Freitag, 30. September 2011

Genomforschung für alle!

Eine neue Form der Naturverbundenheit

Aus der Reihe "Meine Gene", Einleitung

Auf dem "Scilog" "Bierologie" von Bastian Greshake und Philipp Bayer wird der Start eines neuen, spannenden Internetprojekts verkündet mit Namen "OpenSNP" (s. Bierologie). Ein Projekt, das jeden einzelnen Menschen mit seinen eigenen phänotypischen Merkmalen mitten in die Genomforschung hineinstellt und ihn an ihr teilhaben läßt und ihn als wichtige Einzelpersönlichkeit in diesem Forschungsprojekt erachtet. Unser Wissen darum, wie einzigartig jeder einzelne Mensch ist und daß jeder einzelne Mensch der naturwissenschaftlichen Humanforschung und der Gesellschaft insgesamt auf vielerlei Ebenen helfen kann durch seine Beteiligung, wird ja durch die Genomforschung gerade immer und immer wieder erhärtet. Ebenso unser Wissen darum, daß auch der einzelne Mensch selbst Vorteile von einer Anteilnahme haben kann. Ich kann mein Genom sequenzieren lassen - das kostet noch ein paar Euro, es wird aber von Jahr zu Jahr günstiger - und die gewonnenen Daten hier in diesem neuen Internetprojekt hochladen. Und ich kann meine phänotypischen Merkmale angeben und diese dann mit den Merkmalen jener  vergleichen, die ähnliche Gensequenzen haben wie ich. Ich kann dies mir selbst, anderen Hobbyforschern oder sogar professionellen Forschern dort ermöglichen.

Viele Thesen von Thilo Sarrazin aus dem letzten Herbst zur biologischen Verfaßtheit des Menschen werden damit nach und nach immer besser überprüfbar, bzw. verstehbar und sie werden als immer selbstverständlicher in das eigene Wissen und das eigene, daraus abgeleitete Handeln jedes einzelnen Menschen integriert werden können. Die Gesellschaften insgesamt werden informierter über die damit zusammenhängenden, z.T. sehr schwerwiegenden bioethischen Fragen diskutieren können. Und es entsteht nach und nach eine Lage, der sich auch Politiker wie Angela Merkel nicht mehr entziehen können, zumal sie - wie jüngst eben Angela Merkel - gerne einmal neue Gensequenziergeräte - in ihrem Fall in Potsdam - einweihen.

Beschleunigung einer wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Revolution


Es ist jetzt schon absehbar, daß diese Entwicklungen, also die derzeit sich vollziehende wissenschaftliche Revolution in der Genomforschung und das Bewußtwerden derselben in der Bevölkerung sich erheblich beschleunigen wird. Und damit werden sich auch gesellschaftliche Debatten erheblich intensivieren. Was also der Bestsellerautor Thilo Sarrazin im letzten Herbst begonnen hat, nämlich über genetische Häufigkeitsunterschiede zwischen Völkern aufzuklären, wird hiermit auf ganz anderer, viel breiterer, viel tiefer ausgelegter sachlicher Ebene weitergeführt. Und jeder einzelne kann bei dieser Forschung mitmachen. Hier einige der wesentlichsten Netzverweise zu diesem neuen Projekt "Genomforschung für alle": 

Natürlich zögert man noch, auf einer solchen Seite alle seine zum Teil doch recht spezifischen und persönlichen, angeborenen Körpermerkmale, medizinischen Merkmale, Veranlagungen und Neigungen, seiner Nahrungspräferenzen (Rohmilch, Alkohol ...), psychische Merkmale und Neigungen, Verhaltensmerkmale und -neigungen (etwa Neigung zu ADHS oder Neigung zu Depression), Intelligenzmerkmale (also IQ-Test-Ergebnisse), Begabungen, Schwächen, die Art seiner Religiosität, seiner politischen Interessen, seiner polygamen oder monogamen Neigungen, die Neigungen zu altruistischem oder egoistischem Verhalten in bestimmten, exakt festgelegten ("Spiel"-)Situationen, zu Dominanzverhalten oder unterwürfigem Verhalten, zu Gewalt oder Friedfertigkeit etc. etc. etc. pp. pp. einzugeben, um diese Merkmale dann mit den Merkmalen anderer in ihrer Ähnlichkeit oder Unterschiedlichkeit vergleichen zu können - oder dies anderen ermöglichen zu können.

Ähnlicher Phänotyp kann nämlich sowohl auf ähnlichem Genotyp als auch auf unterschiedlichem Genotyp beruhen. Helle Haut etwa ist in Asien anders verschaltet als in Europa. Weshalb man Grund hat, sich die Unterschiede zwischen der hellen Haut in Asien und Europa noch einmal genauer anzuschauen. Und so wird es mit unzähligen Eigenschaften sein.  Auch der Forschungszweig der "Epidemiologie", also der Lehre von der Verbreitung von Krankheiten, den wir schon einmal in einer Buchrezension (Amazon) behandelten, wird dadurch beschleunigt.

Welche Fülle an Forschungsmöglichkeiten


Für alles Genannte und vieles mehr muß es genetische Varianten geben, die für sie (mit)verantwortlich sind. Die Zwillingsforschung hat für sie alle einen beträchtlichen Anteil von genetischer Verursachung nahelegt. Und für vieles sind ja auch schon genetische Varianten bekannt, die aber bisher zumeist nur einen geringen Teil der weltweit bekannten phänotypischen Varianz erklären können (etwa von ADHS).

/ Ergänzung 3.10.2019: Daß bislang nur auffallend "ausschnittsweise" die genetischen Varianten phänotypischen Merkmalen zugeordnet werden konnten, liegt daran, daß die meisten phänotypischen Merkmale sehr stark polygenetisch verschaltet sind, was erst seit wenigen Jahren der Forschung bekannt und bewußt geworden ist und worauf insbesondere der Genetiker Robert Plomin letztes Jahr mit einer neuen Buchveröffentlichung hingewiesen hat. Diese Erkenntnis wird - auch hier auf dem Blog - seither unter dem Schlagwort "polygenic score" behandelt. Alles, was im weiteren in diesem Blogartikel angesprochen wird, hat sich seither nicht nur auf OpenSNP deutlich weiter entwickelt, sondern es geschieht auch auf fast allen anderen Plattformen, die "Consumer genetics", Mitmach-Genetik anbeiten, also auch auf 23andme oder auf MyHeritage, um nur die beiden bekanntesten, kostengünstigsten und erfolgreichsten zu nennen. Leider hat das hervorragende isländische "Consumer-genetics"-Projekt "DeCodeMe" aufgrund von zeitweise bestehenden finanziellen Problemen eingestellt werden müssen. Erst dadurch konnten die beiden anderen Firmen eine solche marktbeherrschende Stellung erringen. /

Die Zwillingsforschung machte seit vielen Jahrzehnten darauf aufmerksam, daß die Beachtung genetischer Unterschiede wichtig ist. Aber der jeweils genaue Umfang dieser notwendigen Beachtung ist in den meisten Fällen noch nicht im Detail eruiert worden.

Mit Angaben zu meinem Phänotyp und der Veröffentlichung meines persönlichen Genoms kann ich nun mithelfen, daß die spezfischen, genetischen Ursachen all dieser Dinge in ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten besser erforscht werden können. So könnten sich auf diesem Forum bislang einander selbst ganz unbekannte Menschen treffen, die aber alle eine spezifische Eigenschaft haben. Und diese Menschen könnten dann zugleich feststellen, daß sie auch alle eine spezifische Gensequenz gemeinsam haben und auf diese Weise könnten neue Gensequenzen für phänotypische Merkmale gefunden werden, die heute noch gar nicht bekannt sind. Auch könnte sich diese Menschengruppe wieder in Untergruppen teilen, da sie feststellen, daß es zwei unterschiedliche genetische Varianten sind, die einen zwar sehr ähnlichen, aber subtil ebenfalls wieder unterschiedlichen Phänotyp hervorrufen.

Beispielsweise könnten auch Träger des gleichen Familiennamens, die oft ähnliche Y-Chromosomen aufweisen, da das kulturelle Merkmal Familienname in Europa und Nordamerika zumeist über die männliche Linie "weitervererbt" wird, sehr detailliert Ahnenforschung miteinander treiben. Ebenso natürlich Träger ähnlicher Sequenzen von mitochondrialem, also nur mütterlich vererbten Genomen.

Das dehnbare Band von Genen und Kultur


Auch kann hier der einzelne mit dazu beitragen, daß die Häufigkeitsverteilungen von Gensequenzen über die Populationen auf dieser Erde hinweg abgeglichen werden können mit ihnen zuzuordnender Häufigkeit von kulturellen oder psychischen Merkmalen. Ich kann also mithelfen, die Ausprägung der Vielfalt von Kulturen weltweit auf die jeweilige Häufigkeitsverteilung von Gensequenzen zurückzuführen. Ich kann mithelfen zu verstehen, ab wann in der Humanevolution bestimmte Gensequenzen von selektiven Mechanismen (also kulturell mit beeinflußten Mechanismen) plötzlich positiv bewertet wurden und sich begannen zu verbreiten. Das ist oft erst seit wenigen tausend, vielleicht sogar nur wenigen hundert Jahren so geschehen.

Der einzelne kann also helfen, das Zusammenspiel von Genen und Kulturen im Verlauf der Welt- und Völkergeschichte besser zu verstehen, die sogenannte auch für die menschlichen Intelligenz-Evolution so wesentliche "Gen-Kultur-Koevolution". Der einzelne kann besser verstehen als jemals, was für ein einzigartiges Genom, was für einzigartige genetisch mitbeeinflußte Merkmale aussterben, wenn er keine Kinder hat und wenn auch seine genetisch Verwandten vergleichsweise wenige Kinder haben.

Muß ich mich zu einem "gläsernen Menschen" machen dazu?


Was für eine immense Revolution. Mit welcher Fülle von Implikationen, von denen auch in diesem Beitrag bisher wohl nur die "Spitze des Eisberges" genannt ist. - Die Frage ist, wie man dabei mit der Notwendigkeit umgeht, sich dazu zu einem weitgehend "gläsernen" Menschen machen zu müssen. Wird man sich ein Pseudonym geben, um dann fröhlich mit anderen über ähnliche phänotypische Merkmale und ihnen zuzuordnende Gensequenzen diskutieren zu können? Es könnte dies naheliegend sein. Um so mehr unterschiedliche Merkmale man allerdings für dieses Pseudonym bekannt gibt, um so "individueller" wird dieses Pseudonym und möglicherweise nach und nach leichter "wiedererkennbar". Mit all diese Fragen wird man nach und nach in der praktischen Eprobung den angemessenen Umgang kennenlernen und einüben. 

In nur wenigen Jahren wird sicherlich unser persönliches Genom auf der Krankenkassenkarte oder ähnlichem gespeichert sein. Dann kann der behandelnde Arzt jederzeit nicht nur die Blutgruppe abfragen, sondern eine Fülle weiterer wichtiger Gensequenzen, was ja in der klinischen Praxis immer häufiger üblich wird derzeit. So werden depressiv Erkrankte auf bestimmte körpereigene Metabolika sequenziert, um auf diese Weise schon einschränken zu können, welche Arzneimittel gut und welche schlecht "metabolisiert" (verstoffwechselt) werden und vieles mehr auf dieser Linie.

Thilo Sarrazin in der praktischen Anwendung


Insgesamt, so wird man sagen können, stellt das persönliche Genom eine neue Verbundenheit des Menschen mit der Natur her. Eine neue Verbundenheit unseres Denkens mit unserer eigenen Natur und mit der anderer Menschen, ja, eine neue Verbundenheit mit Menschen überhaupt, zunächst einmal mit Menschen der näheren und entfernteren Verwandtschaft, aber schließlich auch mit Menschen der eigenen Herkunftsgruppe.

/ leicht inhaltlich überarbeitet: 3.10.2019 /
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