Freitag, 23. Februar 2007

Das Streben nach Unsterblichkeit in einem "naturalistischen Menschen- und Weltbild"

Schon im "Studium generale"-Beitrag vom Montag ("Anstrengungen und Hindernisse ...") zeigte ich mich begeistert von den dort erwähnten, freigeschalteten Aufsätzen in der Zeitschrift "Gehirn und Geist" zum Thema Religion und Wissenschaft. Inzwischen habe ich dort besonders den Aufsatz des Mainzer Philosophen Thomas Metzinger (in "Gehirn und Geist" 7-8/2006) genauer kennen und schätzen gelernt. Auf Wikipedia heißt es unter anderem über Metzinger: Er "gilt als einer der Philosophen, die am stärksten den Austausch der Philosophie mit den Neuro- und Kognitionswissenschaften suchen. So beschäftigt er sich etwa mit der philosophischen Interpretation der Suche nach neuronalen Korrelaten des Bewusstseins."

Ich hatte - ehrlich gesagt! - nicht mehr erwartet, daß irgend wann noch einmal von einem deutschsprachigen Philosophen ein Text gelesen werden könnte, der sich so dicht am "Puls der Zeit" bewegt und zugleich so viele so grundsätzliche Fragen versucht, in einem völlig neuen Rahmen, aus einer völlig neuen Sichtweise heraus zu beantworten. (- Ehrlich gesagt!) Aber man muß den Text vollständig lesen. Er wird künftig einen wichtigen Bestandteil meiner intellektuellen Biographie darstellen. Als Ausgangspunkt ist vielleicht Metzingers Satz (und Selbstverständnis?) beachtenswert: "Nehmen wir einmal an, daß die naturalistische Wende im Menschenbild unwiderruflich ist ..."

Genau DIESE "naturalistische Wende im Menschenbild" scheint Thomas Metzinger selbst als Philosoph besonders gut zu repräsentieren, so vorsichtig er sich hier auch noch ausdrückt. Man hat ja schon Jahre lang darauf gewartet, daß die ungeheuer vielschichtigen und umfassenden Entwicklungen in der Naturwissenschaft der letzten Jahrzehnte endlich einmal umfassende Auswirkungen zeitigen Richtung jenem Menschenbild, mit dem sich (normalerweise) die Philosophen (deutend) beschäftigen. Thomas Metzinger scheint einer der ersten deutschsprachigen Philosophen zu sein, der den Handlungsbedarf und die Handlungsmöglichkeiten klar, präzise und umfassend erkennt.

Metzinger sieht die Gefahr, daß aus diesem neuen "naturalistischen Menschenbild" geschlußfolgert sich "ein primitiver Materialismus in der Bevölkerung ausbreiten" könnte. Weiterhin sieht er damit zusammenhängend Gefahren hinsichtlich eines neuen religiösen Fundamentalismus ebenso wie hinsichtlich "einer neuen Sehnsucht nach geschlossenen Gesellschaften" - wie immer das im einzelnen genauer aufgefaßt sein mag. Er befürchtet, daß wir auf "eine geistesgeschichtliche Krise" zusteuern "mit unabsehbaren Folgen für die Gesellschaft". - - -

- - - Einer seiner interessantesten philosophischen Ausgangspunkte ist nun für ihn, daß mit dem Tod tatsächlich das einzelne menschliche Leben beendet ist, und daß sich daraus ein Konflikt für das menschliche Selbstverständnis ergibt. Dem "biologischen Imperativ", "dem verzweifelten Wunsch zu überleben" steht die "Sterblichkeit" nicht nur als "eine objektive Tatsache", sondern auch als "ein subjektiver Riss, eine offene Wunde in unserem Selbstmodell" gegenüber: "Die alten Teile" (der menschlichen Biologie) "stehen sozusagen im dauernden Widerstreit mit den neuen." - Ein wunderbares - und wohl - philosophisch sehr tiefes Bild! Man denkt hier sofort an August Weismanns Zweiteilung von "unsterblicher" Keimbahn und "sterblichem" Soma. Man denkt an die widerstreitenden Motive im persönlichen Leben: Einmal sehr stark von den Hormonausschüttungen der Fortpflanzungszellen getragen, die "nur" und "bloß" "leben" wollen und Leben weiter geben wollen. Und ein ander mal sehr stark von einem psychisch bewußten "Zustandsraum" (im Kopf) getragen, auf den Metzinger überraschenderweise ebenfalls noch umfassender zu sprechen kommt (s.u.).

Und Metzinger schreibt dann weiter: "In der Tat kann man uns als Wesen beschreiben, die die größte Zeit ihres Lebens mit dem Versuch zubringen, diesen Konflikt nicht mehr bewußt zu erleben. Vielleicht macht uns sogar gerade diese Eigenschaft unseres Selbstmodells religiös, denn das Selbstmodell ist im Grunde das Streben nach Unsterblichkeit." - - -

Dazu gäbe es viel zu sagen. Ein weiterer Gedanke Metzingers, den ich unwahrscheinlich spannend finde, steht dann am Ende, dort, wo er von der "unfaßbaren Tiefe unseres phänomenalen Zustandsraums" spricht: "... Das Potential unseres Erlebnisraums, die Anzahl der verschiedenen Bewußtseinszustände, die einem einzelnen menschlichen Wesen möglich sind, ist wesentlich größer, als wir ahnen. Unsere Individualität, die Einzigartigkeit unseres mentalen Lebens und vielleicht auch das, was wir traditionell als unsere "Würde" bezeichnet haben, hat viel damit zu tun, welchen Pfad wir durch unseren phänomenalen Zustandsraum nehmen."

Auch den Gedanken des zuletzt zitierten Satzes finde ich ungeheuer spannend. Man kann es auch so sagen: Reifungsprozesse im Gehirn lassen uns unterschiedliche Pfade durch das "Potential unseres Erlebnisraumes" gehen - oder auch nicht. - Aber ich habe mit diesen Zitaten nur wenige einzelne Gedanken herausgegriffen. Man muß den Aufsatz im Zusammenhang lesen, um festzustellen, was dieses neue "naturalistische Weltbild" alles an neuen Herausforderungen und philosophischen Deutungsmöglichkeiten mit sich bringt. Denn auch der Aspekt der Einzigartigkeit des Menschen im Universum und die Ursachen derselben werden von Metzinger thematisiert.

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