanen, Sarmaten und Hunnen - Zwischen Mongolei und Kaukasus  - Die Geschichte der Völker in der Mongolei und rund um das Altai-Gebirge, 7. November 2020, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/11/turkvolker-indogermanen-sarmaten-und.html

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