Freitag, 3. April 2020

Menschwerdung vor 300.000 Jahren - Auf das nördliche Afrika eingegrenzt?

Im zentralen, südlichen Afrika - etwa im heutigen Sambia südlich des Tanganijka-Sees
- Dort "im Süden" lebten unsere Vettern, die wir nicht mehr heiraten durften, um Menschen werden zu können

Unser Wissen über die Zeit der Menschwerdung in Afrika vor 300.000 Jahren, also über den "Archaischen Homo sapiens" (Wiki) wird immer komplexer (1, 2). Schon länger wird vermutet, daß ein 1921 in Sambia gefundener Schädel (Abb. 1) (Wiki) viel jünger ist als ursprünglich angenommen, nämlich nur 300.000 Jahre alt. Diese Datierung wurde nun erneut bestätigt (1, 2).

Abb. 1: Rekonstruktion des Homo sapiens sapiens vom Fundort Jebel Irhoud in Marokko, 300.000 Jahre alt (Neanderthal-Museum, Erkrath, Mettmann) (Wiki)

Damit ergibt sich aber, daß vor 300.000 Jahren mindestens drei Menschenarten nebeneinander in Afrika lebten:

  • Urtümliche Homo sapiens (von denen wir abstammen, und die sich von den gleichzeitigen Vorformen des Neandertalers, also dem Homo heidelbergensis in Europa schon unterscheiden), sowie
  • dieser in der Datierung nun bestätigte Homo heidelbergensis/Homo rhodesiensis-Fund (der sich von den zeitgleichen Heidelbergensis-Funden in Europa nicht wesentlich unterscheidet) und
  • die grazilen Homo naledi (die zwar aufrecht gingen, deren Gehirngröße aber nur wenig über der von Schimpansen lag).*)

Eine ähnliche Situation von mehreren parallelen Menschenarten wird für das zeitgliche Eurasien angenommen.*) Oder noch genauer (nach heutigem Kenntnisstand) (3):

Homo sapiens in Regionen wie Marokko und Äthiopien, Homo heidelbergensis in Süd- und Zentral-Afrika und Homo naledi in Südafrika, bekannt für seine primitiven Merkmale, einschließlich Merkmalen, die ihn fähig machen, auf Bäume klettern zu können.
Homo sapiens in places like Morocco and Ethiopia, Homo heidelbergensis in south-central Africa, and Homo naledi in South Africa, known for primitive features including traits suitable for tree-climbing.

Oder noch etwas anders der die Studie leitende Anthropologe Stringer (4):

"Bislang ist der Broken Hill-Schädel angesehen worden als Teil einer in Afrika weitverbreiteten evolutionären Sequenz mit allmählichen Übergängen vom archaischen zu modernen Menschen. Nun aber sieht es so aus, als ob die primitive Art Homo naledi in Südafrika überlebte, Homo heidelbergensis in Zentralafrika lebte und frühe Formen unserer eigenen Art in Regionen wie Marokko und Äthiopien."  
"Previously, the Broken Hill skull was viewed as part of a gradual and widespread evolutionary sequence in Africa from archaic humans to modern humans. But now it looks like the primitive species Homo naledi survived in southern Africa, H. heidelbergensis was in Central Africa, and early forms of our species existed in regions like Morocco and Ethiopia."

Damit könnte sich andeuten, daß der anatomisch moderne Mensch zwischen Äthiopien und Marokko zum anatomisch modernen Menschen geworden ist. Bekanntlich war die Sahara damals eine fruchtbare Steppenlandschaft wie man nicht nur durch geologische Untersuchungen der letzten Jahrzehnte weiß, sondern auch noch an heutigen Felsbildern daselbst ablesen kann.

Abb. 2: Der datierte Broken Hill-Schädel, gefunden 1921, in einer Nachbildung (im Kelvingrove Art Gallery and Museum of Glasgow, Fotograf: Nachosan) (Wiki)

Damit würde deutlicher werden, daß die schon angenommene Mosaik-Evolution in Afrika vor 300.000 Jahren tatsächlich eine solche war, daß hier also nicht Afrika-weit einheitlich eine Population einen Artwandel durchgemacht hat hinüber in eine andere, anatomisch modernere Art, sondern daß zeitgleich in unterschiedlichen Regionen Afrikas parallel unterschiedliche Entwicklungen statthatten. Und die genetischen und archäogenetischen Daten in jüngsten Studien (u.a. auch von David Reich) gaben schon Hinweise darauf, daß es nicht nur außerhalb von Afrika Einkreuzungen von Neandertalern in unsere Linie gab, sondern auch noch in Afrika Einkreuzungen ursprünglicher Menschenarten in unsere Linie (5).

Einen Vertreter einer solchen zeitgleichen, ursprünglicheren Menschenart scheint man nun mit diesem Broken Hill-Schädel vor sich zu haben (Abb. 2).

Natürlich, irgendwann muß es ja zur Abspaltung der anatomisch moderneren Menschenformen von den anatomisch archaischeren gekommen sein. Diese fand also innerhalb Afrikas und auch dort noch einmal regional begrenzt statt. Und natürlich konnten die beiden Menschenarten, die sich da anfangs unterschiedlich entwickelten, phasenweise noch Genmaterial miteinander austauschen. Es muß aber natürlich auch Zeiten der genetischen Isolation voneinander gegeben haben.

Spannend wird nun sein, noch genauer einzugrenzen, in welchem Zeitraum genau es zu einer isolierten Weitentwicklung zum anatomisch modernen Menschen hin - vermutlich im nördlichen Afrika - gekommen ist. Und wann genauer es dann nach dieser isolierten Weiterentwicklung zu einer erneuten Einkreuzug gekommen ist, ohne daß dann aber die weiter entwickelten Merkmale dabei wieder verloren gegangen sind.

Auch wäre zu klären, warum eigentlich der Homo heidelbergensis so lange parallel zum Homo naledi leben konnte, warum der eine den anderen nicht "ausgerottet" hat oder zum Aussterben gebracht hat über viele hunderttausende von Jahren hinweg. Und es dürfte spannend sein zu erfahren, wie es dann zum Genetic Replacement nicht nur ab 40.000 Jahren vom nördlichen Afrika aus in Europa gekommen ist, sondern vor vielleicht 100.000 Jahren (?) zum Genetic Replacement gekommen ist vom nördlichen Afrika aus Richtung Südafrika.

... Und Übergänge zum Klassischen Neandertaler im Levanteraum

Ergänzung, 25.6.21: In Israel haben noch um 130.000 v. Ztr. Menschenformen gelebt, deren Schädelreste aufzeigen, daß sie eine Vorform des Klassischen Neandertalers darstellten (6-10). Auch dort also hatten sich um 130.000 v. Ztr. die eigentlichen Vorfahren von uns anatomisch modernen Menschen noch nicht etabliert. Dieser Raum gehört vielmehr zum Entstehungsraum der zeitgleichen Klassischen Neandertaler. Und bei dieser Entstehung scheint eine Einmischung von Genen von anatomisch modernen Menschen, die zeitgleich anderwärts in Nordafrika gelebt haben, eine Rolle gespielt zu haben (7).

Ergänzung, 23.9.21: Die Steinwerkzeug-Kultur, die der anatomisch moderne Mensch in Afrika seit der Zeit vor 300.000 Jahren nutzte ("Mittelpaläolithikum") wurde in Afrika erst vor 60.000 bis 30.000 Jahren von moderer Steinwerkzeug-Kultur ersetzt, in Teilen Westafrikas aber sogar erst vor 11.000 Jahren (11).

Ergänzung 15.10.21: In den Höhlen an der Südküste des Mittelmeeres, an der Küste Nordwestafrikas und Südafrikas wurden schon häufiger kleine, künstlich gelochte Meermuscheln aus dem Mittelpaläolithikum gefunden, die in dieser Form als Kettenanhänger gedient haben werden. Der älteste diesbezüglich gemachte Fund wurde erst jüngst gemacht, er ist 142.000 Jahre alt und stammt aus einer Höhle in Marokko, die 12 Kilometer von der Atlantikküste entfernt liegt (12).

Ergänzung 13.1.2021: Zwei frühe Menschenfunde von Omo-Kibish und Herto in Äthipien sind inzwischen neu datiert worden auf etwa 200.000 Jahre vor heute (13):

"Unsere neuen Alterseingrenzungen stimmen mit den meisten Modellen für die Evolution des modernen Menschen überein, nach denen der Ursprung des Homo sapiens und seine Trennung von archaischen Menschenformen auf die Zeit zwischen 350.000 und 200.000 Jahren vor heute eingegrenzt werden."
"Our new age constraints are congruent with most models for the evolution of modern humans, which estimate the origin of H. sapiens and its divergence from archaic humans at around 350-200 ka."

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*) (2): "The result suggests that later Middle Pleistocene Africa contained multiple contemporaneous hominin lineages (that is, Homo sapiens, H. heidelbergensis/H. rhodesiensis and Homo naledi), similar to Eurasia, where Homo neanderthalensis, the Denisovans, Homo floresiensis, Homo luzonensis and perhaps also Homo heidelbergensis and Homo erectus were found contemporaneously."
__________
  1. https://www.sciencenews.org/article/broken-hill-skull-fossil-may-be-from-african-ghost-population
  2. Rainer Grün et al. Dating the skull from Broken Hill, Zambia, and its position in human evolution, Nature (2020). DOI: 10.1038/s41586-020-2165-4, https://www.nature.com/articles/s41586-020-2165-4
  3. https://www.reuters.com/article/us-science-skull/landmark-skull-fossil-provides-surprising-human-evolution-clues-idUSKBN21J60V
  4. https://phys.org/news/2020-04-fossil-skull-modern-human-ancestry.html.
  5. https://www.sciencenews.org/article/some-west-africans-may-have-dna-genes-ancient-ghost-hominid
  6. https://nachrichten.idw-online.de/2021/06/24/der-neandertaler-hat-keine-rein-europaeische-entstehungsgeschichte/
  7. Dramatic discovery in Israeli excavation: A new type of Homo unknown to science. 23.06.2021, https://youtu.be/OGPKRuyd-5M.
  8. https://science.orf.at/stories/3207302/
  9. https://www.scinexx.de/news/biowissen/neue-fruehmenschen-form-entdeckt/ 
  10. A Middle Pleistocene Homo from Nesher Ramla, Israel  By Israel Hershkovitz, Hila May, Rachel Sarig, Ariel Pokhojaev, Dominique Grimaud-Hervé, Emiliano Bruner, Cinzia Fornai, Rolf Quam, Juan Luis Arsuaga, Viktoria A. Krenn, Maria Martinón-Torres, José María Bermúdez de Castro, Laura Martín-Francés, Viviane Slon, Lou Albessard-Ball, Amélie Vialet, Tim Schüler, Giorgio Manzi, Antonio Profico, Fabio Di Vincenzo, Gerhard W. Weber, Yossi Zaidner  Science25 Jun 2021 : 1424-1428, https://science.sciencemag.org/content/372/6549/1424
  11. Scerri, Eleanor: Erste menschliche Kultur überdauerte 20.000 Jahre länger als bislang bekannt  - Bevölkerungsgruppen im äußersten Westen Afrikas nutzten bis vor 11.000 Jahren die frühesten Steinwerkzeug-Technologien unserer Art, 11. Januar 2021, https://www.shh.mpg.de/1938291/scerri-young-middle-stone-age  
  12. Sehasseh, E. M. et al. (2021). Early Middle Stone Age personal ornaments from Bizmoune Cave, Essaouira, Morocco. Science Advances, 7: eabi8620 (22. Sept. 2021): https://www.science.org/doi/epdf/10.1126/sciadv.abi8620
  13. Vidal, C.M., Lane, C.S., Asrat, A. et al. Age of the oldest known Homo sapiens from eastern Africa. Nature (2022), 12.1.2022, https://doi.org/10.1038/s41586-021-04275-8, 

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