Donnerstag, 29. August 2019

Unsere Hausschweine stammen NICHT aus dem Vorderen Orient

Nahöstliche domestizierte Schweine vermischten sich gleich anfangs auf dem europäischen Kontinent mit europäischen Wildschweinen

Vor einem Monat titelten wir: Unsere Hausrinder stammen nicht aus dem Vorderen Orient (1). Inzwischen ist eine vergleichbare Studie zur Herkunft der europäischen Hausschweine erschienen, die nun die Überschrift erlaubt: Unsere Hausschweine stammen nicht aus dem Vorderen Orient. Denn schon die Hausschweine der ersten Bauernkultur Europas, der Bandkeramiker, stammten nur zu 50 % aus Anatolien (2).

Abb. 1: Schweinchen-Figurinen aus der bandkeramischen Kultur in der Wetterau (ohne Maßstab). 1 Butzbach-Nieder-Weisel (Ankel/Meyer-Arendt, Anm. 41) und 2.4.6.8 Nieder-Mörlen (Schade-Lindig, Idole, Abb. 10, 31; 9, 33.34; 13,51). 3 Glauberg und 5 Butzbach-Nieder-Weisel (Schade-Lindig/Schade, Preziosen, Abb. 13,1.3).7 Bad Homburg-Nieder-Erlenbach (Zeichnung Schade-Lindig).

Erinnern wir uns bei dieser Gelegenheit daran, daß Hausschweine bis in 19. Jahrhundert hinein über die sogenannte "Eichelmast" (3) gehalten wurden. Bis dahin hatte jedes Dorf nicht nur einen Pferdehirten, einen Kuhhirten und einen Schafhirten, sondern eben auch eine Schweinehirten. Die Schweine wurden über weite Teile des Jahres gar nicht im Stall gehalten, sondern draußen in der Nähe des Waldes (3):

"Die Eichelmast trug auch dazu bei, daß das Hausschwein lange Zeit dem Wildschwein glich, da die Sauen sehr häufig durch Keiler gedeckt wurden."

Und aus der neuen Studie darf geschlossen werden, daß diese Vermischung von Haus- und Wildschweinen in Europa schon in den ersten Balkan-neolithischen Kulturen begann und in der Mittleren Bronzezeit weitgehend abgeschlossen war. 

[Ergänzung 22.1.22] Schon für die vorkeramischen, halbseßhaften Kulturen im östlichen Teil des Fruchtbaren Halbmonds, im Zagros-Gebirge ist festgestellt worden, daß sie männliche Schafe und Ziegen jagten - aber nicht weibliche, um die Bestände zu erhalten, und daß sie weibliche (Wild-)Sauen im oder nahe des Haushalts hielten, sie aber regelmäßig mit wilden Ebern decken ließen, so wie das zum Teil noch heute auf Neuguinea geschieht (9). So daß das im vorliegenden Blogartikel aufscheinende Geschehen in den frühen neolithischen Kulturen Europas nicht ungewöhnlich ist.

Das Schwein ist also zwar ursprünglich im Vorderen Orient domestiziert worden und die Genetik der nahöstlichen Hausschweine beeinflußte anfangs auch sehr stark diejenige der europäischen Hausschweine. Doch heute spielt sie in Europa kaum noch eine Rolle (2):

"Die ersten domestizierten Schweine, die aus dem Nahen Osten nach Europa eingeführt wurden, waren beträchtlich kleiner als die europäischen Wildschweine."
"The first domestic pigs introduced from the Near East were substantially smaller than European wild boars."

So führt die neue Studie aus. Ihr Ziel (2):

"Wir charakterisieren das Ausmaß, die Geschwindigkeit und den Mechanismus, durch den (die in Europa eingeführte) Schweine die Herkunft europäischer Wildschweine annahmen."
"Here we (...) characterized the extent, speed, and mechanisms by which" (introduced) "pigs acquired European wild boars ancestry."

Hierzu wurden 1.318 archäologisch gewonnene Schweineknochen untersucht, 262 von Wildschweinen, 592 von Hausschweinen, 464 mit unbekannter Zuordnung. Von ihnen gilt (2):

"Am frühesten tritt der mitochondriale nahöstliche Hausschwein-Haplotyp Y1 in unserer  kontinentaleuropäischen Untersuchungsgruppe 6.000 v. Ztr. in neolithischen Hausschweinen im heutigen Bulgarien auf, am spätesten in einem neolithischen Kontext 3.100 v. Ztr. in einem polnischen Exemplar."
"The first appearance of the" Near Eastern "mt-Y1 haplotype in our continental European dataset was ∼8,000 y ago in Neolithic Bulgarian pigs (Kovacevo: Kov18, Kov21), and its terminal appearance in a Neolithic context was ∼5,100 y ago in a Polish sample (AA134, _ Zegotki 2)."

Bei dem Fundort Zegotki handelt es sich um ein Dorf, das auf Deutsch Wiesengrund (Wiki) hieß.**) Bei den in Wiesengrund gefundenen Schweineknochen dürfte es sich um Hausschweine der Kugelamphorenkultur gehandelt haben.

In der Zeit danach findet sich nahöstliche mitochondriale Signatur nur selten und punktuell in Hausschweinen um 2.000 v. Ztr. im südwestlichen Griechenland, sowie in Sardinien und um 1200 n. Ztr. in Neapel, Korsika und in der Toskana.

Heutige europäische Hausschweine haben dann nur noch 4 % nahöstliche Hausschwein-Genetik in sich und das aufgrund vornehmlich von südeuropäischen Hausschwein-Rassen. Weiter (2):

"Zwei frühneolithische Schweine aus Herxheim, Deutschland (5.100 v. Ztr.) besaßen 54 % und 9 % nahöstliche Herkunft; ein domestiziertes Schwein von  la Baume d’Oulen (5.100 v. Ztr.) besaß 15 % davon; ein spätneolithisches Schwein von Durrington Walls in Großbritannien (Großsiedlung in der Nähe von Stonehenge) (2.500 v. Ztr.) besaß nur 5 %.
"2 early Neolithic samples from Herxheim, Germany (∼7,100 y BP: KD033, KD037) possessed ∼54% and ∼9% Near Eastern ancestry, respectively; a domestic pig from la Baume d’Oulen, France (∼7,100 y BP: AA288) possessed 15%; a Late Neolithic sample from Durrington Walls in Britain (∼4,500 y BP: VEM185) possessed ∼10%; and a 1,000-y-old Viking Age sample from the Faroe Islands (AA451) possessed only 5%."

Also schon die Hausschweine der Bandkeramik in Südhessen (Herxheim) um 5.100 v. Ztr. hatten zur Hälfte bis 90 % einheimische europäische Wildschwein-Genetik. Und in der Bronzezeit war der Anteil der nahöstlichen Genetik bei den europäischen Hausschweinen schon auf den heutigen Anteil zurückgegangen.

Bei dieser Gelegenheit fällt einem ein, daß es so manche schöne tönerene Hausschweine-Darstellung in der bandkeramischen Kultur gibt, die zeigt, daß Liebe und Zuneigung zu Hausschweinen Bestandteil des kulturellen Selbstverständnisses dieses ersten Bauernvolkes Europas gewesen ist (Abb. 1) (4, 5). Interessant ist außerdem die Angabe für La Baume d’Oulen um 5.100 v. Ztr.. Das ist eine Höhle im Rhonetal in Südfrankreich (6), wo es also um 5.100 v. Ztr. ebenfalls nur 15 % anatolische Hausschwein-Genetik gab. Weitere Untersuchungen in geringerer Sequenzierungs-Auflösung ergaben (2)

"acht domestizierte Schweine, die den nahöstlichen Wildschweinen und neolitischen domestizierten Schweinen des Nahen Ostens näher standen. ....Und zwar im Nördlichen Makedonien (5.650 v. Ztr.), Herxheim (5.100 v. Ztr.), Rumänien (5.100 und 4.000 v. Ztr.) und Serbien (4.500 v. Ztr.). (...) Sieben dieser Schweine gehörten auch die nahöstliche mitochondriale Y1-Haplogruppe."
"8 domestic pigs that are closer to Near Eastern wild boars and ancient Near Eastern domestic pigs. In all, this group comprised Neolithic pigs from contexts dating from 7,650 to 6,100 y BP, including the following: Madzhari, Northern Macedonia (∼7,650 y BP: BLT022, BLT023); Herxheim, Germany (7,100 y BP: KD033, KD032); Magura, Romania (7,100 y BP: BLT010); Plocnik, Serbia (∼6,650 y BP: AA212); Vinca Belo Brdo, Serbia (∼6,500 y BP: BLT014); and Cascioarele, Romania (∼6,000 y BP: AA072). Interestingly, 7 of these samples also possessed the Near Eastern mt-Y1 haplogroup."

Eine jünger datierte, zweite Gruppe von in geringerer Aufslöung sequenzierten Schweineknochen stand dann genetisch den europäischen Wildschweinen näher (2):

"Die zweite Gruppe von archäologischen europäischen Schweineknochen stand den wilden und modernen domestizierten europäischen Schweinen näher und schloß in sich ein Schweineknochen, die meistens in der Zeitstellung jünger sind als die der ersten Gruppe. ....
"The second group of ancient European samples was closer to wild and modern domestic pigs from Europe and included samples that are mostly younger in age than the first group. This second group consisted of 18 domestic samples from overall more recent archaeological sites dating from 7,100 to 900 y BP, including the following: Herxheim, Germany (7,100 y BP: KD037); Oulens, France (∼7,100 y BP: AA288); Bozdia, Poland (∼6,700 y BP: AA346; ∼900 y BP: AA343, AA341); Durrington Walls, England (∼4,500 y BP: VEM183, VEM184, VEM185); Utrecht, The Netherlands (∼2,300 y BP: KD025; ∼700 y BP: KD024); Basel, Switzerland (∼2,000 y BP: AA266); Coppergate, England (∼1,800 y BP: AA301); Undir Junkariusfløtti, Faroe Islands (∼1,000 y BP: AA451, AA411, AA414, AA418, AA440); and Ciechrz, Poland (∼900 y BP: AA139). (...) All of these samples possessed a European mtDNA signature."

Aus all dem ist insgesamt zu schlußfolgern: So wie schon die ersten neolithischen Kulturen auf dem Balkan einheimische europäische Hausrinder nutzten, so hatten sie auch schon - wenigstens zum Teil - einheimische, europäische Hausschweine. Diese Hausschweine konnten in den balkan-neolithischen Kulturen und in der Bandkeramik noch zu über die Hälfte anatolisch-neolithischer Herkunft sein. Aber in der Zeit danach ging dieser anatolisch-neolithische Herkunftsanteil innerhalb Europas stetig zurück bis er in der Mittleren Bronzezeit um 2.000 v. Ztr. in Europa nur noch eine verschwindende Rolle spielte.

Abb. 2: Niedliche tönerne Schweinchen-Darstellung aus Nieder-Weisel in der Wetterau in Hessen, 16 Zentimeter lang, Bandkeramik (v.a. Nummer 3 links unten) (aus: 4, s.a. 5)

Damit übrigens der mitochondriale genetische Anteil europäisch wurde, reichte das Decken durch Wildeber nicht aus, sondern es mußten weibliche Wildschweine eingefangen worden sein, denkbar als Frischlinge, nachdem das Muttertier erjagt worden war. Daß es in den frühen neolithischen Bauernkulturen - ähnlich wie auf Neuguinea - sehr beliebt war, Schweine zu päppeln, möchte man von den geschaffenen Figurinen durchaus ablesen.

Hausschweine in der Ertebolle-Kultur um 4.500 v. Ztr.?

Ergänzung 24.11.2013: Schon in einer Kieler Studie aus dem Jahr 2013 wurde übrigens in der mesolithischen Ertebolle-Kultur des westlichen Ostseeraumes um 4.500 v. Ztr. herum nahöstliche Hausschwein-Genetik gefunden, die auf kulturelle Kontakte zu den südlichen Bauernkulturen zurück geführt wird (7):

Surprising is the presence of three Ertebølle pigs from Grube–Rosenhof (specimens: E24, E44) and Poel (E69) from northern and northeastern Germany that possessed the Near Eastern haplotype Y1 (...). This result indicates the presence of animals with an ‘exotic’ domestic origin in a hunter-gatherer context (...). In addition, one of these specimens (E24) revealed a range of other domestic traits. (...) Finally, direct dating of E24 (4720–4582 cal BC, KIA 41338) confirmed its younger Ertebølle cultural affiliation (~4750–4450 cal BC). (...)
As Ertebølle and Neolithic groups (LBK, Stichbandkeramik and Rössen) coexisted for ~700 years (between 5500 and 4200 cal BC), the presence of a domestic pig dated from 4720 to 4582 cal BC at an Ertebølle site suggests that contact was frequent enough to be detected in the limited sample size analysed in this study. It seems that specimen E24 represents the earliest evidence of the first domesticated pigs introduced to the region.

Da nahöstliche Hausschwein-Genetik sowieso schnell zurückgegangen ist damals in Europa, ist der Nachweis von Hausschweinen in der Ertebolle-Kultur künftig sicher noch anders zu führen als durch Nachweis nahöstlicher Genetik.

__________

*) Wiesengrund gehörte bis 1918 zu Deutschland, da es inmitten der damaligen deutschen Provinz Posen lag, 100 Kilometer östlich der Stadt Posen, 15 Kilometer südlich der Stadt Hohensalza, zwischen den Städten Gnesen und Wloclawek an der Weichsel, das heißt: 50 km westlich von Gnesen und 65 km östlich von Wloclawek, außerdem 50, bzw. 60 km südlich von Thorn und Bromberg an der Weichsel (Wiki), 200 Kilometer nördlich von Breslau.
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  1. Bading, Ingo: Unsere Kühe - Sie waren schon immer bei uns einheimisch - Sie stammen NICHT (!) aus dem Vorderen Orient, 18. Juli 2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/07/unsere-kuhe-schon-immer-waren-sie-bei.html 
  2. Ancient pigs reveal a near-complete genomic turnover following their introduction to Europe. Laurent A. F. Frantz, James Haile, Audrey T. Lin, Amelie Scheu, Christina Geörg, Norbert Benecke, (...) Wolfram Schier, (...) Joachim Burger, Allowen Evin, Linus Girdland-Flink, Greger Larson. In: Proceedings of the National Academy of Sciences Aug 2019, 116 (35) 17231-17238; DOI: 10.1073/pnas.1901169116 (Researchgate)
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Eichelmast
  4. Fröhlich, Madeleine: Figürliche Kunst der Linienbandkeramik aus Günthersdorf, Dezember 2017, http://www.lda-lsa.de/de/landesmuseum_fuer_vorgeschichte/fund_des_monats/2017/dezember/
  5. Tönernes Schwein aus Nieder-Weisel , Wetteraukreis (Hessen). In: Andrea Streily und Kirtsen Hellström: Archäologische Funde in Deutschland ausgewählt und kommentiert von Svend Hansen. Berlin 2010, S. 22f (pdf
  6. https://de.wikipedia.org/wiki/Baume_d%E2%80%99Oullins, https://fr.wikipedia.org/wiki/Baume_d%27Oullins
  7. Use of domesticated pigs by Mesolithic hunter-gatherers in northwestern Europe. Krause-Kyora B, Makarewicz C, Evin A, Flink LG, Dobney K, Larson G, Hartz S, Schreiber S, von Carnap-Bornheim C, von Wurmb-Schwark N, Nebel Almut. Nat Commun. 2013;4:2348. doi: 10.1038/ncomms3348, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3903269
  8. Sabine Schade-Lindig: Kunst oder Kult - Figürliche Plastiken aus Bad Nauheim-Nieder-Mörlen und der geographischen Wetterau. 2012, S. 453ff (DocPlayer)
  9. Bading: Zagros, 2022, https://studgendeutsch.blogspot.com/2022/01/das-zagros-gebirge-in-der.html

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