Donnerstag, 29. November 2007

Europäisch-Stämmige im Nordosten Chinas um 500 v. Ztr.

Im Jahr 2000 veröffentlichten chinesische Forscher (Wang et. al.) eine Studie, die hier auf dem Blog schon einmal kurz erwähnt worden war. Sie untersuchten die DNA-Reste in archäologisch gefundenen Knochen aus der Zeit um 500 v. Ztr. aus Linzi, gelegen in der nordöstlichen, am chinesischen Meer liegenden Provinz Shandong. Und sie fanden in diesen DNA-Resten Gensequenzen, die typischer waren für europäische als für ostasiatische Bevölkerungen. Bei der Provinz Shandong handelt es sich übrigens um jene, aus der zum Beispiel der chinesische Philosoph Konfuzius stammt (nach der Legende). Diese Provinz spielte auch in der Zeit der "Kriegerische Reiche" eine Rolle und war eine der ersten, die eine Mauer zum Schutz gegen Invasoren aus anderen Provinzen errichtete.

Die Gültigkeit der aufsehenerregenden Ergebnisse dieser Studie ist aber von einer anderen chinesischen Gruppe unter Einschluß des deutschen Humangenetikers H. J. Bandelt 2002 infrage gestellt worden. (Literatur siehe auch mein Buchprojekt)

In "Human Nature", August 2006, ist aber nun unter dem Titel "Reanalysis of Eurasian Population History: Ancient DNA Evidence of Population Affinities" diese Frage erneut aufgerollt worden von zwei amerikanischen Forschern.

Inzwischen scheint wenigstens diesen Forschern auch die umfangreiche Präsenz des Fernhandels-Volkes der Sogder im chinesischen Reich um 500 n. Ztr. bewußter geworden zu sein. Über diese ist hier auf dem Blog ja schon umfangreich berichtet worden. Die Heimat der Sogder waren die damals reichen Städte und Fürstentümer im heutigen südlichen Afghanistan (Baktrien, Sogdiana und andere Gebiete). Die Sogder waren eines der Völker, das als letztes in das persische Weltreich "integriert" worden war, das auch an den Perserkriegen gegen das demokratische Griechenland teilnahm, und aus dem später Alexander der Große auf seinem Zug seine Frau Roxane, eine sogdische Prinzessin heiratete. Das Wissen um die Präsenz angesehener sogdischer Kaufleute, Schauspieler, Tänzer und Musiker im chinesischen Reich genauso auch wie das Wissen um die europäisch-aussehenden Wüstenmumien seit 2000 v. Ztr. im Tarimbecken (siehe derzeitige Ausstellung "Ursprünge der Seidenstraße" in Berlin) macht natürlich auch eine um Jahrhunderte früher gelegene Präsenz von (anderen?) europäisch-stämmigen Völkern im nördlichen China plausibler, also eine solche, wie sie in der ersten genannten Linzi-Studie postuliert worden war.

Und so schreiben die amerikanischen Genetiker auch gleich schon interdisziplinär informierter als die früheren Studien zu diesem Thema in der Einleitung (S. 414):
"(...) More highly attested are the Sogdians, sedentary Iranians of the Transoxus region. Further east, in present-day Xinjiang, there were possibly Indo-European peoples such as the Tokharians (a group of Indo-European speakers attested with recorded documents) and the peoples represented by the various mummified remains from the region in the second millennium b.c. through the first few centuries a.d. Along with these peoples there are of course many others of whom we know very little or nothing in this period (e.g., Ob-Ugrians)."
Die Skythen und die Chinesen

Hermann Parzinger sagt übrigens, wie ich gerade noch einmal in seinem spannenden Buch (1) nachgelesen habe, daß (auch) die Kultur der Skythen in Auseinandersetzung mit der chinesischen Kultur entstanden sei (1, S. 35ff):
"Wie kommt es dazu, daß beispielsweise der für sämtliche Gruppen mit 'skythischer' Sachkultur nahezu gleichermaßen charakteristische Tierstil zunächst in Südsibirien entsteht und sich erst später durch den eurasischen Steppengürtel nach Westen bis in die Schwarzmeerregion und darüber hinaus ausbreitet? (...) Schon der bekannte Heidelberger Zentralasienforscher Karl Jettmar dachte dabei in seiner fundamentalen Untersuchung über die Steppenkulturen an China. Sicher nicht mit Unrecht verglich er frühskythische Rolltierplaketten vom Pferdegeschirr, wie sie unter anderem auch aus dem Kurgan Arzan 1 vorliegen, mit in ähnlicher Weise kreisförmig angeordneten Tierbildern auf Plattenknebeln der Westlichen Zhou-Dynastie (1027 - 771 v. Chr.). (...) Es ist somit kaum zu übersehen, daß die nördlichen Teile des heutigen chinesischen Staatsgebietes bei der Herausbildung des frühen skytho-sibirischen Tierstils eine entscheidende Rolle spielten."
(Anmerkung: "Kurgan" ist ein Hügelgrab. Diese sind in Osteuropa und in Asien oft noch viel größer als man sie etwa aus der Lüneburger Heide kennt.)

Die skythische Kultur, die - wie heute gut bekannt ist - zu großen Teilen getragen ist von Menschen anthropologisch europäischer Herkunft, breitete sich von ihrem Kerngebiet des Altai-Gebirges aus weit in den Westen aus und brachte somit Anregungen, die sie von der chinesischen Kultur erhalten hatte, nach Europa. Es wird somit kaum weniger plausibel erscheinen, daß sich auch Völkergruppen dieses Menschentypes in ähnlicher Zeit in China selbst angesiedelt haben könnten.

Ein stolzer Skythe sagte übrigens einmal zu einem Griechen: "Lieber noch als der Gesang zu eurer Harfe ist mir das Wiehern meines Rosses." Sie waren das steppenbeherrschende Volk, reich an Goldschmiede-Handwerk, das jedoch schon zeitlich vor den antiken Griechen etwa um 200 n. Ztr. untergegangen ist, unterworfen von den Sarmaten.

Geschichte und Kultur des nördlichen China
- in archäologisch erforschten Zeiten sehr unterschiedlich zu den historisch bekannten?


Die amerikanischen Forscher der neuen genetische Studie rollen nun aber sogar die Indogermanen-Frage auf und die Frage früher Kulturkontakte zwischen Indogermanen und Chinesen - ungeheuer spannend (S. 416):
"The connections of these eastern peoples of the putative Indo-European family farther east, such as into China, is subject to much scholarly debate, although there is some evidence of Indo-European loan words in Old Chinese as well as cultural and technological changes in northern China in the 3rd and 2nd millennia b.c. (Pulleyblank 1996; Kuzmina 1998; Beckwith 2002; Di Cosmo 2002). Certainly, sites such as Zhukaigou (roughly 2000 b.c.; Linduff 1995) and Linzi (Liangchun site, roughly 500 b.c.; Wang et al. 2000) in northern China as well as mummies of the eastern Tarim basin suggest that the history of the region, both culturally and biologically, may be quite different from what it is today or even in known historical times. These differences may indicate alterations in the biological and cultural makeup of the region occurring as early as the Bronze Age or late Neolithic and possibly even earlier."
Also übersetzt: Archäologische Funde legen nahe, "... daß die Geschichte des nördlichen China sowohl kulturell wie biologisch sehr unterschiedlich gewesen sein könnte gegenüber dem, was wir heute dort vorfinden und sogar von dem, was wir aus historischen Zeiten kennen."

Ergebnisse der neuen Studie

Die Forscher haben nun einen sehr großen Datenbestand von Gensequenzen, der viele heutige Bevölkerungen Eurasiens repräsentiert, statistisch ausgewertet und mit den Gen-Sequenzen von Linzi 500 v. Ztr. und ähnlichen Sequenzen von einem archäologischen Ort in der Mongolei (Egyin Gol) etwa um 0 v. Ztr. verglichen. (S. 418ff)

Von allen am ähnlichsten zu den Gensequenzen von Linzi 500 v. Ztr. waren nach Tabelle 2 die Ungarn, auf sie folgen: Armenier, Katalanen, Slowaken, Basken, Isländer, Marokkaner, Mari, Slowakische Roma ("RomaS"), Georgier, Kuman, Deutsche, Moksha. Und dann mit deutlich größerem Abstand: Saamen, Bulgarische Roma ("RomaB"), Egyin Gol, Biaka, eine weitere slowakische Romagruppe ("Roma2S"). Die Forscher schreiben nun dazu (S. 425f):
"The Linzi and Egyin Gol data were compared to European populations. The results from these runs are shown in Table 2. (...) What is important is to see the general relative order: that certain populations are near the top, others are in the middle, and still others are at the bottom.
We can see several interesting things in Table 2. First, the Linzi material seems to be closer to the European populations than to the Egyin Gol individuals, except for the RomaS sample. However, the calculated distances between ancient populations seem to be consistently greater than those between modern populations or between modern and ancient populations, perhaps reflecting increases in modern population sizes and/or gene flow. (...) Another possible explanation is that there was nonrandom fission (such as along familial or clan lines) in ancient populations in contrast to the larger social units of modern populations, which are less dependent on familial relationships."
Das würde also heißen, daß in diesen früheren Stämmen, die nicht so große Bevölkerungszahlen aufwiesen, auch noch stärkere Endogamie vorherrschte als in heutigen größeren Völkern, wodurch diese größeren genetischen Abstände untereinander zustande gekommen sein könnten. Ein eher beiläufig zustande gekommenes Forschungsergebnis, das weitere, allgemeinere Implikationen für das Verständnis der Populationsgenetik früher Völker haben könnte! Dem sollte von der Forschung näher nachgegangen werden. - Waren sich die Menschen in Völkern früherer Jahrtausende untereinander genetisch ähnlicher und die Unterschiede zu anderen Völkern größer als heute? Das sollte dann Altruismus gegenüber dem eigenen Volk erleichtern und den "ethnischen Zusammenhalt", das ethnische Zusammengehörigkeitsgefühl (Stichwort: "Verwandten-Erkennung") verstärken. Die Forscher schreiben jedenfalls weiter:
"We can also see in Table 2 that the Egyin Gol samples do have some affinity with the Bulgarian Roma and the Moroccans; however, this is only relative within the European populations, as we will see later. We note that the Icelanders are near the top of the Linzi list [as Wang et al. (2000) suggested], but several populations are closer, including the Hungarians at the top."
Auf der Tabelle 3 werden die alten Sequenzen mit modernen Gen-Sequenzen von Süd- und Südwestasien verglichen, wobei man zu ähnlichen Ergebnissen kommt. Die größte Ähnlichkeit weist die Linzi-Gruppe auf mit: Türkei, Iran, Kaschmir, Irak etc. und wieder fast am Ende der Liste befindet sich Egyin Gol. Die Forscher schreiben dazu unter anderem:
"There is a definite difference between the two ancient populations in the ordering of this table. The Egyin Gol list has the populations of India mostly at the top (save maybe for Uttar Pradesh, which is still in the top half) with the Pakistani populations and the Tunisians. (...) The populations of the Near East (Iranians, Iraqis, Kurds, and Turks) are all at the bottom. In the Linzi list we see the opposite trend, with the populations of the Near East mainly at the top."
Und in der Tabelle 5 wird die Gesamtauswertung gegeben unter Einschluß der heutigen asiatischen Sequenzen. Hier steht wieder Ungarn an erster Stelle, gefolgt von Türkei, Iranern, Armeniern, Katalanen etc.. (Daß Vietnam in dieser Liste an vierter Stelle steht, wissen die Forscher nicht näher zu erklären, es ist auf jeden Fall ein "Ausreißer" aus dem allgemeinen Trend.) Zu dieser Liste schreiben die Forscher nun:
"What is clear is that the Linzi material does have an affinity to the West, most highly to the groups mentioned. The East Asians that made the list are generally toward the bottom. (...) It has been noted that Near Eastern Turks actually bear more affinity with Europeans and Near Easterners than with their linguistic cousins in Central Asia and that the Turks came to dominate Turkey through an elite dominance process, meaning that the effect on maternal heritage should be minimal (Comas et al. 1996, 1998). Thus we may be able to include them with the Iranians and other Near Easterners, who bear a close affinity with Linzi, although the relatively high distance between the ancient Linzi sample and Central Asian Turks may actually be from more recent East Asian admixture. (...)
The other highaffinity groups, mostly from Eastern Europe in the Slovakians and Hungarians, may be related either directly or through the indirect process of east-west settlement in Central Eurasia that has been occurring in Eastern Europe for at least the past several thousand years, beginning possibly with the Indo-Europeans and definitely by the time of the Iranian Scythians and Sarmatians."

"The Egyin Gol list (...). The top matches are all the same ones from the East Asia regional table."
Im Diskussions-Teil schreiben die Forscher:
"The Linzi population was quite possibly related to the Karsuk or Saka (putative Iranian groups who fit temporally and spatially) or also more distantly to the Andronovo, Afanasievo, Scythians, Sarmatians, or even the Sogdians. The Karsuk and Saka are the most likely, given their existence in the first millennium b.c. in the central and possibly eastern parts of Central Eurasia, although these ethonyms are a little ambiguous and precise connections are not really possible.
However, Harmatta (1992) argued that early Iranian groups were spread across Central Eurasia from Eastern Europe to north China in the first millennium b.c., and Askarov (1992) pointed out the existence of cist kurgan burials (with ‘‘Europoid’’ remains bearing some ‘‘Mongoloid’’ admixture, they suggest) in northwestern Mongolia in the same millennium.
Although speculative, this line of reasoning fits in with other lines of evidence from archeology and linguistics for the aforementioned changes in Chinese Bronze Age culture—the loan words in Old Chinese (Pulleyblank 1996; Kuzmina 1998; Beckwith 2002; Di Cosmo 2002) and possibly sites such as Zhukaigou and the Qijia culture Linduff 1995)—as well as evidence of Iranians on the steppe and possibly the Altai region at that time."
Zu der Kritik von 2003 wird unter anderem ausgeführt, daß sie etwas gar zu besorgt kritisch vorgegangen wäre und dabei Erkenntnisquellen zurückgewiesen hätte (aufgrund zu kurzer Gensequenz-Längen), die aber doch Erkenntnisse bergen würden. (S. 435) Im Großen und Ganzen bestätigt, bekräftigt und präzsiert also diese neue Studie die ursprünglichen Ergebnisse aus dem Jahr 2000: Um 500 v. Ztr. lebte eine für diese Region heute ganz ungewöhnliche Bevölkerungsgruppe in der Provinz Shandong, die mehr genetische Verwandtschaft mit heutigen europäischen als mit heutigen asiatischen Bevölkerungsgruppen aufweist.
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1. Parzinger, Hermann: Die Skythen. C.H. Beck, München 2004

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