Donnerstag, 19. Juli 2018

1900 v. Ztr. - Sibirische Jäger und Sammler wandern nach Ost-Skandinavien ein

Forschungen zur Entstehung und Ausbreitung der finno-ugrischen Völkergruppe

Schon um 1.900 v. Ztr. haben sich Menschen mit der Genetik sibirischer Jäger/Sammler, die vermutlich zugleich Sprecher der uralischen Sprache (Wiki) waren, aus dem Ural bis nach Karelien, in die Kola-Halbinsel (also die Gegend von Murmansk) und in das heutige Finnland ausgebreitet.

Abb. 1: Das Verbreitungsgebiet der uralischen Sprachen (Grafik von Maximilian Dörrbecker [Chumwa]) (Wiki)

In einer Preprint-Studie vom März dieses Jahres (1) wurde die DNA von sechs Skeletten aus der Gegend von Murmansk aus der Zeit um 1.500 v. Ztr. untersucht, zusammen mit der DNA von sieben Skeletten aus Westfinnland aus der Zeit 400 bis 800 n. Ztr.. Obwohl letztere Gruppe also 2.000 Jahre jünger war, unterschied sie sich von der ersteren Gruppe genetisch kaum! Beide sind genetisch deutlich sibirischer Herkunft.

Die Forscher, unter denen sich der Begründer der AncientDNA-Forschung, der schwedische Finne Svaante Pääbo befindet, schreiben (1):
"Unsere Ergebnisse legen nahe, daß eine neue genetische Komponente mit starker Nähe zu Sibirien vor etwa 4000 Jahren in Europa auftrat wie es in den ältesten von uns analysierten Individuen aus Nordrußland zu beobachten ist und daß der Genpool von modernen Menschen im Nordosten Europa ganz allgemein und Sprecher uralischer Sprachen im Besonderen das Ergebnis vieler Vermischungs-Ereignisse zwischen östlichen und westlichen Herkunftsgruppen sind seit die östliche hier zuerst auftrat."
Original: "Our results suggest that a new genetic component with strong Siberian affinity first arrived in Europe around 4,000 years ago, as observed in our oldest analysed individuals from northern Russia, and that the gene pool of modern north-eastern Europeans in general, and speakers of Uralic languages in particular, is the result of multiple admixture events between Eastern and Western sources since that first appearance."
Daß diese sibirische genetische Komponente in Karelien nicht einheimisch sein kann, wird folgendermaße ausgeführt (1):
"Die Komponente ist nicht anzutreffen bei karelischen (osteuropäischen) Jägern und Sammlern (EHG), die auf 6.300 bis 5.200 v. Ztr. datiert werden, ebensowenig bei mesolithischen und neolithischen Populationen des Ostseeraumes aus der Zeit 6.300 und 5.100 bis 3.000 v. Ztr.." 
"The component is absent in the Karelian hunter-gatherers (EHG) ​dated to 8,300-7,200 yBP as well as Mesolithic and Neolithic populations from the Baltics from 8,300 yBP and 7,100-5,000 yBP respectively ."
Bislang hat man also Menschen sibirischer genetischer Herkunft in Ostskandinavien in der Zeit vor 3.000 v. Ztr. noch nicht gefunden. Das heißt, Menschen mit dieser Genetik dürften in diese Region erst zwischen 3.000 und 1.500 v. Ztr. zugewandert sein. Das läßt sich mit archäologischen Erkenntnissen in Deckung bringen (1):
"Ein solcher Kontakt ist gut in der Archäologie dokumentiert mit dem Auftreten von asbestos-gemischten Lovozero-Keramik während des zweiten Jahrtausends v. Ztr. und der Ausbreitung von .... Pfeilspitzen in Lapland um 1.900 v. Ztr.. Außerdem finden sich die nächstgelegenenen Gegenstücke der Vardøy-Keramik, die in diesem Raum um 1.600 bis 1.300 v. Ztr. auftritt auf der Taimyr-Halbinsel und viel weiter östlich."
"Such contact is well documented in archaeology, with the introduction of asbestos-mixed Lovozero ceramics during the second millenium BC, and the spread of even-based arrowheads in Lapland from 1,900 BCE. Additionally, the nearest counterparts of Vardøy ceramics, appearing in the area around 1,600-1,300 BCE, can be found on the Taymyr peninsula, much further to the east."
Man beachte: Die Taimyr-Halbinsel befindet sich mindestens 5000 Kilometer weiter im Osten. Weiter heißt es (1):
"Außerdem breitete sich die Imiyakhtakhskaya-Kultur von Yakutien aus auf die Kola-Halbinsel in derselben Zeit aus."
"Finally, ​the Imiyakhtakhskaya culture from Yakutia spread to the Kola Peninsula during the same period."
Die Kola-Halbinsel (also die Murmansk-Region) ist nun wiederum von dem hier erwähnten sibirischen Jakutien 9.000 Kilometer entfernt. So weit also scheinen die damaligen sibirischen Stämme nach Westen gewandert zu sein und uralische Sprachen (Wiki) mitgebracht zu haben. Mit den Hunnen wanderte ein uralsprachiges Volk in der Völkerwanderung ab 375 v. Ztr. übrigens nach Ungarn, das die ungarische Sprache bestimmte, weshalb es diesen Ausreißer der uralischen Sprachen bis heute in Ungarn gibt (1).

Im allgemeinen scheinen sich die genetischen und archäologischen Erkenntnisse mit denen der Sprachforschung zu decken (Wiki) (auch wenn das die Forscher in der Studie noch anders wahrzunehmen scheinen). Für die Trennung der einzelnen Sprachgruppen ist nach Wikipedia tatsächlich ein Zeitpunkt um 2.000 v. Ztr. im Gespräch. Wie auch immer (1):
"Wie in unseren Analysen gezeigt wurde, sind die Vermischungen, die in historischen und modernen Gruppen von Uralisch-Sprachigen  vorzufinden sind, komplexer Art und nicht in Übereinstimmung zu bringen mit einem einzigen Vermischungs-Ereignis. Das heißt, selbst wenn sich die sibirische, genetische Komponente zum Teil gemeinsam mit uralischen Sprachen ausgebreitet hat, so spiegelt sich darin nur ein zusätzlicher (sibirischer) Herkunftsbeitrag wieder in Bevölkerungen, die diese Herkunftskomponente schon von vorher in sich getragen haben."
Original: "As shown in our analyses, the admixture patterns found in historic and modern Uralic speakers are complex and in fact inconsistent with a single admixture event. Therefore, even if the Siberian genetic component partly spread alongside Uralic languages, it likely presented only an addition to populations carrying this component from earlier." 
Auch wird ausgeführt, daß das genetische und sprachliche Verbreitungsgebiet der uralischen Völker früher deutlich weiter nach Süden reichte (auch abgesehen von den Ungarn). Die DNA wurde in Ancient-DNA-Laboren in Tübingen und Mainz sequenziert.

Wenn davon ausgegangen wird, daß der germanische Gott Odin / Wotan fremder, östlicher Herkunft ist, könnte er sowohl aus den ugrischen Völkern stammen wie aus den Turkvölkern. (Aber auch über iranische Herkunft wird spekuliert.)

Diese sibirische Westwanderung fiel genau in einen solchen Zeitraum, in dem weiter südlich große, bedeutende indogermanische Wanderungen Richtung Osten bekannt sind, aus der Kentum-sprachige, indogermanische Völker mit anatolisch-neolithischer Herkunftskomponente hervorgingen wie die der Andronovo-Kultur und der Tocharer.
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  1. Thiseas Christos Lamnidis et. al. (u.a. Svante Pääbo, Wolfgang Haak, Johannes Krause, Stephan Schiffels): Ancient Fennoscandian genomes reveal origin and spread of Siberian ancestry in Europe. 22.3.2018, https://www.biorxiv.org/content/early/2018/03/22/285437

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