Dienstag, 15. Mai 2007

Der Blick der tang-zeitlichen chinesischen Kunst auf den westlichen Menschen

Mir wird erst allmählich klar, was mich an dem von mir neu (durch die genetischen Forschungen) entdeckten Thema "Das Volk der Sogder im China der Tang-Zeit" so interessiert, ja fasziniert. Ich glaube, das liegt daran, daß dieses Thema einen völlig neuen, bislang unbekannten "Blick" auf den westlichen, den europäischen Menschen eröffnet.

"Europäer trinken Blut"

In Büchern wie dem sehr lesenwerten von Frank Böckelmann "Die Gelben, die Schwarzen und die Weißen" (1998) (1) ist schon einmal der Blick der Chinesen (bzw. Ostasiaten) auf die Europäer auch in seinem geschichtlichen Werdegang skizziert und nachgezeichnet worden. Danach gibt es einen sehr überraschenden und sehr ausgeprägt positiven Blick auf den westlichen Menschen in Ostasien erst seit wenigen Jahrzehnten. In früheren Jahrhunderten, in denen sich ja Ostasien auch sehr stark kulturell und wirtschaftlich abschloß von der westlichen Welt, wurden Europäer - nach Böckelmann - immer als häßlich, abschreckend, zumindest aber als "völlig fremd" empfunden. "Europäer trinken Blut," war eine gängige Redensweise (weil sie irgend jemand einmal hat Rotwein hat trinken sehen). Und viele "traditionelle Volksweisheiten" lagen auf ähnlicher Linie wie diese Redeweise.

Ganz offensichtlich aber blieb in der Literatur, die Böckelmann dazu aufgearbeitet hat, der Blick nicht sehr lange und nicht sehr intensiv an den vielfältigen und reichen Darstellungen von Europäern in der chinesischen Kunst der Tang-Zeit hängen, die heute schon bekannt sind. Dabei sind im Grunde schon seit vielen Jahrzehnten viele chinesische Kunstwerke jenes "Goldenen Zeitalters Chinas" bekannt, die westliche, nicht-chinesische, europäisch aussehende Menschen darstellen. Man braucht fast nur eine beliebige Veröffentlichungen über die Tang-Zeit, über das Alte China in die Hand zu nehmen (zum Beispiel alte Time Life-Bücher), man braucht nur eine beliebiges Museum weltweit zur Ostasiatischen Kunst zu besuchen und stößt fast unweigerlich auf die eine oder andere Darstellung von Europäern in der chinesischen Kunst.

Das klassische Griechenland und das klassische China

Nur als ein zusammenhängendes, für sich bestehendes Thema ist das im Kulturbewußtsein noch nie hängen geblieben. So scheint es mir zumindest. Ich überblicke natürlich die kunstgeschichtliche Literatur dazu in keiner Weise. Doch das wenige, was ich dazu inzwischen gelesen habe, läßt mich den Eindruck gewinnen, daß man sich in der Kunstgeschichte der Einmaligkeit, der Einzigartigkeit dieses Blickes des tangzeitlichen Chinas auf Europäer, auf "westliche" Menschen noch nicht wirklich bewußt geworden ist. Ich nehme an, daß dieses Thema ein Thema künftiger Ausstellungen und Bildbände werden wird, da sich ja hier derzeit eine Bewußtseins-Verschiebung innerhalb von China selbst anbahnt und da sich auch immer mehr Material und Wissen dazu ansammelt.

Der beste, mir bislang bekannt gewordene Bildband zu dieser Thematik ist der schon in einem früheren Beitrag genannte von Hans Wilhelm Haussig (1998). (2) Nimmt man aber beliebige andere Bildbände und Bücher zur Hand, schaut man Exponante von Museen weltweit (etwa durch Internet-Recherche) durch, wird sofort klar, daß dieser Band von Haussig auch nicht im geringsten einen Anspruch auf Vollständigkeit machen kann. Beispielsweise aller hier in früheren Beiträgen eingestellte Kunstwerke, die mehr oder weniger zufällig durch flüchtige Internet-Recherche zusammen gestellt worden waren, finden sich in dem Band von Haussig nicht, ergänzen ihn also 100-prozentig. Aber wie ein Vergleich zeigt, ist auch seine Zusammenstellung schon representativ für die Art der Kunst, für die Art des Blickes auf den westlichen Menschen, mit dem man es hier zu tun hat.

Im Grunde kennen wir aus der Kunstgeschichte von Hochkulturen nur den europäischen Blick auf den europäischen Menschen, also auf sich (d.h. uns) selbst. Natürlich ist und bleibt das antike Griechenland da "klassisch". Und von ihm leitet sich etwa auch der Blick auf den europäischen Menschen der Renaissance-Kultur (Michelangelo) usw. ab. Aber als Blick einer ganz anderen, uralten, tief ausdifferenzierten und verfeinerten Stadt- und Hochkultur auf den europäischen Menschen war im Grunde genommen dazu bislang keine wirkliche Alternative bekannt. Science Fiction-Romane von grünen Marsmännchen, die - sozusagen - Europäer erleben und sehen, sind ja bisher eben doch Science Fiction geblieben.

Und sicherlich wird man afrikanische Kunstwerke nennen können, auch gibt es manches aus dem pazifischen Raum, aus altamerikanischen Kulturen. Und auch bei Böckelmann findet man das eine oder andere dazu. All diese Kulturen haben aber offensichtlich in ihrer geschichtlichen Entwicklung niemals die Komplexität, Dauerhaftigkeit, Verfeinerung der europäischen und voderasiatschen Kulturen oder eben der chinesischen Tang-Zeit ausgebildet und dabei gleichzeitig eine solche starke Andersartigkeit der Kultur und der sie tragenden Menschen selbst aufgewiesen. Wenn man an Indien denkt, so weist eben auch dieser Subkontinent und seine Menschen noch viel mehr Ähnlichkeit mit Europa auf als seit vielen Jahrtausenden China.

Natürlich ist die Tang-Zeit kunstgeschichtlich ähnlich "klassisch" wie das antike Griechenland. Nur hat man eben den "klassischen" Blick einer Hochkultur auf Menschen einer ganz anderen Hochkultur und letztlich eines anderen Kontinents bislang noch nie wirklich rezipiert und bewußt gemacht.

Keine "ionische Heiterkeit", sondern "chinesisch-sogdische"

Ich möchte mich zu seiner Kennzeichnung kurz fassen: Ich glaube, die Sogder müssen sich unwahrscheinlich gut "verstanden" gefühlt haben, müssen von den Chinesen der Tang-Zeit geliebt worden sein und müssen diese Liebe erwidert haben. Fast alle Darstellungen von Sogdern in der chinesischen Kunst der Tang-Zeit strahlen Heiterkeit aus. Und zwar auch eine Heiterkeit, die man in den gleichzeitigen Darstellungen der chinesischen Menschen von sich selbst zumindest nicht in der gleichen Regelmäßigkeit findet, und die einem selbst aus dem "heiteren Ionien" Griechenlands in dieser Weise nicht bekannt geworden ist. Es wird gerade dies gewesen sein, was die Gemeinsamkeit und gegenseitige Sympathie auf kultureller Ebene zwischen tang-zeitlichen Chinesen und Sogdern hervorgerufen haben wird: Eine beiderseitige Neigung zur Unbeschwertheit, zur Heiterkeit, zur Fröhlichkeit, zur Musik, zum Tanz, zur Kommödie, zum Schauspiel, zur Pantomime, zur (lächerlichen, selbstironischen) Selbstdarstellung.

Da ich die Abbildungen aus dem Haussig-Band hier nicht alle einstellen kann, seien nur einige Erläuterungen seiner Abbildungen hier zitiert zur Kennzeichnung. Er spricht über "Maskentänzer (Possenreißer, komische Person), (...) Pantomimeneinlagen", um zu beschreiben, wozu uralte japanische Gesichtsmasken mit deutlich ausgeprägten europäischen Gesichtsmerkmalen gedient haben könnten (S. 247). "Eine Vorführung von sogdischen Spaßmachern auf einem Kamel" (S. 255) - eine unglaublich sympathische Darstellung. "Figur eines Spaßmachers" (S. 255), "Darstellung eines sogdischen Pantomimenschauspielers" (S. 117), "sakischer Pantomimenspieler" (S. 244) (die Saken waren ein Nachbarvolk der Sogder), "Trommelschläger (...) Die Verwendung von Darstellungen von Musikanten und Pantomimen als Grabfiguren kennzeichnet die Beliebtheit dieser aus Mittelasien und dem Tarimbecken nach China gekommenen Unterhalter". (S. 244) Soweit nur diese kleine Auswahl zur Kennzeichnung. Wie gesagt, ich erwarte künftig noch sehr eingehende kunst- und kulturgeschichtliche Analysen und Einordnungen, sowie Bildbände, Ausstellungen und Filme.

Fast möchte man sich wünschen, daß die heutigen Chinesen ihr Bild von Europäern sich eher durch ihre tang-zeitliche Kunst würden prägen und beeinflussen lassen, als durch all die übersteigerten (zumeist weiblichen) "Überattrappen" einer völlig außer Rand und Band geraten, will heißen kulturlosen sogenannten "Kulturindustrie". Leider hat darauf ein einzelner Blogger in Deutschland nur wenig Einfluß. Auf jeden Fall kann ich mir wenig vorstellen, was der Völkerverständigung zwischen Europa und Asien dienlicher sein könnte, als dieser Blick der chinesischen Künstler auf den westlichen Menschen in der Tang-Zeit.

Wenn man geneigt sein sollte, von den Kunstwerken der klassischen Epochen der europäischen Kunst (Antike, Renaissance, Barock und folgende) zu sagen, daß sie Ausblicke geben könnten auf die Gestaltung einer künftigen humaneren Kultur in unserer Welt, dann könnte - und sollte - man das in genau der gleichen Weise auch von der tang-zeitlichen Kunst Chinas sagen. Sie sollte dann - wie die anderen genannten Epochen - zu einem festen Bestandteil des Kulturbewußtseins der Europäer werden. Von Ostasien war sie es ja immer schon, wie der erste Besuch eines japanischen Kaisers in China bewies, zu dessen wichtigsten Programmpunkten der Besuch der alten chinesischen Hauptstadt-Region Xian gehörte mit ihren prächtigen Kaisergräbern und ihren heiteren Grabbeigaben.

Von der Tang-Zeit ausgehend kann man sich vorstellen, daß die Beziehungen der Tocharer des Tarim-Beckens (der Wüstenmumien des Museums von Urumchi) noch einmal auf einem vielleicht höheren kulturellen Niveau standen als diese Beziehungen der Sogder zu den Tang-zeitlichen Chinesen. Man merkt: Ich vertrete hier die uralte kulturgeschichtliche These eines "Goldenen Zeitalters" in der Bronzezeit. Von Homer und dem Buch von Joachim Latacz über "Troja" lasse ich mich dazu ermutigen.


Literatur:

1. Böckelmann, Frank: Die Gelben, die Schwarzen und die Weißen. Eichborn-Verlag, Frankfurt am Main 1998 [Die andere Bibliothek, hg. Von H. M. Enzensberger]
2. Haussig, Hans Wilhelm: Archäologie und Kunst der Seidenstraße. Wissenschaftl. Buchgesellschaft, Darmstadt 1992 (Bildband, Zusammenstellung von Kunstobjekten verteilt in vielen Museen der Erde)

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