Sonntag, 16. September 2007

Die Tocharer kommen nach Berlin und Mannheim (... "zurück")

Auf "Studium generale" wurde schon des öfteren über neueste Forschungsergebnisse zur Geschichte Chinas und seiner westlichen Nachbarvölker hingewiesen, insbesondere zu den Tocharern in den Oasenstädten des Tarimbeckens und noch weiter östlich, bzw. zu den Sogdern im heutigen südlichen Afghanistan.

Am 13. Oktober beginnt im Berliner Gropiusbau (gropiusbau.de) eine neue Ausstellung mit dem Titel: "Ursprünge der Seidenstrasse - Sensationelle Neufunde aus Xinjiang, China". Sie wird dann ab Februar 2008 im Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim zu sehen sein. Der Ausstellungskatalog (Amazon) ist derzeit noch nicht lieferbar, er wird aber sicher hochgradig spannend sein. In der Ausstellungs-Ankündigung heißt es:
Sensationelle Funde der letzten Jahre aus Xinjiang, der nordwestlichsten Provinz Chinas, sind in der Ausstellung zu sehen. Das älteste Objekt ist 4000 Jahre alt. Im Zentrum stehen jene Menschen, die seit der Bronzezeit die Seidenstraßen rund um das Tarimbecken und die Wüste Taklamakan bewohnen. Die Taklamakan, die zweitgrößte Sandwüste der Erde, zeichnet sich durch ein ausgeprägtes Kontinentalklima mit extremer Trockenheit auf. Diese Trockenheit, mit der die Bewohner entlang der Seidenstraßen seit Jahrtausenden kämpfen müssen, ist der Grund für den einmaligen Erhaltungszustand der archäologischen Funde.
Den organischen Materialen wie Holz oder Textilien wurde Feuchtigkeit entzogen und ein Zersetzungsprozess nahezu unterbunden. Seid dem Ende des 19. Jahrhunderts sind die Forscher und Abenteurer entlang der Seidenstraßen unterwegs, um die Hinterlassenschaften dieser faszinierenden Kulturen zu entdecken. Die archäologischen Forschungen haben sich in jüngster Zeit maßgeblich intensiviert und professionalisiert; dabei tragen und treten sensationelle Objekte ans Tageslicht, die eindrucksvoll die kulturelle Vielfalt der Oasen des Tarimbeckens darstellen.
Niemals zuvor konnte man außerhalb Chinas eine solch umfangreiche Präsentation eindrucksvoller und vielgestaltiger Objekte sehen, die von den weit reichenden kulturellen Beziehungen der Bewohner entlang der Seidenstraße zeugen und beweisen, dass die Seidenstraßen keineswegs Einbahnstraßen waren: Einflüsse aus China sind ebenso dokumentiert wie die kulturelle Präsenz westlich-mediterraner, sibirischer und südasiatischer Kulturen.

Die Ausstellung besteht aus ca. 180 Grabungsfunden aus dem Tarimbecken. Darunter befinden sich Keramik- und Metallobjekte, aber auch Holz, Textilien und andere organische Funde, die trotz ihres Alters – das Spektrum reicht von der Bronzezeit bis in die Han-Dynastie des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts – durch ihren außergewöhnlich guten Erhaltungszustand den Ausstellungsbesucher in eindringlicher Form ansprechen. Die Ausstellung zeigt in Europa noch nie präsentierte Funde aus Xinjiang in einem unglaublich guten Erhaltungszustand. Sie vermittelt die Kenntnis von den Lebensformen und deren klimatische und kulturelle Grundlagen am südlichen und nördlichen Verlauf der Seidenstraße rund um das Tarimbecken und stellt die Vielzahl der Kulturen und kultureller Einflüsse im östlichen Zentralasien bis vor 2000 Jahren dar.
Aus diesem Text geht hervor, daß die sensationellsten Funde selbst - nämlich die Wüstenmumien der Tocharer - in der Ausstellung noch nicht zu sehen sein werden. Um diese zu besichtigen, muß man immer noch in das Museum in Ürümchi in Xingjang, China reisen.

Es handelt sich um die zweite Ausstellung zu diesem Thema in Europa. Die erste präsentierte Textilien der tocharischen Wüstenmumien in einem Museum in der Schweiz. Spannend ist an der Tocharern vor allem, daß sie zum einen das östlichste Volk sind, das eine indogermanische (bzw. "indoeuropäische") Sprache spricht - aber überraschenderweise eine west-indogermanische Sprache, die die größte Verwandtschaft zu den indogermanischen Sprachen in Westeuropa aufweist, nicht zu denen etwa im heutigen Indien und Persien. (Man hat tocharische buddhistische Texte in den Oasenstädten gefunden aus der Zeit kurz vor dem Untergang dieses Volkes und dieser Kultur, nachdem sie von den nördlichen Hunnen und den östlich lebenden Chinesen unterworfen worden waren, sowie zum Buddhismus konvertiert waren.)

Ebenso weisen die Textilien der tocharischen Wüstenmumien sehr deutlich nach Mitteleuropa (vor allem die Webarten und die Farben). Die Mumien sind - das weisen auch erhaltene Gen-Reste aus - von europäischem Typus (blond, hochgewachsen, "langnasig"), was sehr auffällig ist in einer geographischen Region, die heute von Han-Chinesen und mongolisch aussehenden Uiguren (wohl den Nachfahren der Tocharer) bewohnt wird.

Es ist hochgradig plausibel, daß ein großteil der Kulturelemente, die mit der Bronzezeit nach China gekommen sind, von den Tocharern dort eingeführt worden sind, darunter sowohl ärztliches Wissen wie auch die Himmelsreligion, nach der die chinesischen Kaiser von dem Grenzgebirge zwischen Chinesen und Tocharern stammen.

Die älteste derzeit bekannte Wüstenmumie ist eine in hohem Alter gestorbene Frau (die "Schöne von Loulan"), eine imposante Dame, die zusammen mit Gebrauchsgegenständen bestattet wurde, die zur Getreideernte notwendig sind (Worfelbrett und anderes). Sie trägt eine Feder auf ihrem Filzhut. Auch zeitlich spätere weibliche Wüstenmumien müssen in ihrem Leben in der Gesellschaft, in der sie lebten, hoch angesehene Persönlichkeiten dargestellt haben, unter anderem markiert durch einen hohen, spitzen Filzhut, wie man ihn aus späterer Zeit von den europäischen Zauberern gewohnt ist.

Möglicherweise kann also auch die Religionsgeschichte des bronzezeitlichen Europa (die spitzen "Goldhüte"!) eher am Westrand Chinas erforscht werden, als im heutigen Europa.

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