Mittwoch, 25. April 2007

Nicht aktuell - ein Buch über das Entstehen von genetischer Ungleichheit (/Vielfalt)

Den Autor Christian Göldenboog schätze ich sehr. Sein Buch "Das Loch im Walfisch - die Philosophie der Biologie" habe ich mit einem sonst eher selten erlebten Genuß und intellektuellen Gewinn gelesen. - Zwar ging es in diesem Buch weder um "die", noch in speziellerem Sinne um irgendeine "Philosophie der Biologie", dennoch wird außerordentlich amüsant und über weite Strecken wirklich "spritzig" über viele seltener beachtete Entwicklungen im biologischen Denken des 20. Jahrhunderts berichtet. - Dieses Buch kann man also nur jedem an der Thematik interessierten Leser dringend ans Herz legen. (Amazon)

Auch von dem neuen Buch Göldenboogs über die "Evolution der zwei Geschlechter" (2006) (Amazon) könnte man sich gleicherweise begeistert zeigen, wenn es sich nicht über weite Strecken um erheblich "schlüpfrigerere" Themenbereiche handeln würde. Doch das möchte ich an dieser Stelle gar nicht weiter thematisieren. Mir geht es hier nur um die beiden Kapitel über die genetische Vielfalt in heutigen menschlichen Populationen. Es handelt sich um Kapitel 7 "Das menschliche Genom gibt es nicht - Die Bedeutung menschlicher genetischer Vielfalt" (S. 157ff) und Kapitel 8 "Mister Charles Darwin besaß die Frechheit zu fragen - Sexualität und Rasse" (S. 182ff)

Erst nach einem Blick in den Anmerkungsteil wird einem deutlich, daß Göldenboog hier ausgiebig aus einem längeren Interview mit dem Humangenetiker Luigi Lucca Cavalli-Sforza zitiert, das schon im März 2002 (!) in "Psychologie heute" erschienen ist. Wenn es sich hier nun um Forschungen handeln würde, bei denen Fortschritte nur gemächlich in Jahrzehnt-Vergleichen festgestellt werden können, wäre ein solches Vorgehen zu billigen. Nicht aber in dem Jahrzehnt nach der vollständigen Sequenzierung des menschlichen Genoms. In den letzten Jahren ist auf den hier behandelten Gebieten so viel passiert, daß ein Interview aus dem Jahr 2002 im Jahr 2006 hoffnungslos veraltet ist.

Göldenboog behandelt (übrigens für Nichtkenner sicherlich nicht sehr verständlich) zum Beispiel die "neutrale Theorie der Evolution" von Motoo Kimura, also "Kimura's Bombe". Göldenboog macht aber weder sich selbst noch dem Leser klar - und das war auch im Jahr 2002 vielleicht noch etwas schwieriger als im Jahr 2006 -, daß die Vielfalt weitgehend selektionsneutraler Mutationen (entspricht in etwa dem Konzept der "molekularen Uhr") weltweit zum Teil völlig anders verteilt ist als die Vielfalt kodierender Gene im menschlichen Genom. Die Vielfalt der selektionsneutralen Mutationen weist die altbekannte und in der Öffentlichkeit Jahrzehnte lang oft wiederholte Verteilung auf, die erstmals der amerikanische Humangenetiker Richard C. Lewontin feststellte, nämlich 85 % davon gleichmäßig auf alle Menschen weltweit verteilt und nur 15 % davon unterschiedlich auf verschiedene Völker und Rassen verteilt. Aus der Feststellung dieser Verteilung hatte Lewontin schon vor vielen Jahrzehnten die Schlußfolgerung gezogen, die heute als ein Fehlschluß angesehen wird, nämlich daß die Einteilung des Menschen nach rassischen Gesichtspunkten biologisch weitgehend sinnlos sei.

Wenn dies heute als Fehlschluß angesehen wird, dann muß das in einer Veröffentlichung des Jahres 2006 natürlich auch gesagt werden. In den letzten Jahren ist immer klarer geworden, daß die Vielfalt vieler kodierender Gene und Mutationen genau anders herum verteilt ist als ursprünglich von Lewontin erwartet. Im kodierenden Genom können bis zu 80 % oder mehr der genetischen Vielfalt unterschiedlich auf die verschiedenen Völker und Rassen verteilt sein. Deshalb wirken verschiedene Medikamente in verschiedenen Völkern und Rassen - wie das auch angesprochen wird - unterschiedlich, und deshalb sind auch angeborene Verhaltensauffälligkeiten wie zum Beispiel ADHS ganz kennzeichnend unterschiedlich auf Völker und Rassen verteilt.

Göldenboog bringt im Anmerkungsteil nur die eine inhaltliche Aktualisierung zu dem Interview von 2002, die lautet: "Eine komplett gegenteilige Ansicht dagegen vertritt Anthony Edwards in "Human Genetic Diversity: Lewontin's Fallacy" (August 2003, BioEssays)." Diese mehr als krude Bemerkung in einer Veröffentlichung des Jahres 2006 ist in dieser Kürze in keiner Weise zu entschuldigen. Das ganze Kapitel hätte entweder ganz gestrichen oder neu geschrieben werden müssen.

Denn es war ja gerade dieser frühe enge Mitarbeiter Cavallis-Sforzas selber, Anthony E. Edwards, der in dieser seither berühmt gewordenen Veröffentlichung darauf hingewiesen hat, daß selbst die traditionelle Verteilung von 85/15 keinesfalls die Schlußfolgerung zuläßt, daß die Einteilung des Menschen nach Rassen biologisch sinnlos wäre. Denn auch 15 % Unterschiede sind eben (biologische) Information, wie im Anschluß daran Richard Dawkins argumentiert hat, also keine "Nicht-Information". Und diese Ansicht hat sich in den letzten Jahren in der Forschung auch bis hin zu dem weltweit führenden Humangenetiker Francis Collins durchgesetzt, der im Jahr 2000 noch heftig zurückgewiesen hatte, man würde im menschlichen Genom "Rasse" finden können. (Focus) Es wäre also sehr spannend gewesen, wenn Göldenboog Cavalli-Sforza im Jahr 2006 noch einmal zu der gleichen Thematik befragt hätte, und was er dann erfahren hätte.

Bestseller-Autor Richard Dawkins hatte diese Zusammenhängen aber schon im Jahr 2004 (in seinem hervorragenden Buch "Ancestor's Tale") klar und unzweideutig dargestellt, wenig später Humangenetiker wie Armand Leroi in seinem Buch "Der Tanz der Gene" als auch in einem Aufsehen erregenden Artikel in der "New York Times". Ebenso NYT-Redakteur Nicholas Wade in seinem "Before the Dawn", ebenso Mark Jobling und Mitarbeiter in ihrem "Human Evolutionary Genetics", jenes Werk, das das Standardwerk Cavalli-Sforza's abgelöst hat. Und ebenso Gregory Cochran, Henry Harpending, Steven Pinker und viele andere wichtige Autoren und Forscher zu diesem Thema. (Jon Entine etwa. Aber auch zum Beispiel noch der berühmte Ernst Mayr kurz vor seinem Tod im Jahr 2002, ebenso der bedeutende Genetiker James Crow - von der frühzeitigen Zurückweisung der Lewontin'schen Argumentation durch den Genetiker Sewall Wright ganz abgesehen.)

Es ist also längst nicht mehr aktuell, noch wie die Katze um den "heißen Brei" herumzuschleichen, so wie das in diesem Interview in für damalige Zeiten (2002!) typischer Weise getan wurde und wie das immer noch in diesen beiden Kapiteln getan wird. Stellen wie die folgenden zeigen jedoch gut auf, wie weit die wissenschaftliche Diskussion im Frühjahr 2002 schon fortgeschritten war. Sie haben ihre Gültigkeit auch bis heute behalten und ausgebaut, darum seien sie angeführt:

Ohne ein Studium dieser (weltweiten human- und populationsgenetischen) Vielfalt ergebe es auch wenig Sinn, so Cavalli-Sforza, medizinische Genetik zu betreiben. Wer neue Medikamente entwickeln will, der muß die Variation von Individuum zu Individuum, von Population zu Population berücksichtigen: Krankheitsgene variieren gewöhnlich ebenso stark wie diejenigen Gene, die Resistenzen verursachen. Beides beeinflußt die Sensibilität eines Individuums gegenüber Medikamenten ... (S. 172) Zehn Seiten weiter wird dieser Gedanke dann noch einmal fortgesponnen:

"Viele der untersuchten DNA-Proben hängen eindeutig von den Vorlieben der Europäer und der Amerikaner ab", erläutert Cavalli-Sforza. "Und das vermittelt immer den Eindruck, daß nur deren Variation wichtig sei. Aber die Japaner haben jetzt damit begonnen, eine eigene Sammlung aufzubauen. Das Human Genome Diversity Project hat Dependancen in Kenia, China, Indien und Pakistan. Ich habe etwas in Italien begonnen. In Deutschland arbeiten wir mit Svaante Pääbo zusammen." (S. 186)

Über die Intelligenz-Genetik wird in beiden Kapiteln - im typischen Bewußtseinsstand des Jahres 2002 - immer nur in den abfälligsten Worten gesprochen. Doch in den beiden Absätzen zum Schluß wird sie dann indirekt doch wieder "irgendwie" anerkannt: "Letztlich braucht doch jede Gesellschaft alle möglichen Typen und Talente. Basketballer oder Baseballspieler mögen nicht unbedingt so intelligent wie Universitätsprofessoren sein ..." "Aber Baseballspieler bereiten der Mehrheit der Amerikaner erheblich mehr Spaß als Universitätsprofessoren. In dieser Hinsicht sind sie wichtiger. Aber wie ich schon sagte: Die Vielfalt ist wesentlich." (S. 195)

Da in den Kapiteln von angeborener menschlicher Vielfalt die Rede war, wird man diese Sätze doch als indirekte Anerkennung der Möglichkeit deuten (die sich auch bei vielen der anderen genannten Autoren findet), daß eben sowohl sportliche Begabung wie Intelligenz-Begabung hohe Anteile erblicher Komponenten besitzen (könnten) und zudem - wie auch viele sonst im Kapitel genannte angeborene Krankheits-Neigungen oder Krankheitsverteidigungs-Strategien - in unterschiedlicher Häufigkeit auf geographische Regionen, Volksstämme, Völker und Rassen verteilt sind.

Noch einmal: Wenn Richard Dawkins über diese Dinge schon 2004 in bis heute gültiger Weise berichten konnte, dann wird man das wohl von einer deutschen Buchveröffentlichung des Jahres 2006 erst recht erwarten dürfen. Um so mehr von einem Autor, der sich doch mehr als viele andere deutsche Wissenschafts-Autoren im angelsächsischen darwinsichen Denken umgetan hat (- wie seine persönliche Bekanntschaft mit dem großen John Maynard Smith zeigt).

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