Dienstag, 15. April 2008

Neues zur Gründerpopulation des aschkenasischen Judentums

Auf "Gene Expression" stellt der Humangenetiker Gregory Cochran aus Utah, der insbesondere durch seine Studie zur "Naturgeschichte der aschkenasischen Intelligenz" vom Jahr 2005 bekannt geworden ist (zusammen mit Henry Harpending und Jason Hardy) ("Natural History of Ashenazi Intelligence"), eine neue genetische Studie vor, von der er glaubt, daß sie im wesentlichen ihre Hypothesen aus dem Jahr 2005 bestätigen würde. Nun aber auf einer sehr stark erweiterten Datengrundlage. (Gene Expression 1, 2, Steve Sailer)

Trennung des aschkenasischen und sephardischen Judentums im Frühmittelalter

Er legt insbesondere Wert auf die Tatsache, daß das aschkenasische Judentum, also das traditionell jiddisch-sprachige, "osteuropäische" Judentum, von dem vermutet werden kann, daß es sich im Frühmittelalter am Oberrhein vom sephardischen (romanisch-sprachigen) westeuropäischen, mediterranen Judentum abgespalten hat, daß dieses aschkenasische Judentum, das 80 % des heute weltweit lebenden Judentums bildet, mit seinen ganz besonderen und spezifischen genetischen Eigenschaften, nicht als eine (populationsgenetische) Gründerpopulation, also nicht durch einen (populationsgenetischen) "Flaschenhals" entstanden ist.

Offenbar scheinen die neuen genetischen Befunde dafür sehr überzeugend zu sein.
Gerade in den letzten Jahren war vermutet worden, daß die aschkenasischen Juden vor etwa tausend Jahren aus einer sehr kleinen Ausgangspopulation hervorgegangen wären, daß die mütterliche Linie (das mitochondriale Genom) aufzeigen würde, daß sie zu etwa 40 % von nur acht nichtjüdischen Frauen abstammen würden, was ja nur durch eine Gründerpopulation und einen Flaschenhals würde erklärt werden können. (Literaturangabe siehe die Kommentare, in denen diese damalige These nur sehr kritisiert wird.)

Nur Selektion, keine Gründerpopulation?

Sollte also diese Meinung nun aufgegeben werden müssen?

Das wäre immerhin recht interessant. Auch ich selbst hatte bislang vermutet, daß genetische Unterschiede zwischen Völkern viel besser durch Flaschenhals-Ereignisse zu erklären sein würden, als durch bloße "Selektion" wie nun neuerdings - nach Cochran - vermutet wird. Also bloß Selektion (durch Heiratswahl und unterschiedliche Nachkommenzahlen der einzelnen Individuen innerhalb einer gegebenen Population, also durch Heiratsschranken zu anderen Populationen) in einer nach hunderttausenden von Angehörigen zählenden Population innerhalb von nur gut tausend Jahren bringt so markante genetische Unterschiede zwischen Völkern hervor, wie sie diese neue Studie ebenfalls offenbar wiederum deutlicher als jemals zuvor aufzeigt (- nach Cochran)?

Ausgeschlossen darf diese Möglichkeit scheinbar jetzt nicht mehr. Wie sollen dann aber die 40 % nichtjüdischen (weiblichen) Vorfahren in den Abstammungslinien der aschkenasischen Juden erklärt werden? Das würde heißen, daß sich im Frühmittelalter, während der Ethnogenese der heutigen europäischen Völker, viele tausende von nicht-jüdischen Frauen (deutschsprachigen höchstwahrscheinlich, wie schon der jiddische Dialekt impliziert) zum Judentum bekehrt hätten.

Man darf auf die weitere Forschungsdiskussion in diesem Bereich gespannt sein.

Die neuen Erkenntnisse müssen doch relativiert werden

- Aha, Cochran sagt in den Kommentaren noch einiges letztlich doch stark Relativierende:

(...) Montgomery Slatkin used a historical population model with _two_ population bottlenecks. The first bottleneck in that model was the founding of the Roman Jewish population, which he modeled using a range of population sizes (150, 600, and 3,000), with a second bottleneck around 1350 (600, 3,000, and 6,000). These are the census sizes: he assumes that the effective population size was 1/3rd of census size.

You need to have populations in those size ranges - low thousands or fewer - to have any significant chance of perturbing gene frequencies enough to get the sort of mutation spectrum we see among the Ashkenazim. Even then you won't see clustering in a couple of metabolic pathways. And those scenarios have other effects on genetic statistics, effects we do not observe. Moreover, any really strong bottleneck would make a population somewhat dumber.
Das präzisiert die Sache allerdings erheblich. Eine Population von nur tausend oder mehreren hundert Individuen ist aber für mich doch eine Flaschenhals-Population! Wenn später ein Volk von Millionen Menschen daraus hervorgeht!? Natürlich handelt es sich dabei um "Gründereffekte"!

Worms oder Straßburg - oder wo?

Die Diskussion in den Kommentaren, an der sich zum Schluß auch Henry Harpending beteiligt, geht eigentlich nur darum, ob es plausibel ist, bloß wenige zig Angehörige in der Gründerpopulation anzunehmen, oder mehrere hundert. Diesen Unterschied finde ich nicht mehr gar so bedeutsam. Eine Population von tausend Menschen ist nicht mehr als ein heutiges Dorf, sicherlich nicht größer als eine durchschnittliche jüdische Gemeinde in einer frühmittelalterlichen Stadt. Ich finde das eine sehr winzige Ausgangspopulation.
- Bliebe weiter die spannende Frage: in welcher Stadt? In Straßburg? In Worms? Wäre doch ungeheuer spannend, wenn man das herausbekommen würde. Wenn man sagen könnte: Hier in dieser Stadt, an diesem Ort entstand das heute zu Millionen weltweit verbreitete aschkenasische Judentum. Ich habe noch nirgends irgendwelche guten Hypothesen von Frühmittelalter-Historikern oder -Archäologen oder Judaistik-Professoren zu dieser Frage gehört. Die wissen wahrscheinlich gar nichts von den derzeitigen Diskussionen in der Humangenetik? ... Oder interessieren sich nicht dafür?

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