Dienstag, 5. August 2008

Beeinflussen Krankheitsgefahren die Gruppen- und Religionspsychologie?

Neue Forschungsansätze aus der Soziobiologie

Die amerikanischen Biologen Corey L. Fincher und Randy Thornhill haben eine neue These zur Evolution menschlicher Sprach- und Religionsgemeinschaften erarbeitet. Da über diese These zumeist im Zusammenhang mit dem Schlagwort "Parasitenbefall" berichtet wurde, haben das viele Leser womöglich ein wenig zu abwegig gefunden, um weiterzulesen.

Abb.: Kranker Mensch - Gemälde von Ferdinand Hodler, Juni 1914 (Wiki)

Aber die These ist letztlich viel allgemeiner, so wird es deutlich wird, wenn man sich die Originalartikel anschaut (Oikos, Proc. Roy. Soc. B, Proc. Roy. Soc. B).

Der Ausgangspunkt ist lokale genetische Humanevolution, zunächst bei der Krankheitsabwehr des Menschen. Für solche lokale genetische Humanevolution haben ja die Genetiker in den letzten Jahren eine Fülle von neuen Hinweisen gefunden. ("Studium generale" berichtete häufig darüber.) Es handelt sich hier um sehr allgemeine Erkenntnisse und Konzepte, die weit über lokal unterschiedlichen Parasitenbefall und genetische, psychologische und kulturelle Anpassung an diesen auf Gruppenebene hinausgehen.

Jüngste, lokale Humanevolution aus der Sicht der traditionellen Soziobiologie

Soweit übersehbar sind das zwei erste Studien von Seiten der "traditionellen" Evolutionären Psychologie (bzw. der Soziobiologie), die konkreter alle die neuen Erkenntnisse in der Humangenetik der letzten zwei, drei Jahre zu jüngster, lokaler Humanevolution aufnehmen - oder sich doch sehr konkret auf theoretischer Ebene an sie annähern. Allein aufgrund dieses allgemeinen theoretischen Ansatzes verdienen die beiden Studien von Fincher und Thornhill Beachtung, auch wenn der in diesen Studien erörterte Ansatz selbst noch nicht für sich verbürgen sollte, daß man gleich im ersten Schritt schon zu sehr gut verallgemeinerbaren Ergebnissen kommt.

Anpassung an unterschiedlichen Krankheitsgefahren ist sicherlich ein Aspekt von menschlichem Gruppenverhalten. Aber sicherlich auch nicht der einzige. Der Denkansatz selbst ist jedoch so grundlegend, daß er sehr leicht erweiterungsfähig sein wird in viele Richtungen. Das mag spürbar werden, wenn nur allein einige Stichworte genannt werden aus dem zweiten Originalartikel: "locally adaptive immunity", "spacial variance in the immunbiology", was beides sowohl auf genetischer, wie psychologischer wie kultureller Ebene Auswirkungen hat, nämlich in Richtung von: "philopatry" (Heimatliebe), "ethnocentrism", "xenophobia", "collectivism", "individualism", "average coefficient of relatedness of ego's interactions over the lifetime", "flow of ideas and values", "markers of commitment", "ethnic code as a honest signal" (der "ethnische Code als ein ehrliches Signal") und so weiter und so fort.

Wie man in der Wissenschaftsberichterstattung und in der Blogszene sehen kann, sind das Studien, die beispielsweise Sprachwissenschaftler gleichermaßen interessieren wie Religionswissenschaftler. Auch dieser Umstand deutet darauf hin, daß man es hier mit einem sehr grundlegenden Denk- und Forschungsansatz zu tun hat. Die Berichte und Blog-Stellungnahmen (hier eine Auswahl: Spektr. d. Wiss., BdW, ORF, Kath.net, Spiegel, Tagesspiegel, New Scientist, Science, Telegraph, Homo economicus' Weblog, Bad Idea, Bremer Sprachblog) sind, wenn man sie mit den Originalartikeln vergleicht, oft noch viel zu oberflächlich und undifferenziert. "Studium generale" wird deshalb versuchen, auf diese Studien noch einmal differenzierter zurückzukommen.

Auszüge aus der Wissenschafts-Berichterstattung 

Hier zunächst nur einige wertvollere Auszüge aus der Berichterstattung. Der ORF schreibt:

Überprüft wurde diese These erstmals in den 1970er Jahren, als Forscher verschiedene Pavianpopulationen untersuchten. Es zeigte sich, dass in der afrikanischen Savanne die Affen von ähnlichen Bakterien befallen waren und in regem Austausch miteinander standen. In den Regenwäldern hingegen unterschied sich der Bakterienbefall zwischen den Populationen stark und die Paviane interagierten weit weniger. Die verschiedenen Parasiten, so lautete der Schluss, sind eine treibende Kraft der Evolution. Corey Fincher und Randy Thornhill meinen, daß dies auf für die Menschen gilt. (...) Wie sie in ihrer Studie schreiben, gab es überall eine strenge Korrelation zwischen diesen beiden Größen: Je mehr Sprachen es in einem Gebiet gibt, desto unterschiedlicher sind auch die Krankheitserreger, die die verschiedenen Menschengruppen tragen.
Und:
"Individuen müssen Kosten und Nutzen beim Kontakt mit Artgenossen abwägen", meinte Fincher gegenüber dem Online-Dienst des "New Scientist". Zu den Kosten zähle die Gefahr, sich mit Krankheitserregern eines fremden Individuums anzustecken, an die das eigene Immunsystem nicht angepaßt ist. Ist diese Gefahr hoch, wird der Kontakt eingeschränkt.
Man meidet also Gruppenfremde, um etwaige Ansteckungen zu vermeiden. Dazu paßt ein früheres Forschungsergebnis, nach dem vor allem schwangere Frauen stärker zwischen Gruppenfremden und Gruppenzugehörigen unterscheiden, da sie gesundheitlich besonders gefährdet sind (EHB 2007). Weiter:
Hintergrund der Studie ist ein bekanntes Phänomen der Ökologie: Die Artenvielfalt ist rund um den Äquator, in den Tropen und Subtropen, am größten, die Regenwälder sind jene Regionen mit der höchsten Artendichte und -vielfalt. Je näher man zu den Polen kommt, desto geringer ist die Biodiversität.

Aber die Forscher ziehen noch viele weitere Implikationen aus ihren Studien. Nicht nur die Größe, sondern auch die Art der Sprach- und Religionsgemeinschaften sei durch die Häufigkeit unterschiedlichen Parasitenbefalls bedingt. Hier geht es um den Unterschied zwischen mehr kollektivistischen oder mehr individualistischen Gesellschaften. Vor zwei Jahren hat der ORF schon über eine ähnliche Studie zu Parasiten berichtet (ORF, Proc. Royal Soc.). Hier wurde behauptet, daß der höhere Befall mit einer Parasitenart in Brasilien zu höheren Ängstlichkeits- und Neurotizismus-Raten, sowie zu höherer Betonung von Männlichkeit führe:

... Könnten gewisse Charakteristika nationaler Kulturen auf den Einfluß eines Parasiten zurückzuführen sein? Für die Hypothese spricht, daß der Infektionsgrad mit T. gondii regional sehr unterschiedlich ist. In Großbritannien und Norwegen liegt er bei sieben bzw. neun Prozent, in Brasilien und dem Balkan sind hingegen zwei Drittel der Bevölkerung infiziert.
Eine statistische Analyse von Lafferty zeigt indes, daß tatsächlich ein Zusammenhang zwischen der Verbreitung des Parasiten und gewissen Persönlichkeitsfaktoren besteht: Gesellschaften, die eine hohen Anteil Infizierter aufweisen, erreichen auch höhere Werte bei Persönlichkeitstests bezüglich Neurotizismus. Zusammenhänge, wenn auch weniger ausgeprägt, gibt es außerdem bei zwei Faktoren, die vom Niederländer Geert Hofstede eingeführt wurden, um das gesellschaftliche Klima in Kulturgruppen zu charakterisieren: Gesellschaften mit vielen Infizierten weisen eine tendenziell geringere Risikobereitschaft (bzw. höhere "uncertainty avoidance") auf und orientieren sich daher vermehrt an vorgegebenen Regeln. Und sie sind, in der Terminologie von Hofstede, eher "maskulin" - d.h., sie halten eher an traditionellen Geschlechterrollen fest.

Detaillierteres zu diesen Dingen noch einmal in einem weiteren Beitrag.

ResearchBlogging.org

/ leicht überarbeitet: 10.3.2021 /

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  1. Corey L. Fincher, Randy Thornhill (2008). Assortative sociality, limited dispersal, infectious disease and the genesis of the global pattern of religion diversity Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, -1 (-1), -1--1 DOI: 10.1098/rspb.2008.0688

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