Donnerstag, 28. Juni 2007

Die Kinderkrippen, die es gibt (in den USA) sind schlecht für Kinder

- und von den Kinderkrippen, die es gar nicht gibt, über die weiß die Wissenschaft - natürlich - nichts.

Das heißt: Die Familienpolitik will ein großangelegtes wissenschaftliches Experiment durchführen, um zu beweisen, daß bessere Krippen als jene, die es heute durchschnittlich in den USA gibt, den Kindern nicht schaden.

Wäre es nicht vernünftiger, solche Experimente zunächst mit Mäusen und Ratten durchzuführen? Nachdem das erste Experiment in den USA schon mißglückt ist?

Diese neue Familienpolitik sagt: Über Kinderkrippen "per se" (also Wolkenguckucksheim-Kinderkrippen) würden moderne kinderpsychologsiche Untersuchungen (NICHD-Studie) nichts aussagen, sondern sie würden nur etwas aussagen über die schlechten Kinderkrippen, die es heute in den USA gibt.

So verteidigt ein aktueller Artikel die Krippenpolitik (Weltwoche). Und er macht weiterhin etwas für mich deutlich, was heute in vielen Zusammenhängen nicht genügend berücksichtigt wird. Vielleicht lassen sich aber bald Parallelen zum Bienensterben herstellen: Derzeitiger Stand ist, daß kein einziger Faktor allein für das Bienensterben verantwortlich gemacht werden kann - und dennoch sterben die Bienenvölker unerklärlicherweise. Und die Forscher tendieren immer mehr dazu, eine Aufschaukelung von verschiedenen ungünstigen Faktoren (Streßfaktoren) anzunehmen. Mir scheint nichts naheliegender als das in unserer modernen Welt, in der sich so viel gleichzeitig verändert.

Kein einziger Faktor allein

Und ganz eindeutig muß man so auch argumentieren, was Krippenbetreuung betrifft. Krippenbetreuung allein muß sich in 20 Jahren bei den Herangewachsenen nicht auffällig als Streßfaktor zeigen im Vergleich mit jenen Herangewachsenen, die keine Krippenbetreuung erlebten. (Allerdings liegen offenbar noch keine detaillierteren Studien über die auffällige Häufigkeit von ADHS bei Kindern in den neuen Bundesländern vor und einem etwaigen Zusammenhang mit Krippen-Erfahrung.) Wenn es aber insgesamt mit jeder neuen Jugendgeneration eine Steigerung der Häufigkeit von Verhaltensauffälligkeiten gibt, dann wird das eben doch auch etwas mit der Krippenbetreuung als einem von vielen ungünstigen Faktoren zu tun haben, die sich alle gegenseitig aufschaukeln.

Und exakt so argumentiert eigentlich auch der verteidigende Artikel:

Je schlechter eine Mutter mit ihrem Kind umgeht, desto höher ist das Risiko, dass ihm eine qualitativ schlechte Krippe schadet.

Also zu dem Streßfaktor Krippe wird noch ein weiterer Streßfaktor hinzugezählt, um zu einer Bewertung zu kommen. Das ist legitim. Aber wie kann man denn davon ausgehen, daß es künftig immer nur die allerbesten Mütter sein werden, die ihre Kinder in die Krippe bringen - und zudem immer in die allerbeste? Die Menschen werden nicht plötzlich dadurch alle Idealfiguren, weil das gerade in ein bestimmtes ideologisches Schema besonders gut hineinpassen würde. Nein, sie bleiben wie sie sind, sie werden nicht ganz plötzlich alle "Edelmenschen", "Edelmütter", "Supermütter".

Künftig sind plötzlich alle Mütter immer nur die allerbesten Mütter?

Weiter heißt es: Je «minderwertiger» eine Tagesstätte, desto eher legt das Kind Verhaltensprobleme an den Tag.

Ja gut. Aber das ist noch kein Beleg dafür, daß die allerbeste Tagesstätte nicht dennoch weiterhin eine Wahrscheinlichkeit für Verhaltensprobleme vergrößert. Und zwar signifikant. Wie man übrigens so eindeutige Ergebnisse wie die jüngsten der NICHD-Studie so uminterpretieren kann, wie es hier geschieht, das ist eher ein Fall von "Rabulistik". So argumentieren nicht unvoreingenommene Wissenschaftler, sondern Ideologen:

«Die NICHD-Studie sagt nicht, familienergänzende Kinderbetreuung sei schlecht», sagt die Psychologin Heidi Simoni vom Marie-Meierhofer-Institut in Zürich, «sondern sie belegt, dass es eine Rolle spielt, wie viel Zeit Kleinkinder in Krippen und wie viel sie mit den Eltern verbringen. Und dies ist als Resultat hochinteressant.»

Das halte ich für Rabulistik. Nein, so muß man formulieren: So wie in den USA im Durchschnitt Kinder fremd betreut werden, in der Weise ist familienergänzende Kinderbetreuung schlecht. Das sagt die NICHD-Studie. Und das ist ein klares Ergebnis. Über andere Formen familienergänzender Kinderbetreuung als der durchschnittlichen in den USA - mit anderer Zeitaufteilung etc. pp. - sagt die Studie schlichtweg nichts aus.

Ebenso dieses: «Die Resultate zeigen, dass Fremdbetreuung per se dem Kind nicht schadet», hielt Studienleiterin Andrea Karsh die Ergebnisse der Studie in einem Beitrag für die Schweizerische Ärztezeitung fest. Wie sich ein Kind entwickle, hänge nicht primär davon ab, wie gut oder wie schlecht die ausserhäusliche Betreuung sei.

Per se kann auch heißen: eine Minute Fremdbetreuung am Tag. "Per se"! Von per se kann hier einfach nicht die Rede sein, weil eine Studie nur konkret empirisch vorliegende Tatsachen untersuchen kann. Und nur diese können dann diskutiert werden. - Genug von diesem Artikel. Ein solches "Schönreden" von eindeutig festgestellten Tatsachen kennt man eigentlich eher aus Diktaturen denn aus freiheitlichen Gesellschaften.

Mein Expertenstab arbeitet Pläne zu einem Mauerbau aus und ich verkünde vor der Öffentlichkeit: "Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen." Die Experten sagen: Die durchschnittlich in den USA stattfindende Fremdbetreuung ist schlecht für Kinder. Und ich verkünde: Fremdbetreuung per se ist nicht schlecht für Kinder. Das "Wahrheitsministerium" von George Orwell. Krieg ist Frieden. Und Frieden ist Krieg.

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