Dienstag, 3. April 2007

"Die Peinlichkeit nichtreligiöser Bestattungsformen"

Wenn zwei  Gesprächspartner wie Jürgen Habermas und Karl Ratzinger aufeinander zugehen ....

Das wissenschaftliche Netztagebuch des Berliner Diplom-Psychologen Markus Wichmann, das erst seit wenigen Wochen betrieben wird, ist sicherlich eine Bereicherung in der noch "kargen" deutschen "Scienceblogger"-Landschaft.

Auf ihm finden wir den Hinweis auf einen neuen Aufsatz von Jürgen Habermas (1). In diesem sagt Herr Jürgen Habermas einleitend über atheistische Beerdigungen am Beispiel der Trauerfeier für Max Frisch, die er als junger Mann miterlebte (1):

"... Max Frisch - ein Agnostiker, der jedes Glaubensbekenntnis verweigerte - hat offenbar die Peinlichkeit nichtreligiöser Bestattungsformen empfunden und durch die Wahl des Ortes (in einer Kirche) öffentlich die Tatsache dokumentiert, daß die aufgeklärte Moderne kein angemessenes Äquivalent für eine religiöse Bewältigung des letzten, eine Lebensgeschichte abschließenden rite de passage gefunden hat."

Hört man hier hinterher, was für ein Mensch hier spricht? Muß noch mehr gefragt oder gesagt werden? Herr Habermas sucht also nach einem

"... angemessenen Äquivalent für eine religiöse Bewältigung des letzten, eine Lebensgeschichte abschließenden rite de passage". 

Nicht den Tod will er hier "bewältigen", nein, nur den Ritus der Totenfeier und Beerdigung. 

Das Lesen solcher Wort macht beklommen. Ist denn der Tod vor allem ein "Ritus"? Ganz das aber glaubt man, diesen Worten von Habermas entnehmen zu müssen. Es scheint Habermas hier in keiner Weise um die Bewältigung der Tatsache der Sterblichkeit des Menschen an sich zu gehen, sondern nur um die "Bewältigung" einer "rite de passage", etwa so ähnlich wie eine Mutter oder Schwiegermutter besorgt an die "Bewältigung" all der vielen Hochzeitsfeierlichkeiten ihrer Tochter denken mag ...

Alter Friedhof Schwerin (Symbolbild) (Fotograf Niteshift) (Wiki)

Sind es nicht gerade jene seelenlosen Förmlichkeiten gewesen, die einen Theodor Storm haben aussprechen lassen: "Auch bleib der Priester meinem Grabe fern ..."? Und um genau dieses von der Größe des Todes ablenkenden "Klingelings" willen bandelt Herr Habermas jetzt wieder mit dem lieben Benediktus an?

Als stünde eine "institutionalisierte", "kirchliche" Beerdigungsfeier nicht in der gleichen Gefahr, in Peinlichkeit auszuarten als eine nicht-institutionalisierte, nicht-christliche ...

Aber das war ja nur die - sehr beklommen stimmende - Einleitung. Herr Habermas sagt dann wieder etwas eigentlich völlig Verrücktes für einen echten Atheisten (1):

"... Umgekehrt darf sich die säkulare Vernunft nicht zur Richterin über Glaubenswahrheiten aufwerfen, auch wenn sie im Ergebnis nur das, was sie in ihre eigenen, im Prinzip allgemein zugänglichen Diskurse übersetzen kann, als vernünftig akzeptiert."

Später sagt Habermas (1):

"... Vielmehr muß der liberale Staat dann auch von seinen säkularen Bürgern erwarten, daß sie in ihrer Rolle als Staatsbürger religiöse Äußerungen nicht für schlechthin irrational halten. Angesichts der Verbreitung eines wissenschaftsgläubigen Naturalismus ist das keine selbstverständliche Voraussetzung."

Typischerweise unterscheidet Habermas bei den "religiösen Äußerungen" nicht klar und eindeutig zwischen naturalistisch-religiösen (im Sinne Einstein'scher Religiosität) und supernaturalisch-religiösen Äußerungen, wie man sie aus christlichem Munde immer so überheblich und selbstgewiß zu hören gewohnt ist. (Zur Einstein'schen Religiösität siehe Richard Dawkins brillante Auseinandersetzung am Anfang von "God Delusion".) Deshalb fällt es einem außerordentlich schwer, diesem Satz von Herrn Habermas wie auch dem zuvor von ihm Zitierten uneingeschränkt zuzustimmen.

Es bleibt vieles unklar von dem, was Herr Habermas eigentlich will. Wahrscheinlich will er wirklich nur "Klingelingeling". Eine "Peinlichkeit" durch eine andere ersetzen. - Am Schluß kommt Habermas auf die Regensburger Rede des Papstes zu sprechen. Und auch da sind einem offenbar noch nicht alle Implikationen dieser Debatte deutlich geworden. Deshalb zum Schluß nur noch dieser Satz, der einen irgendwie aufhorchen läßt, und der - irgendwie - neugierig macht. Es ist hier offenbar von (geistigen) Schritten das Papstes selbst die Rede:

"... Der Schritt von Duns Scotus zum Nominalismus führt jedoch nicht nur zum protestantischen Willensgott, sondern ebnet auch den Weg zur modernen Naturwissenschaft.

Was all das nun auch immer heißen möge für einen vorausgesetzten Leser der Neuen Züricher Zeitung, der eine umfangreichere Allgemeinbildung besitzt als sich der Autor dieser Zeilen zusprechen kann nach seinem Nebenfach-Studium Philosophie. "Was also dürfen wir denn nun hoffen," möchte man mit Immanuel Kant fragen - - - und zwar nicht vom Leben an sich - nein, Gott bewahre: von der katholischen Kirche und unserem "Staatsphilosophen" Herrn Habermas?

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  1. Jürgen Habermas: Über Glauben und Wissen und den Defaitismus der modernen Vernunft. NZZ vom 10.02.2007 (NZZ2007)