Donnerstag, 24. Mai 2007

Der Nationalstaat - zu klein oder zu groß

Heiner Geißler ist Mitglied von "Attac" geworden. (Zeit) Einige seiner im Interview geäußerten Gedanken geben Anlaß zum Weiterdenken:

Zeit: Sie reden von Überwindung der Nationen?

Geißler: Ja. Der Nationalstaat ist nicht mehr in der Lage, auf die aktuellen Herausforderungen zu reagieren.

Zeit: Große Teile der europäischen Bevölkerung lehnen schon ein regionales Konstrukt wie die EU ab.

Geißler: Das liegt daran, dass die EU sich in das Schlepptau dieser neoliberalen Entwicklungen begeben hat. Die Dienstleistungsrichtlinie und zu viel Freizügigkeit für Arbeitnehmer haben dazu geführt, dass die Menschen in Kernländern wie Frankreich oder den Niederlanden plötzlich Angst vor Europa haben. Die Bürger spüren, dass nicht mehr der Mensch im Mittelpunkt steht und wenden sich von der Politik ab.

Zeit: Manche junge Menschen wenden sich nationalistischen oder rechtsextremen Parteien wie der NPD zu. Die erstarkte Nation soll helfen, weil die Globalisierung für Ungerechtigkeit sorgt.

Geißler: Erstens kann ich nicht beobachten, dass die NPD großen Zulauf hat. Und zweitens wird sich diese Ansicht als Unsinn herausstellen. Der US-Soziologe Daniell Bell sagte einmal: "Der Nationalstaat ist für die großen Dinge zu klein und für die kleinen Dinge zu groß." ...

Meine Meinung dazu: Daß in der Hierarchie der "Vergesellschaftungen des Menschen" es gerade der Nationalstaat sein soll, der für die "großen Dinge zu klein und für die kleinen Dinge zu groß ist," halte ich für absurd. Die Verbundenheit mit der eigenen Nation, das Verantwortungsgefühl für die eigene Nation können sehr starke sein. Das ergibt sich wahrscheinlich verhaltensphysiologisch schon durch die (emotionale) Prägung auf die Muttersprache. So wie man als Kind seine Mutter liebt, so liebt man auch die Sprache, die sie spricht und damit all die damit verbundenen Mentalitäten. Und diese sehr ursprüngliche Prägung kann leicht auch in Zusammenhängen des Erwachsenenlebens aktiviert werden, wie wir alle wissen. - Natürlich auch zum Schlimmen. Wie alles, was wertvoller ist.

Aber wer kontrolliert denn noch den Einsatz von "internationalen Söldnern" durch "internationale Institutionen", wenn die je eigene nationale Verbundenheit mit ihnen verloren geht, verloren gegangen ist? Wer erinnert sich ihrer noch mit Liebe? Wie kann ich das Eigenleben anderer Völker und Volksstämme achten, wenn ich das Eigenleben meines eigenen Volkes nicht mehr achte? - Ich glaube, es gibt in der heutigen Welt nichts, das aus so tiefem Geist heraus demokratisch sein kann wie der Nationalstaat. Hier findet die lebendigste Kommunikation zwischen Menschen statt.

Mir kommt das als zeitgeist-gemäße Feigheit vor, wenn man solche banalen Wahrheiten nicht sieht.

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