Montag, 19. März 2007

Diktatur durch Angst und Diktatur durch Verwöhnung

Derzeit ruft vieles von dem, was man von Michael Blume erfährt (hier zum Beispiel ein ganz toller neuer Vortrag zum Anhören und Lesen [pdf.]), neue gedankliche Assoziationen hervor, Erinnerungen an anderes, was man früher gelesen hat und gut dazu paßt. Und man kann tatsächlich den William Sargant (siehe früherer Beitrag) für ein wichtiges Buch halten.

Das heißt: Wenn ein Mensch psychisch in Erregung versetzt wird - entweder durch positive oder negative Erfahrungen - werden seine Gehirnstrukturen "aufgeweicht", sie werden "plastischer". Das läßt sich auch schon bei den einfachen "Konditionierungen" der Pawlow'schen Hunde beobachten, die durch Nahrungs-Entzug und andere Streß-Situationen (Gefahr des Ertrinkens ...) Lern-, also Konditionierungs-Vorgänge durchmachen. Genauso auch Soldaten im Krieg. Oder Menschen in Gefangenschaft, Folter, in "Schauprozessen", am "Pranger". Oder in den höllenverängstigenden Predigten zum Beispiel der Jesuiten während der Gegenreformation. (Oder in den berühmten "Exerzitien" des Ignatius von Loyola.) Genauso wohl auch Luther selbst, der immer wieder in seelisch aufgewühlten Situationen mit dem Teufel rang oder mit der richtigen Bibel-Auslegung oder mit Papst und "Papisten" und dann vor Kaiser und Reich stand und in ungewöhnlich aufgewühlter psychischer Situation Auskunft gab: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen!" Und so - nach seinem Vorbild - wohl viele Menschen der Reformation. Ich will nur sagen: Es handelt sich wohl um sehr allgemeine Gesetze, die im Alltagsleben des Menschen und auch in der Geschichte ganzer Gesellschaften eine große Rolle zu spielen scheinen.

In einer bestimmten von Sargant beschriebenen fortgeschrittenen Phase der als erregend erlebten Situation, fängt der Mensch (oder das Tier) an, geradezu gesetzmäßig alles gegensätzlich zu tun und zu werten als er es zuvor getan hatte. Sein Denken und Handeln wirkt im höchsten Grade verwirrt und konfus. Und wenn er so weit ist, können ihm neue Persönlichkeits-Bilder, neue Wertungen des Lebens, neue religiöse oder atheistische Lehren "eingeimpft" werden, kann er der Neu-"Konditionierung" kaum noch ausweichen. Man hat das Gefühl, daß fast alle Kriege und Revolutionen mit solchen seelischen Vorgängen einhergehen, bzw. auf solche abzielen, solche herbeiführen wollen.

Ja. Aber diese Gesetzmäßigkeiten gelten eben nicht nur für "negative" (oder Unlust-)Erfahrungen, sondern eben auch - was leicht vergessen wird - für "positive" Erfahrungen. Und vor allem beziehen sich diese psychischen Persönlichkeits-Änderungen kaum oder viel weniger auf das rein rationale Denken, sondern vor allem auf die Wertvorstellungen, auf die Wahrnehmung von Gut und Böse, von Schön und Häßlich, von Liebe und Haß usw.. Und auch Konrad Lorenz warnt nicht nur vor der Diktatur durch Terror und Verängstigung, die in ihren Mechanismen noch relativ einfach zu durchschauen ist, sondern noch viel mehr vor der Diktatur durch "Verwöhnung", also durch immer wieder angebotene Lust-Erlebnisse. Das sind ja auch die beiden Formen von Dikatur, die George Orwell ("1984") und Aldous Huxley ("Schöne neue Welt") beschrieben haben.

Im privaten Leben macht man solche erregenden Situationen natürlich auch immer wieder durch. In der Ehe. In Freundschafts-Verhältnissen. Kino. Disco. Bei Alkohol- und Drogen-Konsum. Zumeist werden - oft übertriebene, unnatürliche - Lust-Erlebnisse geboten. Die Seele (Psyche) wird in Erregung versetzt und es werden dadurch neue Werte, Erlebnis-Arten "eingeimpft" oder schon eingeimpfte verstärkt und vertieft.

Und das ist der Grund, weshalb viele religiöse Lehren und Philosophien "Askese" predigen, das heißt, sich den Verwöhnungs-Reizen eines übertriebenen gesellschaftlichen Lebens entziehen durch Klosterleben ("außerweltliche Askese") oder auch nur durch Konzentration auf Arbeit ("innerweltliche Askese" - die Begriffe sind von Max Weber). Aber nun ist folgendes zu beachten: Auch wenn man sich durch solche "Vereinsamungen" vielen Verwöhnungs-Reizen entzieht, gerät man zunehmend stärker in Erregung. Man erfährt also die bekannten "Entzugs-Erscheinungen", die in ihren Gesetzmäßigkeiten wohl nicht nur auf Drogen und Zigaretten angewendet werden können, sondern auf alles, von dem man psychisch abhängig ist. So ist zum Beispiel inzwischen bekannt, daß die Prägung auf einen Ehe- oder Lebenspartner in der gleichen Gehirnregion verschaltet ist wie "andere" ... "Sucht"-Erscheinungen.

Jemand, der diese Dinge zur Kenntnis genommen hat und zugleich - etwa wie Konrad Lorenz - der Meinung ist, daß die sich in unserem subjektiven menschlichen Inneren vollziehenden "Wert-Erlebnisse" jene sind, die in diesem unserem Weltall von besonderer Bedeutung sind, ein solcher Mensch kann dann plötzlich anfangen, sehr viel behutsamer mit allem umzugehen, was ihn selbst in Erregung versetzt. Er fängt an, sich selbst zu beobachten und fängt an zu beobachten, was einen in welcher Weise nach welcher Richtung hin verändert.

Übrigens haben gerade auch in der Reformation viele Gruppen wie zum Beispiel die Mennoniten "Gegenstrategien" gegen zu starke psychische Erregung entwickelt. Mennoniten weigern sich oft, sich in Streit einzulassen, andere Menschen allzu kontrovers anzugreifen oder sich selbst angreifen zu lassen. Die Amischen (Amish-People) haben das Ideal der "Gelassenheit", das sie auch bei erregenden Gerichts-Prozessen in den USA (betreffend staatliche Schulpflicht ihrer Kinder, Kriegsdienst-Verweigerung) demonstriert haben. Sie lassen sich nicht in Erregung versetzen, haben zugleich ein emotional ausgeglichenes Gemeinde- und Familienleben, sowie bäuerliches Arbeitsleben in der freien Natur und können dadurch so erfolgreich ihre Lebensweise behaupten und auch gegenüber einer andersartigen Umwelt - so zum Beispiel in Gerichtsprozessen - durchsetzen. Sie haben also Gegenstrategien gegen "Bekehrung" von seiten der Mehrheits-Gesellschaft entwickelt.

Aber auch bei den Hutterern in Kanada wird immer wieder aus Berichten deutlich, wie stark emotional ablehnend sie gegenüber der "Sünde" dieser Welt, gegenüber der "sündigen" nicht-hutterischen Welt reagieren, sich also von ihr nicht "erregen" lassen und dadurch sich ihr lebendiges Gemeinschaftsleben (das heißt auch ihr subjektives Innenleben) bewahren.

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