Montag, 28. Mai 2007

Eine Mutter mit Humor, mit VIEL Humor ....

Oder ist es doch noch etwas anderes als - nur - Humor?

Ich hatte diesen Beitrag erst aufmerksamkeits-erheischend nennen wollen: "Zwei typische lesbische Intellektuelle ...", dann erwachte in mir aber die, ähm, "Sensibilität" dahingehend, daß man auch Minderheiten nicht diskriminieren dürfe ... Puh, nun gut. - Jedenfalls: Der Humor scheint - manchmal - nötig! Die "Kulturellen Welten" von Joern Borchert weisen mich jedenfalls auf einen Artikel hin, einen wunderschönen in der FAZ, in der eine schwangere Kunsthistorikerin über ihr Leben berichtet, "so im allgemeinen und besonderen" über ihr ganz spezifisches Leben berichtet. Er ist so wunderschön, eine solche Seltenheit, eine solche Perle in der modernen Publizistik, daß ich es nicht lassen kann und ihn hier vollständig wiedergeben muß - oder bitteschön, lieber Leser, wo könnte man hier irgend etwas kürzen??? Denn wer, ich frage, wer, der mit Kindern auch nur irgendwo unterwegs war, wüßte nicht ähnliches zu berichten wie sie???
Ich bin Kunsthistorikerin und habe zeitweise als Reiseleiterin gearbeitet. Ich habe Lateinlehrer durch die Ruinen des Forum Romanum geführt und Renaissance-Experten durch die Uffizien. In Museen fühle ich mich zu Hause. Nun habe ich zwei kleine Söhne und bin im sechsten Monat schwanger mit dem dritten Kind.

In meiner Kindheit habe ich mit Puppen gespielt und mit meiner kleinen Schwester im Garten aus Moos Höhlen für Schlümpfe gebaut. Die Vorlieben meiner beiden Söhne, die in New York ohne Garten aufwachsen, gelten Autos und Zügen. Eine Babypuppe, die ich in einem Anflug von Naivität und Experimentierfreude gekauft habe, wurde schnell ausgezogen und landete dann in einer Ecke. Aber Eltern lernen, ihre Kinder zu verstehen und ihren Eigenheiten Raum zu geben. Ich zwinge meinen Söhnen keine Puppen mehr auf, sondern lerne Schienen aneinanderzureihen und Kugelbahnen zu konstruieren. An einem Wochenende in Berlin werden nicht mehr die Tempel der Kunst angesteuert, sondern Bahnhöfe oder Flughäfen. Anstatt Schloss Charlottenburg steht dann eben das Schiffshebewerk Niederfinow auf dem Programm. Aber wie kommt die Mutter trotzdem zur Kunst?

Zwar habe ich Puppen aufgegeben, aber ich versuche weiterhin, meinen Söhnen die Welt der Museen schmackhaft zu machen. Es gibt Kompromisse: das Museum of Natural History zum Beispiel. Die beeindruckenden Dioramen mit Eisbären oder Zebras und der riesige Blauwal in der Halle des ozeanischen Lebens sind faszinierend. Allerdings üben die für mich unbeachtlichen Aufzüge oder die ungesunden Snacks in der neonbeleuchteten Cafeteria auf meine beiden Racker einen weitaus größeren Zauber aus.

Am Wochenende waren wir im Brooklyn Museum of Art, wo mich besonders eine Ausstellung über den amerikanischen Landschaftsmaler Asher Durand und der neue Flügel für feministische Kunst interessiert haben. Arthur ist vier Jahre alt und geht mit den nötigen Versprechungen („nachher fahren wir mit dem Pferdekarussell“) schon brav für fünfzehn bis zwanzig Minuten durch die Galerien. Gustav ist ein zweieinhalbjähriges Energiebündel und lässt noch nicht mit sich handeln. Festgezurrt in seinem Kinderwagen blieb er nur ruhig, wenn er sich selbst aus einer großen Tüte mit „Kidzels“, das sind kleine Brezeln in Form von Autos oder Flugzeugen, bedienen durfte.

Wir betraten die dunkelrot gestrichene Galerie mit den heroischen Landschaften des neunzehnten Jahrhunderts. Aah! Hudson River School! Das verwaschene Wolkengrau, das herrliche Laubgrün, das warme Herbstrot, das Sonnengelb . . . Das Knistern der Kidzel-Tüte hielt sich im Rahmen, Gustavs Kauen war kaum hörbar. Mit Adleraugen achtete ich darauf, dass kein Krümel aufs Parkett fiel. Trotzdem kam natürlich sofort ein uniformierter Wärter mit erhobenem Zeigefinger auf uns zu: „Im Museum wird nicht gegessen.“ Ich antwortete mit viel Verständnis und flehendem Blick: „Nur so kann ich ihn ein paar Minuten ruhig halten. Bitte - ich passe auch auf.“ Da wir in Brooklyn und nicht in Manhattan waren, ließ der gute Mann Gnade vor Recht walten. Gustav durfte seine Brezeln behalten.

In der Zwischenzeit lief Arthur auf eines der Gemälde zu, Asher Durands berühmtes Werk „Kindred Spirits“, das die Public Library vor kurzem für mehr als 35 Millionen Dollar verkaufen musste und das nun als Leihgabe aus Arkansas in Brooklyn hing. Er hatte seinen Zeigefinger vorsichtig, fast schon rührend, nach der Leinwand ausgestreckt. Ich rannte hinter ihm her, um das Bild zu retten, wollte trotzdem aber meinem Sohn keinen Schreck einjagen. Einen Zentimeter vor der Berührung legte ich bestimmt, aber ruhig meine Hand um seinen kleinen Finger und erklärte ihm: „Arthürchen, dieses Bild ist über hundert Jahre alt. Hier darf man nichts anfassen, weil alle diese Bilder leicht kaputtgehen können. Manchmal fällt einfach ein Stückchen Farbe ab.“ Dann fügte ich noch hinzu: „Eigentlich darf man überhaupt nie etwas in einem Museum anfassen“ und hob zwei Stückchen Brezel vom Parkett auf.

Arthur wollte auch Brezeln. Ich steckte ihm einige in die Jackentasche. Asher Durand und die Hudson River School, amerikanische Wälder, Berge, Wasserfälle, Männerfreundschaft, Sonnenaufgang und Sonnenuntergang zogen im Sauseschritt an mir vorbei, während die Räder des Kinderwagens über das Parkett quietschten und meine Augen Gustavs Brezeln folgten. Wie viele kann er noch essen, bevor es ihm langweilig wird? Schnell gleitet mein Blick über die Wände. Die Zeit reichte nicht, die Erläuterungen zu lesen oder mehr als eine Minute vor einem Bild stehen zu bleiben. „Schau mal hier, ein Reh an einem Fluss. Und was für riesige Bäume!“ Ich versuchte, Arthurs Interesse zu wecken. „Fressen Löwen Rehe?“, fragte er. „Ja, wenn sie eins erwischen, dann würden sie es wahrscheinlich fressen.“ Wir gehen weiter.

Trotz drohender Brezel-Fatigue versuchte ich nun auch noch, mir auf die Schnelle wenigstens einen ersten Eindruck des neuen feministischen Flügels zu bilden, mit achtzig zeitgenössischen Künstlerinnen, Skulptur, Malerei, viel Fotografie und Video. Ein Busen, aus dem Milch tropft, eine Frauenleiche im Wald, Alice im Wunderland, Märchen, Raben, Blut, Göttinnen und Kratzbürsten - alles aus dem Augenwinkel. Eine tätowierte Frau stillt ihren Säugling. „Schaut mal, Arthur und Gustav, das Baby trinkt am Busen von seiner Mama. So habe ich euch beide auch gefüttert, als ihr noch ganz klein wart.“ „Kommt aus meinem Busen auch Milch raus, wenn ich groß bin?“, will Arthur wissen. „Nein, das können nur Frauen und auch nur, wenn sie ein Baby haben. Männer können andere Sachen.“

Gustav schleudert die Kidzel-Tüte auf den Boden: „Will raus!“ Arthur: „Was können denn Männer?“ Ich hebe die Brezeln und die Tüte auf. „Das sage ich dir nachher.“ „Will raus!!!!“ Ich schiele auf den Eingang zum Hauptwerk der Ausstellung, das einen eigenen, sakral beleuchteten Raum belegt. Judy Chicagos ikonische „Dinner Party“ besteht aus einer im Dreieck installierten Tafel, die für mythologische und historische weibliche Persönlichkeiten gedeckt ist. Wegen Wartezeiten haben wir uns ein Extra-Ticket geholt. Wir dürfen jetzt hinein. Wenigstens einmal schnell im Dreieck gehen, denke ich und schiebe den Kinderwagen hinein.

„Will raaaaaaaauuuuuus!“ Gustav heult. Ich renne. Zwei lesbische Intellektuelle, typische Brooklyner Intelligenzija, werfen mir bitterböse Blicke zu. Weil ich renne? Weil ich schwanger bin und renne? Weil ich zwei Söhne mitgebracht habe, die nicht hier sein wollen? Ich will nur noch raus an die frische Luft, schleife Arthur hinter mir her, finde den Aufzug, renne aus der Lobby raus. Endlich kann ich Gustav abschnallen. Er rennt in Richtung Park. Er weiß, wo der Spielplatz ist, dessen Klettergerüste in den Farben Quietschlila und Gifttürkis gehalten sind und meinen Augen Schmerzen bereiten. Arthur rennt auch, und schon klettern, quieken und lachen sie. Ich habe acht Jahre Kunstgeschichte studiert. Ich schließe die Augen und versuche mich an Asher Durands Landschaften zu erinnern.

Text: F.A.Z., 19.05.2007, Nr. 115 / Seite Z4
Der Text ist erschütternd. Er sagt genau das Identische aus, was ich auch - schon viel oft - erlebt habe. Genau identisch. Kleine Spielecken in Universitäts-Bibliotheken, Museen etc. könnten schon viel Erleichterungen schaffen. In den großen Häusern, in denen Autos verkauft und repariert werden - etwa bei Opel - haben sie solche Spielecken schon. (Man weiß: ... Autos ...) (Auch MacDonald's, wie man hört ...) Jetzt müßte man nur noch eine Person daneben stehen haben, die auf die Kinder achtet, wenn man - zufälligerweise - selber grad mal nicht auf sie hinschaut. Oder eben einfach - "irgendwie" - "unterstützende Verwandtschaft". Eine ältere, 15-jährige Cousine der eigenen Kinder wäre etwas, eine Großmutter, ja, auch ein Kindermädchen, na, ... Sie wissen schon!

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