Samstag, 23. November 2013

"Im ruhigen Ton der klassischen griechischen Tragödie ..."

In der antik-griechischen Kultur galt der Mord an Wehrlosen noch nicht per se als moralisch minderwertig

Woher kommt eigentlich der Gedanke, daß jenseits der Notwehr der Mord an anderen Menschen etwas per se moralisch Minderwertiges ist? Insbesondere auch der Mord an Mitgliedern anderer Ethnien und Religionsgesmeinschaften? Und insbesondere auch in Kriegszeiten? Dieser Gedanke ist weltgeschichtlich ein erstaunlich junger Gedanke. Er findet sich nicht nur nicht im blutrünstigen Alten Testament (und auch an vielen Stellen nicht im Neuen Testament), er findet sich auch nicht in der klassischen griechischen Kultur. Edward O. Wilson bringt in seinem neuesten Buch "Die soziale Eroberung der Erde" dafür ein eindrucksvolles, ja, ein geradezu erschütterndes Beispiel. Wie eine Kultur von - Philosophen, deren Gesandte quasi philosophisch argumentieren, eine benachbarte Stadt fast der gleichen Kultur grausam niedermetzelt und ausrottet. Wilson (1, S. 84f):
Thukydides berichtet, die Athener hätten das unabhängige Volk von Melos aufgefordert, im Peloponnesischen Krieg das Bündnis mit Sparta aufzukündigen und sich dem Attischen Seebund anzuschließen. Gesandte beider Städte diskutierten die Frage. Die Athener erklärten: "Doch das Mögliche der Überlegene durchsetzt, der Schwache hinnimmt." Die Melier erwiderten, sie würden sich niemals verskalven lassen und überließen sich der Gerechtigkeit der Götter. Daraufhin die Athener: "Wir glauben nämlich, vermutungsweise, daß das Göttliche, ganz gewiß aber, daß das Menschenwesen allezeit nach dem Zwang seiner Natur, soweit es Macht hat, herrscht. Wir haben dies Gesetz weder gegeben noch ein vorgegebenes zuerst befolgt, als gültig überkamen wir es, und zu ewiger Geltung werden wir es hinterlassen, und wenn wir uns daran halten, so wissen wir, daß auch ihr und jeder, der zu selben Macht wie wir gelangt, ebenso handeln würde. Vor den Göttern brauchen wir also darum nach der Wahrscheinlichkeit keinen Nachteil zu befürchten." Als die Melier sich weiterhin weigerten, rückten bald die attischen Streitkräfte an, um Melos gewaltsam zu erobern. Im ruhigen Ton der klassischen griechischen Tragödie berichtet Thukydides: "Die Athener richteten alle erwachsenen Melier hin, soweit sie in ihre Hand fielen, die Frauen und Kinder verkauften sie in die Sklaverei. Den Ort gründeten sie selbst neu, indem sie später 500 attische Bürger dort ansiedelten."
Was für ein Wahnsinn. So sagen wir aus heutiger Sicht. Ein wenig scheint den philosophisch gebildeten Athenern ihr Handeln auch der Rechtfertigung bedürftig zu sein. Ein wenig. Wenn es dann aber zum Handeln kommt, wird nicht mehr gezaudert und gezögert. Könnte man sich Sokrates unter den Soldaten der Athener vorstellen? Hat sich Sokrates über so etwas Gedanken gemacht?

Dieser kurze Bericht wirft einmal neu die Frage auf: Wo also stammt unsere heutige Moral der "Humanitas" eigentlich her? Wenn wir sie noch nicht einmal finden in der als über weite Strecken vorbildlich zu erachtenden, kulturell hochstehenden antik-griechischen Kultur? Gab es dafür Ansätze in der antiken Mittelmeerkultur? Ist wirklich die Bergpredigt des Neuen Testaments - und damit eine Geistestradition, die sicherlich auf wichtige Bestandteile des Buddhismus in Indien zurückgeht - der wesentlichste Ausgangspunkt gewesen für diese "Humanitas"?

Daß sich diese "Humanitas" dann mit Hilfe des Christentums erst auf merkwürdigen weltgeschichtlichen Umwegen Geltung verschafft - bis heute -, braucht ja nicht weiter erörtert zu werden. Es ging damit eine Heuchelei einher, die geradezu grenzenlos ist.

Aber schon im 18. Jahrhundert wurden wohl Soldaten, die Kriegsgefangene oder sonstige wehrlose Bevölkerung einfach niedermetzelten und mißhandelten, als minderwertig erachtet. Da bildete sich ein neuer Ethos der Ritterlichkeit und des "anständigen Soldaten" heraus. Ohne Frage. Ein Ethos, gegen den dann insbesondere im Zwanzigsten Jahrhundert in geradezu lächerlich umfangreicher Weise wieder verstoßen worden ist. Es stammt wohl aus dem Ethos des christlichen Ritters, des Schützers der Witwen und Waisen, des Rächers der Enterbten. Insgesamt scheint dabei doch der Geist des Christentums, der nicht der Geist des Alten Testaments ist, einen nicht unwesentlichen Zivilisationsbeitrag geleistet zu haben.

Aber den Einzelheiten wird bei Gelegenheit noch einmal genauer nachzugehen sein.

Abb 1: Krieger im Zweikampf, angefeuert von Athena und Hermes. Rotfigurige Vasenmalerei, um 530 v.C. Amphore im Louvre, Paris
Einerseits wäre zu sagen, daß es in der Zeit vor dem mörderischen Peloponnesischen Krieg durchaus Kräfte und Tendenzen gab, die diese Selbstzerfleischung der antik-griechischen Kultur als eine Gefahr sahen. So haben die Spartaner beispielsweise über viele Jahrzehnte hinweg ihre militärische Überlegenheit allen anderen grieichischen Stadtstaaten, ja, noch nicht einmal Persien gegenüber ausgespielt. Sie wurden diesbezüglich nicht zu "überschwenglich", wohl nicht zuletzt auch aus der Ahnung heraus, daß das langfristig keine guten Folgen haben könnte für das innergriechische politische Gleichgewicht. Und so verhielt sich auch der Stadtstaat Athen über lange Zeit hinweg.

Erst der Sieg der Athener bei Marathon und im Krieg gegen die Perser, die Verwirklichung der attischen Demokratie, der Aufschwung in Kunst, Dichtung und Philosophie in Athen bewirkten jene "Überschwenglichkeit" Athens auch auf politischem Gebiet, die das politische Gleichgewicht der Kultur der griechischen Stadtstaaten so nachhaltig aus dem Gleichgewicht brachten.

Einhegung menschlicher Gewalttätigkeit nach dem Dreißigjährigen Krieg

Doch erklärt das nicht das grundlegendere Problem, daß Mord an Kriegsgefangenen per se nicht als moralisch minderwertig erachtet worden ist. Die antik-griechische Kultur - wie überhaupt viele vormittelalterliche Kulturen in Europa und im Vorderen Orient -, so wird man womöglich mutmaßen können, lebten noch aus einem Geist seelischen Reichtums und seelischer Überschwenglichkeit heraus, bei dem es auf eine ausgerottete Stadt mehr oder weniger nicht ankam. Wobei auch der Erschütterung über den Untergang einer solchen Stadt oder eines ganzen Reiches, Volkes (siehe die "Ilias", siehe die Tragödie "Die Perser", oder siehe den "Sterbenden Gallier" etc.) ja keineswegs unbeachtet blieb. Sondern sogar Antrieb wurde zu weltgeschichtlich bedeutsamstem kulturellem Schaffen.

Aber zur Herausbildung der spezifisch modernen Humanitas wird beigetragen haben, daß die christlichen, abendländischen Völker und Kulturen aus einem solchen seelischen Reichtum, einer solchen seelischen Überschwenglichkeit, Überfluß heraus nicht mehr lebten. Und daß womöglich aus dieser allgemeinen seelischen Armut heraus das Bedürfnis als dringender empfunden worden ist- zumal etwa nach Ereignissen wie dem Dreißigjährigen Krieg - wenigstens im menschlichen Verhaltensbereich des Mordens und Tötens, des Völkermordes einem solchen disharmonischen Unfrieden nach und nach mehr Einhalt zu gebieten, diesen Verhaltesnbereich "einzuhegen", "einzugrenzen", zu "zivilsieren". 
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  1. Wilson, Edward O.: Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen. C. H. Beck 2013
  2. Pinker, Steven: Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit. Fischer, Frankfurt am Main 2011

Sonntag, 13. Oktober 2013

Die Humanevolution fand in Völkern statt

Eine neue detailreiche Studie bestätigt, was wir hier auf dem Blog schon immer sagten

Eine höchst spannende Genetikstudie aus Mainz ist erschienen (1). Mit den detailliertesten Erkenntnissen zur Evolution der europäischen Völker seit 8.000 Jahren, seit der Einführung des Ackerbaus in Europa, die wir jemals hatten. Der wesentlichste Gedanke vorweg. Er ist uns hier auf dem Blog so selbstverständlich, daß wir ihn in der erstsen Version dieses Artikels gar nicht mehr erwähnt hatten. Der immer so lesenswerte griechische "Dienekes Anthropology Blog" macht uns einmal erneut darauf aufmerksam:
Anyone adhering to a "pots not people" paradigm will find difficult to explain the sharp discontinuities found in the genetic record. European foragers contrast with the earliest farmers, who, in turn, contrast with and the Late Neolithic copper cultures that supplanted them a few thousand years later and spawned the Bronze Age world. If pots aren't people, it's strange that archaeological cultures defined largely by pots (right) also appear to mark genetic contrasts.
Also nicht nur Töpfe und Schüsseln evoluierten, sondern auch Völker gemeinsam mit ihnen. Es sind die Völker Europas, die die Humanevolution in Europa bestimmen. Wohin wir blicken, sehen wir ein festes Band, einen festen Zusammenhang zwischen den Genen eines Volkes und der zugehörigen Kultur. Es entstehen genetisch neue Völker gemeinsam mit neuer Kultur und Lebensweise. Sie breiten sich aus - und zwar Gene und Kultur gleichzeitig. Sie gehen unter - Gene und Kultur gleichzeitig. Sie werden durch neue Völker ersetzt - immer spezifisch neue Gene gleichzeitig mit spezifisch neuer Kultur. Eine andere Form der Humanevolution ist weltweit noch nie entdeckt worden (wie hier auf dem Blog schon häufiger behandelt wurde).*) Sprich: die Evolution des Menschen findet, soweit wir blicken können und so viel wir sehen können, immer in Stämmen und Völkern statt. Schlicht deshalb, weil der Mensch ein Gemeinschaftswesen ist, weil die Lösung sozialer Probleme seine genetische Intelligenz-Evolution förderte ("social brain theory"), weil er sich gerne abgrenzt von anderen Gemeinschaften, weil er gern kulturelle Gruppenvielfalt ausbildet, weil er sich zu Hause, in seiner eigenen Kultur und ihm genetisch verwandten Menschen am wohlsten fühlt und von selbst gerne kooperativ ist und nachbarschaftlich hilft (siehe etwa Robert Putnam "Bowling Alone"). Weil er einfach Freude daran hat.

Abb. 1: Bandkeramik kommt und geht unter (A), Trichterbecherkultur entsteht und breitet sich aus (B), Schnurkeramiker und Glockenbecherleute kommen nach Mitteleuropa (C)
Und die vorliegende, derzeit detailliertste Studie zur europäischen Humanevolution in den letzten 8.000 Jahren erbringt kein anderes Bild, als das, was eben gesagt wurde. Sondern bestätigt es auf das eindrucksvollste. Ja, um so detaillierter der Blick wird, um so mehr bestätigt sich das Bild. Da ist nämlich zugleich auch folgendes veröffentlicht worden: Man fand in der erst vor einigen Jahren entdeckten Blätterhöhle bei Hagen in Westfalen im sagenumwobenen Lenne-Tal aus der Zeit nach 4.100 v. Ztr. Skelette mit Genen ähnlich denen der Ostsee-Ackerbauern (Trichterbecher-Kultur) zusammen mit Skeletten mit typischen Jäger-Sammler-Genen. Nun könnte man sagen: Da haben wir ja den Beweis: Völker ganz unterschiedlicher genetischer Herkunft bestatten ihre Toten sogar in der gleichen Höhle.

Das hübsche Ende kommt hintennach. Mit bestimmen Analysen kann man die Ernährungsgewohnheiten der vormaligen Skelettbesitzer herausbringen. Und sie brachten das saubere Ergebnis: Alle Skelette mit Ackerbauern-Genen wiesen Ackerbauern-Ernährung auf. Und alle Skelette mit Jäger-Sammler-Genen wiesen die Ernäherung von Fischern (!) auf. Und das 2000 Jahre (!) nachdem in dieser Region der Ackerbau eingeführt worden war und auch noch lange, nachdem schon das erste große Ackerbauernvolk dieser Region (die Bandkeramiker) untergegangen und weitgehend ausgestorben war und durch - wohl mindestens zwei andere Völker ("Rössener Kultur" und die genetisch der Trichterbecher-Kultur verwandte "Michelsberger Kultur") ersetzt worden war!

So wie ein kleines Dorf im Nordwesten Galliens dem Eroberungs- und Akkulturierungsdruck des Römischen Weltreiches standhielt, so - offenbar - auch hier ein kleines Fischer-Volk im Lennetal über 2000 Jahre hinweg dem etwaigen Eroberungs- und Akkulturierungsdruck von Ackerbauer-Völkern. Beziehungsweise: Alle zugewanderten Ackerbauern-Völker mögen den Vorteil erkannt haben, der sich ihnen durch einen friedlichen Austausch mit den einheimischen Fischervolk ergab, an derem geringen Landbesitz man zudem auch kaum interessiert gewesen sein mag. Solche genetisch alten Fischervölker waren ja schon in Mecklenburg und Südskandinavien nachgewiesen - wir berichteten hier auf dem Blog - und sie werden deshalb typisch für ganz Europa gewesen sein damals. Die mächtigen Bauernvölker werden diese Fischer also in ihrer Nähe geduldet haben, ja sogar - an einem womöglich schon den Fischern heiligen Ort und mit diesen zusammen ihre Toten bestattet haben. So ähnlich wurden ja auch viele heiligen Orte von dem zugewanderten religiös sehr toleranten Volk der Hethiter in Anatolien "weiterbenutzt" und die dortigen Ortsgottheiten verehrt. Und ähnliches ist ja für Griechenland nachweisbar, nachdem - etwa - die Dorer zugewandert waren.

So konnten also diese Fischervölker, eingesprenkelt womöglich in vielen Gegenden Europas in die dortigen Ackerbauern-Völker, noch über etwa mindestens zweitausend Jahre hinweg die ihnen eigene Einheit zwischen Kultur und Genetik, zwischen Lebensweise und Genen bewahren. Also auch hier wieder: die Humanevolution findet klar und deutlich in Völkern statt. 

Doch zurück zur Hauptstudie: Genetische Untersuchungen an archäologischen Skelettresten seit 10.000 Jahren in Europa an mehr Skeletten, als man jemals zuvor untersucht worden sind, werden in ihr veröffentlicht. Nämlich von 364. Man schaue sich auch einmal das kleine Video im Anhang der Studie (Supplement) dazu an. (Dienekes hat übrigens auch all die sehr schönen, anschaulichen Grafiken des anhangs der Studie übernommen. Man sehe sich auch die an. Wir ersparen uns das hier, da man es ja bei Dienekes schon hat.)

Ergebnisse: Die europäischen Jäger-Sammler-Kulturen ("hunter-gatherer") weisen eine andere Genetik auf, als die ersten europäischen Bauern ("Linear pottery") (diese breiteten sich vom Plattensee über Europa aus - es wird vermutet, z.T. mit Genen aus Anatolien und dem Nahen Osten). Diese wiederum wird abgelöst von einer genetisch ganz anderen Rössener Kultur, ein offenbar ganz neues Ergebnis. Jetzt wird man auch fragen können, woher diese Rössener Kultur kommt mit ihren nicht mehr rechteckigen, sondern trapezoiden Hausgrundrissen (im Freilichtmuseum in Öhringshausen kann man ein solches besichtigen). Es deutet doch manches darauf hin, daß die aus dem Nord- oder Ostseeraum oder der norddeutschen Tiefebene kamen.

4.100 v. Ztr. - Die Entstehung der Trichterbecherkultur

Über die Entstehung der Trichterbecherkultur (englisch Funnel Beaker Cultere, abgekürzt FBC), über die wir uns hier auf dem Blog schon viele Gedanken gemacht haben, wird im Originalartikel folgendes ausgeführt:
The Neolithic transition of southern Scandinavia was closely linked to the FBC, which replaced local foragers that had retained the Mesolithic lifestyle for ~1500 years after farming arrived in Central Europe. FBC individuals from Scandinavia have yielded high frequencies of hunter-gatherer haplogroups (30%) alongside a large amount of Neolithic package haplogroups (60%), leading to an intermediate position between hunter-gatherers and the Early/Middle Neolithic Mittelelbe-Saale cultures in the PCA.
sprich, im Klartext: Sie waren etwas genetisch völlig Neues. was man ja auch an der Genetik der Erwachsenen-Rohmilchverdauung, der Intelligenz-Genetik und der Genetik der blauen Augenfarbe ablesen kann, alles humangenetische Innovationen, die es zuvor nirgendwo auf der Welt so gegeben hatte. Und weiter:
This suggests that pioneer groups from Central Europe had interacted with local hunter-gatherers who adopted farming, a view also supported by ancient genomic data. Subsequently, around a millennium later in Mittelelbe-Saale, a genetic shift associated with the BEC (Bernburger Kultur), a late representative of the FBC in Central Europe, saw an increase in hunter-gatherer lineages (29.4%) and a decrease in farmer lineages (47.1%), resulting in a haplogroup composition similar to that of the Scandinavian FBC. Although previous populations show affinities to the Near East, the BEC marks a clear shift toward those in present-day North Europe.
2.800 v. Ztr. - Die Zuwanderung der Schnurkeramiker aus Sibirien und Kasachstan

Über die Zuwanderung der Schnurkeramiker aus dem Osten heißt es:
In the Late Neolithic, we identify two independent events (C and D), each associated with major contemporary Pan-European phenomena. Event C (~2800 cal BCE) is marked by the emergence of the CWC (Schnurkeramiker), whose subgroups were widespread across Central and Eastern Europe. The CWC is characterized by haplogroups I and U2 (4.6%), which are new maternal elements in Mittelelbe-Saale and appear alongside other Late Neolithic/Early Bronze Age lineages such as T1 (6.8%) and hunter-gatherer haplogroups U4 and U5 (20.5%), whereas Early/Middle Neolithic haplogroups further decrease (45.5%).
Und:
Haplogroup U2 has been reported exclusively from Paleolithic, Mesolithic, and Bronze Age samples from Russia, and PCA and cluster analyses reveal similarities of the CWC to two ancient Kurgan groups of South Siberia and Kazakhstan, in which haplogroups I, U2, and T1 are frequent (18.2 to 37.5%). Intriguingly, the Y chromosomal haplogroup R1a1a, frequent in ancient Siberian populations, has previously been detected in our CWC data set, suggesting additional paternal genetic links to Kurgan cultures. Together with the affinities of the CWC to present-day populations of Eastern Europe, the Baltics, and the Caucasus, this suggests a genetic influx into Central Europe from the East, likely influenced by Kurgan cultures.
Womit sich die Kurgan-Hypothese von Marijan Gimbutas wohl endgültig und glänzend bestätigt hätte. Wer wollte sie jetzt noch infrage stellen?

2.500 v. Ztr. - Die Zuwanderung der Glockenbecher-Leute

Und auch alles, was man immer schon über die Herkunft auch der Glockenbecher-Kultur (Bell Beaker Culture = BBC) von seiten der Archäologie vermutete, bestätigt sich nun durch die Genetik:
Event D (~2500 cal BCE) is defined by the BBC, the western counterpart of the CWC. BBC groups appeared ~300 years later in Mittelelbe-Saale and coexisted alongside the CWC for more than 300 years. The BBC is distinguished from the CWC by the absence of haplogroup I and U2 and an overwhelmingly dominant genetic signature of haplogroup H (48.3%), leading to a separation of the BBC from all other Mittelelbe Saale cultures in PCA and cluster analysis. H remains the most frequent haplogroup in West European populations today (~40%) and was absent in Central European huntergatherers but prevalent in ancient populations of the Iberian Peninsula since Mesolithic times (20.7 to 70.7%). As a result, the BBC clusters with these Iberian populations. (...)  These suggest the BBC was associated with a genetic influx from southwest Europe, which is consistent with the oldest archaeological signs of this culture being found in Portugal ~2800 cal BCE.
Damit wird nicht nur - wie bei den Schnurkeramikern - vieles bestätigt. Es wird auch - wie bei ihnen - vieles präzisiert. Während bei den Schnurkeramikern fast die extremste Angabe - Sibirien - die passendste erscheint als Herkunft, so bei den Glockenbechern wiederum fast die extremste Angabe: Portugal. Europa wurde also damals von seinen Randregionen aus neu erobert.

Es ergibt sich folgendes Bild: Erst breiten sich die Bandkeramiker von Süden aus, die - womöglich - mancherlei außereuropäische Genetik in sich trugen. Dann breiteten sich von Norden her nach Süden die Trichterbecherleute aus, die eine ganz neue Genetik in sich trugen, aber viel mehr einheimische, europäische Gene, offenbar, als die Bandkeramiker. Und schließlich kamen von Osten und vom äußersten Südwesten neue Völker nach Mitteleuropa. Womöglich haben sich abgelegene Randregionen wie Ostseeküste, Portugal und Sibirien damals besonders geeignet zur "Ethnogenese", zur Volkwerdung, zur Ausbildung einer neuen Kultur und Lebensweise samt der dazugehörigen Genetik.

Und die mitteleuropäische Bevölkerung der frühen Bronzezeit, so erfahren wir weiter in der Studie, haben genetisch weitaus mehr von den Schnurkeramikern übernommen als von den Glockenbecherleuten:
The onset of the Early Bronze Age (EBA) in Mittelelbe-Saale (~2200 cal BCE) was characterized by socially and economically stratified societies associated with the emerging metallurgies. All of the analyses show close genetic links between the EBA and the CWC on the basis of elevated frequencies of Late Neolithic/EBA haplogroups such as I, U2, and T1 (22.3%), and both appear to have similar affinities to modern-day East European populations. TPC indicate a minimal contribution of the BBC to the EBA in Central Europe.
Und seit der frühen Bronzezeit hat es keinen abrupten Wechsel mehr gegeben in Mitteleuropa, was die genetische Zusammensetzung betrifft. Genauso wie wir es schon früher hier auf dem Blog gesagt hatten. Wir Mitteleuropäer stammen also nach dieser Studie genetisch ab
1. "irgendwie" (auch) von den Jäger-Sammlern des Ostsseeraumes (Ertebolle-Kultur), 
2. von den Trichterbecherleuten und
3. von den Schnurkeramikern (Indogermanen).
Wobei natürlich noch gar nichts darüber gesagt ist, von welchen Ausgangspopulationen aus eigentlich die Schnurkeramiker und die  Trichterbecherleute evoluierten. Da wird es sicherlich noch manches Spannende zu erforschen geben. Also:
Insgesamt ähnelt die genetische Signatur in der Bronzezeit schon der heutigen Verteilung der Mt-Gene in Europa, die die Forscher anhand von 500 zufällig ausgewählten Europäern zum Vergleich bestimmten.
ResearchBlogging.orgMan muß sich das zugehörige Video mehrmals anschauen (und dazu mehrmals die Seite laden), um alles mitzubekommen. Wir Deutschen und die anderen Völker Mittel- und Nordeuropas sind genetisch also vergleichsweise junge Völker, wahrscheinlich im Wesentlichen um 4.300 v. Ztr. an der Ostsee oder zwischen Ostsee und Mittelgebirge (Lüneburger Heide?) entstanden.Wobei allerdings noch genau zu erforschen wäre, zu welchen Anteilen Vorgängerkulturen (Rössener Kultur und andere) dabei eine Rolle spielten.

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*) [6.7.17] Es gibt einige wenige Ausnahmen, wie wir inzwischen wissen. Dazu gehören die Glockenbecher-Leute in Spanien. Während die Glockenbecher-Leute im restlichen Europa Indogermanen-Gene haben, sind diese Indogermanen-Gene bei den Glockenbecher-Leuten in Spanien nicht nachgewiesen worden. (Das Glockenbecher-Phänomen war aber für die Archäologen immer schon etwas "Besonderes", da es auch sonst aus allgemeineren Gesetzmäßigkeiten herausfällt.)
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  1. Brandt G, Haak W, Adler CJ, Roth C, Szécsényi-Nagy A, Karimnia S, Möller-Rieker S, Meller H, Ganslmeier R, Friederich S, Dresely V, Nicklisch N, Pickrell JK, Sirocko F, Reich D, Cooper A, Alt KW, & The Genographic Consortium (2013). Ancient DNA Reveals Key Stages in the Formation of Central European Mitochondrial Genetic Diversity. Science (New York, N.Y.), 342 (6155), 257-261 PMID: 24115443

Sonntag, 30. Juni 2013

Multikulti - Bringt die Evolution nicht voran

Wer einmal einen Einblick haben will in das, was an der vordersten Front der Forschung derzeit in der ganz klassischen Biologie geschieht, dem kann ein neuer Artikel von einem Forscher aus Oxford empfohlen werden (1). (Der Artikel scheint nirgendwo in der deutschen Wissenschaftspresse behandelt worden zu sein. Grund genug, hier einmal auf die wesentlicheren Inhalte aufmerksam zu machen.)

Am Übergang von der Einzelligkeit zur Vielzelligkeit


Die Natur hat sehr vielfältig experimentiert am Übergang von der Einzelligkeit zur Vielzelligkeit. Es gibt da so berühmte Beispiele wie die Grünalge Volvox oder den Schleimpilz Dictyostelium. Sie gehören zu den einfachsten Formen von Vielzelligkeit in der Natur. Und sie sind nicht nur naturwissenschaftlich, sondern auch philosophisch von großem Interesse. Spätestens seit der deutsche Evolutionsbiologe August Weismann auf die Einführung des Alterstodes gleichzeitig mit der Einführung der Vielzelligkeit in der Evolution, die mit solchen Organismen einhergeht, hingewiesen hat. Warum es den gesetzmäßigen Alterstod überhaupt gibt in der Evolution und im Leben, ist ein bis heute von der Naturwissenschaft weitgehend ungeklärtes Problem. Da herrschen die vielfältigsten Theorien vor.

Abb. 1: Dictyostelium in der späten Aggregations-Phase
Philosophisch wurde die Tatsache der Einführung des Alterstodes in der Evolution erstmals von einer Schülerin von August Weismann, von Mathilde Ludendorff (1874 - 1966), ausgewertet. Soweit übersehbar hat es andere Philosophen, die in ihrer Nachfolge ähnliches versucht haben, bisher nicht gegeben. Wissenschaftlich weitergeführt worden sind die Forschungen - auf der Grundlage der Erkenntnisse von August Weismann und auch von Mathilde Ludendorff - unter anderem durch Gerold Adam (1933 - 1996) in Konstanz.

Gerold konnte sehr eindrucksvoll von dem Schleimpilz Dictyostelium erzählen. Und von jenen Notzeiten, wenn sich viele tausende von Einzelzellen, von einer "Ruferzelle" gerufen, "aggregieren", zusammenballen. "Die Massen rotten sich zusammen", ein gemeinsamer Wille beherrscht sie plötzlich. Und wie sie einen großen Zellstaat bilden. Und wie sich dieser Zellstaat - wie eine Nacktschnecke - günstigere Standortbedingungen sucht. Und wie dann jene Zellen, die zuvor gerufen hatten und zuerst auf den Ruf gehört hatten, schließlich den Stil bilden eines kleinen Pilzes. Und wie sie auf diesem Stil die übrigen Zellen als eine ("Frucht-")Kugel emporschieben. 


Das ist auch auf Wikipedia gut beschrieben., allerdings in z.T. argem Fachchinesisch. Man könnte diesen Lebenszyklus auch ganz anders beschreiben, etwa unter Bezugnahmen auf vielerlei Ereignisse in der Geschichte komplexer menschlicher Gesellschaften. Wie etwa auf den Ruf eines Herrschers aus allen Teilen des Landes die Menschen zu seinem Regierungssitz strömen, wie eine allgemeine Bewegung das gesamte Volk ergreift, wie Völker sich auf Wanderschaft begeben. Und wie, damit die anderen überleben, sich ein Teil des Volkes auf irgendeine Weise für den anderen Teil des Volkes aufopfert.

Jedenfalls: In der nächsten Lebensphase dieses Pilzes Dictyostelium schwärmen die Zellen der hochgeschobenen Kugel wieder aus, während die Zellen des Stils sterben, zugrunde gehen. Sie haben ihre Zellteilungsfähigkeit verloren. Damit tritt erstmals der gesetzmäßige Alterstod in der Evolution auf. Die ("genialeren") Ruferzellen und die frühesten Zellen, die auf den Ruf gehört haben, hatten den Stil gebildet und haben sich für die anderen Zellen, die Fortpflanzungszellen, aufgeopfert, indem sie ihnen eine erhöhte Ausgangsposition für erneute Verbreitung verschafften. Eine der frühesten und ältesten Formen von Altruismus in der Welt des Organischen.

Eine der ältesten Formen von Altruismus in der Welt des Organischen


Und der neue Artikel (1) nimmt nun die heute bekannte Vielfalt von solchen Formen des Übergangs zwischen Einzelligkeit und Vielzelligkeit in mehreren Zweigen des Artenstammbaums von Bakterien, Schleimpilzen, Grünalgen insgesamt und vergleichend in den Blick. Und er stellt hierbei fest, daß die genetische Verwandtschaft zwischen den aggregierenden, sich zusammenballenden Zellen von ausschlaggebender Bedeutung ist dafür, ob und wie komplex die Vielzelligkeit ist, die dann in der Folge ausgebildet wird. Im Artenvergleich wird Vielzelligkeit um so häufiger und um so komplexer ausgebildet, um so mehr die Einzelzellen der jeweiligen Art, die sich zusammenballen, miteinander genetisch verwandt sind, bzw. wenn sie genetisch miteinander identisch sind.

Das klingt zwar von vornherein plausibel. (Nur womöglich nicht für Anhänger multikultureller Gesellschaften.) Aber das mußte doch erst einmal vergleichend und auf statistischer Basis solide nachgewiesen werden. Wenn das nun erst im Jahr 2013 geschieht, merkt man daran, wie lange die Forschung manchmal dafür braucht, ganz einfache Fragestellungen zu klären. Aber da die genetische Verwandtschaft auch bei der Ausbildung von gesellschaftlicher Komplexität von Insektenstaaten erst vor einigen Jahren wieder intensiver erforscht worden ist (Stud.gen. 6/2008), werden auch die Mikrobiologen sich einmal aufgefordert gesehen haben, hier die Zusammenhänge genauer in den Blick zu nehmen.

In der Regel stammen die sich zusammenballenden Zellen alle nur von einer einzelnen Zelle ab, die sich zuvor viele male geteilt hatte. (Sie bildeten etwas, was in der Wissenschaft - und auch in diesem Artikel - "Klon" genannt wird.) Und deshalb sind sie alle wie "eineiige Zwillinge". Es gibt aber auch Arten, bei denen der genetischen Verwandtschaft bei der Aggregation, der Staatenbildung, keine so große Beachtung zugemessen wird. Man könnte sagen, das waren die "multikulturellen Gesellschaften" der damaligen Zeit. Oder auch die "Patchwork-Familien" der damaligen Zeit, die ja auch heute wieder so "hip" sind (also "angesagt" sind [bzw. als "schick" oder "trendy" gelten]). Diese Form der Aggregation und Staatenbildung hat jedenfalls in der Evolution von Vielzelligkeit und vielzelliger Komplexität bei weitem nicht so viel Erfolg gehabt, wie die erstgenannte.

"Multikulturelle Gesellschaften" der damaligen Zeit


In dem Artikel wird unterschieden zwischen obligater (sprich gesetzmäßiger) Vielzelligkeit im Lebenszyklus einer Art und fakultativer Vielzelligkeit. Bei der fakultativen Vielzelligkeit ist die Fortpflanzung der Art nicht zwingend davon abhängig, daß Vielzelligkeit ausgebildet wird. Alle Säugetiere beispielsweise sind obligate Vielzeller. Sie können sich nur dann fortpflanzen, wenn eine vielzellige Lebensphase ausgebildet wird. Dies ist also die komplexere Lebensform. Außerdem werden die Zahlen der sterilen, also dem Todesmuß verfallenen Zellen des ausgebildeten Vielzellers miteinander verglichen. Und auch die Zahl der dabei ausgebildeten Zelltypen (analog zu den Kasten der Insektenstaaten).

Sprich, im Artvergleich gilt: Um so mehr die Zellen miteinander genetisch verwandt sind, die sich zusammenballen zu einem vielzelligen Organismus, um so komplexer ist der Vielzeller, der dabei ausgebildet werden kann, gemessen an den eben genannten Kriterien.


Das Bild der Evolution vereinheitlicht sich zunehmend


Und mit diesem Forschungsergebnis vereinheitlicht sich immer mehr ein Bild von der Evolution überhaupt, das in den letzten Jahren gewonnen wird. (Und worüber es auf diesem Blog vor fünf Jahren schon mehrere Artikel gegeben hat: 11/2007, 6/2008, [9/2008], 5/2009, [7/2007].) 

Auch bei der Ausbildung von arbeitsteiligen Gesellschaften von Insekten bildet die genetische Verwandtschaft die ausschlaggebende Rolle, worauf erst vor wenigen Jahren in einem aufsehenerregenden Artikel (Hughes et. al. - und zwar gegen Edward O. Wilson's neue "Superorganismus"-Theorie gewandt) hingewiesen worden ist. Diese wird durch monogame Lebensweise der Staatengründer sichergestellt.

Und diese monogame Lebensweise hinwiederum korreliert - so nach Forschungen von Robin Dunbar - mit der evoluierten Gehirngröße über weite Teile des Artenstammbaumes der Säugetiere. Sprich: Um so monogamer eine Art lebt, um so größer  die Gehirne dieser Art (wobei die allein durch Körpergewicht bedingte Gehirngröße einer Art - wie üblich - herausgerechnet wird). Und bei den Primaten korreliert dann - nach den Forschungen von Robin Dunbar - wiederum die Gehirngröße mit der Gruppengröße, also mit jenen Tieren, die dauerhaft in einer Gruppe zusammenleben. So wie bei den Nichtprimaten monogame Paare dauerhaft zusammeleben ("Dunbar's Zahl").

Von zwei Lebensprinzipien also, die heute allerwärts in der Öffentlichkeit als besonders "fortschrittlich" und "liberal" und insbesondere auch "natürlich" propagiert werden, zeigt damit die Evolutionsforschung auf, daß diese nicht die Lebensprinzipien sind, die die Evolution (von arbeitsteiliger Komplexität und Gehirngröße) vorangebracht haben. Nämlich von den Lebensprinzipien: Polygamie und multikulturelle Gesellschaft.


Diese Tatsache dürfte einmal erneut auf die erhebliche philosophische wie auch geradezu tagespolitische und sozialethische Bedeutung evolutionsbiologischer Grundlagenforschung aufmerksam machen. Oder noch allgemeiner: Wenn wir die Lebensprinzipien unserer modernen Gesellschaften in Übereinstimmung bringen wollten mit den Erfolgsprinzipien der Evolution überhaupt, müßten wir sie auf einem ganz anderen moralischen Fundament errichten, als jenem, auf dem die derzeitigen modernen Gesellschaften errichtet sind. 

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  1. Fisher RM, Cornwallis CK, & West SA (2013). Group formation, relatedness, and the evolution of multicellularity. Current biology : CB, 23 (12), 1120-5 PMID: 23746639