Sonntag, 21. Oktober 2007

Die Evolution des Amylase-Gens

Die eben gebrachte Meldung war noch viel zu oberflächlich. Ein Bericht in "Spektrum der Wissenschaft" bringt noch viele weitere Details zur Evolution der Stärke-Verdauung beim Menschen. (siehe auch Originalartikel in Nature Genetics - leider nicht frei) Und bekanntlich liegt das Aufregende in der Wissenschaft meistens im Detail. Deshalb noch weitere Ergänzungen:
(...) Wer von den freiwilligen Spuckespendern mehr Genkopien in den Zellen trug, in dessen Speichel fanden sich dann stets auch höhere Konzentration des Enzyms.

Einige der Speichelproben erwiesen sich dabei als überraschend hochkonzentriertes Stärke-Zersetzungsgebräu: Bis zu 15 Genkopien in den Zellen sorgten für eine entsprechend hohe Amylasekonzentration im Mund. Eine solche enzymatische Spezial-Massenproduktion ist typisch menschlich, wie die Forscher dann durch einen Vergleich mit Speichelproben von Schimpansen zeigten: Unsere nahen tierischen Verwandten hatten immer nur genau zwei Kopien des Amylase-Gens und demnach gleichbleibend eher niedrige Enzymkonzentrationen. Auf effizienten Stärkeverdau, schlussfolgern die Wissenschaftler, legen die tierischen Vettern offenbar weniger Wert als unsereins.

Dominys Team macht sich nach diesen Anfangserkenntnissen auf die Suche nach Indizien für den Zusammenhang von Speichel, Genen und Ernährung und zählten die Amylase-Kopienzahl verschiedener Volksgruppen, die sich durch stärkehaltige oder weniger stärkereiche Ernähung auszeichnen. Dabei zeigte sich zum Beispiel, dass die Hadza aus dem afrikanischen Tansania - nutzen amylosereichehaltige Wurzelknollen als Grundnahrungsmittel - durchschnittlich 6,7 Amylase-Kopien tragen. Die Pygmäengruppe der Mbuti, die sich schon immer als Jäger- und Sammlerkultur durch Savannen und Regenwaldländer geschlagen haben und daher üblicherweise viel weniger stärkehaltige Mahlzeiten konsumieren, haben dagegen nur 5,4 der entsprechenden Verdau-Gene.

Dieser Trend bestätigt sich in vergleichbaren Proben aus Asien, Europa und der Arktis, so Dominys Team: Die Jakuten des Polarkreises essen im Vergleich zu denen ihnen verwandtschaftlich nahe stehenden Japanern keinen stärkehaltigen Reis - und passend haben Erstere durchschnittlich wenig, Letzte mehr Amylase-Genkopien. Die Ernährungsgewohnheiten scheinen also die Gen-Ausstattung zu beeinflussen. Möglicherweise war dies auch schon in der grauen Frühzeit des Menschen so, spekulieren die Forscher.

Irgendwann müssen, so das fertige Theoriepuzzle der Forscher, mehrere Erfindungen zusammen gekommen sein: Gemeinsam mit der Entdeckung des Feuers durch Homo erectus wurde es womöglich Mode, die zuvor schon gelegentlich nach Geistesblitzen ausgebuddelten Wurzeln - Vorläufer von Kartoffeln oder Mohrrüben und von den konkurrierende Affen wohl unbeachtet - als Stärkespender weich zu kochen und zu verspeisen, anstatt sie wie vorher mühsam herunterzuwürgen. Mit der Ernährungsumstellung auf Stärkehaltiges veränderte sich dann auch - mal mehr, mal etwas weniger - im Laufe der Zeit die genetische Ausstattung zur effizienten Verdauung des Wurzelinhalts. (...)
All das wirft auch Aspekte zur Betrachtung jüngerer geschichtlicher Ereignisse auf: Wie sieht es zum Beispiel mit der Einführung des Kartoffel-Anbaus in Preußen durch Friedrich den Großen aus? In Norddeutschland ist wohl sicherlich die Kartoffel als Nahrungsmittel viel beliebeter als in Süddeutschland, wo mehr Teigwaren gegessen werden.

Waren die Preußen schon vorher stärker disponiert auf Stärke-Verdauung als die Süddeutschen und hat sich deshalb die Kartoffel in Norddeutschland schneller ausgebreitet als in Süddeutschland? Oder hat das eher einfach nur Gründe in den Anbau-Bedingungen etc.? Und was sind die Folgen des Kartoffel-Konsums? Befinden wir uns derzeit in einem Selektions-Prozeß zugunsten von Stärke-Verdauuern in Europa? Alles spannende Fragen. Sicherlich gibt es noch viele andere, die sich daran anschließen.

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