Sonntag, 24. Juni 2007

Plastikwörter - Die Sprache einer internationalen Diktatur

Aus einer Rede, die am Donnerstag vor dem deutschen Bundestag gehalten wurde (Welt), sei das folgende zitiert. Man sollte hoffen, daß wenigstens einige Politiker mit dieser Rede etwas haben anfangen können. (Hoffen darf man immer - man braucht es aber nicht zu glauben ...):

"Was würdest du als erstes tun, wenn man dich mit den Regierungsgeschäften beauftragen würde?", wurde einmal Konfuzius gefragt. Die Antwort lautete folgendermaßen: "Das Wesentliche ist, die Dinge korrekt zu benennen. Wenn die Bezeichnungen nicht korrekt sind, passen die Wörter nicht mehr. Wenn die Wörter nicht mehr passen, gehen die Staatsgeschäfte schlecht. Wenn die Staatsgeschäfte schlecht gehen, können auch Rituale und Musik nicht gedeihen. Wenn Rituale und Musik nicht gedeihen können, sind Urteile und Strafen nicht länger gerecht. Wenn Urteile nicht mehr gerecht sind, weiß das Volk nicht mehr, wie es sich verhalten soll."...

Die Tugenden und die ausstrahlende Macht der Sprache haben jedoch auch eine Kehrseite der Medaille, und diese resultiert aus rhetorischem Missbrauch, ideologischer Missbildung, lexikaler Armut, grammatikalischem Primitivismus, schlechtem Geschmack und Falschheit. (...) Wir sprechen über brain-washing, Manipulation und psychischen Terror. Für jemand, der wie ich aus dem europäischen Osten kommt, heißt all dies "hölzerne Sprache". ... Die hölzerne Sprache ist ein Gemisch aus Armut und Redseligkeit.

Ich möchte hier dem ehemaligen rumänischen Außenminister, der diese wesentliche Rede gehalten hat, den Vorschlag machen, daß wir auf Deutsch nicht - wie er - von "hölzerner Sprache" sprechen, sondern von "holzschnittartiger Sprache". Das ist es nämlich genau, was in ideologisch geformten Sprachen geschieht: die vielen wesentlichen Details, die Schattierungen, die exakte Kennzeichnung des Individuellen, Persönlichen in der Wirklichkeit geht verloren. Das Bild, das gezeichnet wird, wird "holzschnitt-artig". Walter Lippmann spricht in seinem wichtigen Buch "Öffentliche Meinung" von "Stereotypisierung".

"Die holzschnittartige Sprache der westeuropäischen intellektuellen Linken"

Doch nun weiter Andrei Plesu:

Eine Statistik belegt, dass die Sprache der sowjetischen Presse, die zur Erziehung des "neuen Menschen" berufen war, nur 1500 von insgesamt 220.000 im Wörterbuch der russischen Sprache verzeichneten Wörtern verwendete. ...Wir finden äquivalente Missbildungen im Nazi-Diskurs, im kommunistischen Diskurs und, bis zu einem Punkt, in einer gewissen Demagogie der Französischen Revolution. Es gibt eine Holzsprache des Maoismus, eine der westeuropäischen intellektuellen Linken und eine der rechtsextremen Xenophobien. Mit dem von den beiden großen Totalitarismen des vergangenen Jahrhunderts hervorgerufenen linguistischen Desaster lässt sich sicherlich nichts vergleichen. Es schadet aber nicht, besondere Vorsicht walten zu lassen bei den bereits "holzigen" Komponenten des EU-Diskurses (Integration, Triumphalismus, Anti-Amerikanismus), des "liberalen Fundamentalismus" - wie John Gray ihn nennt - der Säkularisation, des missionarischen amerikanischen Ethizismus, des Ökologismus, des Macho-Konservatismus und der Homo-Emanzipation.

Und auch das sind schöne Worte:

Mir bleibt jetzt nichts anderes mehr übrig, als Sie zu warnen, dass jedes Mal, wenn Sie Scheu oder "political correctness"-Skrupel dazu bewegen, nicht Deutsch zu sprechen, Ihr Teil des Himmels unerforscht bleibt und Ihr Engel melancholisch wird.

So also der ehemalige Außenminister Rumäniens Andrei Plesu am Donnerstag vor dem deutschen Bundestag.

Weiterführender Literaturhinweis:

"Plastikwörter - Die Sprache einer internationalen Diktatur" von Uwe Pörksen (Klett-Cotta, 6. Aufl. 2004) (Amazon).

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