Dienstag, 22. Januar 2008

Anthroposophen: Akademiker-lastige Gruppierung mit leicht überdurchschnittlicher Geburtenrate

Ich hatte gerade einen längeren, mit vielen Daten und Zitaten gespickten Beitrag über die Sozialstruktur und Familiengrößen der Anthroposophen und anthroposophisch orientierten Menschen fertig gehabt - aber: alles gelöscht! Irgend ein dummes Versehen. Deshalb schreib ich die wichtigsten Inhalte jetzt noch einmal aus dem Gedächtnis und ohne die umfangreichen Literaturnachweise und Zitate auf. (Voriger Beitrag zum Thema siehe St. gen.)

Man findet über Google Scholar (und Universitäts-Abonnement vieler medizinischer Zeitschriften) online viele neuere vergleichende medizinische Studien (1 - 6) zu Patientengruppen, die sich von anthroposophisch orientierten Ärzten behandeln lassen im Vergleich mit Kontrollgruppen, auch zu Waldorf-Schülern, Bauernkindern im Vergleich zu sonstigen Kindern. Es gibt inzwischen zu solchen Studien auch eine "Metastudie" (2), die 170 solcher Einzelstudien vergleichend beschrieben und ausgewertet hat. In dieser Schweizer Metastudie werden also noch viele weitere Einzelstudien der letzten Jahre und Jahrzehnte genannt, aus denen man sich Daten zur Sozialstruktur und zu Familiengrößen der Anthroposophen heraussuchen kann. Auch hat Michael Blume eine Magisterarbeit von Carsten Ramsel angekündigt, in der Aussagen zur "Religionsdemographie" der Anthroposophen gemacht werden. All diese Quellen lassen ein ähnliches Bild aufscheinen:

Menschen, die der Anthroposophie Wertschätzung entgegenbringen, bzw. dementsprechende Patientengruppen in deutschsprachigen Ländern, den Niederlanden oder auch in Schweden, zu tausenden untersucht, bestehen zu einem viel höheren Anteil aus Menschen mit Hochschulabschluß als die Durchschnittsbevölkerung, der Anteil der Alleinlebenden unter ihnen ist leicht niedriger, der Anteil jener unter den Waldorf-Schülern, die ältere Geschwister haben, ist leicht höher, die Familiengröße, bzw. die Zahl der Personen pro Haushalt ist leicht überdurchschnittlich. Es gibt unter ihnen wesentlich weniger Raucher und Übergewichtige. Es gibt nicht nur über 200 Schulen mit 80.000 Waldorf-Schülern und jährlich 5.000 Abiturienten in Deutschland, sondern - für mich überraschend - auch ganze Krankenhäuser und Altersheime von und für Anthroposophen. Räumliche Schwerpunkte der Anthroposophen in der BRD sind Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.

Sind Anthroposophen Christen?

Es muß noch die Beziehung der Anthroposophen zu den christlichen Kirchen untersucht werden. Die 1922 gegründete anthroposophische "Christengemeinschaft" sieht - laut einer bayerischen Kirchenzeitung von 2002 (ein Netzfund) - die christlichen Kirchen als eine durch die Geschichte überwundene Form der Religiosität an, toleriert aber Doppelmitgliedschaft, während bspw. die Evangelische Kirche einer solchen Doppelmitgliedschaft mit sehr gerunzelter Stirn gegenüber zu stehen scheint.

Ist aber nun der "anthroposophische Lebensstil" wesentlich von der Tatsache geprägt, daß das Christentum in der Anthroposophie noch eine Rolle spielt? Nach meinem persönlichen Eindruck zunächst nicht. Aber man sollte der Frage nachgehen, wie hoch der Anteil der Menschen ist, die der Anthroposophie Wertschätzung entgegenbringen und zugleich noch nicht aus der christlichen Kirche ausgetreten sind.

Warum sind die Anthroposophen wichtig?

Insgesamt jedenfalls könnte man die Anthroposophen deshalb als wichtig ansehen, weil sie offenbar bislang einer der wenigen klareren Beweise dafür darstellen könnten, daß auch eine vorwiegend nicht-monotheistische Spiritualität und Weltanschauung in moderner Zeit dazu fähig ist, überdurchschnittliches soziales Engagement, überdurchschnittliche Familien- und Haushaltsgrößen, überdurchschnittliches Interesse von Frauen an diesem Lebensstil, überdurchschnittlich gesunde Lebensweise und insgesamt auch überdurchschnittliche Geburtenraten hervorzubringen. Dies wäre dann ein Beweis dafür, daß auch nicht-monotheistische Weltanschauung und Religiosität (Spiritualität) in heutigen westlichen Gesellschaften an sich dazu befähigt sind, die Geburtenraten zu erhöhen. Ein Beweis, auf den sich die Wissenschaft, soweit ich sehe, bislang noch nicht eingeschossen hat. Diese Fähigkeit weist also auch in modernen westlichen Gesellschaften nicht nur monotheistische religiöse Verbundenheit auf. Ich denke, dies sollte ein für viele Menschen nicht ganz unwichtiger Befund sein.

Insbesondere die Tatsache, daß höhere Bildung auch in nicht-monotheistischen Zusammenhängen mit überdurchschnittlicher Geburtenrate gekoppelt sein kann, sollte aufhorchen lassen.
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Ausgewertete Literatur:

1. Roland Unkelbach u.a.: Unterschiede zwischen Patienten schulmedizinischer und anthroposophischer Hausärzte. In: Forsch Komplementärmed 2006;13:349–355, Published online: November 3, 2006
2. Gunver S. Kienlea u.a.: Anthroposophische Medizin: Health Technology Assessment Bericht – Kurzfassung. In: Forsch Komplementärmed 2006;13(suppl 2):7–18
3. Helen Flöistrup u.a.: Allergic disease and sensitization in Steiner school children. In: J ALLERGY CLIN IMMUNOL, JANUARY 2006, Available online November 29, 2005
4. Harald J. Hamre u.a.: Anthroposophic vs. conventional therapy of acute respiratory and ear infections: a prospective outcomes study. In: Wien Klin Wochenschr (2005) 117/7–8: 256–268
5. H. J. Hamre u.a: ANTHROPOSOPHIC THERAPIES IN CHRONIC DISEASE: THE ANTHROPOSOPHIC MEDICINE OUTCOMES STUDY (AMOS). In: Eur J Med Res (2004) 9: 351-360
6. Johan S Alm u.a.: Atopy in children of families with an anthroposophic lifestyle. In: Lancet 1999; 353: 1485 – 88

Sowie zahlreiche deutschsprachige Netzseiten zu anthroposophischen Themen und von anthroposophischen Organisationen.

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