Donnerstag, 30. April 2009

Intelligenz-Evolution und Genverdopplungen

Daß schlichte absolute Gehirngröße beim Menschen nicht ausreicht, um (weitgehend angeborene) Intelligenz-Unterschiede zu erklären, ist schon länger bekannt. Und auch im Artvergleich ist Gehirngröße in Relation zur Körpergröße zwar durchaus ein grober Maßstab auch für Intelligenz-Unterschiede zwischen Arten, was schon Adolf Portmann (1897 - 1982) gründlich erforschte. Aber es muß auch hier noch mehr als bloß absolute Gehirngröße geben, was Intelligenz-Unterschiede zwischen Arten bewirkt. Auch das konnte man schon länger erahnen.

Nun ist im "Scientific American" ein spannender Bericht über neuere Forschungsergebnisse erschienen, die postulieren, daß Intelligenz-Unterschiede auch etwas zu tun haben könnten mit den Molekülen, die an den Nervensynapsen tätig sind. Und zwar beruht diese Erkenntnis - wieder einmal (wie so häufig derzeit) - auf dem Artvergleich von Genomen und abgelesener Gene bei Pilzen, Fliegen, Fischen, Mäusen und Menschen. Es wird berichtet:
A study recently published in Nature Neuroscience by Seth Grant (...) in Cambridge, along with Richard Emes (...) in North Staffordshire, both in England, suggests that all species have the same basic proteins that act in the synapses.

"If you look at us and fish, we have very different cognitive abilities," Emes says. "But we have roughly the same number of these synaptic proteins. It is the number of interactions and gene duplications of these proteins that provide the brain building blocks for higher level cognitive function.”

Genverdoppelungen bei Nervensynapsen-Genen als Hinweis


Übersetzt: "Wir und die Fische haben grob dieselben Synapsen-Proteine. Aber die Zahl der Interaktionen zwischen ihnen, sowie Verdoppelungen von Genen, die diese Proteine erzeugen" (!!!), "stellen Bausteine für höhere kognitive Leistungen dar."

Das ist zunächst eine schöne Bestätigung der Ausführungen unseres letzten Beitrages zu Genom-Verdoppelungen und ihrer evolutionären Bedeutung, sowie eine tiefergehende Auslotung der hier möglicherweise bestehenden Zusammenhänge (Stud. gen.). Im weiteren bezieht sich der Text auf Lori Marino, eine Erforscherin der konvergenten Gehirnevolution bei Primaten und Delphinen, die man schon beim Lesen des Buches von Simon Conway Morris "Life's Solution" an nicht unbedeutender Stelle hatte kennenlernen können. (Etwa Konferenzen über das Erforschen konvergenter Gehirnevolution als Erkenntnismittel.)
Emes, Grant and colleagues agree with Marino and Uhen that intelligence and differences between species are due to molecular complexity at the synaptic level. "The basic dogma says that the computational properties of the brain are based on the number of neurons and synapses," Grant says. "But we modify that by saying that the molecular complexity within those synapses is also important."

Grant and Emes looked at where approximately 150 synaptic proteins were released in the nervous systems of yeast, fruit flies and mice. They found that a variation in production and distribution patterns was linked to higher-level brain organization.

"The proteins that you find in yeast are the sort of proteins that are far more likely to be found expressed throughout the brain in uniform quantities," Grant says. "They laid a foundation to make more diverse and different regions of the brain using different combinations and expressions of other, more innovative proteins."
Also: Die Proteine, die man in Pilzen findet, sind dieselben Proteine, die man einheitlich überall im Gehirn zu ähnlichen Anteilen abgelesen findet. Sie legen die Grundlage, um vielfältigere und unterschiedlichere Gehirn-Regionen (evolutionär) auszubilden, indem unterschiedliches Kombinieren des Ablesens anderer, noch innovativerer Proteine dazu benutzt wird.
He likens these molecular proteins to implements in a toolbox that help to build specialized brain regions. He goes on to say that the different interactions, duplications or deletions of these proteins resulted over time in the evolutionary development of regions like the prefrontal cortex in humans which is involved in higher executive function like planning and goal-directed behavior.

Grant says that this finding offers scientists a new way to approach the study of brain evolution and intelligence. (...) "It's clear now that there are wonderful mental abilities in birds even with their relatively small brains, nerve cells and neural connections. But they have complex molecular synapses," says Grant.
Man darf also annehmen, daß Intelligenz a) sowohl durch absolute Vergrößerung des Gehirns (in Relation zur jeweiligen Körpergröße einer Art) als auch b) durch Genverdoppelung von Nervensynapsen-Genen und das komplexere Zusammenwirken dieser Nervensynapsen-Gene evoluiert ist. Wie das im einzelnen passiert ist und passiert in unserem Kopf, wird sicher noch künftig erforscht werden müssen. Aber all das wirft einen kleinen neuen Lichtstrahl darauf, welche Bedeutung Gen- und Genomverdoppelungen in der Evolution konkret gehabt haben können - und zwar zugleich auf dem nicht gerade unwichtigsten Gebiet der Evolution, nämlich dem der Herausbildung unseres Gehirns.
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ResearchBlogging.org1. Emes, R., Pocklington, A., Anderson, C., Bayes, A., Collins, M., Vickers, C., Croning, M., Malik, B., Choudhary, J., Armstrong, J., & Grant, S. (2008). Evolutionary expansion and anatomical specialization of synapse proteome complexity Nature Neuroscience, 11 (7), 799-806 DOI: 10.1038/nn.2135

Montag, 20. April 2009

Evoluierte der Mensch in unterschiedlichen Rassen zum Menschen?

Ende der 1970er Jahre, kurz bevor die Genetiker (vor allem Allan C. Wilson) mit ihrer "mitochondrialen Eva" und ihrem "Y-chromosomalen Adam" zu erkennen begannen, daß der "anatomisch moderne Mensch", also alle heute lebenden Menschen, ursprünglich aus Afrika stammen, ist diese so genannte "Out-of-Africa"-These von dem Hamburger Anthropologen Günter Bräuer nur schon allein aufgrund umfangreicher und sorgfältiger Untersuchungen an afrikanischen Schädelfunden und deren behutsamer, anthropologischer Beurteilung formuliert worden. Darüber berichtet Bräuer neuerlich in einer seiner jüngsten Veröffentlichungen, wobei er die damaligen Erkenntnisse in Bezug setzt zum heutigen wissenschaftlichen Kenntnis- und Diskussionsstand. (1, frei zugänglich)

Günter Bräuer (siehe Bild links) ist Schüler der Mainzer Anthropologin Ilse Schwidetzky und hatte aufgrund dessen eine solide anthropologische Ausbildung, die ihm auch erst das frühe und innovative Aufstellen der "Out-of-Africa"-These ermöglichte. (Siehe auch: idw)

Günter Bräuer formulierte als einer der ersten die "Out-of-Africa"-These

Die von Günter Bräuer erstmals aufgestellte "Out-of-Africa"-These ist inzwischen durch viele hunderte genetischer Studien bestätigt und erhärtet worden. Bräuer konnte sie aufstellen, weil er Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen afrikanischen und außerafrikanischen Schädelfunden (des späten afrikanischen Homo erectus, des frühen und späten archaischen Homo sapiens, des afrikanischen und eurasischen anatomisch modernen Homo sapiens der letzten Eiszeit, sowie des Neandertalers) miteinander verglich. Auch nachdem diese besser datiert hatten werden können als in früheren Jahrzehnten, wie er schreibt. (1)

Die Studien von Bräuer, auch die neueste (1), lesen sich immer sehr spannend. Denn es gibt wohl heute international nur wenige Anthropologen, die zu der Thematik der Menschwerdung in Afrika genauere Detailkenntnisse und ein umfangreicheres Überblickswissen aufweisen als Bräuer. Bräuer beschreibt auch in der genannten jüngsten Veröffentlichung (1) wieder sorgfältig, genau und aus Detailerkenntnis heraus die anatomischen, evolutiven Prozesse, die sich zwischen 600.000 und 60.000 Jahren vor heute in Afrika - parallel zum Entstehen und Aussterben des klassischen Neandertalers in Europa - abgespielt haben. Er beschreibt dabei den Prozess der Menschwerdung aus anatomischer Sicht als einen mosaik-artigen, fließenden Übergangsprozeß, der mehrere hunderttausend Jahre dauerte, nicht als einen abrupten Bruch. Er unterscheidet dabei insbesondere frühe archaische Homo sapiens und schon evolutiv weiterentwickelte späte archaische Homo sapiens, die dann um 200.000 Jahre vor heute den Übergang zum anatomisch modernen Jetztmenschen vollzogen.

Kein abrupter Bruch bei der Menschwerdung vor 200.000 Jahren erkennbar (aus anatomischer Sicht)

Zur innerafrikanischen, geographischen Variabilität der Schädelfunde des anatomisch moderenen Menschen hat sich Bräuer fast immer nur sehr zurückhaltend oder gar nicht geäußert. - Neben anderen Forschern ist diese Frage (siehe auch: Stud. gen. 1, 2, 3) nun eine Forschungsgruppe um den Wiener Anthropologen Gerhard W. Weber einmal auf's Neue angegangen (2). (Siehe auch idw, ORF, Pressetext, Uni Wien, G. Weber) Die Forschungsgruppe kommt zu dem Ergebnis, daß sowohl der Homo erectus als auch der Neandertaler einheitlichere anatomische Merkmale aufwiesen als schon der frühe anatomisch moderne Mensch, und daß schon der frühe Mensch in Afrika vor 200.000 Jahren eine ähnliche anatomische Variabilität (Vielfalt) aufwies, wie sie auch heute noch weltweit in den Menschenrassen wiederzufinden ist.

Das würde heißen, daß Menschsein immer schon gleichbedeutend war auch mit genetischer und anatomischer Gruppenvielfalt - und zwar als eine recht einzigartige Sache, nämlich im Gegensatz zum "Neandertaler-Sein" und auch im Gegensatz zum Sein des Homo erectus. Daß der Jetztmensch - auch schon der frühe afrikanische - größere anatomische Gruppenvielfalt aufweist als die Menschenaffen, dürfte zunächst auch einfach nur an der größeren geographischen Verbreitung schon allein innerhalb Afrikas liegen. Aber Neandertaler und Homo erectus wiesen ähnlich weite geographische Verbreitungsgebiete auf, eben ohne eine vergleichbare anatomische Gruppenvielfalt auszubilden. Vor 200.000 Jahren könnte also bei der Entstehung des Jetztmenschen und seines großen Gehirns sich auch psychisch etwas geändert haben, das in Richtung auf die Evolution unterschiedlicher Menschenrassen hinwirkte. Dafür gibt es ja auch aus vielen anderen Forschungsbereichen inzwischen viele Hinweise, die diese Erkenntnis bestätigen und bekräftigen.

Jedenfalls: Was Günter Bräuer zu solchen neuen Studien - aus seinem Kenntnisstand heraus - zu sagen hat, würde einen schon interessieren.


ResearchBlogging.org1. Bräuer, G. (2008). The origin of modern anatomy: By speciation or intraspecific evolution? Evolutionary Anthropology: Issues, News, and Reviews, 17 (1), 22-37 DOI: 10.1002/evan.20157
2.
Gunz, P., Bookstein, F., Mitteroecker, P., Stadlmayr, A., Seidler, H., & Weber, G. (2009). Early modern human diversity suggests subdivided population structure and a complex out-of-Africa scenario Proceedings of the National Academy of Sciences, 106 (15), 6094-6098 DOI: 10.1073/pnas.0808160106

Freitag, 17. April 2009

Joachim Bauer hat recht: Genomverdoppelungen und Evolution

Zwei neue Forschungs-Studien zum Thema erschienen

Die Erkenntnis, daß die Genome fast aller Organismen, auch ein so vergleichsweise kleines Genom wie das des Ackerkrautes Arabidopsis, in der evolutionären Vergangenheit diverse Genom-Verdopplungsereignisse hinter sich haben - eine Erkenntnis, die sich erst in den letzten zehn Jahren unter Genetikern und Evolutionsforschern allgemeiner ausgebreitet hat - wirft zahlreiche spannende und neue, fruchtbare Forschungsfelder auf. Sie ist erstmals übrigens in ihrer grundlegenden evolutionären Bedeutung formuliert worden von dem japanischen Genetiker Susumo Ohno 1970 (1).

Joachim Bauer's Buch "Das kooperative Gen - Abschied vom Darwinismus" hat diese Erkenntnis übrigens als erster in einem deutschsprachigen populärwissenschaftlichen Sachbuch breiter zur Diskussion gestellt. (2) Dabei hat Joachim Bauer auch deutlich gemacht, daß diese Erkenntnis einen Abschied vom traditionellen "darwinischen" Denken - Evolution vor allem als Wechselspiel von Punktmutation und Selektion - bedeutet oder doch zumindest bedeuten könnte (s. St.gen. 1, auch: 2; s. auch Diskussion auf: Alles was lebt.)

Neue Untersuchung zur Lebenswichtigkeit verdoppelter Gene

Aber was geschieht in Organismen, deren Genome plötzlich verdoppelt sind? Wie gehen sie - bildlich gesprochen - damit um?

Abb.: Aoife Mc Lysaght
Bei Pilzen und Würmern ist die Lebenswichtigkeit ("essentiality") verdoppelter Gene nach Studien aus den Jahren 2003 und 2004 geringer als die von Genen, die bei ihnen nur in einfacher, unverdoppelter Version vorliegen (als sogenannte "singletons"). Bei Mäusen jedoch ist nach zwei Studien aus dem Jahr 2007 die Lebenswichtigkeit verdoppelter Gene gleich groß wie die von Genen, die in einfacher, unverdoppelter Form vorliegen. (3) Das würde heißen, daß die Bedeutung der Genverdoppelung bei den Säugetieren größer ist als bei einfacheren Organismen. Diese Studien beruhen auf sogenannten Knock-Out-Experimenten, das heißt, man schneidet bestimmte Gene aus Organismen heraus und sieht dann, wie tödlich das Fehlen dieser Gene für den Organismus ist.

Eine neue Studie einer Dubliner Forschungsgruppe um Aoife Mc Lysaght (siehe Bild rechts), die am 13. März veröffentlicht wurde (3), hat die Lebenswichtigkeit verdoppelter Gene bei Fliegen (Drosophila) und Mäusen noch einmal genauer unter die Lupe genommen und dabei insbesondere nach den unterschiedlichen "Gen-Ontologien" gefragt, also danach, für welche zu steuernden Funktions-Bereiche im Organismus die Lebenswichtigkeit von verdoppelten Genen besonders hoch ist. Es waren nun insbesondere Gene, die die frühe Entwicklung von Vielzellern steuern, die also die vielzellige Entwicklung von Organismen und ihre Zelldifferenzierung steuern, deren verdoppelte Versionen besonders lebenswichtig zu sein scheinen. Genverdoppelung war also bei Mäusen und Fliegen vermutlich vor allem deshalb vorteilhaft, weil dadurch (frühe) Zelldifferenzierungs-Prozesse weiterevoluiert werden konnten, sowie Gene, die die Entwicklung als vielzelliger Organismus an sich und insgesamt steuern.

Verdoppelte Gene haben nicht nur eine "Backup"-Rolle

Stattdessen wurde durch diese Untersuchung die zuvor in Wissenschaftskreisen gehegte Vermutung, verdoppelte Gene würden vor allem eine "Backup"-Rolle spielen, also der Absicherung dienen, falls die ursprüngliche Gen-Version in gegebenen Fällen für das Überleben nicht ausreichen sollte, zumindest für Fliegen und Mäuse widerlegt. Die Bedeutung verdoppelter Gene geht offenbar deutlich über eine solche bloße Absicherungs-Funktion hinaus. Was ja eigentlich auch zu erwarten war nach den reichen Forschungsergebnissen der letzten zehn Jahre, die eben unter anderem von Joachim Bauer referiert worden waren (2). Aber es ist wichtig, daß man dafür nun auch konkrete Hinweise in den Daten vorliegen hat.

Geringer war nach der genannten Dubliner Studie (3) die Lebenswichtigkeit verdoppelter Gene, die basale zellphysiologische Mechanismen steuern wie Zellkommunikation, Membran-Zusammenhalt, biosynthetische Prozesse, Zellbewegung, Zelltod und anderes mehr (siehe Supplement der Studie). Die diesbezüglich verdoppelten Gene konnten offenbar häufiger ausgeschnitten werden, ohne daß sich dies als tödlich für den betreffenden Organismus erwies, da offenbar die ursprüngliche, nicht verdoppelte Gen-Version für die Aufrechterhaltung der Funktionalität ausreichte. Für diese Funktionsbereiche dürfte das "Backup"-Argument also noch eher seine Gültigkeit behalten - ebenso wie überhaupt für Pilze und Würmer (siehe oben).

Obwohl im gesamten Genom-Bestand nur 11 % der Gene als Entwicklungs- (bzw. Zelldifferenzierungs-Gene) klassifziert werden, bildeten sie 37 % unter jenen über 5.000 untersuchten Knock-out-Genen, deren Fehlen im Genom sich als tödlich für die Organismen erweist.

Diese Forschungsergebnisse können also deutlich machen, daß Gen- und Genomverdoppelungen in der Tat insbesondere in der Evolution komplexen Lebens in höher entwickelten vielzelligen Organismen von keineswegs zu unterschätzender Bedeutung sind. Es ist wohl durchaus berechtigt zu fragen, wie man all diese Erkenntnisse noch weiterhin in das Prokrustesbett der bisherigen neodarwinischen Theorie, bzw. der sogenannten "Synthetischen Theorie" bringen will. (Wiki.) Zumindest in der Schwerpunkt-Legung dessen, was für die grundlegenden Mechanismen der Evolution überhaupt als wichtig angesehen wird, könnten sich in den nächsten Jahren noch ganz erhebliche Verschiebungen ergeben. Daß der sogenannte "Gen-Egoismus" dabei seine Bedeutung gänzlich verliert, wie Joachim Bauer vermutet, ist allerdings auch nicht zu erwarten.

Gesamt-Genom-Verdoppelungen günstiger als Gen-Verdoppelungen in kleinerem Umfang?

In ihren "abschließenden Bemerkungen" schreiben die Dubliner Forscher (3) nun, daß viele Gene, insbesondere auch Entwicklungsgene in ihrer Ablesesteuerung in einem komplexen Zusammenhang mit anderen Genen stehen ("they are dosage-balanced"). Und sie schreiben dann weiter, daß es sein könnte, daß eine ganze Genom-Verdoppelung diese komplexen Zusammenhänge weniger durcheinander bringt, als Gen-Verdoppelungen in kleinerem Rahmen:

Whole genome duplication (WGD) duplicates all genes simultaneously and therefore does not perturb relative dosages. Whereas small-scale duplication(SSD) of dosage-balanced genes is likely to be deleterious, WGD should be neutral. Furthermore, subsequent loss of dosage-balanced genes after WGD will be deleterious unless contemporaneous loss is somehow achieved. Therefore, the only opportunity to duplicate dosage-balanced genes might be when WGD occurs.

Sie vermuten also: Die einzige Möglichkeit, um in komplexen Genablese-Abhängigkeiten stehende Gene zu duplizieren, ohne daß sich dies tödlich auf den Gesamtorganismus auswirkt, ist die gesamte Genom-Verdoppelung. Was bleibt da wohl noch von dem alten Schema der Punktmutation und Selektion übrig? Letzteres wird wohl höchstens mikroevolutionäre Ereignisse theoretisch richtig fassen können. Höchstens.

Erdweite Massenaussterbe-Ereignisse und Genom-Verdoppelungen

Nun ist nämlich weiterhin wichtig, daß sich immer mehr Anzeichen dafür anhäufen, Anzeichen, die auch von Joachim Bauer breit erörtert werden, daß solche Genom-Verdoppelungs-Ereignisse zeitlich mit erdweiten Massen-Aussterbe-Ereignissen zusammen zu fallen scheinen, wahrscheinlich ausgelöst von Asteroiden-Einschlägen. (4 - 6) Unter eklatanten, erdweiten Streß-Situationen für Organismen scheint es also für das Überleben von Pflanzen- und Tierarten vorteilhaft zu sein, ein verdoppeltes Genom zu haben.

Der Evolutionsbiologe Axel Meyer hat es sich in einer seiner jüngsten Handelsblatt-Kolumnen (Quantensprung, 26.3.09) da noch relativ einfach gemacht, wenn er über eine neue PNAS-Studie (4) schrieb:

Möglicherweise wurde also die Wahrscheinlichkeit, bei der Katastrophe auszusterben, durch eine zufällige Genomverdopplung verringert ...

und wenn er dann in eigenem Raisonement weiter betonte:

... Vorausplanen konnten die Pflanzen dies natürlich nicht; sie hatten einfach nur Glück, daß sich ihr Genom gerade zu dem Zeitpunkt verdoppelt hatte, als der Asteroid vom Himmel fiel.

Nun, das ist wohl etwas zu schlicht ausgedrückt. Von Vorausplanung kann in der Evolution sowieso schlecht die Rede sein (zumindest nach heutigem Kenntnisstand und wenn wir einmal von Simon Conway Morris nicht einfach zu interpretierender These zu konvergenter Evolution absehen). Aber wissen wir denn, genau wann die Verdoppelungs-Ereignisse stattfanden? Die neue PNAS-Studie vom 7. April, auf die sich auch Meyer bezieht, datiert eines der jüngsten Genom-Verdoppelungs-Ereignisse vieler Arten von Blütenpflanzen (Angiospermen) auf grob den gleichen Zeitpunkt, an dem die Dinosaurier ausstarben, also vor 65 Millionen Jahren. Aber diese Studie argumentiert doch erheblich differenzierter als Meyer. Zunächst einmal verdeutlicht sie, daß es nach dem damaligen Asteroiden-Einschlag einen massiven Rückgang in der photosythese-betreibenden Pflanzendecke auf der Erde und gleichzeitig eine starke Zunahme des Pilzbewuchses gab. Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende lang konnte - zum Beispiel - als Folge des Einschlages kaum noch Sonnenlicht die Atmosphäre bis zur Erdoberfläche durchdringen.

Da ist es sehr wahrscheinlich, daß viele Pflanzen- und Tierarten ausstarben. Waren es nun gerade die, die zum Zeitpunkt des Asteroiden-Einschlages - "zufällig" - eine Genom-Verdopplung erfuhren, die überlebten? Diese These mutet doch zunächst recht willkürlich und "aus der Hüfte geschossen" an, wenn schon nicht angenommen werden soll, daß sie möglicherweise sogar ideologie-geleitet ist. (Axel Meyer hatte bekanntlich das Buch von Joachim Bauer in einer "Laborjournal"-Rezension in einer Weise wissenschaftlich herabgesetzt, wie das recht häufig besonders dann üblich ist, wenn Beurteilungen primär ideologie-geleitet sind.) Immerhin reden wir hier von Pflanzen von zum Teil sehr unterschiedlichen Artengruppen, die alle ungefähr zum gleichen Zeitpunkt eine Genom-Verdoppelung erfuhren: reiner "Zufall"?

Viel eher ist es doch wahrscheinlich, daß sich diese Genom-Verdoppelungen in einem längeren, derzeit noch nicht genau genug bestimmbaren Zeitraum nach dem Asteroiden-Einschlag ereigneten. Auch die genannte neue PNAS-Studie kann diese Verdoppelungen nur auf grob 10 Millionen Jahre nach dem Asteroideneinschlag, also zwischen 65 und 55 Millionen Jahre vor heute datieren. Und da wird es dann fast gleichgültig, ob diese Genom-Verdoppelungen nun "zufällige" Mutationen waren oder ob sie nicht auch Streß-induziert gewesen sein könnten (wie Bauer vermutet). Beides würde nicht in das alte theoretische Schema hineinpassen.

Genom-Verdoppelungen und Artbildung

In der PNAS-Studie zu den Angiospermen heißt es nun allgemeiner über die evolutive Bedeutung von Gen-Verdopplungen, daß sie abgeänderte und neue Genablese-Zusammenhänge ermöglichen und - damit - Artbildung (!):

There is ample evidence that gene duplication fuels long-term diversification and evolutionary success through the evolution of novel gene functions, but the short-term advantages of polyploidy are less known. Several studies have suggested that polyploid plants can have increased tolerance to a wider range of environmental conditions compared with their diploid relatives. Altered levels of gene expression in polyploids are probably an important factor. Immediate changes in gene expression can result from increased heterozygosity and dosage balance effects after genome duplication. In addition, it has been shown that polyploidization can lead to rapid epigenetic repatterning and concomitant changes in gene expression, such as tissue-specific differential expression of gene duplicates.

Und gar nicht so dumm schreiben die Forscher um Yves Van de Peer (Gent/Belgien) dann weiter:

By partitioning ancestral expression patterns in response to environmental stresses, duplicated genes can become subfunctionalized and thus undergo separate processes of genetic evolution.

Eine spannende, weiterführende These. Den für diese These zitierten Artikel von 1999 wird man sich noch einmal genauer anschauen müssen. (7, frei verfügbar im Netz)

In jedem Fall ist es anregend und nicht dumm, wenn man im Nachdenken über die evolutionäre Bedeutung von Genom-Verdoppelungen während wiederkehrender, erdweiter Massenaussterbe-Ereignisse auch die schon älteren Forschungsergebnisse der Nobelpreisträgerin Barbara McClintock (1902-1992, s. Bild links) (Nobelpr. 1983) als Ausgangspunkt wählt, wie das ebenfalls Joachim Bauer getan hat. Durch radioaktive Bestrahlung bei Mais hat sie als erste herausbekommen, daß Streß massive genetische Umgruppierungen in Genomen von Organismen auslösen kann (siehe Transpositionselemente, Transposonen, --> Wiki).

Ergänzung 13.3.2019

In einer Buchbesprechung in "Science" heißt es aktuell (9):

Behe is skeptical that gene duplication followed by random mutation and selection can contribute  to  evolutionary  innovation.  Yet  there is overwhelming evidence that this un-derlies trichromatic vision in primates (8), olfaction  in  mammals  (9),  and  developmental  innovations in all metazoans through the di-versification of HOX genes (10).
(....)
8. K. S. Dulai, M. von Dornum, J. D. Mollon, D. M. Hunt, Genome Res.9 629 (1999).
9. J. Zhang, Trends Ecol. Evol.18, 292 (2003).
10.  A. Amores et al., Science282, 1711 (1998) 


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Literatur:
  1. Ohno, Susumo: Evolution by Gene Duplication. Springer-Verlag, New York 1971
  2. Bauer, Joachim: Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus. Hoffmann & Campe-Verlag, Hamburg 2008
  3. Makino, T., Hokamp, K., & McLysaght, A. (2009). The complex relationship of gene duplication and essentiality Trends in Genetics, 25 (4), 152-155 DOI: 10.1016/j.tig.2009.03.001
  4. Fawcett, J., Maere, S., & Van de Peer, Y. (2009). From the Cover: Plants with double genomes might have had a better chance to survive the Cretaceous-Tertiary extinction event Proceedings of the National Academy of Sciences, 106 (14), 5737-5742 DOI: 10.1073/pnas.0900906106
  5. Adrian L. Melott (2008). Long-Term Cycles in the History of Life: Periodic Biodiversity in the Paleobiology Database PLoS ONE, 3 (12) DOI: 10.1371/journal.pone.0004044
  6. Guohui Ding, Jiuhong Kang, Qi Liu, Tieliu Shi, Gang Pei, Yixue Li (2006). Insights into the Coupling of Duplication Events and Macroevolution from an Age Profile of Animal Transmembrane Gene Families PLoS Computational Biology, 2 (8) DOI: 10.1371/journal.pcbi.0020102
  7. Allan Force, Michael Lynch, F. Bryan Pickett, Angel Amores,, & Yi-lin Yan, John Postlethwait (1999). Preservation of Duplicate Genes by Complementary, Degenerative Mutations Genetics , 151 (April), 1531-1545
  8. B McClintock (1984). The significance of responses of the genome to challenge Science, 226 (4676), 792-801 DOI: 10.1126/science.15739260 
  9. The end of evolution? By Nathan H. Lents, S. Joshua Swamidass, Richard E. Lenski. Besprechung von "Darwin Devolves" von Michael J. Behe (HarperOne, 2019, 352 pp). In: Science, 08 Feb 2019: Vol. 363, Issue 6427, pp. 590 DOI: 10.1126/science.aaw4056, http://science.sciencemag.org/content/363/6427/590.


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Da die vormalige Kommentarfunktion auf diesem Blog irgendwann eingestellt wurde, ohne daß die bisherigen Kommentare automatisch übernommen worden wären, ist die Diskussionen in den Kommentaren zu diesem Beitrag im Beitrag selbst abgespeichert worden, auch gleich chronologisch von oben nach unten neu gruppiert:
 
Emanuel Heitlinger 
Hi Ingo, 
Ich werde nochmal einen längeren Kommentar schreiben der deinem Artikel besser gerecht wird. 

Es gibt kein Prokrustesbett der bisherigen neodarwinischen Theorie.(Für alle mit etwas eingerosteten Kenntnissen der griechischen Mythologie: Das würde heißen, dass Sachverhalte in ein Schema gezwängt werden, ob es passt oder nicht). 

Beispielsweise hat Matatoshi Nei hat sehr elegante Birth-Death Modelle entwickelt, nach denen Multigenfamilien (verdoppelte Gene) evolvieren. 

Alles was in den von dir zitierten Papern steht passt perfekt in die heutige Evolutionstheorie (vom 17.04.2009). 

Ist es wirklich notwendig das von jedem gestandenen Evolutionsbiologen verrissene Buch eines "Amateurs" zu lesen um /.... hier ist scheinbar schon etwas von den Kommentaren verloren gegangen/
22.04.2009, 13:20:09
 
Emanuel Heitlinger 
...eine Zusammenfassung dieser Paper auf deutsch zu erhalten.
22.04.2009, 13:21:44
 
Ingo B. 
Matasoshi Nei? 

Schau ich mir gerne an. 

Hast Du genauere Literaturangaben? 

Es geht weiter im Punktmutation-Selektion-Schema, wenn das Genom mit einem Schlag verdoppelt ist??? - ??? 

- Aber schön, daß du tapfer dagegen hältst. Joachim Bauer ist viel weniger Amateuer auf dem Gebiet als ich (z.B.). Er hat ja selbst in der Immunforschung als Zellphysiologe geforscht. Das ist schon eine ziemlich merkwürdge Haltung zu sagen, er wäre Amateur, nur weil er breiter ausgebildet ist, als die meisten Evolutionsbiologen (nämlich auch als Psychotherapeut). Sein akademischer Lehrer war ein führender deutscher Forscher in der Alternsforschung. Als würde Bauer keine Paper lesen und nicht selbständig denken können.
22.04.2009, 14:03:28
 

derele 
zb. 
http://www.pnas.org/content/94/15/7799.abstract 

und die paper die dieses zitieren, für sehr viele Beispiele von anderen Genfamilien... 

sorry: Masatoshi Nei!
22.04.2009, 15:46:55
 
Ingo B. 
Hallo Emmanuel, 

danke, spannend, diese birth-death-Studie, schaue sie mir gleich noch genauer an. Aber sie scheint genau DEN Gedanken zu verfolgen, der mir auch gerade durch den Kopf ging, der aber vielleicht schon durch gegenwärtige Forschungen eher wieder überholt ist (?): 

WENN die Evolution besonders stark nach dem Punktmutation-Selektion-Schema hätte arbeiten WOLLEN ("wollen"), dann wäre es doch naheliegend, daß man im Genom vor allem EINZEL-Gen-Verdoppelungen findet. Die ähneln doch noch am ehesten Punktmutationen (- falls einem eine solche Ähnlichkeit wirklich wichtig sein sollte: Punktmutationen wären es dennoch nicht ...). 

Aber: genau die scheinen doch gar nicht so wesentlich gewesen zu sein bei der Genom-Evolution. Und die von mir behandelte irische Studie macht sich ja auch Gedanken darüber, warum whole genome-Verdoppelungen wahrscheinlich viel vorteilhafter (und zugleich: lebenswichtig) für Organismen waren (und zwar nicht nur als backup-Funktion): weil nämlich dadurch viel weniger durcheinander geriet bei "dosage balanced genes". Scheint mir zunächst plausibel, dieser Gedanke. 

Aber um so mehr man darüber nachdenkt, um so mehr bekommt man Achtung vor Artbildungs-Prozessen und davor, wie WENIG wir eigentlich bislang noch - möglicherweise - über sie wissen. 

Was die Artaufspaltung der Buntbarsche auf der Ebene des Genoms wirklich bewirkte, WISSEN wir nicht. Ebenso die zwischen Mensch und Schimpanse (siehe spannende neue Svaante Pääbo-Studie dazu über Neotenie, die ich auch noch behandeln will). Sie erforscht ganze Kaskaden-Änderungen in den Genablese-Häufigkeiten im Stirnhirn bei Mensch und Schimpanse. Aber wodurch werden sie bewirkt??? ....
22.04.2009, 16:35:24
 
Ingo B. 
Ich verstehe noch nicht so ganz, worauf das Argument mit dem Paper von Matsatoshi Nei hinaus soll. 

(Das Paper wird übrigens seit 2006 nicht mehr zitiert, so weit ich das überblicke, repräsentiert also vielleicht doch eher einen Forschungsstand, der zehn Jahre alt ist, als einen gegenwärtigen [?].) 

Von "whole genome duplication" ist ja da nirgends die Rede, nur von Verdoppelungen in Genfamilien und dann einem partiellen und artspezifischen Funktionsverlust verdoppelter Gene. - Übrigens können inaktive Gene wohl auch später im Stammbaum wieder aktiviert werden, was auch ein spannendes Thema ist, was ebenfalls niemand der großen Theoretiker der Synthetischen Theorie vorausgeahnt hat und auch nur vorauswissen konnte. 

Und wir sollten doch mal festhalten: Auch eine einzelne Genverdoppelung oder die Verdoppelung einer Genfamilie ist keine Punktmutation, sondern etwas gänzlich anderes, in der Synthetischen Theorie gar nicht Vorgesehenes.
22.04.2009, 17:06:50
 

Emanuel Heitlinger 
Was ich mit dem Hinweis auf Nei sagen wollte ist folgendes: Genduplikation oder eben auch die Verdopplung ganzer Genome sind Teil der aktuellen Evolutionstheorie, nichts Neues für Theoretiker. 

Noch ein Beispiel nach ganz kurzer Suche: 
http://mbe.oxfordjournals.org/cgi/content/abstract/18/4/453 
...hardcore, aber das bezieht sich auch nur auf einzelne Gene 

wie wärs mit: 
http://www.liebertonline.com/doi/abs/10.1089/106652703322539024 
...uhh noch härter, ich behaupte nicht, dass ich das verstehe! 

Die moderne Synthese stellt keinen von der Weiterentwicklung losgelösten Teil der Evolutionstheorie dar. 
Überraschend ist dabei dann eher wie viele Dinge sich noch heute mit den damals entwickelten Modellen darstellen lassen. Dass man mit mathematischen Modellen nicht ALLE molekularen Grundlagen vorhersagen konnte ist nicht weiter überraschend. Siehst du dir aber die neueren Modelle genauer an wirst du sehr oft deren Grundlagen eben bei Fisher, Haldane und Wright finden... 

Einzelbasenunterschiede sind sicher sehr wichtig, niemand hat aber behauptet, das es nicht auch andere Mutationen gäbe. 
Wenn sich dein Genom oder ein einzelnes Gen verdoppelt hat und du beispielsweise Dosisausgleich (dosage comensation) machen *willst* wird das am ehesten durch SNPs in -cis passieren...
22.04.2009, 20:39:47
 

Ingo B. 
Darum geht es eben: 

Fischer, Haldane und Wright in allen Ehren - sie verlieren nichts von ihrer Aktualität, zumal auf mikroevolutionärer Ebene. Aber was Whole Genome-Verdoppelungen betrifft, sehe ich nicht ,wie man die auch nur irgendwie in Bezug setzen könnte zu dem Denken dieser großen Vordenker von früher. 

Das meine ich ja eben. Über die von diesen Leuten vorgegebenen Denk-Bahnen muß man heute WEIT hinausgehen, wenn man verstehen will, wie Artbildung eigentlich wirklich funktioniert.
23.04.2009, 12:16:20
 
Ingo B. 
Ich weiß noch nicht einmal, ob Fischer, Haldane und Wright JEMALS über die Evolution von Genomen nachgedacht haben, darüber, daß Genome bei komplexeren und intelligenten Lebewesen größer werden müssen. - Haben sie das? 

Ich bezweifle das, aber z.B. Sewall Wright's Lebenswerk umfaßt viele Bände, in denen er das auch behandelt haben könnte. Aber gingen sie nicht wie selbstverständlich von weitgehend konstanten Genom-Größen aus? 

Wenn nicht, können sie aber doch auf der Linie ihres Denkens eigentlich immer nur von ganz kleinen graduellen Veränderungen in der Genom-Größe ausgegangen sein - wie sollten sie auch anderes tun bei dem Wissensstand ihrer Zeit? 

Natürlich ist vor allem in der Botanik Polyploidie schon seit vielen Jahrzehnten ein Thema. Aber hätte man diese jemals als grundlegend für evolutionäre Veränderungen angesehen - VOR Susumo Ohno? Ich denke doch: eher nicht. (Soweit ich mich an meine Straßburger-Lektüren erinnere, jedenfalls keineswegs.) 

Es ist merkwürdig, wie wenig viele Fachbiologen sich selbst und anderen die grundlegenden Veränderung in der Biologie der letzten Jahrzehnte klar machen - noch heute. Aber erst indem man sich das klar macht, kann man sich den eigentlichen Herausforderungen in der heutigen Biologie wirklich stellen, will mir scheinen. Und wird man nicht zum Fachidioten. 

Von den Soziobiologen weiß ich es sicher, daß sie noch viel Zeit zu brauchen scheinen, bevor sie z.B. jüngstselektierte Gene in ihre Denkschemata hineinbauen. Dazu muß man die Fähigkeit zu selbständigem, innovativem Denken haben. Das haben die wenigsten. William D. Hamilton hatte es, Edward O. Wilson hat es zum Teil. Vielleicht noch Robert Trivers und Leute seines Schlages. 

Habe aber wirklich noch von niemandem unter ihnen gehört, daß sie an dem Thema arbeiten würden. Dabei ist das Thema GRUNDLEGEND für alle soziobiologische Theoriebildung. Ein Mißstand erster Güte.
23.04.2009, 13:48:07
 

Geoman 
Emanuel Heitlinger schrieb: 

"Ist es wirklich notwendig das von jedem gestandenen Evolutionsbiologen verrissene Buch eines "Amateurs" [Joachim Bauer] zu lesen um...." 

Gerade die Tatsache, dass sich Evolutionsbiologen heute wie die Rohrspatzen oder Pfaffen beschimpfen und sich auf die übelste und ehrverletzenste Art gegenseitig die Kompetenz absprechen, ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass die Evolutionsbiologie derzeit keine normalparadigmatisierte Wissenschaft mehr ist, sondern in Spaltgruppen zerfallen ist, die unterschiedlichen Theorien anhängen. 

Der Molekularbiologe James A. Shapiro kommentierte in "Bild der Wissenschaft" das Beharren vieler Evolutionsbiologen auf einer eher konventionellen Evolutionstheorie wie folgt: 

"Es hat etwas Schizophrenes. - Aber kaum einer sagt es öffentlich. Es ist praktisch ein Tabu." 

Und zu behaupten, in der Evolutionsbiologie sei derzeit bis auf die Pamphlete einiger "Amateure" alles in bester Ordnung scheint mir eine der Ausdrucksformen dieser Schizophrenie zu sein.
24.04.2009, 18:03:12
 
 
Emanuel Heitlinger 
Ihr weißt nur auf eigene Verständniss​chwierigkeiten oder auf sehr aktive Forschungsfelder hin und behauptet da würde IRGENDWAS nicht passen. 

So funktioniert Wissenschaft nicht! Wer denkt auf ein Problem gestoßen zu sein, sollte Fälle darstellen, die dem jetzigen Status der Theorie widersprechen und dann nach neuen Modellen dafür suchen. 

Ingo versucht wenigstens die Darstellung von scheinbaren Problemen, bei Geoman hört das Verständnis schon viel früher auf. 

@Ingo: Ich behaupte nicht, dass in der modernen Synthese schon zu Genomverdoplungen gearbeitet wurde, aber die dort entwickelten Methoden (also mathematisch vereinfachte, idealisierte Populationen etc.) werden heute noch als Grundlage sehr komplexerer Modelle benutzt. 
Das bedeutet dann noch lange nicht, dass heutige Fragestellungen in ein veraltetes Konzept gezwängt werden!
25.04.2009, 07:37:32
 


Ingo B. 
Vielen Dank für den Hinweis auf Shapiro. Der spielt ja in den Forschungen zu Genom-Verdoppelungen auch eine große Rolle, wie man den diesbezüglichen Literatur-Verzeichnissen entnehmen kann. 

Ich glaube, ich muß noch mal über die neue Arbeit von Svaante Pääbo schreiben. Sie vermittelt einem so ein bischen ein Gefühl dafür, WAS sich alles verändern muß, wenn sich eine neue Art bildet. Vielleicht ist das der richtige Ansatz, um an die Dinge heranzukommen. 

Artbildung, so wird man wohl sagen dürfen, ist eine "Ganzkörper-Reaktion", kann nichts anderes sein. Artbildung einfach nur mit ein paar schrittweisen Punktmutationen erklären zu wollen, das KANN es nicht sein. 

In dieser FÜLLE von abgelesenen Genen und Genprodukten jene Signale herauszufiltern, die zu neuen Arten führen, bzw. zu Artunterschieden, und herauszubekommen, wie es zu diesen neuen Signalen gekommen ist, darüber scheint doch insgesamt noch ein großer Schleier des Unwissens zu liegen. 

Ich glaube, es ist immer schön, bei jemanden ein bischen eine Ahnung von diesem Unwissen herauszuhören. Und daß man das oft nicht heraushören kann, das ist es, was man vermissen darf bei manchen Äußerungen heutiger Evolutionsbiologen.
26.04.2009, 21:52:46
 
 
Geoman 
Emanuel Heitlinger schrieb: 

"Ingo versucht wenigstens die Darstellung von scheinbaren Problemen, bei Geoman hört das Verständnis schon viel früher auf." 

Was die angeblich "synthetische" Einheit der Evolutionsbiologie angeht, hört mein Verständnis in der Tat sehr früh auf. Und damit stehe ich nicht alleine, den es gibt große Vorbilder bei den hauptamtlichen Evolutionsbiologen. 

Ich erlaube mir nur zu zitieren, was ein großer Evolutionstheoretiker über einen anderen großen (und leider schon verstorbenen) Evolutionstheoretiker gesagt hat, um zu zeigen, dass in der Evolutionsbiologie seit einigen Jahren etwas grundsätzlich nicht in Ordnung ist. 

So äussert sich Richard Dawkins über Stephen Jay Goulds vom 'neodarwinistischen Standardmodell' abweichende Auffassungen zu den Ursachen und dem Ablauf der "kambrischen Explosion", also einer zentralen evolutionsbiologischen Frage wie folgt: 

"Nimmt man Goulds Rhetorik unter praktischen Gesichtspunkten beim Wort erweist sie sich als schlechte poetische Naturwissenschaft in Reinkultur." 

"Mein Selbstsicherheit, mit der ich solche Ideen [wie Goulds Sprungmutationen, sicherlich inklusive der hier diskutierten Genomverdoppelungen] lächerlich mache, ..." 

"Ich glaube sie [andere Evolutionsbiologen] haben sich einfach an Goulds Rhetorik berauscht und nicht gründlich nachgedacht." 

"Der [zuvor zitierte] Abschnitt stammt aus einer Rezension [...], die eine verheerende und hoffentlich abschließende Kritik an Goulds Einfluss auf das Wissen über Evolutionsbiologie enthält." 

zitiert aus: Richard Dawkins (2000: Der entzauberte Regenbogen 

Dawkins Ziel ist es, seine Leser davon zu überzeugen, dass es gute naturwissenschaftliche (nämlich seine) und schlechte naturwissenschaftliche Poesie (nämlich Goulds) gibt. Tatsächlich zeigt sein Pfaffengezänk, dass die Evolutionsbiologie derzeit keine normalparadigmatisierte Wissenschaft ist, sondern dass sie in Glaubensrichtungen zerfallen ist, die sich gegenseitig bekämpfen und wie die Pfaffen beschimpfen.
29.04.2009, 20:08:23
 
 
Ingo B. 
Herr Menting, 

Ihre letzten Äußerungen sind sehr allgemein. Ich finde sie sehr interessant. Aber Emanuel hat natürlich recht, wenn er sagt, daß das insgesamt nicht sehr konkret ist, zumal das Thema hier Genomverdoppelung ist. Dazu hat meines Wissens weder Dawkins bisher etwas gesagt, Gould kann es nicht mehr. 

Ich habe auch auf Ihrer Seite, deren Beitrag über die Buntbarsch-Forschung wohl sehr schätzenswert ist, nichts über Genom-Verdoppelung, Joachim Bauer oder aber auch über Simon Conway Morris gefunden. Ein Studium dieser Themen und Autoren dürfte sich sehr lohnen, wenn man das Gefühl hat, daß der neodarwinische Mainstream (wie die Lemminge?) in die falsche Richtung läuft. 

Dawkins hat übrigens in seinem neuesten Buch "Ancestor's Tale" ("Geschichte des Lebens"), über das viel zu wenig gesprochen wird, gezeigt, daß auch er selbst SELBSTÄNDIG denken kann. Er hat sich sehr produktiv mit Conway Morris auseinandergesetzt. 

Die gleiche Kritik wie sie Dawkins an Gould äußert, haben ja inzwischen viele geäußert - aus verschiedenen Gründen und bezüglich ganz verschiedener Themen. Unter anderem auch Conway Morris in seinem Buch "The Crucible of Creation".
30.04.2009, 09:07:04
 
Geoman 
Hallo Ingo. B. 

ich bezog mich auf eine Äußerung von Emanuel Heitlinger, der durch die Ergebnisse der modernen evolutionsbiologischen Forschung (z. B. Genomverdopplung oder -erwerb) die Erklärungskraft der „modernen Synthese" nicht geschmälert sehen will. Fakt ist aber, dass die Vorstellung, die Vielfalt der Lebewesen sei durch die Kombination von zufälligen kontinuierlichen Mutationen und Fitnessvorteilen entstanden, zunehmend an Bedeutung verliert. 

In meinem Beitrag über die explosive Artbildung bei ostafrikanischen Buntbarschen steht nichts zur Genomverdopplung, weil nach meinem Wissen bisher kein Forscher diese für das besondere evolutive Vermögen der Buntbarsche verantwortlich gemacht hat. Im Gegenteil allgemein werden für die zu beobachtende enorme Diversität bei Fischen (im Unterschied zu Landwirbeltieren) Genverluste (vor allem in Hox Clustern) verantwortlich gemacht. 

Der von Dir angesprochene Joachim Bauer vermutet die Ursache für die Buntbarschevolution ebenfalls nicht in einer kompletten Genomverdoppelung, sondern in einem hohen Anteil von evolutionär jungen Transpositio​nselementen, die unter Umweltstress entstanden seien. 

Deine positiven Bewertungen von Conway Morris (mit seiner programmierten, wiederholbaren Evolution) und Dawkins Werk „Geschichten vom Ursprung des Lebens" (mit seiner ermüdenden Allmählichismus-Evolution) teile ich nicht. 

Worauf ich aufmerksam machen will, ist, dass wenn ein Herr Axel Meyer von der Bedeutung von "Genomverdoppelungen" spricht, dies große Wissenschaft darstellt, wenn dies aber ein Herr Joachim Bauer tut, dann ist dies für viele Evolutionsbiologen amateurhaft und dumm, selbst wenn er das Gleiche sagt. 

Hier liegt der Hase im Pfeffer!
01.05.2009, 16:18:12

 

Ingo 

Ja, wir sollten Augen und Ohren offen und vieles für möglich halten und versuchen, nicht zu sehr auf ideologischen Bahnen, sei es die eine oder andere zu denken.
02.05.2009, 11:06:38
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