Donnerstag, 10. Januar 2019

Werner Heisenberg und seine Liebe zu Adelheid von Weizsäcker (1928 bis 1936)

 Sie strukturierte für ihn seine Welt- und Wirklichkeitswahrnehmung, 
- Ebenso auch die Art der schöpferischen Kräfte, aus denen heraus er lebte

Der Atomphysiker Werner Heisenberg (1901-1976) (Wiki) - er war ein sehr nach innen gekehrter Mensch. In Mitteilungen über sein Innenleben und Gefühlsleben war er Zeit seines Lebens eher zurückhaltend. Man möchte fast sagen: schamhaft. Es gibt aber eine Schrift von ihm, in der er ein wenig mehr über sein Innenleben und über seine Sicht auf sich selbst preisgibt (11). Er hat sie in den Jahren 1941 und 1942 verfaßt, in einer Zeit, in Kriegszeiten, in Zeiten, in denen er Leiter des streng geheimen deutschen Atomprojektes war, und in denen keineswegs sicher war, ob man diese Zeiten lebend überstehen würde, so oder so. Er hat sie damals also sicherlich auch als eine Art Testament verfaßt. Da sie vieles sehr Persönliche enthält, hat er sie vermutlich nach 1945, nachdem er die gefährlichen Zeiten lebend überstanden hatte, nicht mehr selbst veröffentlichen wollen. Immerhin blieb sie in seinem Nachlaß erhalten.


Abb. 1: Der 33-jährige Werner Heisenberg mit seinem Assistenten Carl Friedrich von Weizsäcker, Leipzig 1934

Aber auch bezüglich dieser Schrift findet der Leser nur das, was er von sich aus in diese hinein legen kann. Sie kann "klanglos" an ihm vorbei rauschen. 

Sollte man aber eine gewisse Sensibilität in sich für sie ausgebildet haben, dann findet man - geradezu plötzlich und überraschend - in dieser Schrift den "Schlüssel" für jene Lebenswertungen, die Thema des folgenden Beitrages sind.

"Ich muß viel Glück haben, wenn aus meinem Leben noch etwas werden soll."

Denn wenn man genau liest und hinterher horcht, wie sich Werner Heisenberg auch sonst äußert oder geäußert hat, wird man doch manche sehr deutliche Hinweise auf sein Innenleben finden können. So etwa in seinen - erst 2003 - veröffentlichten Briefen an seine Eltern (1). In ihnen fallen Sätze wie der folgende vom 28. Februar 1936 (1, S. 248):

Ich muß viel Glück haben, wenn aus meinem Leben noch etwas werden soll.
Was für ein Satz! Wenn man nicht die Hintergründe der Lebenseinstellung von Werner Heisenberg aus seinem "Testament" des Jahres 1942 kennen würde, kann er einem geradezu unverständlich sein. Denn dieser Satz wurde nicht nur niedergeschrieben von einem Professor für Physik an der Universität Leipzig, nein, er ist nieder geschrieben worden vier Jahre nachdem ihm vor aller Welt der Physik-Nobelpreis des Jahres 1932 verliehen worden war.

Allein dieser kurze Satz zeigt, daß für Werner Heisenberg selbst ein Nobelpreis keinerlei Zeichen dafür war, daß aus einem Menschenleben - insgesamt und in letzter Instanz, so oder so - etwas "geworden" war, daß es also irgendwie als ein gelungenes angesehen werden könne. Darüber entschied für ihn offensichtlich erst der letzte Tag im Leben dieses Menschen. Bis dahin konnte alles noch auf des Messers Schneide stehen. Und es entschied sich das für ihn offenbar auch innerhalb von Bereichen, an die diesbezüglich nicht jeder Mensch als erstes denken wird.

Schlägt man sein Manuskript von 1942 auf, wird einem sofort deutlich, welche immense Bedeutung er der Wirklichkeit der Liebe in ihm zumißt (11). Und dann versteht man: Wie sich das menschliche Leben insgesamt entscheidet, konnte für ihn nur wenig allein mit seiner wissenschaftlichen Entwicklungen zu tun haben, etwa mit seinen wissenschaftlichen Erfolgen und Ehrungen. Der eigentliche Wert eines Menschenlebens, der durch äußere Ehrungen wie einen Nobelpreis gar nicht berührt zu werden braucht, lag für ihn in völlig anderen Bereichen. Und das sogar sehr entschieden und konsequent, geradezu selbstverständlich.

Es kommt nicht auf äußere Erfolge im Menschenleben an. Ein Menschenleben kann scheitern. Es kann scheitern, auch wenn ihm viele äußere Erfolge beschieden gewesen sind. Daß Werner Heisenberg Lebenentscheidungen so gewichtet hat, das mag ihn als einen besonderen Menschen kennzeichnen.

Ich muß viel Glück haben, wenn aus meinem Leben noch etwas werden soll.

Es ist dieser Satz keine eitle Selbstbespiegelung oder Phrase. Dafür wäre sich Heisenberg zu schade gewesen. Dieser Satz wurde vielmehr geschrieben als es sich abzeichnete, daß seine langjährige Liebe zur Schwester seines engsten lebenslangen Freundes, zur Schwester von Carl-Friedrich von Weizsäcker (1912-2007) (Wiki), nämlich zu Adelheid von Weizsäcker (1916–2004) nicht Erfüllung finden würde.*) Und zwar - wenn es recht zu verstehen ist - aufgrund der Entscheidung dieser Adelheid von Weizsäcker selbst, nicht aufgrund äußerer, hinderlicher Umstände.

Und auf genau dieses Geschehen scheint sich sogar eine längere Passage gleich am Anfang seiner Schrift "Ordnung der Wirklichkeit" zu beziehen, die weiter unten noch anzuführen ist (11, S. 33).

"Die Erinnerung an die wesentlichen Dinge"

Und genau diese Erfahrung scheint Heisenberg in dieser Zeit gemacht zu haben. Zwar sollten in den nachfolgenden Monaten des Jahres 1936 kurzzeitig noch einmal Hoffnungen aufflackern. Aber am Ende des Jahres klingt aus den Briefen von Heisenberg noch größere Enttäuschung heraus als sie schon Anfang des Jahres heraus geklungen hatte. Der Satz vor dem zitierten Satz vom 28. Februar 1936 lautete (1, S. 248):

Ich weiß, daß sich in diesem Sommer nun alles entscheiden muß und ich habe etwas Angst davor.

Es ist klar: Er wußte nicht, wie er selbst damit umgehen würde, ob er es schaffen würde, diese Enttäuschung zu verkraften, ob er es schaffen würde, an ihr menschlich zu wachsen oder ob diese Entscheidung menschlich ihm zu viel abverlangen würde. Diese Liebe bedeutete ihm - fast - alles. Sie strukturierte für ihn die "Ordnung der Wirklichkeit", wie er sie bis zu dieser Zeit wahrgenommen hatte (11). Wie ernst er es damit nahm, machte schon der erste Satz des Briefes deutlich (1, S. 248):

Liebe Mama! Dieser Brief wird ein sehr ernster Brief!

Und auch der Satz nach den beiden schon zitierten Sätzen läßt daran keinen Zweifel (1, S. 248):

Wenn Du in Gedanken in den nächsten Monaten bei mir bist, ohne zuviel äußerlich nach mir zu fragen, so wird mir das viel helfen.

Heisenberg wußte, daß er durch einen Sturm gehen würde, einen Sturm, der ihn im Innersten erschüttern würde. Und er wappnete sich, er suchte Rückversicherung bei seiner Mutter, aber sicherlich noch mehr in sich selbst. Er suchte sich zu fassen, um den von ihm erwarteten Sturm zu durchstehen. Adelheid von Weizsäcker war 1936 gerade erst 20 Jahre alt geworden. Bis November 1936 nun scheint sich für Heisenberg das Verhältnis zu Adelheid geklärt zu haben, wenn er es auch nicht deutlich ausspricht. Am 3. November schreibt er an seine Mutter, die ihn an seinen Geburtstag, seinen 35. Geburtstag am 5. Dezember erinnert hatte (1, S. 253):

Es ist mir nicht sehr nach feiern zu Mut und ich bin froh, wenn ich mich in der nächsten Zeit tief in meine Arbeit vergraben kann. Ich empfinde sehr stark die Wohltat, in diesem einen Bereich ganz von der übrigen Welt abgeschlossen sein zu dürfen und beneide niemand, der gezwungen ist, sich immer mit dem Spiel der Welt draußen abzugeben.

Und eine Woche später (1, S. 253):

Auch ist mir das einsame Leben nur durch die Arbeit an der Wissenschaft erträglich, aber auf die Dauer wäre es sehr schlimm, wenn ich ohne einen ganz jungen Menschen neben mir auskommen müßte. Wie sich hier mein Leben weiter gestalten wird, weiß ich natürlich nicht. Die Verbindung zur Familie Weizsäcker wird wohl ganz abgebrochen werden und dadurch wird alles völlig anders als bisher. (...) Einstweilen will ich mich der Arbeit widmen, um derentwillen ich auf die Welt gekommen zu sein scheine; und die Erinnerung an die wesentlichen Dinge soll diese Arbeit nur wie eine ferne Musik begleiten.

Es ist erahnbar, wie viel Beben diesen Worten vorausging und von wieviel Beben sie begleitet sind. In seinen Lebenserinnerungen "Der Teil und das Ganze - Gespräche im Umkreis der Atomphysik" wird Heisenberg später ja sehr genau beschreiben und kennzeichnen, wie er diesen - womöglich - tiefsten Punkt seines persönlichen Lebens erlebt hat. Daß es dabei aber um die unerfüllte Liebe zu einem Mädchen gegangen war, deutet er dort mit keinem Wort an. Das wird erst in diesen Briefen an die Eltern deutlich.


Abb. 2: Werner Heisenberg und Ehefrau Margarethe, geborene Schumacher, etwa 1946

Um alles noch etwas genauer zu verstehen und einordnen zu können, muß man acht Jahre im Leben von Werner Heisenberg zurück gehen. So lange nämlich schon war sein Leben erfüllt von einer unerfüllten Liebe zu Adelheid, nämlich seit 1928. 1928 war Heisenberg 27 Jahre alt und Adelheid war erst 12 Jahre alt. .....

Die einzelnen Stationen im Verhältnis von Heisenberg zu Adelheid und insbesondere zu ihrer ganzen Familie müssen künftig an dieser Stelle noch nachgetragen werden. Die Mutter von Adelheid, Marianne von Weizsäcker, die Heisenberg anfangs sehr freundlich in ihrem Haus in Berlin aufgenommen hatte, hat sich später, um so mehr erkennbar wurde, welche inneren Bande Heisenberg an die Familie knüpften, gegen diese Liebe gewandt. Adelheid selbst blieb diesbezüglich aber bis 1936 indifferent, so daß sich Heisenberg immer noch Hoffnungen hatte machen können.

Am 10. September 1932 hat Werner Heisenberg etwa an seine Mutter geschrieben, daß er Adelheid während seines Berlin-Besuches aus der Ferne gesehen habe (zit. n. 10, S. 917):

"Nachher bin ich den ganzen Weg nochmal allein zurückgegangen, die Straßen leuchteten noch ein wenig, wo sie vorbei gekommen war. Aber hier ist jetzt alles grau."

Was sich in diesen wenigen Worten alles andeutet. Heisenbergs Mutter schrieb Anfang 1933 an Adelheids Mutter. Diese antwortete auch ausführlich. Sie beklagte sich, daß Heisenberg immer noch nicht (zit. n. 10, S. 944)

"mehr männliche Einstellung diesen Dingen gegenüber"

zeige, das heißt, ihre Sorgen mißverstand und

"in seiner eigenen Einstellung zu unserer damals noch nicht 16jährigen Tochter nicht selbst die Folgerung zog".

Deshalb hatte sie Heisenberg Hausverbot bei ihrer Familie ausgesprochen.

Die meisten Autoren und Heisenberg-Biographen, die auf diese erste, unerfüllte Liebe im Leben von Werner Heisenberg zu sprechen kommen (wenn sie das überhaupt tun) (z. B. 9, 10), erwähnen doese nur sehr leichthin im Vorübergehen. Sie scheinen sie gerne auch nur als etwas Kindlich-einfältig-Kindisches zu erachten. Sie nehmen die Worte von Heisenberg nicht wahr und ernst, nach dem diese unerfüllte Liebe ihm viel wichtiger war als der ganze Nobelpreis.

Solche Aussagen müssen einfach voll von jenen berücksichtigt werden, die sich anmaßen, das innere Leben von Werner Heisenberg in diesen Jahren voll zu verstehen, in den Jahren übrigens der Formierung der Quantenmechanik. Als würde ein menschlich ganz unreifer Mensch fähig sein, so grundlegende Dinge in der Wissenschaft erarbeiten zu können. Das wäre doch ein gar zu arger Widerspruch in sich.

Im Januar 1937 lernte Werner Heisenberg Margarethe Schumacher kennen. Er heiratete sie nur wenige Monate später. Adelheid von Weizsäcker heiratete ebenfalls nur ein Jahr später den ostpreußischen Rittergutsbesitzer und Reserveoffizier Botho-Ernst Dietlof Graf zu Eulenburg-Wicken (1903-1944). Mit ihm lebte sie auf Gut Wicken im Kreis Friedland in Ostpreußen. Ihr ebenfalls dort lebender Schwiegervater (Wiki) war Major im Ersten Weltkrieg gewesen, er war außerdem 1918/19 ein bekannter Freikorpsoffizier gewesen und war vor 1933 führer des Frontsoldatenbundes "Der Stahlhelm" in Ostpreußen gewesen, der einen Flügel hatte, der politisch zur DNVP hin gerichtet war und einen Flügel, der politisch zur liberaleren DVP gerichtet war. Adelheid hatte dann zwei Töchter. Die ältere der beiden Töchter wurde die nachmalige Schriftstellerin Heilwig Gräfin zu Eulenburg (10. September 1939-1975) (Wiki). Seit 1944 gilt Adelheids Ehemann in Weißrußland als vermißt. Sie selbst mußte mit ihren beiden Kindern und ihren Schwiegereltern 1945 aus Ostpreußen fliehen. Eine neue Heimat fand die Familie in Lindau am Bodensee.

Verwandlungen der Wirklichkeit

Eine Deutung des Geschehens rund um seine erste, große, unerfüllte Liebe gibt Werner Heisenberg 1941/42 in dem schon genannten Manuskript. Es behandelt an verschiedenen persönlichen und geschichtlichen Beispielen, wie sich Wirklichkeit für Menschen ändern, verwandeln kann. Es wird zunächst über die Fähigkeit des Kindes gesprochen, das Wirkliche zu verwandeln, indem es sich sehr sicher im Zauberreich der Phantasie bewegt. Er gibt dann ein Beispiel aus seinem persönlichen Leben über ein Landschaftserlebnis am Übergang vom Kindsein zum Erwachsensein und schreibt dann 11, S. 33):

... Zum ersten Mal, wenn auch nur für kurze Zeit, betritt das Kind den neuen Bereich der Wirklichkeit, in dessen Allerheiligstem später die Liebe wohnt.

Und es heißt dann dann weiter (11, S. 33f):

Auch in die Jahre des tätigen Schaffens, in denen dem erwachsenen Manne neue Erfahrungen kaum mehr die Welt verändern, kann eine plötzliche und unheimliche Verwandlung der Wirklichkeit einbrechen. Zu leicht etwa verweben wir in unser Leben eine leitende Idee, einen Wunsch, der bald als der einzige Sinn dieses Lebens erscheint. An diesem Wunsch entwickeln sich alle guten Kräfte, der Glaube an seine Erfüllbarkeit erscheint als die Quelle allen Lebens schlechthin. Dann kann es geschehen, daß das Schicksal die Grundlage des Wunsches plötzlich zerstört, daß es seine Unerfüllbarkeit ein für allemal festlegt. In diesem Augenblick kann sich die Welt in der unheimlichsten Weise verändern. Menschen und Dinge, die lebendig zu uns gesprochen haben, bleiben stumm und sehen starr und unwirklich aus. Dort, wo ein sinnerfüllter Zusammenhang unser Leben enthalten hatte, waltet ein starres Gesetz, das nur nach Ursache und Wirkung und ohne Ansehen höherer Zusammenhänge entscheidet. - Frühere Zeiten sprachen davon, daß Gott einen Menschen verlassen könnte. Vielleicht gibt es in unserer Zeit viele Menschen, für die die Welt ein graues und starres Antlitz trägt.

Solchen Verwandlungen der Wirklichkeitserfahrung durch die Liebe scheint das Weltbild von Werner Heisenberg sehr grundlegend bestimmt zu haben (11). In seinem Buch "Der Teil und das Ganze" schreibt er über dieselbe Zeit, wobei er mehr die politischen Aspekte hervor hebt (14, S. 195):

Die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg sind mir, soweit ich sie in Deutschland verbracht habe, immer als eine Zeit unendlicher Einsamkeit erschienen. (...) Das Leben in dieser Welt des Mißtrauens war mir unerträglich. (...) So erinnere ich mich an einen grauen, kalten Vormittag im Januar 1937, an dem ich auf den Straßen der Leipziger Innenstadt Wirtschaftshilfezeichen zu verkaufen hatte. (...) Ich war, während ich mit der Sammelbüchse umherging, in einem Zustand völliger Verzweiflung. Nicht wegen der verlangten Geste der Unterwerfung, die mir unwichtig erschien, sondern wegen der völligen Sinn- und Hoffnungslosigkeit dessen, was ich tat und was sich um mich herum abspielte. So geriet ich in einen merkwürdigen und unheimlichen seelischen Zustand. Die Häuser an den schmalen Straßen schienen mir weit entfernt und fast unwirklich, so als seien sie schon zerstört und nur noch als Bilder übrig geblieben; die Menschen wirkten durchsichtig, ihre Körper waren gewissermaßen schon aus der materiellen Welt herausgetreten und nur ihre seelische Struktur noch erkennbar. Hinter diesen schemenhaften Gestalten und dem grauen Himmel empfand ich eine starke Helligkeit. Es fiel mir auf, daß einige Menschen mir besonders freundlich begegneten und mir ihren Beitrag mit einem Blick reichten, der mich für einen Moment aus meiner Ferne zurückholte und mich dann eng mit ihnen verband. Aber dann war ich wieder weit weg und begann zu spüren, daß diese äußerste Einsamkeit vielleicht über meine Kräfte gehen könnte.

Noch am gleichen Abend lernte er, wie er weiter schreibt, auf einem Kammermusik-Abend seine spätere Frau kennen (11, S. 196):

Eine der jungen Zuhörerinnen, die zum ersten Mal im Hause Bücking verkehrte, konnte schon bei unserem ersten Gespräch die Ferne überblicken, in die ich an diesem merkwürdigen Tag geraten war. Ich spürte, wie die Wirklichkeit mir wieder näher rückte, und der langsame Satz des Trios wurde von meiner Seite schon eine Fortsetzung des Gesprächs mit dieser Zuhörerin. Wir haben dann einige Monate später geheiratet und Elisabeth Schumacher hat in den kommenden Jahren mit großer Tapferkeit alle Schwierigkeiten und Gefahren mit mir geteilt. So war ein neuer Anfang gesetzt, und wir konnten uns darauf einrichten, das herannahende Unwetter gemeinsam zu bestehen.

Nachbemerkung, persönliche

Sich am Leben bedeutender Menschen zu orientieren, kann viel für das eigene Leben bedeuten. Was wir in dem Leben großer Menschen wahrnehmen, ist auch das, was in uns selbst lebt. Oder eben nicht. 

Im Jahr 2003 hat der Autor dieser Zeilen die hier behandelten Briefe Werner Heisenbergs an seine Eltern (bzw. später nur noch an seine Mutter) (1) das erste mal in seine Hände bekommen. Diese Briefe fielen damals bei ihm nur auf wenig fruchtbaren Boden. Er kann nicht sagen, daß er zu jener Zeit von diesen Briefen ähnlich ergriffen worden wäre wie er lange zuvor - etwa um 1990 herum (oder schon früher) - von der Lektüre der abgeklärten Lebenserinnerungen "Der Teil und das Ganze" ergriffen gewesen war. Nachdem er Heisenbergs Briefe an seine Eltern aber fünfzehn Jahre später noch einmal neu in die Hand genommen hat (um 2018), ging ihm erst auf, wie sehr man doch von der ganzen Stimmung, die diese Briefe enthalten, in Bann gezogen wird, wie man in ihnen das innere und äußere Ringen Heisenbergs nachverfolgen kann, wie deutlich wird, was ihm wichtig war im Leben und was nicht.

Nimmt der Autor dieser Zeilen nun noch einmal seinen bislang nie veröffentlichten Aufsatz-Entwurf aus dem Dezember 2003 zu diesem Buch in die Hand - immerhin 18 Din-A-4-Seiten! -, dann findet er darin in keiner Weise, daß er in diesem Aufsatz-Entwurf der Stimmung, dem Wert dieser Briefe gerecht geworden war. Es ist also doch immer die Frage: Wo steht man eigentlich selbst, welchen Wert gibt man sich selbst, wenn man über einen Gehalt urteilt, dem man - womöglich - innerlich gar nicht gewachsen ist, bzw. den man innerlich gar nicht wahrnimmt.**)

Fast dasselbe kann auch von der Lektüre der Schrift "Ordnung der Wirklichkeit" gesagt werden, die der Autor dieser Zeilen irgendwann Anfang der 1990er Jahre gekauft und gelesen haben muß. Daß in dieser so auffällig von der Rose als einem Symbol für eine andere Seite der Wirklichkeit die Rede war, das blieb vage in Erinnerung. Aber wie viel wertvollen Inhalt diese Schrift auch sonst hat - reihenweise hat - das geht ihm erst jetzt, im Januar 2021 auf.



erneut überarbeitet: 14.3.2020;
inhaltlich deutlich ergänzt und überarbeitet 
nach Lektüre von (11):
28.01.2021  /
____________________________________________

*) Zwei Fotografien von Adelheid aus dem Jahr 1929: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/69518834, https://ebookstr.e-bookshelf.de/products/reading-epub/product-id/26257/title/Vier%2BZeiten.html
**) Geradezu Seelenleere starrt ihm aus diesem 18-seitigen 2003-Manuskript an. Der innere Geist in dem damaligen Manuskript stimmte nicht. Der ganze Geist des Manuskriptes ödet den Leser an. Es ist ohne alle Ergriffenheit geschrieben und kann deshalb auch keine wecken.
____________________________________________________
  1. Heisenberg, Werner; Hirsch-Heisenberg, Anna M.: Liebe Eltern! Briefe aus kritischer Zeit 1918 bis 1945. Langen/Müller, München 2003
  2. Kleint, Christian; Wiemers, Gerald (Hrsg.): Werner Heisenberg im Spiegel seiner Leipziger Schüler und Kollegen. Leipziger Universitätsverlag, 2006
  3. Heisenberg, Werner; Heisenberg, Elisabeth; Hirsch-Heisenberg, Anna M.: Meine liebe Li! Der Briefwechsel 1937 - 1946. Residenz, 2011 
  4. Lindner, Konrad: Jugendliches Genie - Carl Friedrich von Weizsäcker als Student in Leipzig. Dezember 2016, http://www.leipzig-lese.de/index.php?article_id=835
  5. Lindner, Konrad:  Heisenbergs jüdische Meisterschüler - zur Physik in der Weimarer Republik. http://www.leipzig-lese.de/index.php?article_id=679
  6. Werner Heisenberg und Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker - München 1966, https://av.tib.eu/media/14335
  7. Rekonstruktion der Quantentheorie und Theorie der Ur-Alternativen - Carl Friedrich von Weizsäcker diskutiert seine Thesen mit Manfred Eigen und Manfred R. Schroeder, 1988, https://av.tib.eu/media/11191
  8. Rechenberg, Helmut; Wiemers, Gerhard: Werner Heisenberg 1901-1976. Forscher, Lehrer und Organisator der Wissenschaft. Eine Ausstellung zum 100. Geburtstag, 2001, https://www.archiv.uni-leipzig.de/heisenberg/intro.htm
  9. Martin Ebner: Wen schert Heisenbergs Liebeskummer? Besprechung von "Werner Heisenberg. Liebe Eltern! Briefe aus kritischer Zeit 1918 bis 1945". Neue Züricher Zeitung, 21.9.2003, https://www.nzz.ch/article9065U-1.306192.
  10. Rechenberg, Helmut: Werner Heisenberg - Die Sprache der Atome. Leben und Wirken - Eine wissenschaftliche Biographie. Band 1: Die "Fröhliche Wissenschaft" (Jugend bis Nobelpreis). Springer, Heidelberg 2010 (GB)
  11. Heisenberg, Werner: Ordnung der Wirklichkeit. Verfaßt 1941/42, aus dem Nachlaß: Piper, München 1989; 
  12. Bading, Ingo: Die schöpferischen Kräfte der Seele ... Behandelt in einem Manuskript Werner Heisenbergs aus den Jahren 1941/42, 24.01.2021, https://youtu.be/40IkqgY1BKE, Teil 2: https://youtu.be/DnftqrKyyGI, Teil 3: https://youtu.be/0SK8wxmFHY0.
  13. Heisenberg, Werner: Ordnung der Wirklichkeit. Versehen mit einem Kommentar von Ernst Peter Fischer, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 2019, https://www.springer.com/de/book/9783662595282, https://books.google.de/books?id=4gqwDwAAQBAJ.
  14. Heisenberg, Werner: Der Teil und das Ganze (1969) dtv 1988

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