Montag, 8. Dezember 2014

Europäische Gene in Afrika ab 6.500 v. Ztr.

Spannende neue Erkenntnisse aus der Erforschung der Genome der Afrikaner

Die folgende Abbildung ist eine tolle Grafik, die einige der wesentlichsten Ergebnisse einer neuen Studie in "Nature" (1) über die Erforschung des Genoms der Afrikaner und der Geschichte derselben in den letzten 12.000 Jahren zusammenfasst (Abb. 1) (die Studie ist frei zugänglich).

Abb. 1: Datierung und Anteil der Eimischung von außerafrikanischen und Buschleute-Genen in das typische Genom der Schwarzafrikaner

Sie zeigt den Anteil der Einmischung von außerafrikanischen und Buschleute-Genen in das typische Genom der schwarzafrikanischen Bevölkerung südlich der Sahara (orange gefärbt = "SSA ancestry" = Sub-Saharan Africa ancestry). Diese Bevölkerung wird auch als die Gruppe der traditionell Ackerbau und Rindviehzucht betreibenden Bantuvölker angesprochen. Aber es wird nicht nur der Anteil gekennzeichnet, sondern auch auch die jeweilige zeitliche Datierung der Einmischung.

Vieles davon deutete sich schon in früheren Studien an. Aber hier hat man es nun einmal zusammengefaßt und komprimiert auf einen Blick und auf neuestem Stand.

6.500 v. Ztr. - Ethnogenese der Bantu-Völker angestoßen durch Neolithisierung des Mittelmeerraumes?

Nach dieser Studie, bzw. der genannten Grafik gab es zwischen 8.500 und 5.500 v. Ztr. eine geringe Einmischung der Gene von frühen "Eurasiern", also sicherlich Menschen grob gesprochen aus dem Mittelmeerraum, dem fruchtbaren Halbmond und von deren Randgebieten (s. Abb 1 linke Grafik "Eurasian ancestry"). Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass dies in einem näheren oder ferneren Zusammenhang steht mit der gleichzeitigen Neolithisierung des gesamten Mittelmeerraumes ab 6.500 v. Ztr.. Es könnte sich hierbei also um frühe neolithische, ackerbautreibende Völker von den Mittelmeerküsten Nordafrikas gehandelt haben, die den Bantu-Völkern die Anregung gegeben haben könnten, zum Ackerbau überzugehen, und die damit womöglich die Ethnogenese der Bantu-Völker initiiert haben.

Es wäre sicher von Interesse zu wissen, ob sich diese über Land oder über die Meeresküsten nach Westafrika ausgebreitet haben. Hier auf dem Blog ist schon auf Indizien darauf hingewiesen worden, dass die Schiffahrt auf dem Mittelmeer ab 6.500 v. Ztr. weitere Strecken überwinden konnte (direkter Seeweg von Nordafrika nach Südfrankreich, nachgewiesen anhand bestimmter Pflanzen). Deshalb könnte man es für plausibel erachten, dass sich diese Kulturen auch bis Westafrika entlang der Küsten ausgebreitet haben.

Zwischen 9.100 und 4.500 v. Ztr., also etwa zeitgleich, gab es bei der Ethnogenese der Bantu-Völker in Westafrika eine geringe Eimischung der Gene von Buschleuten (Abb. 1, rechte Seite: "HG ancestry" = Hunter-Gatherer-ancestry), die also damals womöglich noch bis Westafrika ausgebreitet lebten und erst danach von der schnell wachsenden Demographie der seßhaften Bantu-Völker über ganz Afrika südlich der Sahara hinweg in Restgebiete verdrängt worden sind. Darüber heißt es in der Studie (mit Bezügen zu entsprechenden vorausgehenden archäologischen Studien):
Given limited archaeological and linguistic evidence for the presence of Khoe-San populations in West Africa, this extant HG admixture might represent ancient populations, consistent with the presence of mass HG graves from the early Holocene period comprising skeletons with distinct morphological features, and with evidence of HG rock art dating to this period in the western Sahara.
Zur Vermischung mit Buschleuten kam es bei der Ausbreitung der Bantu-Völker in den nachfolgenden Jahrtausenden immer wieder, ihr genetischer Anteil in den Bantu-Bevölkerungen ist im Süden Afrikas heute noch höher als im Norden (s. Abb. 1 rechte Grafik). - Vielleicht war er früher im Norden auch noch höher und ist über den langen Zeitraum "herausselektiert" worden?

Ab 4.500 v. Ztr. - Genetische Einflußnahmen nördlicher Ackerbau- und Hochkulturen auf die Bantu-Völker

Auch spätere Eimischung von Genen vermutlich nordafrikanischer, mediterraner Ackerbauern-Kulturen (mit Rinderhaltung), bzw. der Ägypter, sowie von Genen des Vorderen Orients lassen sich in den Bantu-Völkern nachweisen (Abb. 1 linke Grafik). Unter anderem aus der Zeit, als die ägyptischen städtische Kultur ("Hochkultur") am Oberlauf des Nil vordrang (1.900 v. Ztr. bis 400 v. Ztr.) und als etwa zeitgleich städtische Kulturen ("Hochkulturen") der arabischen Halbinsel auf den afrikanischen Kontinent übergriffen (1.800 v. Ztr. bis 600 v Ztr.), sowie als sich die Expansion der Araber, bzw. des Islam vollzog (300 bis 900 bzw. 1250 n. Ztr.).

Einen Tag nach der Veröffentlichung dieser Studie wurde im parallelen Wissenschaftsmagazin "Science" aufmerksam gemacht auf eine mindestens ebenso spannende Studie zur genetischen Geschichte der Buschleute, veröffentlicht in "Nature Communications" (2, 3). Die Buschleute stehen ja genetisch, geographisch und sprachlich am dichtesten an der Wurzel des Völker-Stammbaums von uns Menschen heute weltweit. Sie sind sozusagen - wahrscheinlich - die Hüter unseres ursprünglichsten genetischen, sprachlichen und kulturellen Erbes. Während alle anderen Völker weltweit nach der Menschwerdung vor etwa 200.000 Jahren in Afrika aus sich abwandernden kleinen Bevölkerungsgruppen hervor gingen (also etwa ab 60.000 Jahren vor heute), wobei in Gründerpopulationen viel Drift (neue Zufallsverteilungen von Genen) und Selektion stattfinden konnte (sprich genetische Neuanpassungen an die Verhältnisse vor Ort, sprich: Evolution), stammen die Buschleute heute immer noch von der einstmals grössten Bevölkerungsgruppe weltweit ab (2):
For tens of thousands of years, the Khoisan’s ancestors were members of “the largest population” on the planet, according to a new study. (...) The Khoisan inherited their genetic diversity from a large ancestral population, an idea supported by a single Khoisan genome published in 2012. 
Und weiter:
The team reconstructed population sizes for the ancestors of the Khoisan, as well as for Europeans, Asians, and another African group, the Yoruba. They found that all four groups declined in effective population size (the number of breeding adults) between 120,000 and 30,000 years ago. The non-Khoisan groups’ numbers plunged precipitously - by 30,000 years ago, European and Asian populations had plummeted by 90% from their peak, thanks to population bottlenecks caused by the migration of small groups out of Africa. But the Khoisan population declined by only 26%. (Yoruba populations dropped by 69%).
In der Originalstudie (3) heißt es:
The ancestors of the non-Khoisan groups, including Bantu-speakers and non-Africans, experienced population declines after the split and lost more than half of their genetic diversity.
Und:
The earliest human population split has been known to be between the ancestral Khoisan and the ancestors of the other human populations and was estimated to take place ~110–150 kyr ago. (...) After the earliest split, between the ancestral Khoisan and non-Khoisan populations ~100–150 kyr ago, the ancestral Khoisan population maintained their high genetic diversity, while the effective population size of the non-Khoisan continued to decline for 30~120 kyr ago and lost more than half of its diversity. The ‘Out of Africa’ migration ~40–60 kyr ago (ref. 20) accounts for the observed population split between African and non-African populations, and the subsequent smaller effective population size of non-Africans compared with non-Khoisan Africans.
Die Buschleute wurden in den letzten 2000 Jahren durch die Ausbreitung der Bantuvölker ebenfalls zu einer Art "Flaschenhals-Population", die am Rande des Aussterbens steht. Aber alles deutet darauf hin, dass auch dieser Bevölkerungsrückgang für sich noch nicht so viel Selektion und Evolution ausgelöst hat wie ihn die Vorfahren aller übrigen Völker weltweit während und nach dem Auswandern aus Afrika erfahren haben, bzw. während ihrer Ethnogenese innerhalb der anderen Weltteile später.

Die Buschleute waren einst die größte Bevölkerungsgruppe weltweit 

Dies macht deutlicher vielleicht als jemals zuvor auf eine Erkenntnis aufmerksam, die sich nach und nach immer deutlicher herausschält: Human-Evolution - zusammen mit Intelligenz- und Verhaltens-Evolution, sowie mit der Evolution von vielfältigsten Körpermerkmalen, Verdauungsmerkmalen, Krankheitsneigungen - scheint mehr oder weniger still zu stehen, wenn Völker zahlenmäßig groß bleiben und nicht mit neuen Lebens- und Überlebensbedingungen konfrontiert werden oder solche von sich aus aktiv aufsuchen.

Und daran schließt sich eine weitere Schlußfolgerung an, die einen ziemlich umtreiben könnte: Sollte das - sozusagen - der evolutionäre Sinn der Tatsache sein, dass sich heute weltweit die einheimischen Bevölkerungen auf der Nordhalbkugel in der demographischen Krise befinden? Nachdem sich ihre kulturellen Lebens- und Überlebensbedignungen in den letzten 500 Jahren drastisch verändert haben? Und wie werden die Neuanpassungen aussehen, die geeignet sind, diese demographische Krise zu überstehen und - sozusagen - eine "neue Welt" zu schaffen? Eine neue Welt des Menschen, des zukünftigen? Diese letztgenannte Studie läßt darüber jedenfalls intensiver nachdenken, als jede andere Studie zuvor, da sie so vieles bestätigt und ergänzt, was sich schon zuvor angedeutet hatte!

Friedrich Schiller läßt seinen Marquis Posa in seinem "Don Carlos" zum Beispiel sagen:
                              Das Jahrhundert
Ist meinem Ideal nicht reif. Ich lebe,
Ein Bürger derer, welche kommen werden.
Man könnte noch viele Erwartungen auf eine bessere Zukunft der Menschheit zitieren, wie sie unsere großen Dichter und Denker ausgesprochen haben. Die neuen genetischen Erkenntnisse müssen jedenfalls nicht als im Widerspruch zu solchen Erwartungen stehend interpretiert werden.

Ergänzungen zu neuen Erkenntnissen seither


Ergänzung 14.12.2014: Dieser Blogartikel hat einen zweiten nach sich gezogen (4, 5).

Ergänzung 25.7.2017: Ein Mann, der 1.000 v. Ztr. in Tansania lebte, hatte Gene sowohl der ostafrikanischen Jäger und Sammler als auch Gene der Ackerbauern aus dem Levanteraum in sich. Zu seiner Zeit wurde in Tansania schon Rinderhaltung betrieben, die sich von hier aus bis Südafrika ausgebreitet haben könnte (6).

Ergänzung 26.7.2018: Es ist sicher von Interesse, die Domestikation des afrikanischen Reis in Mali im Niger-Delta in Verbindung zu bringen zu den in diesem Blogartikel behandelten Fragen (7, 8).

Ergänzung 6.5.2019: Man hat inzwischen verstanden, daß die Gegend des nördlichen Niger-Flusses in Zusammenhang gebracht werden kann mit zahlreichen Domestikationsereignissen, die nachfolgend für weite Teile Afrikas Bedeutung erhalten sollten, etwa auch für die Yams-Wurzel (9).

/ Als neuer Titel des Blogartikels
die erste statt zuvor die 
dritte Zwischenüberschrift:
8.7.2019/
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  1. Deepti Gurdasani, Stephen Tollman et al.: The African Genome Variation Project shapes medical genetics in Africa. In: Nature (2014), Published online 03 December 2014, doi:10.1038/nature13997, http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature13997.html
  2. Gibbons, Anne: Dwindling African tribe may have been most populous group on planet. In: Science, 4.12.2014 
  3. Kim, H., Ratan, A., Perry, G., Montenegro, A., Miller, W., & Schuster, S. (2014). Khoisan hunter-gatherers have been the largest population throughout most of modern-human demographic history Nature Communications, 5 DOI: 10.1038/ncomms6692  
  4. Mace, Ruth u.a.: Phylogenetic reconstruction of Bantu kinship challenges Main Sequence Theory of human social evolution. PNAS, December 9, 2014, vol. 111, no. 49
  5. Bading, Ingo: Wie kam das Ursprungsvolk der Bantu-Völker zum Ackerbau? Historische Erläuterungen und Ergänzungen zum vorigen Blogartikel. Stud. gen., 14. Dezember 2014, https://studgendeutsch.blogspot.com/2014/12/wie-kam-das-ursprungsvolk-der-bantu.html
  6. Callaway, Ewen: Ancient-genome studies grapple with Africa’s past - Clutch of DNA analyses show that ancient humans moved around on the continent far more than has been appreciated. In: Nature, 06 July 2017, http://www.nature.com/news/ancient-genome-studies-grapple-with-africa-s-past-1.22272
  7. Philippe Cubry et. al. (Yves Vigourou): The Rise and Fall of African Rice Cultivation Revealed by Analysis of 246 New Genomes. Current biology 2018, Vol: 28, Issue: 14, Page: 2274-2282.e6, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0960982218307024
  8. Samantha J. Snodgrass, Matthew B. Hufford: Domestication Genomics: Untangling the Complex History of African Rice. Current Biology, Volume 28, Issue 14, 23 July 2018, Pages R786-R788, https://doi.org/10.1016/j.cub.2018.05.072, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0960982218307085  
  9. Elizabeth Pennisi: Plant studies show where Africa’s early farmers tamed some of the continent’s key crops. Science Magazine, 1. Mai 2019, https://www.sciencemag.org/news/2019/05/plant-studies-show-where-africas-early-farmers-tamed-some-continents-key-crops

2 Kommentare:

  1. Es wäre sicher interessant, die Domestikation des afrikanischen Reis in Mali im Niger-Delta in Verbindung zu bringen zu den die in diesem Blogartikel behandelten Fragen (1, 2).

    1. Philippe Cubry et. al. (Yves Vigourou): The Rise and Fall of African Rice Cultivation Revealed by Analysis of 246 New Genomes. Current biology 2018, Vol: 28, Issue: 14, Page: 2274-2282.e6, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0960982218307024
    2. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0960982218307085

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  2. Neueste Erkenntnisse zum hier behandelten Thema:

    Man hat inzwischen verstanden, daß die Gegend des nördlichen Niger-Flusses in Zusammenhang gebracht werden kann mit zahlreichen Domestikationsereignissen, die nachfolgend dann für weite Teile Afrikas Bedeutung erhalten sollten (9).


    9. Elizabeth Pennisi: Plant studies show where Africa’s early farmers tamed some of the continent’s key crops. Science Magazine, 1. Mai 2019, https://www.sciencemag.org/news/2019/05/plant-studies-show-where-africas-early-farmers-tamed-some-continents-key-crops [Titel anhand dieser DOI in Citavi-Projekt übernehmen]

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